Es geht um Diktat, nicht um Verhandlung
Übersicht
1. Die „Madman Theory“ und Trumps Außenpolitik
2. Amerikas Credo und Trumps Verhandlungsstrategie
3. „Globale Dominanz als Selbstzweck“
Anmerkungen
Trumps Friedenserzwingungsstrategie wird den Ukrainekonflikt
weder beenden noch abschwächen können.
1. Die „Madman Theory“ und Trumpsaußenpolitik
Es ist in der letzten Zeit in Mode gekommen, von Trumps „Verrücktheit“ zu sprechen, der in der Außenpolitik viel „Unheil“ anrichten könnte. Die sog. „Madman-Strategie“ ist in aller Munde. Zuerst hat Daniel W. Drezner sie mit seiner am 12. November 2024 in Foreign Affairs erschienenen Studie „The End of American Exceptionalism“ ins Gespräch gebracht und die „Wahnsinnstheorie“ (madman theory) auf den US-Präsident Richard Nixon (1969-1974) zurückgeführt. Sie besagt: „Wenn der Gegner das Gefühl hat, dass du unberechenbar oder gar unbedacht bist, dann wird er sich hüten, dich zu sehr unter Druck zu setzen.“
Drezner glaubte im November 2024, dass „Trump 2.0“ einen Zwang ausüben, mit massiven Zollerhöhungen oder „Wutausbrüchen“ und Drohungen reagieren würde, um die Gegenspieler unter Druck setzen und Zugeständnisse abringen zu können.1
Neuerlich griff Roseanne McManus in ihrem ebenfalls in Foreign Affairs am 24. Januar 2025 veröffentlichten Artikel „The Limits of Madman Theory“ erneut das Thema auf, bestritt indirekt Nixons Urheberschaft und führte die „Wahnsinnstheorie“ bis ins Jahr 1517 auf Niccolò Machiavelli zurück.
Die moderne „Madman Theory“ wurde McManus zufolge in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit dem Aufkommen von Atomwaffen entwickelt. Sie verweist dabei auf die Ideen des Verteidigungsstrategen der RAND Corporation, Daniel Ellsberg (1931-2023), und den US-Ökonomen, Thomas Schelling (1921-2016) mit seinem „Paradoxon der Abschreckung“, das darin bestehen sollte, „dass es nicht immer hilfreich ist, völlig rational zu sein, einen kühlen Kopf zu behalten und sich selbst unter Kontrolle zu haben“.
In dieser Aufzählung dürfte schließlich auch der Militärstratege, Herman Kahn (1922-1983), mit seinem berühmt gewordenen Schlagwort „Das Undenkbare denken“ (1962) nicht fehlen. Kahn argumentierte, dass der Gegenspieler im Umgang mit einem nuklear bewaffneten Gegenpart, der „kahl und wahnsinnig“ zu sein scheint, entweder seinen Forderungen nachgeben oder „die Möglichkeit akzeptieren muss, vernichtet zu werden“.
Diese Ideen versuchte Nixon im Vietnamkrieg umzusetzen und scheiterte, wie man weiß, kläglich. Nun glaubt auch Trump laut McManus seine außenpolitischen Ziele mit der „Madman-Strategie“ durchsetzen zu können. Die „Madman Theory“ möge populär sein; historisch gesehen, hat sie sich aber als wirkungslos erwiesen. „Trumps Ansatz könnte auch spektakulär scheitern“ (Yet Trump’s approach might also fail spectacularly), hebt sie hervor und ist darüber besorgt, „dass Trumps Ruf der Unberechenbarkeit in einem Extremszenario, wenn sich die USA in einem nuklearen Wagnis mit Peking oder Moskau wiederfinden, die Ängste vor einem nuklearen US-Erstschlag verstärken und eine der beiden Regierungen dazu veranlassen könnte, einen nuklearen Präventivschlag zu starten…. Unabhängig davon, wie glaubwürdig Trumps Drohungen sind, ist es unwahrscheinlich, dass beide Länder den Drohungen der USA nachgeben werden, ohne ein glaubwürdiges Versprechen auf einen langfristigen Frieden und Sicherheit zu haben,“ glaubt McManus zu wissen und fügt abschließend hinzu, dass die „Wahnsinnstheorie“ Grenzen habe.
Trump werde klarmachen müssen, dass seine Außenpolitik nicht völlig unvernünftig sei und dass man ihm vertrauen könne, ein abgeschlossenes Abkommen aufrechtzuerhalten. Es werde das Risiko einer unbeabsichtigten Eskalation verringern und die Verbündeten beruhigen, die über Trumps Madman-Strategie“ nervös geworden seien.
Diese ganze „Madman“-Hysterie hat keine Substanz. Sie ist von den US-Demokraten nahestehenden Medien medial aufgebauscht, wozu Trump freilich stets einen Anlass gibt. Trump ist aber dessen ungeachtet weder verrückt noch verfolgt er eine „Wahnsinnsstrategie“. Einer wie Trump, der in seinem ganzen Wahlkampf vor dem Dritten Weltkrieg warnte, will keinen Krieg. Seine Druckmittel sind geoökonomischer und nicht militärischer Natur, zumal er keine militärischen Machtmittel in der Hand hat, um Putin und Xi Jinping einschüchtern zu können.
Wie bereits die erste Amtszeit Trumps (2017-2021) gezeigt hat, ist er ein Kriegsgegner, der keinen Krieg vom Zaun gebrochen hat, und verfolgt seine Ziele überwiegend mit geoökonomischen Mitteln.2Ihm geht es um etwas ganz anderes!
2. Amerikas Credo und Trumps Verhandlungsstrategie
Wer sich als Hegemon begreift, diktiert, verhandelt nicht. Das ist Amerikas Credo und das Leitmotiv der US-Außenpolitik, die heute durch den neu- und wiedergewählten US-Präsidenten Donald Trump repräsentiert wird. Trumps Wahlkampfspruch: „in 24 Stunden den Krieg in der Ukraine zu beenden“, seine bereits zahlreichen Äußerungen, Interviews und Verlautbarungen nach der Inauguration sprechen nicht dafür, dass er sich auf Verhandlungen einlassen will. Dafür hat er weder Geduld noch einen Verhandlungsplan.
Trump verkörpert mit seinem Auftreten einen Hegemonen, dem die Welt Untertan ist. Das ist weder irrational noch verrückt oder wahnsinnig, sondern eine Sichtbarmachung des hegemonialen Machtanspruchs der USA auf ihre Weltdominanz.
Dass diese Geisteshaltung vermessen ist, ist nicht von der Hand zu weisen. Nur ist sie keine „Wahnsinnsstrategie“, sondern die Willensäußerung eines machbewussten und sich selbst ermächtigenden Hegemonen.
Trump will diktieren und nicht verhandeln. Deswegen bereitet er sich nicht auf Verhandlungen vor, sondern betreibt eine Nebelschau, ohne sich dabei sicher zu sein, dass er mit seinem Imponiergehabe weiterkommt. Und die russische Führung? Sie macht das Beste aus der Lage: Sie lässt sich nicht provozieren und ignoriert einfach Trumps Drohgebärden und/oder Beschwichtigungen im vollen Bewusstsein ihrer starken Verhandlungsposition nicht zuletzt als Folge einer erfolgreichen Offensive auf dem ukrainischen Schlachtfeld.
Im Gegensatz zu Trump, der sich selbst mit seinem „24 Stunden“-Gerede (neuerdings spricht er von einem halben Jahr) unter Zeitdruck gesetzt hat, der US-amerikanischen Öffentlichkeit schnelle außenpolitische Erfolge präsentieren will und eine rasche Kriegsbeendigung nicht zuletzt wegen der katastrophalen militärischen Lage für die Ukraine an der Front anstrebt, hat Putin es nicht eilig.
Denn er weiß ganz genau, dass Trump unter der Kriegsbeendigung einen sofortigen Stopp der Kriegshandlungen versteht, was letztlich auf ein Einfrieren des Ukrainekonflikts hinauslaufen müsste. Das wäre aber für Russland nicht nur eine klare Niederlage, sondern eine Katastrophe und würde dazu führen, dass Putin politisch nicht überleben wird. Zu sehr würde dann seine Glaubwürdigkeit innenpolitisch ramponiert.
Auf einen solchen „Deal“ (Trumps Lieblingswort) wird sich Putin nie einlassen wollen, zumal dazu überhaupt kein Handlungszwang besteht. Hier prallen mit anderen Worten zwei völlig unvereinbare Handlungsmaximen auf- und gegeneinander: Der eine will einen sofortigen und bedingungslosen Stopp der Kriegshandlungen ohne Friedensverhandlungen; der andere strebt Friedensverhandlungen ohne den Stopp der Kriegshandlungen an, solange ein Friedensvertrag nicht abgeschlossen wird.
Wie es unter solchen Voraussetzungen zu einem Verhandlungsergebnis kommen sollte, bleibt ein Rätsel. Deswegen wird es zu keinen Verhandlungen kommen. Trump versucht daher mit Einschüchterung, Beschwichtigung und Erpressung sein unerfüllbares Ziel zu erreichen, ohne offenbar zu begreifen, dass er die russische Führung damit nicht sonderlich beeindrucken kann.
Putin beharrt seinerseits auf die Forderungen, die er bereits vor dem Kriegsausbruch Mitte Dezember 2021 aufgestellt hat, worauf die Biden-Administration mit schroffer Ablehnung reagierte. Deswegen wiederholt Trump immer und immer wieder, dass der Krieg gar nicht hätte begonnen werden dürfen, und beschuldigt Biden für den Krieg mitverantwortlich zu sein, ohne freilich seinerseits Friedensverhandlungen anstreben zu wollen.
Kurzum: Die Friedensverhandlungen befinden sich in einer Sackgasse, noch bevor sie überhaupt begonnen wurden. Trump will diktieren, ohne zu verhandeln, und Putin will verhandeln, ohne sich diktieren zu lassen. Am Ende des Weges werden wir die Fortsetzung des Krieges erleben, bis eine der Seiten den Krieg gewinnt oder verliert. Eine andere Lösung scheint momentan nicht in Sicht zu sein.
Letztendlich geht es der russischen Führung nicht um die Ukraine, sondern um die gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung. Das wird die neue Trump-Administration erst begreifen müssen.
3. „Globale Dominanz als Selbstzweck“
In Amerikas „globaler Dominanz als Selbstzweck“, wie Stephen Wertheim einst formulierte,3 sieht Trump Sinn und Ziel seiner Außenpolitik, womit er voll und ganz in der Tradition der US-Außenpolitik steht. Trumps hegemoniale Ambitionen sehen heute zwar vor dem Hintergrund der geopolitischen Revolution4 ziemlich anachronistisch aus.
Dessen ungeachtet setzt er aber nach wie vor auf die hegemoniale US-Außenpolitik, als wären die Zeiten seit seiner ersten Amtszeit stehen geblieben und als würde immer noch die unipolare Weltordnung unangefochten bestehen und als hätte sich das Zeitalter der Großmächterivalität nicht zurückgemeldet.
Und genau die Verkennung und/oder Ignoranz einer neuentstandenen geopolitischen Großwetterlage wird zum Problem der Trump-Administration. Mit der Fokussierung der US-Außenpolitik allein auf die globale Dominanz ignoriert Trump die geopolitische Realität der Gegenwart. Wie es in den Jahren seiner ersten Amtszeit (2017-2021) war, wird es aber nicht mehr gehen.
Russland ist mit dem Krieg in der Ukraine und dem Besitz der Hyperschalltechnologie de facto zur stärksten Militärmacht der Welt aufgestiegen. Die unipolare, „regelbasierte Ordnung“ hat die besten Zeiten hinter sich und gehört der Vergangenheit an. Das will Trump immer noch nicht wahrhaben.
Wie ein Ertrinkender, der sich in seinem aussichtslosen Kampf ums Überleben bei einem Schiffbruch an den Wogen festhalten will, so glaubt auch Trump die glorreichen Zeiten Amerikas reanimieren zu können, die nicht mehr reanimierbar sind.
Diese um jeden Preis auf Hegemonie setzende US-Außenpolitik nannte Stephen Wertheim in seiner Studie „pathologies of primacy“ und „diese Pathologien bringen die USA weiterhin auf Kollisionskurs mit anderen Ländern“ (those pathologies continue to put the United States on a collision course with other countries). Darum könnte der nächste Krieg sich ungewollt zu einem Großmächtekonflikt entwickeln.
Trumps pathologisch anmutende Besessenheit von der globalen Weltdominanz Amerikas ignoriert vor allem die Tatsache, dass die anderen Großmächte sich bedroht fühlen und dementsprechend handeln, indem sie dazu tendieren, das Machtgleichgewicht wiederherzustellen.
Statt sich dieses Großmächtestreben nach Machtgleichgewicht zu akzeptieren, macht Trump genau das Gegenteil, indem er die US-Hegemonie schwächt und genauso in unkalkulierbare Turbulenzen bringt, wie zu seiner Zeit Gorbačev das Sowjetsystem mit seiner Perestrojka zunächst destabilisiert und dann zugrunde gerichtet hat.
Der US-Hegemon büßte schon seit Langem die Fähigkeit ein, die Großmächte China und Russland in seine unipolare Weltordnung zu integrieren und dem widerspenstigen „Globalen Süden“ die eigene geopolitische Agenda zu diktieren. Das ist der eigentliche Casus knacksus, vor dem die US-Außenpolitik der Trump-Administration steht.
Was wir seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine beobachten, ist eine unaufhaltsame Zurückdrängung der unipolaren Weltordnung und – damit eng verbunden – die sog. „regelbasierte Ordnung“. Folgt man Trumps Verlautbarungen, die er in der ersten Woche seiner Regentschaft gemacht hat, dann sieht es so aus, als würde er seine geopolitischen Ziele mit der Außenpolitik des „aggressiven Unilateralismus“ durchsetzen wollen.5
Die Politik des „aggressiven Unilateralismus“ ist aber unzeitgemäß und ein Irrweg, der die US-Außenpolitik der Trump-Administration in eine Sackgasse führen wird, solange Trump die seit seiner ersten Amtszeit erfolgte tektonische Machtverschiebung in der Weltpolitik zu Lasten Amerikas mit brachialen Methoden zu verändern trachtet.
Anmerkungen
1. Näheres dazu Silnizki, M., Zwischen „Whataboutismus“ und „Madman-Stratege“? Zur Frage nach Trumps
künftiger Außenpolitik. 24. November 2024, www.ontopraxiologie.de.
2. Silnizki, M., Im Zeitalter der Geoökonomisierung der Geopolitik, in: des., Geoökonomie der Transformation
in Russland. Berlin 2020, 98 ff.
3. Wertheim, S., Iraq and the Pathologies of Primacy. The Flawed Logic That Produced the War Is Alive and
Well, Foreign Affairs, 17. März 2023.
4. Silnizki, M., Geopolitische Revolution. Im Schlepptau des Ukrainekonflikts. 31. Januar 2023,
www.ontopraxiologie.de.
5. Silnizki, M., Die US-Außenpolitik des „aggressiven Unilateralismus“. Keith Kelloggs Strategiepapier zu
Friedensverhandlungen. 14. Dezember 2024, www.ontopraxiologie.de.