Verlag OntoPrax Berlin

Friedrich Merz in seinem Element

Unterwegs mit einem außenpolitischen Abenteurer

Übersicht

1. Das Amtsverständnis des Kanzlers
2. Merz als Militär- und Wirtschaftsexperte?
3. Zwischen Leichtsinn, Hochmut und Selbstüberschätzung

Anmerkungen

„Wenn ein Clown in ein Schloss einzieht, wird er nicht zum König.
Das Schloss wird zum Zirkus.“

1. Das Amtsverständnis des Kanzlers

In der TV-Sendung „Maischberger“ hat der Bundeskanzler, Friedrich Merz, am 1. Juli 2025 ein Interview gegeben. Und was er außen- und sicherheitspolitisch sagte, macht nachdenklich. Trat da ein außenpolitisch visierter Amtsträger oder ein Amateur in Erscheinung? Hatten wir es mit einem verantwortungsbewussten Zeitgenossen oder mit einem Draufgänger zu tun, der eine nette Plauderstunde über sich ergehen ließ? Haben wir sicherheitspolitisch einen Realpolitiker oder Aufschneider erlebt? Wollte der Kanzler sich als ein Macher oder ein Märchenerzähler präsentieren?

All die Fragen sind nicht einfach zu beantworten, zumal wir mit einem Amtsträger zu tun haben, der kraft seines Amtes Macht besitzt, aber in den großen Fragen der Geo- und Sicherheitspolitik, in denen es um Krieg oder Frieden geht, kaum etwas zu sagen und zu bewirken hat. Unlängst forderte Merz ultimativ Putin zum sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand auf.

Als Putin die Aufforderung kommentarlos ignorierte, spielte Merz sein Ultimatum kleinlaut herunter. Und nun berichteten die Medien am 4. Juli 2025: „Bundesaußenminister Wadephul hat die chinesische Führung in Peking aufgefordert, ihren Einfluss auf Moskau geltend zu machen, damit Russland seinen Krieg in der Ukraine beendet.“

Wie lässt sich Merz´ großspurig angekündigtes Ultimatum, das den Eindruck erweckte, dass der Kanzler vor lauter Kraft kaum gehen kann, mit der Bitte seines Außenministers um die Hilfe eines mit Russland befreundeten Landes vereinbaren, den Krieg zu beenden? Ganz einfach! Merz ist ein Spieler, kein Macher, ein Rollenspieler, kein Machtspieler.

Er spielt in der Geo- und Sicherheitspolitik die Rolle eines Amtsträgers, der glaubt, Macht zu besitzen, die er nicht hat, und glaubt Machtspieler zu sein, ohne realiter Macht zu besitzen. Er täuscht damit sich und das Publikum.

Die Verwechslung vom Rollenspiel mit Machtspiel verleitet ihn zu forschen Äußerungen, hinter denen sich statt einer realen Macht viel Imponiergehabe und Zurschaustellung der eigenen Ohnmacht verbirgt, womit er seine Machtlosigkeit nur bloßstellt, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Und so tritt er – ahnungslos, wie er ist – in die Fußstapfen der ehem. grünen Außenministerin, Annalena Baerbock, die flotte Sprüche klopfte, denen aber meistens keine Taten folgten. „Das wird Russland ruinieren“, sagte Baerbock am 25. Februar 2022 voraus, als die EU am Tag nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ihr zweites großes Sanktionspaket gegen Russland beschloss. Und bis heute versucht die EU vergeblich diesem Ziel gerecht zu werden und Russland zu „ruinieren“.

Die Geschichte mit siebzehn Sanktionsrunden hat auch den Kanzler Merz nichts gelehrt, sonst würde er Annalena nicht nachsprechen und uns weismachen wollen, mit dem 18. Sanktionspaket nun endlich den langersehnten Erfolg zu erzielen, Russland in die Knie zu zwingen.

„To be, or not to be, that is the question.“ Macher oder Märchenerzähler, das ist die Frage! Merz fordert Putin zum Verhandlungstisch zurückzukehren, erweckt aber gleichzeitig den Eindruck, den „Aggressor“ mit dem 18. Sanktionspaket zum Kriegsende bewegen zu können, ohne mit ihm verhandeln zu wollen. Wie lässt sich diese sich selbst widersprechenden Zielvorgaben miteinander vereinbaren?

Woran liegt es, dass die deutschen Machteliten mit dem Kanzler an der Spitze unbelehrbar sind und mit einer unglaublichen Besessenheit immer und immer wieder darauf beharren, die längst verfehlte Anti-Russlandpolitik unabhängig von Regierungskoalitionen stets und beharrlich weiter zu betreiben?

Das liegt offenbar an einer Verwechslung von Obsession und Außenpolitik, Ideologie und Realpolitik, Selbstwahrnehmung und Realitätswahrnehmung, Rollenspiel und Machtspiel1. Diese Verwechslung führt dazu, dass die eigene geo- und sicherheitspolitische Macht- und Bedeutungslosigkeit, die die bundesdeutsche Machtelite mit ihren forschen und zum Nichts verpflichtenden Sprüchen ausblendet, verkannt wird.

Das Nichtwahrhabenwollen der eigenen Ohnmacht verleitet unweigerlich zur Verkennung und/oder Ignorierung der geopolitischen Realität. Rollenspiel ist kein Machtspiel, sondern ein Maskenspiel. Hinter der Maske (persona) verbirgt sich keine reale, sondern fiktive Macht. >Persona< trägt man, Person ist man. Darum versteht der Maskenträger nicht, dass er >persona< mit Person – Machtperson – verwechselt, weil er Realität durch Fiktion substituiert.

Geo- und sicherheitspolitisch gesehen, ist der Kanzler der Bundesrepublik als Amtsträger ein Maskenträger, der sich vormacht, Macht- und Entscheidungsträger zu sein, ohne Macht zu besitzen. Diese bittere Erkenntnis will Merz weit von sich weisen. Endlich ans Ziel seines Lebens gelangt, glaubt er als Amtsträger im Besitz der Macht zu sein, und kommt irgendwann nicht umhin, sich selbst einzugestehen, wie machtlos er doch in seinem Amt als Bundeskanzler ist.

Wenn man Merz´ Auftreten bei Maischberger erlebt hat, konnte man sehen, dass er dieses Amtsverständnis noch lange nicht verinnerlicht hat. Je schneller er diesen Erkenntnisprozess durchläuft, umso besser wird es für ihn, für Deutschland und Europa sein. Demut und Bescheidenheit statt Hochmut und Selbstzufriedenheit sind heute das Gebot der Stunde!

2. Merz als Militär- und Wirtschaftsexperte?

„Der Krieg dauert jetzt seit dreieinhalb Jahren. Und ich bin heute mehr denn je der festen Überzeugung, dass er zu Ende wäre, wenn wir im ersten Jahr dieses Krieges das getan hätten, was wir jetzt im dritten Jahr und im vierten Jahr dieses Krieges tun, nämlich den Ukrainern mit Waffen und finanziell besser zu unterstützen, als wir es am Anfang gemacht haben,“ beteuerte Merz bei „Maischberger“.

Als Militärexperte ist der Kanzler bis dato nicht sonderlich aufgefallen. Mit seiner schneidigen Äußerung suggeriert er, dass der Krieg längst zu Ende wäre, wäre er bereits vor drei Jahren an der Macht. Denn dann hätte er sofort alle nötigen Waffen geliefert und ausreichende finanzielle Unterstützung zur Verfügung gestellt.

Merz´ Selbstprahlerei entbehrt freilich jeder Substanz. Die aus mehr als fünfzig Staaten mit einer Milliarde Bevölkerung bestehende Anti-Russland-Koalition hat bis jetzt schätzungsweise 360 Milliarden Dollar für die Unterstützung der Ukraine ausgegeben und tonnenweise Waffen geliefert, um Russland erfolglos eine „strategische Niederlage“ zuzufügen. Und jetzt will Merz uns glauben lassen, dass er den Krieg zu Ende gebracht hätte.

Da kann er es selbst mit Trump aufnehmen, der im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen „der festen Überzeugung“ war, den Ukrainekonflikt in „24 Stunden“ beenden zu können.

Bei der Generaldebatte im Bundestag sagte Friedrich Merz am 9. Juli 2025: „Nach einer nüchternen Einschätzung der aktuellen Bedrohungslage konnten wir die ersten wichtigen Entscheidungen treffen. Wir werden der Ukraine weiterhin helfen, auch trotz des Widerstands der politischen Linken und der prorussischen Rechten. Und ich möchte es Ihnen noch deutlicher sagen: Die diplomatischen Mittel sind ausgeschöpft.“

Irritiert fragt sich unsereiner: Von welcher „Diplomatie“ ist hier die Rede? Mit wem hat Merz diplomatische Verhandlungen geführt, die er jetzt für beendet erklärt hat? Oder hat er etwa im Namen von Selenskyj oder gar des US-Präsidenten, Donald Trump, der im Gegensatz zu Merz mit Putin bereits sechs Telefonate geführt hat, die Diplomatie beerdigt? Wer hat ihn aber dazu befugt?

Versteht er überhaupt, war er da sagt? Der Gegensatz zur Diplomatie heißt Krieg! Ruft Merz mit seiner deplatzierten Äußerung die Ukraine zur Weiterführung des Krieges auf? Dieses „amateurhafte Drauflosdenken“ (Adorno) erstaunt! Sprach vor dem Hohen Haus ein Kanzler der Bundesrepublik oder ein Oppositionsführer, oder gar eine Privatperson, Friedrich Merz, der unbekümmert und ohne jedwedes Verantwortungsbewusstsein dahinredete?

Als wäre das nicht genug, trat Merz in der TV-Sendung als ein „ausgewiesener“ Wirtschaftsexperte auf, der sich dezidiert für einen Sanktionsentwurf des republikanischen Senators, Lindsey Graham, ausgesprochen hat. Grahams Sanktionsvorlage für den Kongressbeschluss sieht die sog. „sekundären Sanktionen“ für die Länder vor, die Russlands Invasion in der Ukraine durch den Kauf von Öl, Erdgas oder Uran am Laufen halten. Diese Länder sollten der Vorlage zufolge bei Importen in die USA einen Strafaufschlag von 500 Prozent zahlen müssen.

Und diesen wahnwitzigen Sanktionsentwurf hat der Kanzler Merz mit Nachdruck befürwortet, womit er sich selbst als Wirtschaftsexperte desqualifiziert hat. Wörtlich sagte Merz: „In der nächsten Woche wird es einen Kongressbeschluss geben … Ich bin nicht sicher, ob Trump ihn in Kraft setzt … Ich werde mit Trump darüber reden und sagen: Du bist der Einzige, der so viel Druckmittel in der Hand hat, um Putin wirtschaftlich dazu zu zwingen, mit diesem Krieg aufzuhören.“

Wenn man das hört, fragt man sich, ob Merz von der Außenwirtschafts- bzw. Handelspolitik überhaupt Ahnung hat.  Als Donald Trump die Zölle auf chinesische Importe bis auf 145 % erhöhte, schrieb Sabine Gusbeth (China-Korrespondentin des Handelsblatts in Peking) in ihrem Artikel „Für China sind Zölle von 145 Prozent nicht schlimmer als von 34 Prozent“ vom 9. April 2025: „Donald Trumps verschärfter Kurs gegen China klingt nach einer dramatischen Eskalation. Tatsächlich hatte der US-Präsident sein Abschreckungs-Potenzial bereits ausgeschöpft.“

Ihre Begründung war zutreffend und einleuchtend zugleich: „Schon Zölle von 34 Prozent machen den US-Markt für die meisten chinesischen Exporteure unattraktiv. Trump hat sein Abschreckungspotenzial also bereits voll ausgeschöpft.“ Gusbeth hatte recht behalten. China hatte seinen Handel mit den USA als Reaktion auf Trumps Entscheidung weitgehend eingestellt und/oder auf Umwegen geliefert und Trump musste schließlich klein beigeben.

Und jetzt freut sich der „Wirtschaftsexperte“ Merz darüber, dass die Trump-Administration mit einem möglichen, einen Strafaufschlag von 500 Prozent vorgesehenen Sanktionspaket von Lindsey Graham „so viel Druckmittel in der Hand“ bekommen werde, das „Putin wirtschaftlich dazu“ zwingt, „mit diesem Krieg aufzuhören“.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus! Nicht Putin wird den Krieg beenden, sondern Trump wird mit einem Strafaufschlag von 500 Prozent die USA ökonomisch beschädigen und den US-Dollar als Weltleitwährung vernichten.

Würden die Strafzölle von 500 Prozent eingeführt, würde Trump den legendären Satz vom US- Finanzminister John Connally aus dem Jahr 1971 nie mehr wiederholen: „The dollar is our currency, but it’s your problem“ (Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem).

Nein, der Kanzler Merz ist weder Militär- noch Wirtschaftsexperte, sondern ein Drauflosdenker, der flotte Sprüche klopft, hinter denen sich Hochmut, Leichtsinn und Inkompetenz verbergen.

3. Zwischen Leichtsinn, Hochmut und Selbstüberschätzung

Es wird aber noch besser! Großspurig kündigt der Kanzler an:

„Ich möchte, dass Putin gewisse Unsicherheit darüber hat, was wir militärisch tun. Eines ist nur sicher, Deutschland wird nicht Kriegspartei und was er (Putin) gerade gesagt hat …, wird nicht eintreten, Deutschland wird nicht Kriegspartei. … Ich lasse mich von Putin sonst nicht beeindrucken. Er hat viel angedroht, aber nichts passiert, was seinen Drohungen entsprach. Wir müssen alles versuchen, um diesen Krieg zu beenden. Das ist ein Krieg nicht gegen die Ukraine, das ist ein Krieg gegen uns. Wir werden ausspioniert, wir haben Sabotageakte. Wir haben massive Falschmeldungen; über Russian Today und die anderen Kanäle wird die Bevölkerung systematisch falsch informiert. Wir haben Fake News mit KI … Wir nennen es hybride Kriegsführung. Russland greift uns heute schon an. … Wir haben Brandanschläge. Was jetzt in Kasernen in den jüngsten Tagen stattgefunden hat, die Spuren führen fast allesamt nach Russland. Deswegen müssen wir uns dagegen wehren.“

Auch hier zeigt sich der Kanzler als ein außen- und sicherheitspolitischer Amateur. Ob Deutschland Kriegspartei sei oder nicht, entscheidet nicht Merz allein per ordre de Mufti. Putin wird sich selbst das Recht nehmen, darüber zu entscheiden, ob Russland von Deutschland angegriffen wurde oder nicht, ohne den deutschen Kanzler danach zu fragen, ob er damit einverstanden ist.

So viel Einsicht in die „normative Kraft des Faktischen“ (Georg Jellinek) kann man wohl von einem Kanzler der Bundesrepublik Deutschland erwarten dürfen. Oder nicht? Und wenn Putin seine „Androhung“ heute nicht wahrmachte, bedeutet das noch lange nicht, dass er sie morgen nicht wahrmacht.

Diese unerträgliche Leichtigkeit des Seins kann sich Merz als Privatperson leisten, nicht aber als einer, der die höchste Exekutivgewalt, die die Republik nur vergeben kann, ausübt und über Krieg und Frieden entscheidet. Der Kanzler hat in seinem Amtseid geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Mit seinem forschen, aber verantwortungslosen Gerede bricht er seinen Amtseid und gefährdet den Frieden in Deutschland und Europa.

„Russland greift uns heute schon an,“ beteuert Merz. Das ist eine schwerwiegende Anschuldigung, die leicht über die Lippen geht. In früheren Zeiten wäre sie ein Grund für Kriegserklärung. Aber stimmt das überhaupt?

Da war schon Annalena Baerbock vor gut zweieinhalb Jahren aufrichtiger, als sie bei einer Debatte um die Panzerlieferungen am 25. Januar 2023 im Europarat ausplauderte: „We are fighting a war against Russia“ (Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland).

Führen wir einen Krieg gegen Russland oder nicht, Herr Bundeskanzler? Merz bestreitet das und will davon nichts wissen. Die Fakten sprechen aber eine ganz andere Sprache. Bis heute hat Deutschland den Krieg mit mehr als vierzig Milliarden Euro finanziert und weitere fünf bis neun Milliarden Euro für dieses Jahr angekündigt.

Tonnenweise Waffenmaterial hat Deutschland bereits an die Ukraine geliefert, womit hunderte, wenn nicht tausende russische Soldaten und Offiziere getötet wurden. Wie viel deutsche Soldaten wurden im Gegenzug von russischen Waffen in den vergangenen drei Jahren umgebracht?

Längst führen wir einen Proxykrieg gegen Russland. Unlängst hat der US-Außenminister Marco Rubio, in einem Interview mit dem US-Sender Fox News am 6. März 2025 klipp und klar gesagt: Der Ukrainekonflikt sei ein „Stellvertreterkrieg zwischen den Atommächten – den USA, welche die Ukraine unterstützten, und Russland“ und dass dieser beendet werden müsse.

Haben Annalena Baerbock und Marco Rubio also doch recht?! Allein bei den Kämpfen in der Region Kursk wurden mehr als 4.781 ausländische Söldner, die auf der ukrainischen Seite kämpften, eliminiert.

Die meisten getöteten Söldner stammten aus  Polen (1.963), Georgien (1.230) und Kolumbien (917).

Darüber hinaus wurden in der Region Kursk Söldner aus Frankreich (208), Deutschland (197) und Großbritannien (156), den USA (89), Australien (17) und sogar Japan (4) getötet.

Davon will Merz offenbar nichts wissen. Lieber erzählt er der deutschen Öffentlichkeit, wie sehr wir unter russischen Angriffen leiden: „Wir haben Brandanschläge. Was jetzt in Kasernen in den jüngsten Tagen stattgefunden hat, hat Spuren, die fast allesamt nach Russland führen. Deswegen müssen wir uns dagegen wehren.“

Aber stimmt das überhaupt? Man hat der deutschen Öffentlichkeit statt Anschuldigungen und Beschuldigungen keine stichhaltigen Beweise vorgelegt.

Diese Anschuldigungen an die Adresse Russland erinnern stark an die ständigen Vorwürfe: Russen mischen sich überall und an jedem Ort im Westen ein. Ein Paradebeispiel hierfür sind die seit Jahren verbreiteten Berichte über die russische Wahlbeeinflussung in den USA 2016, die Trump angeblich zur US-Präsidentschaft verholfen haben soll.

Der US-Geheimdienst CIA hat zuletzt diese Berichte über eine Einmischung Russlands in die US-Präsidentschaftswahlen 2016 zugunsten von Donald Trump als eine gezielte Desinformationskampagne widerlegt.

Der interne CIA-Prüfbericht kam zu dem Schluss, dass das zugrunde gelegte Beweismaterial gefälscht war und kritisierte die Schlussfolgerung darin, dass Putin Trump zum Sieg verholfen habe. Die CIA wies dabei darauf hin, dass ein so hohes Maß an Vertrauen in die Ergebnisse auf einer einzigen Quelle beruhte, wohingegen es normalerweise einer Bestätigung durch mehrere unabhängigen Quellen bedürfe.

Vorwürfe russischer Einmischung in die US-Präsidentschaftswahlen 2016 führten 2017 zur Ernennung des Sonderermittlers Robert Mueller, der eine groß angelegte Untersuchung von Donald Trumps Wahlkampf einleitete. Nach zweieinhalb Jahren Ermittlungen wurden keine Beweise für eine Anklage gegen Trump gefunden und das Verfahren wurde daraufhin eingestellt.

Während Trumps Präsidentschaft ernannte der damals amtierende Justizminister William Barr John Durham zum Sonderermittler, um die Ursprünge der Russlandaffäre zu untersuchen. Im Rahmen seiner Untersuchung gaben zwei Personen zu, die Beweise gefälscht zu haben, um Trump zu belasten.

Zum Schluss des außenpolitischen Teils des Interviews fragte Maischberger Merz mit Verweis auf Klaus von Dohnanyi, der eine Reise nach Moskau empfahl, um mit Putin zu reden, ob der Kanzler sich die Empfehlung zu eigen macht. Der angesprochene Kanzler reagierte darauf forsch mit der Bemerkung:

„Na ja, der letzte, der aus Europa in Russland in Juli des letzten Jahres dort war, war Viktor Orbán. Und als er zurückgekommen ist, hat Kiew unter massivsten Bombenangriffen gelitten, die es jemals gegeben hat, anschließend das Bombardement eines Kindergartens. Und wenn das die Antwort auf die Besucher in Moskau ist, dann werde ich solche Besuche auf absehbare Zeit nicht machen. Wenn es eine Chance gibt mit Putin vernünftig zu reden, wenn es darum geht einen Waffenstillstand herbeizuführen, dann hat es zwei Bedingungen: Erstens muss klar sein, dass es eine solche Richtung gibt und es geht nur mit den Ukrainern und nicht über die Köpfe der Ukrainer hinweg. Dann kann man darüber sprechen, aber dort sind wir noch längst nicht.“

Was für einen Habitus! Mit einem solchen arroganten Auftreten mag Merz – wenn überhaupt – in der Innenpolitik jemanden beeindrucken, außenpolitisch wirkt ein solches Benehmen deplatziert. Mit so viel Hochmut und Übermut braucht er nach Moskau gar nicht zu fahren. Kein Mensch wird mit ihm reden wollen.

Merz begreift offenbar immer noch nicht, dass die Alternative zu Nichtgesprächen eine Fortsetzung des Krieges mit dem Endergebnis einer Zerschlagung der Ukraine ist. Er ist sich immer noch nicht darüber im Klaren, dass er nicht in der Position ist, Russland irgendwelche Bedingungen diktieren zu können.

Da sollte er seinen US-Patron, Donald Trump, fragen, der erst nach sechs Telefongesprächen mit Putin begriffen hat, dass er es lieber sein lässt, irgendwelche Forderungen stellen zu wollen.

Und ausgerechnet der überraschende Besuch von Viktor Orbán in Moskau am 5. Juli 2024 nimmt Merz zum Vorwand, jedwede Gespräche mit Putin zu verweigern. Mit Verweis auf das „Bombardement eines Kindergartens“ kurz nach Orbáns Abreise, von dem heute kein Ottonormalverbraucher etwas gehört hat und von dem keiner weiß, was da vor einem Jahr eigentlich passiert ist, versuchte er das Thema populistisch auszuschlachten.

Eine solche theatrale und moralisierende Selbstdarstellung wird weder dem Bemühen um den Frieden in der Ukraine noch der Wahrheitsfindung betreffend des in Rede stehenden Vorfalls gerecht.

Am Morgen des 8. Juli 2024 starteten die russischen Streitkräfte einen Raketenangriff auf die Ukraine, bei dem nach ukrainischen Angaben u. a. das größte Kinderkrankenhaus in Kiew getroffen wurde. Die Umstände des Raketenangriffs bleiben bis heute im Dunkeln. Die ukrainische Seite behauptete, wie immer, dass die Russen gezielt das Krankenhaus angegriffen haben. Das russische Verteidigungsministerium bestritt diese Darstellung vehement und behauptete seinerseits, dass die Zerstörung in Kiew durch „den Absturz einer ukrainischen Luftabwehrrakete“ verursacht wurde.

Dass das ukrainische Militär seine Flugabwehr inmitten der zivilen Infrastruktur stationiert, ist ein offenes Geheimnis. Wie auch immer, die Schlammschlacht in den Medien brach gleich nach dem Ereignis aus und war derart groß, dass man bis heute nicht weiß, was da genau passierte.

Das ist aber bei weitem kein Grund die Gespräche mit Putin zu verweigern. Vielmehr missbrauchte Merz einen mutmaßlichen Angriff auf das Krankenhaus als Ausrede, um das Thema im Keim zu ersticken. Folgt man aber dieser Gesprächsverweigerungslogik, dann dürfte Trump bis heute keine Telefonate mit Putin führen.

Es ist unsereinem jedenfalls bis dato nicht aufgefallen, dass Merz ein Herz für ukrainische Kinder hat, wenn man bedenkt, wie viele Kinder in den vergangenen zehn Jahren in der Ukraine umgebracht wurden. Man denke nur an die sog. „Allee der Engel“ (Аллея ангелов), von der der Kanzler Merz vermutlich nie etwas gehört hat, weil sie ein Schandfleck für das Kiewer Regime bedeutet.

Die „Allee der Engel“ ist ein Gedenkkomplex zum Gedenken an die während des ukrainischen Bürgerkrieges im Donbass gefallenen Kinder. Sie wurde am 5. Mai 2015 nach der Aufstellung einer Gedenktafel eröffnet und am 2. Juni 2017 wurde der Allee ein Denkmal für die „Kinder des Donbass“ hinzugefügt. Seit 2014 bis 2021 wurde im Donbass mehr als 280 Kinder getötet. Mehr als 730 wurden verletzt und verstümmelt.

All das wäre halb so schlimm, hätte die Analyse des gesamten TV-Interviews uns nicht in erschreckender Weise ein mangelhaftes geopolitisches Denken und einen fehlenden geopolitischen Weitblick des Amtsträgers vor Augen geführt.

Als Transatlantiker, der die transatlantische Freundschaft wie eine Monstranz vor sich herträgt, hat Merz immer noch nicht verstanden, dass es für die USA keine Freunde, sondern nur „Vasallen“ (Zbigniew Brzezinski) gibt und dass es immer noch die vom ersten Generalsekretär der Nato, Baron Hastings Ismay, 1949 aufgestellte Devise gilt, wonach die Mission des Bündnisses für Europa sei, „to keep the Russians out, the Americans in, an the Germans down“ (die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten).

Es wäre auch heute noch für die Angelsachsen ein Alptraum, hätten Russland und Deutschland eine russisch-deutsche Allianz gebildet. Eine russisch-deutsche Freundschaft wäre aber in der Tat im wohlverstandenen Eigeninteresse der Bundesrepublik. Von einem überzeugten Transatlantiker wie Friedrich Merz kann freilich eine solche außenpolitische Denkungsart unmöglich erwartet werden.

Und so bleibt das TV-Interview mit Friedrich Merz nichts weiter als die Bekenntnisse eines außenpolitischen Leichtgewichts, der weder über die Einsicht in die „normative Kraft des Faktischen“ noch über einen geopolitischen Weitblick verfügt! „C’est la vie“!

Anmerkungen

1. Vgl. Silnizki, M., Rollenspiel im Machtspiel. Zur Rolle der Machteliten im Ukrainekonflikt. 2. November
2024, www.ontopraxiologie.de.

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