Eine Replik auf Fergusons „New Cold War“
Übersicht
1. Reagan als Trumps Lehrmeister?
2. Reagans „Frieden durch Stärke“ und Trumps Friedensverhandlungen
Anmerkungen
„Pressure doesn´t make peace“
(Druck schafft keinen Frieden)
(Max Boot)1
1. Reagan als Trumps Lehrmeister?
Wenn man die Veröffentlichungen mancher Repräsentanten der US-amerikanischen Gelehrtenzunft liest, so fragt man sich, in welcher Welt sie überhaupt leben. Gleich zu Beginn des neuen Jahres hat sich kein geringerer als einer auch in Deutschland bekannte britisch-amerikanische Historiker, Niall Ferguson, zu Wort gemeldet.
2015 nannte Torsten Riecke ihn im Handelsblatt den „Rockstar unter den Historikern“ und „eine Ikone der amerikanischen Konservativen“. Und Riecke führte weiter aus: „Krugman findet er grob, den Westen sieht er vor dem Zerfall und die Ukraine-Krise nicht als größte Bedrohung: Mit freier Schnauze stürzt sich Niall Ferguson in aktuelle Debatten. Das macht ihn populär, aber angreifbar.“2
Wie auch immer man die „Ikone“ der US-Konservativen beurteilen mag, im Falle der Ukraine-Krise 2014 hat er sich als ein falscher Prophet erwiesen und die gefährliche Folgewirkung verkannt, die der Ukrainekonflikt mit sich brachte.
Nun schickt er sich an, erneut zum falschen Propheten zu werden, wenn er Trump empfiehlt, wie dieser mit China und Russland umgehen sollte.
In seiner am 7. Januar 2025 in Foreign Affairs erschienenen Studie unter dem marktschreierischen Titel „How to Win the New Cold War“ (Wie man den Neuen Kalten Krieg gewinnt) empfiehlt Ferguson Trump „von Reagan zu lernen“, wie bereits im Untertitel geschrieben steht: „To Compete With China, Trump Should Learn From Reagan“ (Trump sollte von Reagan lernen, um mit China konkurrieren zu können).
Ferguson unternimmt in der Studie einen krampfhaften Versuch, Trump mit Reagan zu vergleichen. Zustimmend erinnert er daran, dass Trump in seiner ersten Amtszeit die Notwendigkeit der USA erkannte, Chinas Aufstieg einzudämmen, indem er auch Washingtons politische Eliten trotz ihrer anfänglichen Skepsis darin überzeugen konnte, einen Handels- und Technologiekrieg gegen China anzuzetteln.
In seiner zweiten Amtszeit soll Trump nun dasselbe tun, fordert Ferguson unverhohlen und empfiehlt „eine neue Demonstration der amerikanischen Stärke“ (a fresh show of American strength), als wären die USA heute vier Jahre später immer noch die unangefochtene ökonomische und militärische Supermacht, die allen und jeden ihren Machtwillen oktroyieren kann.
Als hätte sich seit dem Ende der ersten Amtszeit Trumps nichts geändert und als würde sich die Welt infolge des Ukrainekrieges keine geopolitische Revolution3 erleben, zieht Ferguson eine Parallele zu Zeiten des „Kalten Krieges“, fabuliert über einen „Neuen Kalten Krieg“ und glaubt im gleichen Atemzug, dass Trump aus Reagans Amtsführung Honig saugen kann.
„Obwohl es in Mode gekommen ist, dem sowjetischen Führer Michail Gorbačov das Ende des Kalten Krieges zuzuschreiben, war es in Wahrheit die Reagan-Administration, die Moskau auf einen Reformpfad zwang, der schließlich zu einer drastischen Abrüstung und dem Ende des sowjetischen Imperiums in Osteuropa führte,“ beteuert Ferguson erkenntnissicher.
Dass Ferguson hier unausgesprochen gegen Max Boot opponiert, dessen Werk „Reagan: His Life and Legend“ (2024) er als „revisionistische Reagan-Biografie“ charakterisiert und mehrmals zitiert, ist offenkundig. Dass Boots „in Mode gekommener“ >Revisionismus< mehr Substanz hat, als Fergusons bloße, unsubstantiierte Behauptung, dass Reagan das Sowjetimperium zum Fall brachte, hat der angegriffene ehem. Neocon in seinem in Foreign Affairs am 6. September 2024 veröffentlichten Beitrag unter Beweis gestellt.4
Max Boot, den die World Affairs Councils of America 2004 zu einem der „500 einflussreichsten Personen in den USA im Bereich der Außenpolitik“ ernannte, lehnt all das ab, was Ferguson in seiner Studie propagiert und Reagan als denjenigen glorifiziert, der dem Sowjetimperium den Todesstoß versetzt hat:
„Einer der größten Mythen sei,“ – so Boot -, „dass Reagan einen Plan hatte, das >Reich des Bösen< zu stürzen, und dass es sein Druck war, der zum Sieg der USA im Kalten Krieg führte. Das Ende des Kalten Krieges und der Zusammenbruch der Sowjetunion wären in Wirklichkeit allein das Werk des sowjetischen Führers Michail Gorbačov. Reagan habe Gorbačovs Reformen nicht herbeigeführt, geschweige denn den Zusammenbruch der Sowjetunion erzwungen. Sich etwas anderes vorzustellen, würde gefährliche und unrealistische Erwartungen an das wecken, was die US-Politik gegenüber China heute erreichen kann.“
Genau diese unrealistischen Erwartungen weckt Ferguson, wenn er beteuert, dass Reagans Bekämpfung „des Sowjetkommunismus als Ideologie und des sowjetischen Expansionismus als Strategie“ erfolgreich war und zum Sturz des Imperiums führte. Reagan erreichte dieses Ziel nach seiner Auffassung mittels einer „deutlichen Erhöhung der Verteidigungsausgaben, um die technologische Überlegenheit der USA auszunutzen. Als der richtige Zeitpunkt gekommen war, schwenkte er auf eine Reihe von Gipfeltreffen mit Gorbačov um, die schließlich zu erstaunlichen Durchbrüchen sowohl bei der Abrüstung als auch bei der europäischen Sicherheit führten.“
Dass die tagespolitisch motivierte Verklärung von Reagans „Verdiensten“ mit Entstehungsgeschichte
von Gorbačovs Perestrojka wenig bis gar nichts zu tun hat, wird an einer kleinen Episode deutlich, die am Beginn dieses historischen Prozesses stand. Bei seinem Besuch Großbritanniens im Dezember 1984 gewann Gorbačov „das Herz der >eisernen Lady<“, berichteten die Medien. Erst Gorbačovs Besuch veranlasste die britische Premierministerin Margaret Thatcher bei ihrem Zusammentreffen mit Ronald Reagan in Washington zwei Monate später (im Februar 1985) den US-Präsidenten darin zu überzeugen, „Gorbačov ernst zu nehmen“.
Die Initiative für eine Versöhnungspolitik zwischen zwei verfeindeten Machtblöcken des „Kalten Krieges“ lag mit anderen Worten eindeutig bei Gorbačov und nicht bei Reagan, der zu einem Gipfeltreffen erst gedrängt werden musste, das am 19./20. November 1985 dann auch tatsächlich in der Schweiz stattgefunden hat.
Was Ferguson mit seiner Verklärung der Rolle Reagans beim Untergang der Sowjetunion bezweckt, ist ein verantwortungsloser, weil gefährlicher Versuch nachzuweisen, dass das, was Reagan zu seiner Zeit gelungen ist, heute auch Trump gelingen kann, vorausgesetzt, dass er die richtigen Lehren aus Reagans „erfolgreicher“ Beendigung des „Kalten Krieges“ zieht.
Dass Ferguson dabei zwei völlig verschiedenen Epochen der Zeitgeschichte unterschiedslos behandelt und das Unvergleichbare vergleicht, bedeutet nichts weiter als ein billiger Populismus und für die möglichen Friedensverhandlungen nicht zweckdienstlich.
Eine solche methodische Vorgehensweise ist zudem ahistorisch, weil sie allein tagespolitisch motiviert und nicht vom Erkenntnisinteresse geleitet wird. Sie verfolgt nicht etwa das Ziel einer wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung, sondern deren Sinn und Zweck besteht allein darin, Trump dazu zu bewegen, die „erfolgreich“ postulierte US-Außenpolitik der Reagan-Administration zu übernehmen und sozusagen aus einem „Trumpisten“ Donald Trump einen US-republikanischen Traditionalisten zu machen.
Dass eine solche wundersame Metamorphose von Trumps künftiger Außenpolitik letztendlich nichts anderes als die Fortsetzung der gescheiterten Ukraine- und Russlandpolitik der Biden-Administration und der US-Demokraten bedeuten und unweigerlich zur Verschärfung und Eskalation des Ukrainekonflikts führen würde, ergibt sich unmittelbar aus den Ausführungen Fergusons selber.
2. Reagans „Frieden durch Stärke“ und Trumps Friedensverhandlungen
Zwar „gibt es große Unterschiede zwischen Trump und Reagan“ (There are, of course, major differences between Trump and Reagan), beschwichtigt Ferguson. Dessen ungeachtet betont er aber unentwegt, dass „die Ähnlichkeiten zwischen Trump und Reagan zahlreich und signifikant sind“ (The resemblances between Trump and Reagan are numerous and significant).
Und diese „Ähnlichkeiten“ versucht er auch im Ukrainekonflikt nachzuweisen. Ohne Beweise vorzulegen, behauptet er zunächst antifaktisch, dass Russland angeblich mehr Waffen von seinen Verbündeten als die Ukraine erhalte und Moskau darüber hinaus von nordkoreanischen Truppen, die freilich bis heute keiner gesehen hat, unterstützt werde, als wären die Kriegsfinanzierung der Ukraine durch die aus vierundfünfzig Ländern bestehende Anti-Russland-Koalition mit sage und schreibe dreihundertdreißig Milliarden Dollar und massive Waffenlieferungen eine Lappalie.
Seine faktenwidrigen und geradezu abstrusen Angaben dienen allein dem Zweck, Trump dazu zu bewegen, „sich ein Beispiel an Reagan zu nehmen“. Von einer sehr umstrittenen und historisch nicht zu beweisenden These ausgehend, dass erst Reagans massives Wettrüsten das Sowjetimperium zum Sturz brachte, schreibt Ferguson: „Zunächst verschärfte Reagan das Wettrüsten mit den Sowjets und steigerte die Verteidigungsausgaben zwischen 1981 und 1985 um 54 Prozent; sodann stationierte er nukleare Mittelstreckenraketen in Westeuropa, startete 1983 das Raketenabwehrsystem und bewaffnete die Mudschaheddin in Afghanistan, die den sowjetischen Streitkräften, die 1979 einmarschiert waren, schwere Verluste zufügten.“
Kurzum: Ferguson will sagen, dass Reagan nicht zögerte, die US-Militärgewalt einzusetzen, wenn er die amerikanischen Interessen bedroht sah und empfiehlt Trump dasselbe zu tun. Was er Trump nahelegt zu tun, ist nicht die US-Außenpolitik der MAGA-Republikaner, sondern die der Neocons und der US-Demokraten.
Freilich meint Ferguson anschließend: Reagan war nicht immer ein Falke. Als Reaktion auf die Verhängung des Kriegsrechts in Polen 1981 reagierte er kaum und 1982 stimmte er zu, die Waffenverkäufe an Taiwan zu reduzieren. Nichts verkörperte Reagans „Flexibilität besser als seine Kehrtwende von einer waghalsigen hin zu einer Entspannungspolitik mit Gorbačov.“
Was Reagan in seiner zweiten Amtszeit unternommen hat, waren laut Ferguson derart radikal, dass er von den Architekten der Entspannungspolitik (Nixon und Kissinger), dafür kritisiert wurde, zu weit zu gehen. Kissinger nannte gar das Reagan-Gorbačov-Abkommen im privaten Gespräch das „Schlimmste seit dem Zweiten Weltkrieg“.
Fergusons beschwichtigt und intrigiert gleichzeitig. Er empfiehlt mit Verweis auf Reagans Haltung gegenüber der Sowjetunion eine Verhandlungsstrategie nach dem Motto: Zunächst „eine neue Demonstration der amerikanischen Stärke“ (a fresh show of American strength) und erst dann versöhnliche Töne. Diese „Doppelstrategie“ entpuppt sich indes beim näheren Hinsehen als eine Chimäre, die letztendlich auf etwas ganz anderes hinausläuft, nämlich auf die Torpedierung von Trumps Vorhaben, den Ukrainekonflikt beenden zu wollen.
Deswegen beharrt Ferguson bis zum Schluss seiner Ausführungen auf Reagans Slogan „Frieden durch Stärke“ (peace through strength), womit Reagan den „Kalten Krieg“ angeblich „erfolgreich“ beendet und das Imperium Sovieticum zum Sturz gebracht haben soll.
Die Historisierung der US-Außenpolitik der Reagan-Administration ist irreführend und führt nur zu einer weiteren, gefährlichen Eskalation, ohne der Beendigung des Ukrainekonflikts eine Chance zu geben, zumal „eine allgemeine >Frieden durch Stärke<-Attitüde“ (a general ‘peace through strength’ attitude), wie Reagans Außenminister George Shultz es ausdrückte5, keineswegs zum Kollaps des Imperiums führte.
Zu Recht stellte Boot fest: „Der Kollaps der Sowjetunion war nicht unvermeidbar und er war nicht das Ergebnis von Reagans Rüstungswettlaufprogramm, um den sowjetischen Expansionismus im Ausland einzudämmen. Es waren vielmehr die unerwarteten und unbeabsichtigten Folgen von Gorbačovs Reformen.“6
Die Frage nach dem Untergang des Sowjetsystems bleibt allerdings bis heute ungeklärt und dessen Gründe bleiben nach wie vor im Dunkeln.7 Nur die Sowjetnostalgiker wissen ganz genau, was passiert bzw. wer daran schuld ist: Gorbačov und seine engste Umgebung seien ihrer Meinung nach „Verräter“, die die Sowjetunion „verkauft“ und „verraten“ haben.
Nur in einem Punkt stimmen die gegenwärtigen Spannungen zwischen Russland und dem Westen mit der ersten Amtszeit von Ronald Reagan überein. Auch heute sind wir genauso wie damals davon besessen, Moskau eine „strategische Niederlage“ zuzufügen, dergestalt, dass „Putins Russland“ verkleinert und in Einzelstaaten zerstückelt wird. Immer noch träumen wir davon, die russische Gesellschaft im Sinne der „westlichen Zivilisation“ grundlegend zu verändern.
Dass die Russen womöglich ihre eigene Zivilisation haben, die sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen werden, kommt uns gar nicht in den Sinn.
Am Ende des Weges wird freilich etwas ganz anderes passieren. Bevor „Putins Russland“ wie das Sowjetimperium auseinanderbricht, wird der „Westen“ und die Nato-Allianz aufhören zu existieren. Die geopolitische Realität hat sich seit Reagans Zeit drastisch zu Lasten des „Westens“ verändert und dem ist heute kein Entrinnen mehr.
Anmerkungen
1. Max Boot, Reagan Didn’t Win the Cold War, Foreign Affairs, 6. September 2024.
2. Riecke, T., Niall Ferguson. Der Rockstar unter den Historikern, in: Handelsblatt, 3. Februar 2015.
3. Silnizki, M., Geopolitische Revolution. Im Schlepptau des Ukrainekonflikts. 31. Januar 2023,
www.ontopraxiologie.de.
4. Näheres dazu Silnizki, M., Ronald Reagan und das Ende der Sowjetunion. Hat Reagan den „Kalten Krieg“
gewonnen? 4. Oktober 2024, www.ontopraxiologie.de.
5. Zitiert nach Boot (wie Anm. 1).
6. Boot (wie Anm. 1).
7. Näheres dazu Silnizki, M., Warum ist das Sowjetimperium untergegangen? In: des., Russische Wertlogik.
Im Schatten des westlichen Wertuniversalismus. Berlin 2017, 101 ff.