Eine US-Kampfschrift mit Sprengkraft
Übersicht
1. Ein „Tabubruch“
2. Russlands „imperialer Vormarsch“?
3. Piotr Tolstoi: „Wir werden sie alle töten“
Anmerkungen
„Gegen ihre Kaltblütigkeit, >das Undenkbare zu denken<, wäre kaum etwas
einzuwenden, wenn man nur sicher sein könnte, dass sie überhaupt denken.“
(Hannah Arendt)1
1. Ein „Tabubruch“
Das Sprachrohr des außenpolitischen US-Establishments, Foreign Affairs, hat am 22. April 2024 ein Schriftstück unter dem Titel „Europe—but Not NATO—Should Send Troops to Ukraine“ (Europa – aber nicht die NATO – sollte Truppen in die Ukraine schicken).
Es ist eine Kampfschrift, die es in sich hat. Sie legt den EU-Europäern nahe, in den Krieg in der Ukraine zu ziehen, „um Russlands Vormarsch zu stoppen“ (Untertitel). Ohne die Beteiligung der Nato – das heißt: ohne die USA – soll das geschehen! Gleich drei Autoren, die sich allesamt für „Militärexperten“ halten, waren an dieser Kampfschrift beteiligt: Alex Crowther, Jahara Matisek und Phillips P. O’Brien.
Wollen die drei genannten US-Militärexperten die EU-Europäer im Krieg gegen Russland verheizen? Es sieht so aus, wenn man liest, was da geschrieben steht. Mit Berufung auf den französischen Präsident Emmanuel Macron, der am 26. Februar 2024 die Entsendung der europäischen Truppen in die Ukraine „nicht ausgeschlossen“ hat, begrüßen sie nachdrücklich diesen „Tabubruch“ (A taboo has been broken in Europe) und fordern die Europäer auf, in den Kampf gegen Russland zu ziehen.
Macrons „Tabubruch“ schlossen sich die Repräsentanten solcher europäischen „Großmächte“ wie der finnische Verteidigungsminister, der polnische Außenminister und nicht zuletzt die Vertreter der baltischen Staaten an. Diese „geballte“ militärische Macht sei „offen für eine direkte europäische militärische Intervention“ (open to direct European intervention in the war), jauchzen unsere US-Militärexperten.
Nun ja, wenn es so viel Zustimmung seitens solcher „mächtigen“ europäischen Randstaaten wie Finnland, Polen und die baltischen Republiken gibt, dann, ja dann müssen die EU-Europäer wohl oder übel in einen Krieg gegen Russland ziehen. Oder nicht? Dabei machen Crowther, Matisek und O’Brien den EU-Europäern viel, sehr viel Mut, indem sie beschwichtigend beteuern:
Das Risiko einer Eskalation des Konflikts sei übertrieben. Russland habe kaum Spielraum, um seine konventionellen Angriffe auszuweiten … Es habe bereits mehr als 90 Prozent seiner Vorkriegsarmee mit hunderttausenden Opfern, zehntausenden zerstörten Kampffahrzeugen und der überwiegenden Mehrheit seiner fortschrittlichsten Waffensysteme verloren, die bei Angriffen auf die Ukraine verbraucht wurden. Die Sanktionen hätten die russische Waffenproduktion schwieriger und teurer gemacht, und die Entsendung von Truppen in die Ukraine habe dazu geführt, dass Russland kaum genug Kräfte habe, um den Rest seiner langen Grenze zu bewachen, geschweige denn eine bedeutende Operation gegen die anderen europäischen Staaten durchzuführen. Im Januar 2022 galt die russische Armee als die zweitstärkste Armee nach der US-Armee. Heute sei sie vielleicht nicht einmal die mächtigste Armee in der Ukraine.
Wenn man all das liest, so fragt man sich irritiert: Wollen die genannten US-Autoren wirklich „Militärexperten“ oder vielmehr Provokateure sein, die einen großen Krieg in Europa anzetteln wollen? Woher haben sie überhaupt solche Informationen? Oder sollte man hier lieber von Desinformationen sprechen?
Nirgendwo belegen sie ihre bloßen Behauptungen, nirgends präsentieren sie das Quellenmaterial, das ihre Angaben belegt. Es geht ihnen offenbar gar nicht um Beweise und Belege, sondern allein darum, Stimmung für die Ausweitung des Krieges in Europa zu machen, an dem weder die Nato noch die USA, wohl aber die einzelnen europäischen Länder und Völker teilnehmen sollten. Wie uneigennützig! Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!
Offenbar möchten die US-Befürworter des Eintritts der europäischen Einzelstaaten in den Ukrainekrieg ohne die Beteiligung der Nato und der USA erreichen, dass die EU in schweres Fahrwasser gerät, wovon der strauchelnde US-Hegemon nur profitieren könnte.
Denn er würde im Falle der Kriegsausweitung auf dem europäischen Kontinent seine Machterosion auf Kosten der Europäer wie zu Zeiten der zwei Weltkriege des 20. Jahrhunderts stoppen, sich selbst ökonomisch und finanziell sanieren und seine alte Stärke als die unangefochtene Weltmacht zurückgewinnen.
Der Erste Weltkrieg katapultierte die USA zur Weltwirtschaftsmacht und verwandelte sie auf einen Schlag vom Schuldnerland zum Gläubigerland. Die USA waren die Profiteure des Ersten Weltkrieges, der das eigentliche Fundament für ihren späteren Aufstieg zur Welt- und Supermacht gelegt hat. Dank dem Ersten Weltkrieg wurden sie „zur führenden Wirtschafts- und Handelsmacht der Welt und bauten diese Position in den zwanziger Jahren weiter aus … Von 1919 bis 1929 stieg die Industrieproduktion in den USA um 51 %, der Anteil an der Weltproduktion industrieller Güter wuchs von 35,8% im Jahre 1913 auf 41 % im Durchschnitt der Jahre von 1925 bis 1929.“2
Dieses Erfolgserlebnis möchten unsere US-Hardliner offenbar heute erneut auf Kosten der Europäer wiederholen und heizen die Kriegsstimmung in Europa an. Anders ist diese gezielt gestreute Desinformation über die vermeintlich kolossalen Verluste der russischen Streitkräfte, die angeblich „90 Prozent seiner Vorkriegsarmee mit hunderttausenden Opfern, zehntausenden zerstörten Kampffahrzeugen und der überwiegenden Mehrheit seiner fortschrittlichsten Waffensysteme verloren“, nicht zu erklären.
Längst hat sich Russland auf Kriegswirtschaft umgestellt, produziert mehr Rüstungsgüter als die westliche Anti-Russland-Koalition zusammengenommen. Dass die russischen Streitkräfte angeblich so gut wie kampfunfähig geworden, nicht mehr die zweitstärkste Armee nach den USA oder gar der ukrainischen Armee unterlegen seien, sind Behauptungen, die von der Realität an der Front nicht bestätigt werden.
Die vorgelegte Schrift ist eine Kampf-, keine Aufklärungsschrift und deren Verfasser sind Provokateure, keine Militärexperten. Nach mehr als zwei Jahren Kampferfahrung ist Russland zu der stärksten militärischen Macht der Welt aufgestiegen, mit der auch die USA nicht mithalten können. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat die US-Armee solche Kriege nie geführt und es ist nicht ein und dasselbe, die Interventionen und Strafexpeditionen gegen die Wüstenvölker und die technologisch weit unterlegenen Gegner oder einen technologischen Krieg des 21. Jahrhunderts gegen einen gleichwertigen und mittlerweile kampferprobten Gegner wie Russland zu führen.3
Und die Atomwaffen? Die Atomwaffen seien ja überhaupt kein Problem, beteuern unsere US-Provokateure, die die USA freilich nicht im Atomkrieg gegen Russland verheizen wollen. Allein die EU-Europäer sollten sich im Krieg gegen Russland zerreiben lassen. Schließlich haben sie bereits viel Erfahrung gleich mit zwei Weltkriegen. Bei so viel Erfahrung wäre doch ein dritter Weltkrieg nur ein Kinderspiel!
Und was ist mit dem Atomkrieg? Die Frage ist doch – sinnieren Crowther, Matisek und O’Brien -, „ob Russland tatsächlich die Atomwaffen einsetzen würde, wenn die europäischen Truppen in die Ukraine einmarschieren“. Und ihre Antwort auf die selbstgestellte Frage ist genauso einfältig wie abwegig. Bis jetzt sei es dazu nicht gekommen, obwohl „die westlichen Spezialeinheiten derzeit in der Ukraine operieren“.
Moskau bediene sich „regelmäßig einer aggressiven Rhetorik gegenüber den Nato-Staaten“. Die Russen haben aber „bisher nur gebellt, ohne zu beißen“. Sie vermieden jeden Kontakt mit Nato-Truppen und konzentrierten sich stattdessen auf die Nachbarländer außerhalb des Bündnisses, wie Georgien und die Ukraine.
Diese Behauptungen sind irreführend oder zumindest ergänzungsbedürftig. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums vom 14. März 2024 belief sich die Zahl der in der Ukraine anwesenden ausländischen Söldner seit dem 24. Februar 2022 auf 13.387, wobei 5.962 davon nachweislich getötet wurden. Unter den Toten werden u. a. 1.497 Polen, 561 Georgier, 491 US-Amerikaner, 422 Kanadier, 360 Briten, 349 Rumänen, 147 Französen und 88 Deutschen gezählt.
Eine Woche zuvor gab das ukrainische Verteidigungsministerium am 7. März 2024 zu, dass sich unter den ausländischen Söldnern auch Spezial- und Militäreinheiten aus den USA , Großbritannien, Australien, Dänemark und anderen europäischen, asiatischen, afrikanischen und südamerikanischen Ländern befinden.
Ferner behaupten Crowther, Matisek und O’Brien, ohne dabei irgendwelche Nachweise zu liefern, dass Putin bereits 2014 damit gedroht hätte, Polen, Rumänien und die baltischen Staaten anzugreifen, und in den nächsten Jahren in Finnland und Schweden einzumarschieren.
Schlimmer noch: In den letzten anderthalb Jahrzehnten hätte der Kreml angeblich mit dem Einsatz von Atomwaffen gegen Dänemark, Polen, Schweden, die Ukraine, das Vereinigte Königreich, die baltischen Staaten, die Europäische Union als Ganzes und natürlich gegen die Nato und die USA gedroht bzw. Kriegsspiele durchgeführt, die den Einsatz von Atomwaffen simulieren sollten.
Diese aus der Luft gegriffenen und mit keinem Quellenmaterial belegten Einlassungen dienen nur einem einzigen Zweck, die EU-Europäer zum Krieg gegen Russland anzustacheln bzw. einen großen Krieg in Europa zu provozieren. Und so fordern sie die EU- Europäer auf, „Putins Säbelrasseln (zu) ignorieren“ und keine Angst vor Putins atomaren Drohgebärden zu haben.
Hier sind nicht Militärexperte, sondern Kriegstreiber am Werk, die den Europäern suggerieren wollen, dass sie gefahrlos in einen Krieg ziehen können. Man fragt sich freilich: Wenn ein europäischer Krieg so harmlos ist, warum empfehlen sie denn den USA nicht in den Krieg zu ziehen? Sie könnten dann schließlich auch von der Kriegsbeute profitieren! Oder nicht?
2. Russlands „imperialer Vormarsch“?
Nun warnen Crowther, Matisek und O’Brien vor der russischen Gefahr, indem sie versuchen, den Europäern Angst einzujagen und sie auf Kriegskurs zu trimmen: Europas Sicherheit sei bedroht, weil Putin seine revisionistischen Ambitionen hege. Es gäbe keinen Grund anzunehmen, dass er sich mit der Ukraine begnüge. Denn er habe bereits erklärt, dass alle ehemaligen Sowjetrepubliken an Russland zurückgegeben werden sollten. Und die baltischen Staaten sowie Finnland und Polen könnten die nächsten sein.
Dabei legen sie auch hier keine Beweise für ihre abenteuerlichen Anschuldigungen vor. Die gibt es auch nicht. Ihnen geht es nicht um Aufklärung, sondern um das Schüren antirussischer Ressentiments; nicht um nüchterne Analyse, sondern um Diskreditierung des Gegners, der zum „absoluten Feind“ (Carl Schmitt) stilisiert wird.
Wie in den schlimmsten Zeiten des „Kalten Krieges“ wird hier die Angsthysterie geschürt. Und so heizen sie die Kriegsstimmung weiter an:
Die europäischen Staats- und Regierungschefs können es sich nicht leisten, die europäische Sicherheit von der politischen Dysfunktionalität Amerikas diktieren zu lassen. Sie müssen ernsthaft in Erwägung ziehen, die Truppen in die Ukraine zu entsenden, um eine logistische Unterstützung und Ausbildung zu leisten, die Grenzen und die kritische Infrastruktur der Ukraine zu schützen oder gar die ukrainischen Städte zu verteidigen. Sie müssen Russland klarmachen, dass Europa bereit sei, die territoriale Souveränität der Ukraine zu schützen. Es sei besser, die düstere Realität in der Ukraine ernst zu nehmen und dagegen beherzt vorzugehen, als darauf zu warten, dass Russland „seinen imperialen Vormarsch“ (imperial advance) fortsetze.
Die zitierte Passage deutet darauf hin, dass die US-Hardliner sich nicht sehnlicher wünschen, als die EU-Europäer in einen großen europäischen Krieg gegen die nukleare Supermacht Russland zu treiben. Dass das außenpolitische und militärische US-Establishment mit seiner wahnwitzigen Idee, Russland militärisch zu bezwingen, ernst meint, zeigt der kürzlich am 25. April 2024 erschienene Handelsblatt-Artikel des ehem. Nato-Botschafters der USA, Kurt Volker. Unter der Überschrift „Es ist Zeit, der Ukraine zum Sieg zu verhelfen“ schreibt Volker: „Ein ukrainischer Sieg ist unabdingbar: um den Frieden in Europa wiederherstellen zu können … Den russischen Streitkräften muss deutlich gemacht werden, dass die Zeit nicht auf ihrer Seite ist. Der Westen muss endlich damit beginnen, Russland von weiteren Aggressionen abzuschrecken … Die Biden-Administration muss alle Beschränkungen der Hilfe für die Ukraine, die sie sich selbst auferlegt hat, aufheben“ usw. usf.
Dass die Realität an der ukrainischen Front gegen die siegreichen Träume der US-Hardliner spricht, wollen sie gar nicht wissen. Zu sehr sind sie – wie Volker – davon überzeugt, dass das russische Militär „in einem sehr schwachen Zustand (ist), mit schlechter Ausrüstung, Ausbildung, Moral und Führung“.
Wenn das so wäre, wieso glauben sie dann, dass Russland, sollte es die Ukraine bezwingen, seinen imperialen Vormarsch“ (imperial advance) gen Westen fortsetze? Beides kann es gleichzeitig gar nicht geben: Entweder sind die russischen Streitkräfte „sehr schwach“, dann können sie keinen „imperialen Vormarsch“ fortsetzen. Oder sie setzen ihren „imperialen Vormarsch“ fort, dann sind sie nicht schwach.
Was nun? Nichts deutet darauf hin, dass das russische Militär entkräftet ist oder Russland vorhat, die Nato-Länder anzugreifen. Ganz im Gegenteil: Vergleicht man allein die Militärausgaben Russlands und des Nato-Bündnisses, so wird schnell deutlich, wie unhaltbar der Vorwurf an die Adresse Russlands ist: Es beabsichtige die Nato-Staaten anzugreifen.
Die erdrückende Mehrheit der weltweiten Militärausgaben wird von den Nato-Staaten getätigt. Das geht aus einer am 22. April 2024 publizierten Studie des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI hervor. Rund 37 Prozent der globalen Militärausgaben von 2,443 Billionen Dollar – 916 Milliarden Dollar – gingen 2023 allein auf die USA zurück. Das Nato-Bündnis kam laut SIPRI-Berechnungen auf insgesamt1,341 Billionen Dollar – gut 55 Prozent aller weltweiten Militärausgaben.4
Hinzu kommen die Militärausgaben der mit dem Westen eng verbündeten Länder Japan, Südkorea und Australien, die mit jeweils 50,2, 47,9 und 32,3 Milliarden Dollar insgesamt 130,4 Milliarden Dollar betragen. Zählt man alles zusammen, so kommt die Nato-Allianz mit ihren Verbündeten sage und schreibe auf insgesamt 1471,40 Billionen Dollar bzw. 60,23 Prozent der weltweiten Militärausgaben.
Demgegenüber betragen die Militärausgaben Russlands mit 109 Milliarden Dollar nur ein Bruchstück dessen, was der Westen für das Militär ausgibt: gerademal 7,41 Prozent der Militärausgaben des Westens und seiner Verbündeten.
Und so stellt sich die Frage, wer wen hier bedroht und wer wen angreifen will. Wäre Russland keine nukleare Supermacht, wäre sie schon längst von der Nato-Allianz überrannt.
3. Piotr Tolstoi: „Wir werden sie alle töten“
Nun vertreten die US-Hardliner eine These, die fassungslos macht – fassungslos, weil sie zeigt, wie wenig sie begriffen haben, was sich geo- und sicherheitspolitisch in den vergangenen dreißig Jahren seit dem Ende des Ost-West-Konflikts geändert hat.
„Die russische Invasion“ – schreiben sie – „hat das regionale Machtgleichgewicht (regional balance of power) gestört. Europa hat ein vitales Interesse, dass das (entstandene) Ungleichgewicht (imbalance) korrigiert wird.“ Und der beste Weg wäre europäische Soldaten in die Ukraine zu schicken, falls es nichts anders geht.
Dass das Machtgleichgewicht in Europa mit dem Aufstieg der USA zur europäischen Ordnungsmacht und der daran anschließende Nato-Expansionspolitik und nicht erst mit der russischen Ukraine-Invasion zerstört wurde, entzieht sich offenbar ihrem Kenntnisstand.
Russlands Invasion in die Ukraine dient im Wesentlichen dazu, das zerstörte Machtgleichgewicht in Europa wiederherzustellen. Im Gegensatz dazu geht es der westlichen Anti-Russland-Koalition eben nicht darum, die angeblich erst seit dem Kriegsausbruch entstandene Imbalance zu korrigieren, wie die US-Hardliner irrigerweise behaupten, sondern das zu Lasten der russischen Sicherheit seit gut dreißig Jahren bestehende Machtungleichgewicht in Europa zu verteidigen.5
Und dieser Konflikt wird, da alle diplomatischen und friedlichen Bemühungen zur Überwindung des Machtungleichgewichts in Europa gescheitert sind, heute militärisch ausgetragen. Und wenn unsere kriegslüsternen amerikanischen „Freunde“ die EU-Europäern dazu aufrufen, in den Krieg gegen Russland ohne die Nato zu ziehen, dann riskieren sie nicht etwa den Ausbruch eines Dritten Weltkrieges, sondern etwas ganz anderes: Sie riskieren eine vernichtende Niederlage der europäischen Armeen auf ukrainischem Boden.
Und vor dieser Vernichtung wurden sie seitens Russlands des Öfteren und eindringlich gewarnt. Zuletzt hat der Vizepräsident der russischen Duma, Piotr Tolstoi, am 21. März 2021 ein aufsehenerregendes Exklusivinterview dem französischen Sender BFMTV gegeben, indem er den französischen Präsidenten Emmanuel Macron davor warnte, französische Truppen in die Ukraine zu entsenden.
Macron äußerte sich, wie bereits oben erwähnt, dahingehend, dass er der Unterstützung für Kiew angesichts der russischen Angriffe keine „Grenzen“ setzen werde. Auf Macrons Äußerung angesprochen, sagte Tolstoi: „Wir werden alle französischen Soldaten töten, die auf ukrainischen Boden kommen“. Macrons Meinung sei uns egal.
„Ihr Franzosen, die ihr mit den Soldaten nach Odessa kommen wollt, provoziert den Dritten Weltkrieg“, fuhr Tolstoi fort. „Wenn 300 oder 400 Franzosen getötet werden, sitzt Ihr Präsident in der Falle: Denn er musste dann entweder die Dinge weiterlaufen lassen oder die Truppenpräsenz erhöhen oder die Truppen abziehen“, erklärt der Vizepräsident der russischen Duma.
„Heute gibt es 13.000 Söldner (in der Ukraine), darunter 367 Franzosen. 147 von ihnen wurden bereits getötet … Und wir werden alle töten, keine Sorge“, sagte er und fügte gleich hinzu: „Die Idee, französische Soldaten in die Ukraine zu schicken, wird mit Särgen unter der Trikolore in Orly enden … Und es ist nicht Macron, der sie aufsuchen wird. Die Franzosen müssen die Konsequenzen verstehen, das ist alles.“
Auf die Frage von BFMTV nach einer weiteren Entwicklung des Konflikts sagte Piotr Tolstoi: Er sei überzeugt, dass „die Ukraine niemals innerhalb der Grenzen“ der Vorkriegszeit existieren werde. „Für uns ist es eine existenzielle Frage. Wir werden nicht aufhören, wir werden die Truppen nicht abziehen“, betonte der Vizepräsident der Duma.
Dieser russischen Siegesgewissheit steht freilich die US-amerikanische Selbstsicherheit entgegen. Die Ankunft europäischer Truppen in der Ukraine würde Moskau klar machen, dass bei einer europäischen Eskalation der Krieg für Russland nicht zu gewinnen wäre (vgl. „Moscow would have to face the possibility that European escalation could make the war unwinnable for Russia“), beteuern unsere US-Hardliner selbstsicher.
Bei einer solchen beiderseitigen Siegesgewissheit bzw. Selbstsicherheit ist eine Beendigung des Krieges unvorstellbar. Und es ist keine Alternative zum Krieg in Sicht! Ob die EU-Europäer sich in diesem Krieg verheizen lassen? Möglich wäre es! Wie reimte doch Goethe einst:
„Wer mit dem Leben spielt,
Kommt nie zurecht;
Wer sich nicht selbst befiehlt,
Bleibt immer ein Knecht.“
Anmerkungen
1. Arendt, H., Macht und Gewalt. München und Zürich 1987, 10.
2. Junker, D., Der unteilbare Weltmarkt. Das ökonomische Interesse in der Außenpolitik der USA 1933-1941.
Stuttgart 1975, 25.
3. Vgl. Silnizki, M., Die militärische Revolution. Der Ukrainekrieg aus Sicht eines russischen Militärexperten.
18. Februar 2024, www.ontopraxiologie.de.
4. Vgl. Nan Tian, Diego Lopes da Silva, Xiao Liang, Lorenzo Scarazzato: Trends in World Military
Expenditure, 2023. SIPRI Fact Sheet. Solna, April 2024.
5. Näheres dazu Silnizki, M., Machtungleichgewicht als Ordnungsprinzip? Zur Sicherheitskonstellation von
heute und morgen. 11. Mai 2022, www.ontopraxiologie.de.