Verlag OntoPrax Berlin

Wollte Stalin einen Dritten Weltkrieg vom Zaun brechen?

Stellungnahme zu Goguns Werk „Продуманное Светопреставление“

Übersicht

1. Allgemeine Würdigung des Werkes
2. Kritik und Kommentar
(a) Stalins außenpolitische Kontinuität?
(b) Stalin versus Truman und Churchill
3. War Stalin zur Kriegsführung in der Lage?
4. Die Kriegsplanungen der USA

Anmerkungen

„Ich bin zum Tod geworden, zum Zerstörer der Welten.“
(Robert Oppenheimer zitierte den Spruch aus der Bhagavad-
Gita, als er Zeuge der ersten Atomexplosion wurde.)1

1. Allgemeine Würdigung des Werkes2

Der russische Historiker, Alexander Gogun, hat ein neues Werk unter dem Titel „Продуманное Светопреставление. Как Сталин готовил Третью мировую“ (Ein durchdachter Weltuntergang. Wie Stalin einen Dritten Weltkrieg vorbereitete) geschrieben.

1980 in Leningrad geboren, 2005 nach Deutschland immigriert und in Berlin wohnhaft, gehört Gogun zu jener Generation der Russen, die den „Kalten Krieg“ nicht unmittelbar erlebt haben, und können darum unbefangen diese Zeit „eines langen Friedens“ (John Lewis Gaddis) betrachten. Ob diese Unbefangenheit vom Vorteil oder Nachteil ist, wird die nachfolgende Analyse des Werkes zeigen.

Das 517 Seiten starke, 2025 in ISIA Media Verlag (Leipzig) erschienene Werk ist in einer literarisch-erzählenden Form verfasst, in fünf Kapitel gegliedert, klar strukturiert und beinhaltet eine Fülle an Quellenmaterial, begleitet von zahlreichen Hinweisen, Andeutungen und Anspielungen.

Gleich zu Beginn seiner Ausführungen (Einleitung) distanziert sich Gogun von „zwei Irrtümern“ des Westens, der Stalins militärischen Planungen allein einen reaktiven bzw. defensiven Charakter unterstellt, worunter er „Konterattacke“ und „Präventivschlag“ versteht (S. 7). „Der Präventivschlag, den die UdSSR angeblich vorbereitete, ist eine der Deutungen von Putins außenpolitischer Propaganda“ (S. 8), betont Gogun offenbar in Anspielung auf den Ukrainekrieg, den Putin als >Präventivkrieg< verkläre.

Der Verfasser stellt hier einen direkten Zusammenhang zwischen Geschichte und Gegenwart her und bestätigt damit die Erkenntnis, dass die Geschichtsschreibung die Vergangenheit auch vom Standpunkt ihrer Gegenwart her deutet, in die sie verstrickt ist und in der sie die Spuren der Vergangenheit vermuten kann und vermuten darf.

Im Gegensatz zu westlichen „Irrtümern“ formuliert Gogun seine eigene Geschichtsdeutung, die da lautet: Stalins außenpolitische Zielsetzung sei „die Selbstbehauptung: die Versklavung der Menschheit und den Genuss der erworbenen Macht“ (самоутверждение: поработить человечество и насладиться полученной властью, S. 8).

Dies vorausgeschickt, wirft Gogun sodann „die Grundfrage dieses Werkes“ auf: „Wie wollte Stalin diese zweifelsohne nicht einfache und ambitionierte Aufgabe lösen, nämlich das ganze Menschheitsgeschlecht zu versklaven“ (S. 10). Der Darstellung dieser „ambitionierten Aufgabe“ widmet das Werk fünf Kapitel.

Das erste, ca. neunzig Seiten umfassende Kapitel „>Наш главный враг<. В прицеле – Америка“ („Unser Hauptfeind“. Im Visier – Amerika) ist in zwei Abschnitte unterteilt. Im ersten Abschnitt „Zwei unversöhnliche Lager“ (S. 12 – 49) setzt sich der Verfasser mit den 20er- und 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts, also mit der Zeit vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, auseinander, um der Frage nachzugehen, „wann Stalin die Angriffsvorbereitungen auf die USA begonnen hat“ (S. 13).

Diesen Beginn datiert er mit der Entstehung der sog. „Zwei-Lager-Theorie“, deren Ursprung er im Gegensatz zur communis opinio doctorum nicht auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern auf die Veröffentlichung von Stalins Artikel „Zwei Lager“ am 22. Februar 1919 zurückführt.

Um den Nachweis für Stalins „Angriffspläne“ zu erbringen, erstellt Gogun eine Art außenpolitisches Persönlichkeitsprofil, dem er drei Attribute zuordnet: (1) Antiamerikanismus bzw. „Amerika-Hass“ (американоненавистничество, S.13), Expansionsstreben bzw. „rote Expansion“ (S. 16) und eine aggressive Außenpolitik. „In den 1920er- und 30er-Jahren hat er (Stalin) faktisch jene permanente Revolution geführt, wofür er Trotzkij angegriffen hat“ (S. 18).

Aggressivität, Expansionismus una Antiamerikanismus seien die drei außenpolitischen Beweggründe, die nach Goguns Einschätzung Stalins Außenpolitik von Anfang an geprägt und letztendlich zu Angriffsplänen und Kriegsvorbereitung eines Dritten Weltkrieges geführt haben.

Getreu diesem erstellten Persönlichkeitsprofil, das sein gesamtes Werk wie ein roter Faden durchzieht, behauptet Gogun mit Verweis auf eine Veröffentlichung in der Prawda vom 14. Februar 1938, dass Stalin nie der „Idee der Weltrevolution“ abgeschworren habe: Zwar propagierte er den „Sozialismus in einem Land“, dessen „endgültiger Sieg“ aber seiner Meinung nach nur mit dem Sieg der Kommunisten im globalen Maßstab geschehen könnte (S. 30).

Damit versucht der Verfasser ein Junktim zwischen der „Idee der Weltrevolution“ und Stalins Kriegsplänen herzustellen, um die Konstante und Kontinuität seiner Außenpolitik nachzuweisen.

Im zweiten Kapitel „Gambit der Weltrevolution. Wie Stalin die USA und ihre Verbündete steuerte“ (S. 105-196) geht es um die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und China bzw. Kreml und Mao und dient wie in den nachfolgenden Kapiteln ebenfalls dazu, die auf das außenpolitische Persönlichkeitsprofil Stalins zurückgeführte sowjetische Außenpolitik der Nachkriegszeit als Grundlage für die Kriegspläne zum Dritten Weltkrieg herauszuarbeiten.

In dem knapp hundert Seiten (S. 197-288) umfassenden dritten Kapitel „>Манечку съели, Ванечку засолим<.3 Красная каннибалономика“ (den Titel entlehnte der Verfasser seinem eigenen Beitrag für „Radio Svoboda“ vom 14. Februar 2023) geht es um die sog. „Kannibalen-Ökonomie“ (каннибалономика), worunter er den „Hunger 1946-1947“ und die Währungsreform verstanden wissen will. Diese sog. „Kannibalen-Ökonomie“ sollte ebenfalls als eine „Verbreiterung der (ökonomischen) Basis für einen Krieg“ (Расширение базиса войны) dienen, wie der 2. Abschnitt des 3. Kapitels lautet.

Den Neologismus „Kannibalen-Ökonomie“ (каннибалономика) hat Gogun vermutlich vom 2006 erschienenen Werk „Insel der Kannibalen“ des französischen Sowjetologen, Nicolas Werth (geb. 1950), abgeleitet.

Auch den „Hunger 1946-1947“ führt er auf Stalins Kriegsvorbereitung zum Dritten Weltkrieg zurück. Wie die den Hunger verursachenden Maßnahmen der 1920er-/30er-Jahre zur Kriegsvorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg geführt haben, so müsste die Wiederholung des Hungers 1946/47 zum Sieg im Dritten Weltkrieg führen (S. 197, 205), belehrt uns der Verfasser.

Gogun lehnt hier die gängige Auffassung ab, dass der Hunger der 1930er-Jahre die Folge der Industrialisierung des Landes war, worauf das vom Verfasser erwähnte Werk „Gold für die Industrialisierung“ von Jelena Osokina (2009) hinweist (S. 205).

Das vierte Kapitel (S. 289-362) behandelt unter einer hochtrabenden Überschrift „Die Reiter der Apokalypse. Militärische Kräfte der UdSSR und ihrer Satelliten“ in zwei Abschnitten mit Überschriften „Осмысленное движение к Армагеддону“ (Bewusstes Anstreben des Armageddon) und „Оперативные планы Судного дня“ (Operative Pläne des Jüngsten Gerichts) die militärtechnische Entwicklung des Landes.

Unter den sog. vier „Reitern der Apokalypse“ versteht der Verfasser Stalins Priorisierung der Militärtechnologie in vier Schlüsselbereichen: Atomindustrie, Raketentechnologie, Flugzeugsindusrtrie und Radarwesen. Diese vier Technologiebereiche sollten vier „Reiter der Apokalypse“ repräsentieren, weil auch sie darauf hindeuten würden, „dass ein Krieg gegen die USA vorgesehen ist“ (S. 289) bzw. „der Dritte Weltkrieg vorbereitet wird“ (S. 290).

In seinem letzten, fünften Kapitel (S. 363-442) behandelt Gogun unter dem Titel „Schwanenlied“ Stalins „letzten und entschiedenen Kampf“, der zu einem „unabwendbaren Blutvergießen“ und „Weltuntergang“ führen sollte.

Diese Schwarzmalerei schließt praktisch eine defensive Deutung von Stalins Kriegsplänen als Reaktion auf mögliche US-Angriffspläne von vornherein aus. Goguns erstelltes Persönlichkeitsprofil Stalins und sein Streben, die aufgestellte Kernthese des Werkes unbedingt nachzuweisen, machen eine andere Interpretation als die angebotene praktisch unmöglich.

Hinzu kommt, dass der Verfasser Stalins Außenpolitik als systemimmanent verklärt, nach dem Motto: Stalins totalitäres System sei per se auch außenpolitisch aggressiv, expansiv und antiamerikanisch und im Gegensatz zu den westlichen Demokratien eher auf Angriff denn auf Verteidigung getrimmt ist.

Gogun geht offenbar von der fraglichen Grundannahme aus, dass die innere Verfasstheit eines Staatswesens auch ihr Außenverhalten vorausbestimmt. „Die historischen Erfahrungen“ – stellte Herbert Dittgen 1996 zutreffend fest – „sprechen eindeutig gegen eine solche Behauptung.“4

Die gesamte Analyse (die Quellenauswertung, die zitierten Texte, die eigene Deutung und Würdigung zahlloser Ereignisse und Entwicklungen) ist sehr spekulativ. Man kann sich über das, was hätte eintreten können, aber eben nicht eingetreten ist, auch heftig streiten. Man kann nur nicht die Absichten, Vorhaben und die Aktivitäten des ideologischen und geopolitischen Rivalen völlig außer Acht lassen.

Weil die US-amerikanische Sowjetpolitik nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht in die Analyse der Stalinschen Außenpolitik miteinbezogen wurde, bleibt die Kernthese des Werkes angreifbar.

2. Kritik und Kommentar

(a) Stalins außenpolitische Kontinuität?

Die geradezu erdrückende Themenvielfalt des Werkes nutzt Gogun dafür, einen Beweis zu erbringen, dass Stalin einen Dritten Weltkrieg geplant hat. Das umfangreiche Quellenmaterial, die Belesenheit und Fleißarbeit des Verfassers haben freilich nicht alle Zweifel ausräumen können, dass es eine solche Planung tatsächlich gegeben hat.

Dass die aufgestellte These nicht neu ist, darauf weist Gogun selber bereits im ersten Satz seines Werkes (S. 6) mit umfangreichen Quellenangaben (S. 445) hin. Ein Vergleich mit der vorangegangenen Forschung war mir allein schon wegen dem nicht zur Verfügung stehenden Quellenmaterial nicht möglich.

Das Werk bietet dessen ungeachtet genügend Stoff zum Nachdenken. Bei der Lektüre des Werkes fragt man sich immer wieder: Was haben manche Passagen mit der Kernthese des Werkes: „Сталин готовился начать Третью мировую войну“ (Stalin bereitete sich darauf vor, einen Dritten Weltkrieg zu beginnen) zu tun?

Inwiefern hat die Periode der Sowjetgeschichte vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges (Erstes Kapitel) eine mutmaßliche Planung Stalins, einen Dritten Weltkrieg auszulösen, vorausbestimmt?

Hat Stalin etwa mit der Planung eines Dritten Weltkrieges begonnen, noch bevor der Zweite Weltkrieg zustande gekommen ist? Nein, das will der Verfasser natürlich nicht behaupten. Er stellt allerdings einen kausalen Zusammenhang zwischen den 20er- und 30er-Jahren und der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieges her.

Um diese Kausalität herzustellen, erstellt Gogun, wie schon erwähnt, ein Persönlichkeitsprofil Stalins, das sein gesamtes Werk wie ein roter Faden durchzieht. Deswegen beschäftigt er sich im Ersten Kapitel eingehend mit der Spaltung der Welt in „zwei unversöhnliche Lager“: Imperialismus versus Sozialismus (S. 13-49), um diesen Beweis zu erbringen und damit eine machtpolitische Kontinuität in Stalins Außenpolitik nachzuweisen.

Die von Lenin und Trotzki propagierte „Weltrevolution“ spielte dabei laut Gogun ebenfalls eine nicht unbedeutende Rolle in Stalins außenpolitischem Denken.

Trotzkij, der zum Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten bestellt worden war, glaubte 1917, dass die schnell um sich greifende Weltrevolution den Bolschewiki jede Diplomatie alten Stils ersparen würde. Spätestens das Misslingen der Unruhen in Deutschland von 1923 war allerdings für Stalin die endgültige Bestätigung dafür, dass es sinnlos war, auf die Revolution in Europa zu setzen, von einer „Weltrevolution“ ganz zu schweigen.

Es war daher nur konsequent, dass Stalin schon Ende 1924 die Lehre vom „Sozialismus in einem Land“ propagierte und Trotzkis Parole der „Weltrevolution“ entschieden bekämpfte.5

Vor diesem Hintergrund erweist sich Stalins „Antiamerikanismus“ als eine Hilfskonstruktion zur nachträglichen Legitimation der Kernthese von Stalins Planung eines Dritten Weltkrieges gegen die USA. Genauso gut könnte man den Spieß umdrehen und behaupten, dass Amerikas Hass auf den jungen Sowjetstaat in den 1920er-Jahren grundlegend für die US-Kriegspläne gegen die UdSSR nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gewesen wäre.

Man muss sich nur die US-Presse der 1920er-Jahre in Erinnerung rufen, um sich die Abscheu der amerikanischen Medien gegen den jüngen Sowjetstaat vor Augen zu führen: Alle angesehenen Zeitungen wie die New York Herald Tribune oder die New York Times beteiligten sich daran: „Noch 1925, 1926 und 1927 schlug man immer wieder in die gleiche Kerbe. >In Russland ist man frei zu stehlen, zu hungern, zu morden und zu sterben< (15. November 1925), >Sibirien versucht, das Joch Moskaus abzuschütteln< (26. November 1925), >Russland verkauft Juwelen, um das Sowjet-Regime zu retten< (10. Februar 1926), >Geheimbericht weist nach, dass Russland kurz vor dem Zusammenbruch steht< (20. März 1926), >Aufdeckung eines geheimen Terroristenkomplotts zur Machtergreifung in Russland< (30. Juli 1926), >Kommunisten im Chaos< (4. August 1926), >Truppen in Odessa meutern gegen das Moskau-Regime< (9. August 1926), >Die Roten verstärken die Kremlmauern, da die Meuterei wächst< (13. August 1926), >Bericht, dass Revolte gegen die Sowjetmacht begonnen hat< (9. April 1927), … >Industrie in Russland steht vor schnellem Zusammenbruch< (23. Oktober 1927), >Rumänen erfahren, dass viele Hunderte bei Unruhen in der Ukraine umgekommen sind< (26. November 1927)“6 usw. usf.

Erst der Zweite Weltkrieg unterbrach vorübergehend diese antirussische bzw. antisowjetische Hysterie in der US-amerikanischen Öffentlichkeit, um sich kurz nach dessen siegreichem Ende erneut gegen den ideologischen Feind Sowjetunion in Stellung zu bringen und Kriegspläne zu schmieden. Die beiden Seiten haben sich bekanntlich nichts geschenkt.

(b) Stalin versus Truman und Churchill

„Die unheilige Allianz“7 war in dem Augenblick am Ende, als der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen ist. Im Gegensatz zu Viktor Suvorov, der in seinem Werk „Gegen alle“ (2013, S. 76 f.) Stalins Außenpolitik (1945 – 1953) in Eurasien als „gescheitert“ ansah, vertritt Gogun dezidiert die gegensätzliche Auffassung: Stalins Expansionspolitik sei mehr als nur die Beherrschung Eurasiens. Dank seinen „blutigen Aktivitäten“ (кровавая многоходовка) erhielt er alles, was er wollte: Er kam einer „Unterwerfung des Planeten“ (к покорению планеты, S. 106) ganz nahe.

Dabei erweckt Gogun immer wieder den Eindruck, als wäre es Stalin gelungen, die britische und amerikanische Führung vorzuführen bzw. zu manipulieren. Zur Bestätigung seiner Aussage verweist er auf Churchills berühmte Fulton-Rede, in der dieser der Überzeugung wäre, dass „Sowjetrussland sich keinen neuen Krieg wünscht“ (S. 124).

Truman und Churchill waren freilich weder naiv noch manipulierbar. Das Gegenteil ist eher der Fall. Wenn es so etwas wie eine prima causa in der Kriegsvorbereitung des Dritten Weltkrieges gibt, so liegt der primäre Grund nicht so sehr in der Kriegsplanung Stalins als vielmehr in der globalen Machtprojektion der USA, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zur ökonomisch und militärisch dominierenden Supermacht aufgestiegen sind und den globalen Raum zu nationalen Sicherheitsinteressen erklärt haben.

Die Truman-Doktrin und die Domino-Theorie standen im Zentrum dieser globalen Machtprojektion, um „die Ausdehnung der sowjetischen Macht über die gegenwärtigen Grenzen hinaus“ zu verhindern.8 Truman setzte statt auf Kooperation auf Konfrontation und verkündete am 5. Januar 1946: „Wenn man Russland nicht die eiserne Faust zeigt und die stärkste Sprache spricht, werden wir einen neuen Krieg erleben. Es gibt nur eine Sprache die Russen verstehen, nämlich: Wie viele Divisionen habt ihr?“ Truman sprach sich gegen weitere Kompromisse und betonte: „I´m tired of babying the Soviets.“9

Von nun an ging es Schlag auf Schlag: Am 9. Februar 1946 hielt Stalin in Moskau eine Wahlrede, die der Richter am Obersten Bundesgericht in Washington, William O. Douglas, die „Kriegserklärung des Dritten Weltkrieges“ nannte (ebd.).

Am 22. Februar 1946 schickte Kennan sein berühmtes „Telegramm“ nach Washington. Für ihn war Stalins Außenpolitik militant, aggressiv, expansionistisch, kompromißlos und destruktiv. Dann hielt Churchill am 5. März 1946 in Fulton seine „Eiserner Vorhang“-Rede.

Churchills Rede war doppelzüngig. Einerseits äußerte er „viel Bewunderung für meinen Kriegskameraden Marschall Stalin“ und in diesem Sinne war Churchill ein Realpolitiker; andererseits war er der schärfste Gegner des Sowjetkommunismus und darum ein ideologischer Gegner Stalins. Präzis und glasklar sah Churchill die entstandene geopolitische Realität der Nachkriegszeit. „Es ist meine Pflicht“ – hob er in seiner Rede hervor -, „Sie mit einigen Fakten bekanntzumachen, die die gegenwärtige Situation in Europa beleuchten. Von Stettin an der Ostsee bis nach Triest am Adriatischen Meer ist ein Eiserner Vorhang gefallen.“10

Einerseits blieb Churchill ein unbelehrbarer Romantiker, der immer noch von den glorreichen Zeiten des British Empire träumte und sich gegen die neuentstandene Nachkriegsrealität sträubte, in der die Briten unter die Räder kamen. „Die Vergangenheit war für Churchill stets eine Sonne, die durch den Schatten der Gegenwart verdeckt wurde.“

Andererseits schluckte er die bittere Pille der Gegenwart, wenn er Stalin gegenüber „die Erreichung des Wohlstandes für die Massen“ als „unser“ gemeinsames Ziel bezeichnete, was nichts anderes als eine captatio benevolentiae war und zu Churchills Politik „im gleichen Widerspruch stand wie die ständige Preisung der >Freiheit< bei gleichzeitiger Verweigerung aller Rechte auf Selbstbestimmung.“ (ebd., 124 f.) „Einen Anspruch auf Freiheit besaßen für ihn nur die >englischsprechenden< Völker, alle übrigen gehörten zur zweiten, dritten oder vierten Klasse“ (ebd., 125).

Die Reaktion der sowjetischen Führung auf Churchills Rede ließ nicht lange auf sich warten. Bereits eine Woche nach der Rede gab Stalin am 13. März 1946 der Prawda ein Interview, in dem er grimmig anmerkte, es sei doch nur ein geringer Unterschied, ob man, wie Hitler, die Hegemonie allein für die „arische Rasse“ oder für die „englischsprechenden Völker“ beanspruche.11

Im Schlepptau dieser Rede hielt Präsident Truman fast auf den Tag ein Jahr später am 6. März 1947 seine Rede im Baylor College (Texas), in der er die „Truman-Doktrin“ verkündete: „Die ganze Welt sollte das amerikanische System übernehmen“. Denn „das amerikanische System kann in Amerika nur überleben, wenn es das System der ganzen Welt wird.“12

Am 30. März 1948 analysierte der Nationale Sicherheitsrat die neue Situation. In dem Memorandum „Die Haltung der USA im Hinblick auf den sowjetisch gesteuerten Weltkommunismus“ wurde als wichtigste Aufgabe genannt, Sofortmaßnahmen für „die Organisation einer weltweiten Gegenoffensive gegen den sowjetisch gelenkten Weltkommunismus“ einzuleiten und dabei die führende Rolle der USA zu gewährleisten.13

Dass Stalin in einem solchen aggressiven antisowjetischen Machtumfeld auf die konfrontative US-Sowjetpolitik reagieren musste, versteht sich wohl von selbst.

Die beiden Kontrahenten sprachen sich die Legitimität ihrer Verfassungsordnungen gegenseitig ab und warfen der jeweils anderen Seite Expansionsstreben vor. „Ein geradezu klassischer Fall des vorsichtigen Expansionismus war Stalins Taktik in der Meerengenfrage (Dardanellen und Bosporus). Nachdem er zunächst vom zögernden Außenminister Molotow geforderzt hatte: >Machen Sie weiter, üben Sie Druck aus<, ließ Stalin seine Forderung fallen, als Truman die US-Flotte in das ostliche Mittelmeer verlagerte.“14

Stalins Rückzieher zeigt deutlich, dass die sowjetiische Machtprojektion unter Stalin nicht grenzenlos war, zumal Stalins Sowjetunion sich im Gegensatz zu den USA „nicht als globale Macht“ verstand (ebd.). Stalins Expansionspolitik war allein auf Eurasien beschränkt, sodass auch die Weltrevolution ungeachtet von Goguns Beteuerung unter Stalin „kein Teil operativer Politik“ war.

„Erst unter Chruschtschow wurde die Sowjetunion von einer eurasischen Macht zu einer Macht mit globaler Reichweite“ (ebd., 26).

3. War Stalin zur Kriegsführung in der Lage?

Selbst wenn man davon ausgeht, dass Stalin tatsächlich die Kriegspläne gegen die USA schmiedete, schmiedete, um einen Dritten Weltkrieg vom Zaun zu brechen, so ist mehr als fraglich, ob der Sowjetstaat nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis zu Stalins Ableben zwischen 1945 und 1953 ökonomisch und militärisch dazu überhaupt in der Lage gewesen wäre.

Die kolossalen Zerstörungen des Landes waren am Kriegsende verheerend. Es wurden (nach russischen Angaben) 1.710 Städte zerstört, mehr als 70.000 Dörfer, 1135 Kohlengruben, mehr als 1000 Ölquellen, 61 Kraftwerkanlagen, 37 Eisen- und Stahlwerke, 66 chemische Fabriken, etwa 70.000 Kilometer des Eisenbahnnetzes, 4.100 Eisenbahnstationen, 137000 Traktoren, 4 Millionen Pflüge, 49000 Erntemaschinen und 1.500.000 Wohnungen. 427 Museen (von insgesamt 992), 40.000 Krankenhäuser, 43.000 Bibliotheken, 44.000 Theater, Klubs und Kulturräume, 84.000 Schulen und Forschungsinstitute; zusammen wurden 6 Millionen Gebäude verbrannt oder zerstört und 25 Millionen obdachlos, von Millionen Opfern ganz zu schweigen.15

Ferner verlor das Land 17 Millionen Stück Großvieh, 20 Millionen Schweine, 27 Millionen Schafe und Ziegen. „Selbst wenn diese russischen Angaben um zehn oder sogar dreißig Prozent zu hoch sein sollten (was aber unwahrscheinlich ist), so bleiben diese Verwüstungen die größten, die die Geschichte kennt.“16

Der Zweite Weltkrieg hat Sowjetrussland mit anderen Worten in die Steinzeit zurückgebombt. In einer solch beklagenswerten ökonomischen Lage wäre es Wahnsinn an einen neuen Krieg nur zu denken, geschweige zum Angriff überzugehen.

Freilich war die Sowjetunion im Bereich der konventionellen Streitkräfte in Europa der Nato-Allianz anscheinend tatsächlich überlegen. „Noch sechs Jahre nach dem Beginn des Aufbaus der Nato-Verteidigung, im Jahre 1956, urteilte der französische Marschall Alphonse Juin, damals Alliierter Oberkommandierende für den zentralen Verteidigungsabschnitt Europa-Mitte, dass, >wenn man die 1944 von den Russen in Weißrussland entwickelte Offensive auf das Gebiet am Rhein überträgt und dabei die gleichen Truppenstärken, die gleichen Ausmaße der Angriffsfront und den gleichen Vormarschrhythmus zugrunde legt, ein solcher Angriff gleichzeitig die Räume Köln und Straßburg erfassen und nach einem Durchbruch in der Lage sein würde, die Linie Trier-Saarbrücken nach sechs Tagen und die Linie Boulogne-Paris-Orléans-Bourges nach 23 Tagen zu erreichen<.“

Juin sah in der russischen Ausgangsposition in Thüringen „eine gefährlich geladene Pistole mitten in Deutschland und auf das Herz Frankreichs gerichtet.“17

Juins Beurteilung der militärischen Kräfteverhältnisse zwischen der Sowjetunion und der Nato kommentierend, schreibt Ruehl allerdngs:

„Solche Einschätzungen der eigenen Schwäche und der Angriffskraft der russischen Armee in Europa beruhten auf Annahmen über die russische Truppenstärke … Die alliierten Stäbe schrieben der Sowjetunion eine Kapazität zur Verstärkung ihrer 22 Divisionen in Mitteldeutschland und der übrigen Truppen in Ost- und Mitteleuropa von etwa 100 weiteren Divisionen zu. … Es ist zweifelhaft, ob die Sowjetarmee wirklich über diese große Zahl kriegseinsatzfähiger Divisionen … für einen Eroberungskrieg gegen Westeuropa verfügen könnte. Aber obwohl andere Kommandeure, wie der französische General Jean Valluy, … später rückblickend von einer >defensiven Taktik<des sowjetischen Oberkommandos >bis etwa 1954/55< sprachen, … nachdem sie (die russische Führung) für Europa über taktische Atomwaffen verfügte, ging die Verteidigungsplanung der Nato von den pessimistischen Annahmen über das Kräfteverhältnis und die russischen Pläne aus.“18

Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Sowjetunion in der Lage wäre, „einen Eroberungskrieg gegen Westeuropa“ zu führen, wäre ein sowjetischer Angriffskrieg gegen die USA außerhalb Europas unmöglich. Denn im nuklearen Bereich war Stalins Sowjetreich den USA weit unterlegen.

Zu Stalins Lebzeiten bestand noch kein „Gleichgewicht des Schreckens“. Erst Jahre nach seinem Ableben erreichte die Sowjetunion gegen Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre so etwas wie eine nuklearstrategische Parität zur dominierenden Nuklearmacht USA. Bis dahin herrschte eine strategische Asymmetrie zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion.19

Die strategische Überlegenheit der USA über die UdSSR hat die Sowjets in den 1950er- und 1960er-Jahren zu einer nachholenden massiven Nuklearaufrüstung gezwungen. Das war neben den verheerenden Folgen des Vietnamkrieges auch ein entscheidender Grund für Nixons Entspannungspolitik Anfang der 1970er-Jahre.

Die „strategische Kernwaffensuprematie“ der USA bedeutete letztlich, dass die Sowjetunion „auf die Grenze ihrer nationalen Sicherheit“ zurückgedrängt und „an der äußeren Machtentfaltung“ gehindert wurde.20 In Anbetracht dieser nuklearstrategischen Kräfteverhältnisse wäre es für Stalin selbstmörderisch gewesen an einen Angriffskrieg gegen die überlegene Nuklearmacht USA nur zu denken.

Man könnte bestenfalls von einer defensiven Kriegsvorbereitung der Sowjetunion unter Stalin auf einen Dritten Weltkrieg sprechen.

4. Die Kriegsplanungen der USA

Der Grundsatz der Reziprozität spielt in den internationalen Beziehungen eine zentrale Rolle. Man kann darum die sowjetische Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik in der zweiten Hälfte der 1940er- und Anfang der 1950er-Jahre nicht losgelöst von der US-amerikanischen Sowjetpolitik betrachten. Die USA begannen gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Deutschland und teilweise auch Japan geheimdienstlich, ökonomisch und in den 50er-Jahren auch militärisch gegen die Sowjetunion in Stellung zu bringen.

Man muss nur „NS-Kriegsverbrecher im Sold der USA“21 in Erinnerung rufen, um sich die US-Nachkriegspolitik gegen die Sowjetunion zu vergegenwärtigen. „Die neue deutsche Armee wurde nicht gegründet, um den Bonner Staat zu schützen, sondern der neue Staat wurde gegründet, um eine Armee gegen die Sowjets ins Feld zu stellen – mag diese Ratio den Paten im In- und Ausland auch nicht voll bewusst gewesen sein“, schreibt Rudolf Augstein 1961.22

Augsteins Formulierung kommentierend, meint Ekkehart Krippendorff ein Vierteljahrhundert später 1985: Die Äußerung „klingt vielleicht journalistisch überspitzt – sie ist es aber nicht.“23

Bereits Anfang 1945 kam der Chef der Geheimdienstabteilung „Fremde Heere Ost“ (FHO), Reinhard Gehlen (1902-1979), der in den Jahren von 1956 bis 1968 der erste Präsident des Bundesnachrichtendienstes war, zu der Überzeugung, „dass der Krieg mit einer deutschen Niederlage enden und danach die Allianz zwischen den Westmächten und der Sowjetunion auseinanderbrechen, zumindest nicht in der bisherigen Form weiterbestehen würde. Diese Beurteilung veranlasste ihn, die wichtigsten Unterlagen der Abteilung FHO über die Sowjetunion in den bayerischen Bergen vergraben zu lassen, um sie zu gegebener Zeit einer westlichen Macht mit der Absicht zur Verfügung zu stellen, ihr das Erkennen der wirklichen, machtpolitischen Ziele der Sowjetunion zu erleichtern.“24

Und so übergab Gehlen seinen begrabenen „Schatz“ dem US-Brigadegeneral und Prof. der Militärwissenschaft Edwin Luther Sibert und schloss eine Vereinbarung über sein neues Dienstverhältnis. Nazi-Deutschland hat den Krieg verloren, der Kampf gegen die Sowjetunion setzte sich aber lange vor der Gründung der Bonner Republik unvermindert fort.25

Schlimmer noch: Die USA schmiedeten ihrerseits Kriegs- und Angriffspläne gegen die Sowjetunion gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. 1945 standen die USA auf der Gipfel ihrer Macht. „Nichts stand der amerikanischen Weltherrschaft mehr entgegen – bis auf die Sowjetunion.“26

Vor allem hatten die USA seit dem Sommer 1945 das Kernwaffenmonopol, womit sie die Sowjets militärisch erpressen konnten. „>Wir werden nicht den ersten Schlag führen<, versicherte Eisenhower dem Kongreß im Spätherbst 1945; aber geheime Pläne legten etwas anderes nahe, und selbst in öffentlichen Anhörungen verwiesen einige Offiziere mit Nachdruck auf die Klugheit von präventiven Angriffen“ (ebd., 23).

Die Notwendigkeit und Legitimität der Präventivangriffe wurden freilich „bereits 1943/44 innerhalb der Marineführung diskutiert und tauchte in zahlreichen Memoranden der unmittelbaren Nachkriegszeit auf.“ Die Ideologie der „ständigen Kriegsbereitschaft“, die eine „permanente Kriegsplanung“ voraussetzte, „entwickelte sich unabhängig vom Inhalt der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen. Sie war zunächst an kein präzises Feindbild gebunden.“27

„Je mehr sich die politischen Konflikte mit der UdSSR zuspitzten, umso intensiver wurde darüber diskutiert, welches die für den Kriegsfall optimale Nuklearstrategie sei“ (ebd., 60).

„Hatten das Memorandum JIC-329/1 und die im Februar 1948 vorgelegte Fassung des Kriegsplans >Broiler< 20 sowjetische Städte als bevorzugte Ziele bestimmt, so gingen 1948/49 die Planungen der Vereinigten Stabschefs bereits von 70 Städten und Industriegebieten aus. Bei Angriffen auf insgesamt 1.947 Objekte und innerhalb von 30 Tagen war dabei mit 2.7 Millionen Toten und vier Millionen Verletzten zu rechnen. An diesen Zielkomplexen orientierte sich auch der Kriegsplan >Fleetwood< vom September 1948 …, der erstmals den Atomwaffeneinsatz als Kernstück der strategischen Offensive bestimmte und damit zum Vorbild aller weiteren Planungen wurde. >Dropshot<, 1949 verabschiedet und für die Nuklearplanung bis zum Ende der 50er-Jahre richtungsweisend, sah ebenfalls ein umfangreiches Städtebombardement vor (in der Anfangsphase ca. 300 Atombomben und 20.000 Tonnen konventioneller Bomben auf ca. 200 Ziele in 100 Städten und damit eine bis zu 85prozentige Vernichtung der sowjetischen Industrie). … Gegen Ende der 40er-Jahre schließlich rückte die Zerstörung von >Counterforce<-Zielen in den Mittelpunkt der Diskussion: Sie galten vortan als erste und wichtigste Aufgabe. >Counterforce< richtete sich gegen alle bekannten Objekte, die für die Aktivierung und den Einsatz des sowjetischen Atomarsenals von Bedeutung waren. Sie zielten also gegen die strategischen Luftstreitkräfte, gegen die Lagerstätten von Atombomben und gegen Flugplätze (1954/55 waren zwischen 409 und 645 Flugplätze als Ziele vorgesehen). Mit diesen >blunting missions< (Kodename BRAVO) sollte der Sowjetunion weitestgehend die Fähigkeit zum nuklearen Gegenschlag genommen werden. … Bereits im Kriegsplan >Dropshot< … wird den >blunting missions< eine vorrangige Bedeutung (>high priority<) zugewiesen … Die >Counterforce<-Einsätze wurden in den darauffolgenden Kriegsplänen fortgeschrieben und gehörten seit 1952 zu den wichtigsten Trainingsaufgaben der dem strategischen Luftkommando … unterstellten (B-36- und B-47-)Bombenflotte“ (ebd. 61 f.).

In einem Kriegsplan vom Dezember 1948 wird als erste Bedingung „für einen alliierten Sieg“ die Notwendigkeit genannt, „die offensiven Möglichkeiten des Gegners so zu reduzieren, dass nur unbedeutende zerstörerische Angriffe gegen das Territorium der Alliierten geführt werden können.“28 Das war nichts anderes als eine Umschreibung für einen atomaren Erstschlag bzw. einen Präventivkrieg.

Die Möglichkeit eines Präventivkrieges wurde 1950 nochmals von den Vereinigten Stabschefs mit Nachdruck bestätigt. Ende der 1940er- und Anfang der 1950er-Jahre gab es in den USA einflussreiche Kräfte, „die ernsthaft für einen Präventivkrieg gegen die UdSSR eintraten.“29

Die amerikanischen Kriegs- und Vernichtungspläne für eine Liquidierung des „realexistierenden Sozialismus“ wurden seinerzeit offen in den Massenmedien propagiert und „in popularisierter Form in Millionenauflagen verbreitet“. Der „Newsweek“-Artikel „Weißer contra Roter Stern“ vom Mai 1948 ist dafür nur ein Beispiel.

„Den absoluten Höhepunkt der amerikanischen Atomkriegspropaganda stellte ein 1951 erschienenes – 132 Seiten starkes und in einer Auflage von 3,9 Millionen verbreitetes – Sonderheft des US-Magazins >Collier`s< dar, das lediglich einem Thema gewidmet war: der Vernichtung und >Entkommunisierung< der Sowjetunion durch einen 3. Weltkrieg 1952-1955.“30

Dass Stalin von all den Kriegs- und Vernichtungsplänen der USA nichts wusste, davon ist kaum auszugehen. Dass er die Sowjetunion auf einen möglichen Dritten Weltkrieg vorbereiten musste, versteht sich daher wohl von selbst.

Anmerkungen

1. Zitiert nach Robert C. Aldridge, Erstschlag! Die Strategie des Pentagon für den Atomkrieg. München 1984,
25.
2. Siehe auch https://bukinist.de/bookpod/ru/istoriya-vojn/402370-produmannoe-svetoprestavlenie-kak-stalin-gotovil-tretyu-mirovuyu-9783689598839.html
3. Der Spruch „Манечку съели, Ванечку засолим“ stammt von Alexei I. Kiritschenko (der 1. Sekretär der KPU) und wurde von Nikita Chruschtschow in seinen „Memoiren“ zitiert, als er über die Lage der Bevölkerung in der Ukraine nach dem Zweiten Weltkrieg berichtete: „Пошёл голод. Стали поступать сигналы, что люди умирают. Кое-где началось людоедство. … Кириченко … рассказывал, что когда он приехал в какой-то колхоз, ему сказали, чтобы он зашёл к колхознице. Он зашёл: >Ужасную я застал картину. Видел, как эта женщина разрезала труп своего ребёнка и приговаривала: Вот уже Манечку съели, а теперь Ванечку засолим. Этого хватит на какое-то время<. Эта женщина помешалась от голода и зарезала своих детей. Я докладывал обо всём Сталину, но в ответ вызывал лишь гнев: >Мягкотелость! Вас обманывают, нарочно докладывают о том, чтобы разжалобить и заставить израсходовать резервы<.“
4. Dittgen, H., Das Dilemma der amerikanischen Außenpolitik: Auf der Suche nach einer neuen Strategie, in:
Dittgen, H./Minkenberg, M. (Hrsg.), Das amerikanische Dilemma. Die Vereinigten Staaten nach dem Ende
des Ost-West-Konflikts. Paderborn 1996, 291-317 (292).
5. Vgl. statt vieler Brahm, H., Russische Revolution und Weltrevolution, in: APuZ 43/1967.
6. Matthias, L. L., Die Kehrseite der USA. Rowohlt 1964, 90.
7. Görtermaker, M., Die unheilige Allianz. Die Geschichte der Entspannungspolitik 1943 – 1979. Verlag C. H.
Beck 1979.
8. Steininger, R., Die Sowjetunion aus der Sicht der USA (1944-1958), in: Hertle, H.-H. u. a. (Hg.), Mauerbau
und Mauerfall. Ursachen – Verlauf – Auswirkungen. Berlin 2002, 33-54 (37).
9. Zitiert nach Steininger (wie Anm. 8), 36.
10. Näheres dazu Matthias, L. L., Die Kehrseite der USA. Rowohlt 1964, 124.
11. Zitiert nach Matthias (wie Anm. 10), 125.
12. Zitiert nach Matthias (wie Anm. 10), 127.
13. Zitiert nach Steininger (wie Anm. 8), 41.
14. Junker, D., Die internationalen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein neues Verständnis des Kalten
Krieges? In: in: Hertle, H.-H. u. a. (Hg.), Mauerbau und Mauerfall. Ursachen – Verlauf – Auswirkungen.
Berlin 2002, 19-32 (25).
15. Zitiert nach Matthias (wie Anm. 10), 100; Deschner, K., Der Moloch. „Sprecht sanft und tragt immer einen
Knüppel bei euch!“. Zur Amerikanisierung der Welt. Stuttgart und Wien 1992, 283.
16. Matthias (wie Anm. 10), 100.
17. Zitiert nach Ruehl, L., Machtpolitik und Friedensstrategie. Einführung General Steinhoff. Hamburg 1974,
107.
18. Ruehl (wie Anm. 17), 108.
19. Vgl. Ruehl (wie Anm. 17), 258.
20. Vgl. Ruehl (wie Anm. 17), 261.
21. Siehe statt vieler Simpson, C., Der amerikanische Bumerang. NS-Kriegsverbrecher im Sold der USA.
Aus dem Amerikanischen von Hilde Linnert. Ueberreuter-Sachbuch 1988; Silnizki, M., Gehlen,
Geheimdienste und die „Stunde null“. Gegenwart im Spiegel der Vergangenheit. 15. Oktober 2024,
www.ontopraxiologie.de.
22. Augstein, R., Waffen statt Politik, in: Bilanz der Bundesrepublik, Magnum-Sonderheft. Köln 1961, 48.
23. Krippendorff, E., Staat und Krieg. Die historische Logik politischer Vernunft. Frankfurt 1985, 61.
24. Krippendorff (wie Anm. 23), 61 f.
25. Näheres dazu Silnizki (wie Anm. 21).
26. Greiner, B./Steinhaus, K., Auf dem Weg zum 3. Weltkrieg? Amerikanische Kriegspläne gegen die UdSSR.
Eine Dokumentation. Köln 1980, 20.
27. Greiner, B., Politik am Rande des Abgrunds? Die Außen- und Miliitärpolitik der USA im Kalten Krieg.
Heilbronn 1986, 57 ff.
28. Zitiert nach Greiner/Steinhaus (wie Anm. 26), 35.
29. Zitiert nach Greiner/Steinhaus (wie Anm. 26), 35.
30. Zitiert nach Greiner/Steinhaus (wie Anm. 26), 41.

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