Verlag OntoPrax Berlin

Wer gefährdet Deutschland und Europa?

Merz oder Putin

Übersicht

1. Zwischen Wahrheit und Dichtung
2. Obsession statt Außenpolitik
3. Merz, Putin und der „Kanzler der Einheit“

Anmerkungen

„Россия протянула Вашингтону руку, но если США не интересно,
то мы в состоянии обойтись без этого.“
(Russland hat Washington die Hand gereicht. Wenn die USA aber kein
Interesse haben, können wir darauf verzichten.)
(Sergej Rjabkow, 8. Oktober 2025)

1. Zwischen Wahrheit und Dichtung

Nach dem Gipfeltreffen in Alaska ist die Dynamik für eine Einigung „erschöpft“. Eine mögliche Lieferung von Tomahawk-Raketen durch die USA an die Ukraine würde eine deutlich qualitative Veränderung der Lage bedeuten. Dies erklärte der russische Vize-Außenminister, Sergej Rjabkow, am 8. Oktober 2025.

Rjabkow zufolge würde die Lieferung einen ernsthaften Eskalationsschritt bedeuten, da der Einsatz von Tomahawks nur unter Beteiligung des amerikanischen Personals möglich sei. Stehen wir vor einer neuen Stufe der Eskalation des Ukrainekonflikts? Oder ist Trumps Ankündigung über eine mögliche Lieferung von Tomahawk-Raketen nichts weiter als ein Einschüchterungsversuch? Konnten die Kriegsfalken diesseits und jenseits des Atlantiks Trump doch noch umstimmen und ihn gegen Putin in Stellung bringen?

Selbst wenn das so wäre, hat das Pentagon ein „kleines“ Lieferproblem. Wenn man den US-Berichten Glauben schenkt, so sind die US-Raketenbestände erschöpft. „Washington muss seine derzeitigen Auslandsengagements, vor allem in der Ukraine und in Israel, überprüfen, bevor es seine Reserven weiter erschöpft,“ berichtete Responsible Statecraft (RS) am 8. Oktober 2025.

Ferner wies RS darauf hin, „dass die Steigerung der Raketenproduktion, wie sie das Pentagon wünscht, Jahre dauern könnte und wahrscheinlich neue Waffenproduktionsanlagen und eine entsprechende Infrastruktur erfordern würde.“

Es ist daher unwahrscheinlich, dass die Gefahr der Eskalation aus Trumps Amerika kommt, zumal die Verhandlungen zwischen Russland und den USA nach manchen kryptischen Äußerungen der russischen Seite im Hintergrund weiterlaufen.

Wenn man sich aber das Störfeuer aus den europäischen Hauptstädten vor Augen führt und die Kompromisslosigkeit sieht, mit der das EU-Führungspersonal sich im Ukrainekonflikt positioniert, dann wird unsereinem angst und bange.

Europa befindet sich – sei es aus Mangel an Urteilskraft oder sei es aus der eigenen Selbstüberschätzung – auf Kollisionskurs zu Russland. Was der Kanzler Merz als ein führender Repräsentant des europäischen Mainstreams am 6. Oktober im ntv-Talk „Pinar Atalay“ von sich gab, dient eher zur Eskalation als zur Deeskalation des Ukrainekonflikts.

Merz kritisierte darin Putin mit den Worten: „Im Augenblick will der russische Präsident nicht verhandeln, er will bombardieren.“ Putin halte Verabredungen nicht ein. Trump habe mit ihm telefoniert und gesagt, dass es spätestens in zwei Wochen ein Treffen mit Selenskyj gebe. „Und Putin hat sich an diese Verabredung nicht gehalten.“

Ein persönliches Gespräch mit Putin lehnt Merz kategorisch ab. „Ich überlege das natürlich. Ich sehe nur, dass im Augenblick jeder Versuch, mit ihm zu sprechen, in noch härteren Angriffen auf die Ukraine endet.“ Er habe darüber in der letzten Woche eine ziemlich heftige Auseinandersetzung mit Viktor Orban in Kopenhagen gehabt.

Orban hat „uns den Vorwurf gemacht, dass wir nicht verhandeln wollen.“ Darauf reagierte Merz mit den Worten: Orban sei letztes Jahr im Juli als EU-Ratspräsident in Kiew und dann in Moskau gewesen. „Die Antwort von Putin war die Bombardierung eines Kinderkrankenhauses in Kiew. Und das ist nicht der Weg, den ich gehen möchte.“ Dennoch zeigte Merz sich überzeugt: „Ich glaube, dass es einen Tag geben wird, an dem Putin zu Gesprächen bereit sein wird.“

Nichts an dieser Erzählung entspricht dem stattfindenden Verhandlungsprozess. Merz betätigt sich hier in seiner gewohnten Art als ein Agent Provocateur, der zündelt und provoziert, ohne Ahnung davon zu haben, was tatsächlich zwischen Trump und Putin in Alaska stattgefunden hat. Die Gesprächsergebnisse werden bis heute weitgehend geheim gehalten. Trump und Putin spielen ein komplexes und kompliziertes außen- und geopolitisches Spiel.1

Man muss schon die russische Geo- und Sicherheitspolitik und Trumps geoökonomische Intentionen gut kennen, um zu verstehen, was da gespielt wird. Von beidem hat Merz offenbar keine fundierten Kenntnisse und redet deswegen verantwortungslos daher.

Wer wie Merz kein visierter Geo- und Sicherheitspolitiker ist, nimmt alles für bare Münze, was einer ihm erzählt. Was Trump Merz im Telefongespräch gesagt haben soll, muss nicht unbedingt der Wahrheit letzter Schluss sein. Trump ist ein Aufschneider und Hochstapler, der in seiner theatralen Manier alles Mögliche sagt, was nicht stimmen muss. Und Merz scheint dem noch zu glauben.

Im Bundeskanzleramt in Berlin sitzt ein außenpolitischer Amateur, der immer noch so auftritt, als wäre er ein Oppositionsführer, der die Verantwortung eines Kanzlers mit der Verantwortungslosigkeit eines Oppositionsführers verwechselt.

Wenn Merz Putin vorwirft, dass dieser keine „Verabredungen“ einhalte, weil ein „verabredetes“ Treffen mit Selenskyj nicht zustande gekommen ist, dann weiß er nicht, wovon er redet. Es gab keine Zusage Putins, sich mit Selenskyj „spätestens in zwei Wochen“ nach dem erfolgten Telefongespräch zu treffen.

Der Sachverhalt sieht nämlich ganz anderes aus. Aus seinem vom 31.08. bis 3.09.2025 stattgefundenen viertägigen Besuch in China nach Moskau zurückgekehrt, sagte Putin: „Donald hat mich gebeten, wenn möglich ein solches Treffen abzuhalten. Wenn Selenskyj bereit ist, nach Moskau zu kommen, wird ein solches Treffen stattfinden.“ Es ging also um eine „Bitte“ und nicht um „Verabredung“ beim Treffen in Alaska.

Als wäre ein Treffen zwischen Putin und Selenskyj eine beschlossene Sache, kündigte Trump gleich nach dem Gipfeltreffen in Alaska in seiner ebenso theatralen wie nötigenden Art den Beginn der Vorbereitungen dazu an. Man muss Putin kennen, um zu wissen, dass er sich nicht nötigen lässt.

Selenskyj lehnte seinerseits die Reise nach Moskau ab und schlug vor, die Gespräche mit Putin beispielsweise in der Schweiz, Österreich oder in der Türkei zu führen.

Der russische Außenminister, Sergej Lawrow, erklärte daraufhin: Putin sei zu einem Treffen mit Selenskyj bereit unter der Bedingung, dass es eine „präsidiale Agenda“ gebe. Derzeit, betonte Lawrow, gebe es keine. Es entspricht in der Tat diplomatischen Gepflogenheiten, dass ein solches Gipfeltreffen sorgfältig vorbereitet werden muss, bevor man sich miteinander trifft – erst recht, wenn es um Krieg und Frieden geht.

Ein mediales Spektakel zu inszenieren, um sich gegenseitig vorzuführen, wäre weder sachgerecht noch verantwortbar und schon gar nicht einem angestrebten Frieden dienlich.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wer wie Merz vom ABC der Diplomatie wenig zu verstehen scheint und sich dazu noch nicht wie ein Staatsmann, sondern wie ein Oppositionsführer benimmt und non challenge provoziert, muss sich dann nicht wundern, wenn er außenpolitisch nicht ernstgenommen und wie die ehem. grüne Außenministerin, Annalena Charlotte Alma Baerbock, behandelt wird.

Merz zeigt mit seinen Schimpftiraden und Vorwürfen gegen Putin, dass er in Wahrheit keine zeitgemäße, kohärente Russlandpolitik hat und darum weder dialog- noch verhandlungsfähig ist. Henry Kissinger hat einst „den Westen“ eindringlich davor gewarnt, Putin zu „dämonisieren“. Wörtlich schrieb er am 5. März 2014 in einem Artikel „How the Ukraine crisis ends“ in der Washington Post: „For the West, the demonization of Vladimir Putin is not a policy; it is an alibi for the absence of one“ (Für den Westen ist die Dämonisierung von Wladimir Putin keine Politik, sondern ein Alibi für das Fehlen einer Politik). Diese Feststellung gilt, wie man sieht, auch heute noch.

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2. Obsession statt Außenpolitik

Auch die Behauptung: Putin wolle „bombardieren“ und nicht verhandeln, simplifiziert. Merz hat noch nie in seinem Leben an Verhandlungen zur Beendigung eines Krieges teilgenommen. Ihm geht es auch nicht um Verhandlungen, sondern um Beschimpfungen und Dämonisierung Putins. Darum verschweigt er, dass auch Selenskyj „bombardiert“ und persönlich an der Beendigung des Krieges gar nicht interessiert ist.

Als Kriegspräsident wird Selenskyj seine Macht sofort verlieren, sobald es zu einer friedlichen Lösung des Konflikts kommt und er die Wahlen ausrufen muss, da er mittlerweile zur meistgehassten Person in der Ukraine aufgestiegen ist.

Merz lenkt zudem davon ab, dass auch er (und nicht nur er allein) an Verhandlungen gar nicht interessiert ist. Europa will nicht verhandeln – Europa will diktieren. Es will Putin gedemütigt sehen, weil es bis heute nicht fassen kann, dass Putin sich nach dem „verlorenen“ Kalten Krieg „erdreistet“, den „Westen“ herauszufordern und einen Krieg in Europa zu führen.

Unsereiner erinnert sich noch ganz genau, mit welchem Entsetzen die EU-Machteliten Anfangs des Jahres auf Trumps „radikale“ Kehrtwende in der US-amerikanischen Ukraine- und Russlandpolitik reagiert haben. Die gestern noch als ewig geglaubten und hochgehaltenen Prinzipien der Anti-Russland-Koalition schienen heute auf einmal überholt zu sein und morgen nicht mehr zu gelten.

„Lieber Krieg als Frieden“ war die damalige Stimmung in Europa. So sagte die dänische Premierministerin, Mette Frederiksen (geb. 1977), stellvertretend für viele der TV-Sendung „21 Søndag“ am 23. Februar 2025: „Ich verstehe, wenn viele Menschen denken, dass eine friedliche Lösung oder ein Waffenstillstand eine gute Idee sei, aber wir laufen Gefahr, dass der Frieden in der Ukraine tatsächlich gefährlicher ist als der Krieg, der jetzt stattfindet.“2

Diese Stimmung ist in Europa bis heute vorherrschend geblieben. Erst vor diesem Hintergrund wird es verständlich, warum Merz Orban ins Spiel brachte, als er jede Verhandlung mit Putin rigoros ablehnte. Mit Verweis auf Orbans Gespräche in Kiew und Moskau behauptete Merz allen Ernstes: „Die Antwort von Putin war die Bombardierung eines Kinderkrankenhauses in Kiew. Und das ist nicht der Weg, den ich gehen möchte.“

Soll heißen: Wenn Merz heute mit Putin spricht, wird dieser morgen ein Kinderkrankenhaus bombardieren. Diese perverse Argumentation ist an Peinlichkeit und Unverfrorenheit kaum zu überbieten. Nein, Merz will gar nicht verhandeln, er will verunglimpfen, pöbeln, Hass schüren und sich immer wieder am Feindbild Putin abarbeiten.

Von Anfang an hat Merz jede Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft vermissen lassen. Bereits bei der Generaldebatte im Bundestag verkündete Merz am 9. Juli 2025 unumwunden: „Wir werden der Ukraine weiterhin helfen, auch trotz des Widerstands der politischen Linken und der prorussischen Rechten. Und ich möchte es Ihnen noch deutlicher sagen: Die diplomatischen Mittel sind ausgeschöpft.“

Irritiert fragt man sich, von welcher „Diplomatie“ hier die Rede ist. Mit wem hat Merz diplomatische Verhandlungen jemals geführt, die er schon Anfang Juli für „ausgeschöpft“ erklärt hat? Dabei sagt er nichts Neues und wiederholt nur den unhaltbaren Vorwurf des Bombardements eines Kindergartens, den er bereits in der eben erwähnten Generaldebatte machte.3

Des Öfteren hat Merz Putin als einen „Kriegsverbrecher“ beschimpft, wie er es zuletzt in seiner Regierungserklärung vom 24. Juni 2025 getan hat:

Putin zeigt bis heute täglich mit seinen Kriegsverbrechen in der Ukraine, dass ihm gemeinsame Regeln gleichgültig sind und dass es im Windschatten der Ereignisse im Nahen und Mittleren Osten und trotz aller diplomatischen Anstrengungen in den vergangenen Tagen die Luftangriffe auf ukrainische Städte noch einmal verschärft hat.“

Wie soll es nach solchen Äußerungen dann ein Gespräch mit Putin geben? Selbst Trump hat sich zu einer solchen Entgleisung nicht hinreißen lassen. Dabei hat Merz kein Problem die völkerrechtswidrigen Angriffskriege, Aggressionen und brutale Kriegsführung gutzuheißen, sofern es um befreundete Staaten geht.

So hat er Israels Aggression gegen die islamische Republik Iran – den „12-tägigen Luftkrieg“4 im Juni 2025 – nicht nur gutgeheißen, sondern auch mit Begeisterung begrüßt: „Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle“, sagt Merz am 17. Juni 2025 im ZDF-Interview.

Interessant ist auch die Begründung. Das Regime in Teheran habe „Tod und Zerstörung über die Welt gebracht“. Er habe größten Respekt vor dem Mut Israels. Merz´ Problem ist seine Beliebigkeit. Was er bei einem als „Kriegsverbrechen“ anprangert, ist bei anderem eine anerkennungswürdige, respektable „Drecksarbeit“.

Zeigt er sich über die „Aggression“ Russland in der Ukraine hypermoralisierend empört und entsetzt, so hätte Merz kein Problem damit, beispielsweise am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Irak 2003 teilzunehmen, wenn er und nicht Gerhard Schröder Bundeskanzler wäre. Im Vorfeld des Irak-Kriegs fand ein heftiger Schlagabtausch zwischen der rot-grünen Koalition unter Schröder/Fischer und der CDU/CSU-Faktion mit Fraktionschef Friedrich Merz (2000-2002) statt.

Während Schröder/Fischer die deutsche Kriegsbeteiligung strickt ablehnten, befürwortete Merz grundsätzlich die deutsche Kriegsteilnahme. Schröder sei mit seinem Kurs zum „Kronzeugen“ des irakischen Diktators Saddam Hussein geworden, schimpfte Merz.

„Eine Beteiligung Deutschlands an einem Krieg gegen den Irak unter einer unionsgeführten Bundesregierung schloss Merz nicht grundsätzlich aus,“ berichtete Der Spiegel am 11. September 2002. Auch RP Online schrieb am 23. Mai 2002: „Friedrich Merz ist sicher, dass sich Deutschland an einem möglichen Militärschlag gegen den Irak beteiligen wird.“

Zum Glück hatte die Republik 2003 keine unionsgeführte Bundesregierung unter Kanzler Merz, sonst hätte auch Deutschland schon damals die „Drecksarbeit“ für die USA machen müssen. Und heute? Heute will Merz für Trumps Frieden keine „Drecksarbeit“ machen, wie Julian Reichelt in seiner NIUS-Analyse bereits am 27. Februar 2025 verwundert feststellte: „Friedrich Merz wollte 2003 dem US-Präsident George W. Bush in den Irak-Krieg folgen, aber rund zwei Jahrzehnte später US-Präsident Trump nicht in den Ukraine-Frieden.“

Warum denn? Weil Merz mit seinen antirussischen Ressentiments im 20. Jahrhundert stecken geblieben ist. Er ist aus der Zeit gefallen und setzt „Putins Russland“ ideologisch und weltanschaulich immer noch mit der Sowjetunion gleich. Er will immer noch nicht wahrhaben, dass die Welt heute geo- und sicherheitspolitisch ganz anders aufgestellt ist und dass seine rückwärtsgewandte Russlandpolitik Deutschland und Europa in eine Selbstisolation führt. Das ist keine Außenpolitik, sondern Obsession!

3. Merz, Putin und der „Kanzler der Einheit“

„Russland ist zumindest ein harter Gegner und ein Feind unserer politischen Ordnung.“ Die gezielte russische Propaganda gegen ihn und andere westliche Politiker sei „Teil des Propagandakrieges Russlands gegen uns alle, nicht nur gegen mich persönlich“. Er nehme das „als eine gemeinsame Herausforderung für unser Land an. Ich habe die Verantwortung, als Regierungschef in diesem Land auch politische Entscheidungen zu treffen, die uns vor diesen Gefahren schützen,“ sagte Merz im ntv-Talk „Pinar Atalay“.

Wie er dazu kommt, Putin als einen „Feind unserer politischen Ordnung“ zu stigmatisieren, erläutert Merz nicht. Der Grund liegt freilich auf der Hand. Merz macht, wie gesagt, zwischen „Putins Russland“ und der Sowjetunion, zwischen dem russischen Staatschef und einem sowjetischen Generalsekretär der KPdSU keinen Unterschied. In Putin sieht Merz kein Staatsoberhaupt, sondern einen ideologischen Feind, der kompromisslos bekämpft werden muss und mit dem keine Verhandlungen zu führen sind.

Getreu einem altehrwürdigen griechischen, auf Empedokles zurückgehenden Erkenntnisprinzip: „Gleiches werde durch Gleiches erkannt“ (hê gnôsis tou homoiou tô homoiô, Aristoteles, Met. 1000b 6) wirft Merz, der selber ja die ganze Zeit Kriegspropaganda betreibt, Russland vor, dass es eine gezielte Propaganda gegen ihn und andere westliche Politiker betreibe.

Das sei „Teil des Propagandakrieges Russlands gegen uns alle, nicht nur gegen mich persönlich“, beklagt sich Merz. Dass die russischen Medien über ihn herziehen und ihn gelegentlich als „Nazi“ verunglimpfen, ist bekannt. Aber was hat er denn erwartet? Einer, der Putin stets als „Kriegsverbrecher“ und „Diktator“ beschimpft, soll sich nicht darüber beklagen, dass er dann unfein behandelt wird.

Putin sei „ein Kriegsverbrecher. Es ist vielleicht der schwerste Kriegsverbrecher unserer Zeit, den wir zurzeit im großen Maßstab sehen“, sagte Merz am 2. September 2025 in einem Interview für die Sat.1-Sendung „:newstime“. „Und wir müssen uns einfach darüber im Klaren sein, wie man mit Kriegsverbrechern umgeht. Da ist Nachgiebigkeit fehl am Platz.“

Das ist Propagandakrieg par excellence, den Merz selbst betreibt, aber anderen vorwirft! Glaubt er wirklich, dass er als Kanzler der Bundesrepublik mit einer solchen Dämonisierung Putins verantwortlich und im Wohle des deutschen Vaterlandes handelt?

Ein Staatsoberhaupt, mit dem Deutschland keinen Krieg führt, wohl aber diplomatische Beziehungen unterhält, als „den schwersten Kriegsverbrecher unserer Zeit“ zu verunglimpfen, kommt einer Kriegserklärung gleich. Merz´ theatrale Empörung schadet Deutschland und Europa gleichermaßen.

Warum unterhält Merz dann überhaupt mit dem „schwersten Kriegsverbrecher“ diplomatische Beziehungen? Ist das verantwortbar? Und stimmt das überhaupt?

Laut UN-Angaben wurden seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine über 13.000 Zivilsten getötet und mehr als 35.000 verletzt. Zum Vergleich: Laut den jüngsten UN-Angaben wurden in Gazastreifen insgesamt ca. 67000 Zivilisten, davon ca. 4000 Kinder, getötet.

Hat sich Merz vielleicht doch geirrt und gibt es womöglich noch größere „Kriegsverbrecher unserer Zeit“ als Putin? Nein? Oder gehört es sich nicht einen Regierungschef aus einem befreundeten Land als „Kriegsverbrecher“ zu denunzieren?

Und wie steht es mit vielen anderen Regierungschefs der befreundeten Länder, die in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren zahlreiche Angriffskriege geführt und „Kriegsverbrechen“ begangen haben?

Man denkt nur an den britischen Premier, Tony Blair (1997-2007) und den 43. US-Präsidenten, George W. Bush jr. (2001-2009), die einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Irak 2003 vom Zaun gebrochen haben. Die Opferzahl im Irak wird auf „etwa 2,4 Millionen Menschen“5 geschätzt.

Wie man sieht, es könnten noch viel mehr „Kriegsverbrecher unserer Zeit“ herumlaufen, wenn man sich der Diktion des amtierenden Bundeskanzlers anschließen will. Wenn es so weiter geht und Merz seine Russlandpolitik allein auf Schimpftiraden, Beleidigungen und Verunglimpfungen der russischen Führung beschränkt und Russland zum Feindesland stilisiert, dann darf er sich nicht wundern, wenn er darauf eine entsprechend harsche Reaktion bekommt, die er en passant als „Kriegspropaganda“ abtut.

Eine solche hasserfüllte Russlandpolitik ist Deutschland schon im 20. Jahrhundert nicht gut bekommen. Merz soll lieber von seinem Amtsvorgänger – dem „Kanzler der Einheit“ – lernen und dessen Russlandpolitik zum Vorbild nehmen.

Was er vom Historiker, Dr. Helmut Kohl, lernen kann, kann ihm kein geringerer als Putin selbst erklären. Auf dem gerade stattgefundenen Valdai International Forum erinnerte Putin am 2. Oktober 2025 an ein Treffen in Hamburg im Jahr 1993, an dem der Petersburger Bürgermeister, Anatolij Sobtschak, und Bundeskanzler Helmut Kohl teilnahmen. Als Sobtschaks Vertrauter und Übersetzer nahm Putin unmittelbar an diesem Treffen teil.

Ihm zufolge war Kohl der Ansicht, „dass Russland Teil der EU werden und Europa mit Russland zu einem einzigen Ganzen vereinigt werden müsse, um Europa als Zentrum der Zivilisation zu erhalten“ (что для сохранения Европы как центра цивилизации Россия должна стать частью ЕС, а Европа — быть вместе с Россией, образуя единое целое).

Diesen Leitgedanken des großen deutschen Patrioten und des „Kanzlers der Einheit“ soll Merz verinnerlichen und danach handeln. Alles andere wäre ein Desaster!

Anmerkungen

1. Vgl. Silnizki, M., Das Gipfeltreffen in Alaska und die Folgen. Auf dem Wege zum Frieden? 24. August 2025,
www.ontopraxiologie.de.
2. Zitiert nach Silnizki, M., Russland und Europa. Lieber Krieg als Frieden? 9. März 2025,
www.ontopraxiologie.de.
3. Näheres dazu Silnizki, M., Friedrich Merz in seinem Element. Unterwegs mit einem außenpolitischen
Abenteurer. 13. Juli 2025, www.ontopraxiologie.de.
4. Silnizki, M., 12-tägiger Luftkrieg. Zwischen Fehleinschätzung und Inszenierung. 29. Juni 2025,
www.ontopraxiologie.de.
5. Davies, Nicolas J. S., Die Blutspur der US-geführten Kriege seit 9/11: Afghanistan, Jemen, Libyen,
Irak, Pakistan, Somalia, Syrien, in: Mies, U. (Hrsg.), Der tiefe Staat schlägt zu. Wie die westliche Welt
Krisen erzeugt und Kriege vorbereitet. Wien 22019, 131-152 (132).

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