Verlag OntoPrax Berlin

Von der „Mitmacher-Außenpolitik“ zur Kolonialpolitik

Die EU als die willige Vollstreckerin der US-Ukrainepolitik?

Übersicht

1. „Deutschland einig Großmachtland“?
2. Die EU-Ukrainepolitik im Schlepptau der US-Geostrategie
3. Der Ukrainekrieg als Kolonialkrieg um die Bodenschätze?

Anmerkungen

„Das Schicksal Deutschlands wird in der Außen- und Sicherheitspolitik
entschieden.“
(Helmut Kohl, Sept. 1993 vor dem Dt. Bundestag)1

1. „Deutschland einig Großmachtland“?

Vor dem Hintergrund des Endes des „Kalten Krieges“, des Auseinanderbrechens der Sowjetunion und der Wiederherstellung der deutschen Einheit fragte der deutsche Diplomat im Ruhestand, Hans Arnold (1923-2021), 1995 gleich zu Beginn seines Buches „Deutschlands Größe“: „Wird Deutschland einig Vaterland zu Deutschland einig Großmachtland? Und was wird dann?“2

Die Fragen wollte er im Zusammenhang mit „den drei Kernfragen der deutschen Außenpolitik“ beantworten: „(1) der spezifisch deutschen Relativität deutscher Größe, (2) den Möglichkeiten und Zwängen für ein internationales Mitmachen des heutigen Deutschlands und (3) dem sich daraus ergebenden Orientierungsrahmen für die deutsche Außenpolitik.“

Zu Beginn seiner Überlegungen stellte Arnold die These voran: „Deutschland hat die Attribute einer Großmacht“ und sei „heute eine neue internationale Größe.“3 Nach 190 Seiten deskriptiver Darstellung der innerdeutschen, innereuropäischen und weltpolitischen Entwicklungen kam er ernüchternd zu dem Ergebnis: „Deutschland hat zwar die Attribute einer Großmacht, ist aber nach seiner inneren Verfassung und nach seinen auswärtigen Möglichkeiten für eine Großmachtrolle schlecht geeignet. … Ein deutscher Großmachtanspruch würde sich weder in Europa noch in der Weltpolitik durchsetzen lassen. Deutschland einig Vaterland kann nicht Deutschland einig Großmachtland werden.“4

An dieser Diagnose eines altgedienten Diplomaten hat sich bis heute nicht nur nichts geändert, sondern Deutschlands Stellung in Europa und in der Welt hat sich dramatisch verschlimmbessert: Deutschland verliert zunehmend und seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine gar in einer beschleunigten Weise an seiner ökonomischen und machtpolitischen Gestaltungskraft und wird immer mehr zu einem willigen, ja willenlosen Handlanger der US-Geo- und Sicherheitspolitik.

„Mitmacher-Außenpolitik“5 nannte der Berliner Politikwissenschaftler Ekkehart Krippendorff (1934-2018) einst die deutsche Außenpolitik seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und fügte gleich hinzu: Das „Mitmachen statt Außenpolitik“ bedeute der „Verzicht auf abweichende Regierungspositionen etwa zur amerikanischen Kriegspolitik in Vietnam, was sich andere europäische Staatsmächte, um einer rhetorischen Ehrenrettung und des Selbstrespekts willen, wenigstens erlaubten.“6

Freilich hat ganz Europa heute diese „rhetorische Ehrenrettung“ und den „Selbstrespekt“ längst aufgegeben, sich der deutschen „Mitmacher-Außenpolitik“ angeschlossen und auf eine abweichende Haltung zur US-amerikanischen Kriegspolitik in der Ukraine verzichtet. Die EU-Europäer marschieren heute Seit´ an Seit´ mit Amerika im gleichen Schritt und Tritt. Und sollten sie nicht aufpassen und weiterhin der US-Kriegslogik folgen, werden sie, schneller als sie denken, immer tiefer in den ukrainischen Sumpf hineingezogen – mit der Gefahr, einen großen europäischen Krieg zu provozieren.

Getreu dem „deutschen Mitmacher-Syndrom“7: nur bloß keinen geo- und sicherheitspolitischen „Sonderweg“ einzuschlagen – selbst dann, wenn Europa ganz in Flammen aufgehen könnte, betreibt die EU ihre Ukrainepolitik als Kriegspolitik und eskaliert den Ukrainekonflikt im Glauben, unbeschadet davon kommen zu können. Eine gefährliche Illusion!

Dieser „Mitmacher-Außenpolitik“ wird nicht etwa eine militärische, geo- oder sicherheitspolitische Analyse, sondern ihr werden ideologische Orientierungsmaximen zugrunde gelegt, die mit Verweis auf die Verteidigung der nichtexistierenden Demokratie und Menschenrechte gegen „die russische Aggression“ in Wahrheit die Militarisierung der EU-Außenpolitik heraufbeschwören.

Diese ideologisch sanktionierte Militarisierung der EU-Außenpolitik zeigt sich daran, dass das EU-Spitzenpersonal bei jeder sich bietenden Gelegenheit betonen, dass die Ukraine auf dem Schlachtfeld gewinnen und mit allen zur Verfügung stehenden militärischen und finanziellen Mitteln unterstützt werden müsse. Die EU bleibt damit der ideologischen Kontinuität des „Kalten Krieges“ treu und sieht in Russland nach wie vor einen ideologischen Feind, als wäre der Ost-West-Konflikt nie zu Ende gegangen.

Diese Kontinuität bedeutet aber gleichzeitig eine Strategie, die vor dem Hintergrund der vermeintlichen „russischen Gefahr“8 die eigenständige EU-Außenpolitik auf dem Altar der US-Geopolitik opfert und die Militarisierung der EU-Außenpolitik vorantreibt. Diese Entwicklung zeichnet sich bereits seit der Mitte 1990er-Jahre mit der Entstehung und Herausbildung der unipolaren Weltordnung, deren Quintessenz Ekkehart Krippendorff sehr prägnant folgendermaßen charakterisierte:

„Zwar kann der Mitmacher mitbestimmen – und jede zugehörige Regierung hat selbstredend gewisse Spielräume und kann ihre sog. >Akzente< setzen -, aber er kann die Rahmenbedingungen, die Strukturen und Mechanismen nicht verändern, welche hinsichtlich der sich in Umrissen abzeichnenden europäischen Außenpolitik im Zeichen ihrer Militarisierung stehen, über die Nato eng mit dem US-amerikanischen Militärapparat verflochten. Die seit den neunziger Jahren zu beobachtende >Militarisierung der deutschen Außenpolitik< liegt darum >voll im Trend<: >Kontinuität< und >Normalität< deutscher Außenpolitik werden zu Synonymen für Militarisierung im Kontext euro-atlantischer Hegemonie- und Dominanzhaltung.“9

Diese nunmehr seit dreißig Jahren bestehende „euro-atlantische Hegemonie- und Dominanzhaltung“ ist auf den Schlachtfeldern der Ukraine bedroht, wogegen sich die USA, die EU und die Nato vehement wehren. Deswegen kämpfen sie so erbittert um die Ukraine. Deswegen streben sie beinahe um jeden Preis eine „strategische Niederlage“ Russlands an, weil die westliche bzw. US-amerikanische Hegemonie in akuter Gefahr ist. Und eben die Aufrechterhaltung der US-Hegemonie steht im Mittelpunkt dieses Machtkampfes zwischen Russland und dem Westen um die Ukraine.

2. Die EU-Ukrainepolitik im Schlepptau der US-Geostrategie

Der außenpolitische Berater des slowakischen Premiers Robert Fico, Ľuboš Blaha, der sich selbst als einen „antiglobalistischen Neomarxisten“ bezeichnet, behauptete am 25. Juni 2024 in seinem Telegram-Kanal:

„Seien wir ehrlich: Der Westen verliert den Krieg gegen Russland. … Es besteht keine Notwendigkeit, etwas Besonderes zu tun, schnappen Sie sich einfach Popcorn und sehen Sie zu, wie die Kriegstreiber im Westen verlieren, wie ihr eigenes Volk gegen sie rebelliert, wie der Neoliberalismus auf den Boden fällt. Endlich“.

Blahas Äußerung zeigt, dass es selbst in manchen europäischen Regierungsparteien rumort und man nicht bereit ist, der EU-europäischen „Mitmacher-Außenpolitik“ im Ukrainekonflikt bedingungslos zu folgen. Der Krieg in der Ukraine ist nicht wie jeder andere seit dem Ende des Ost-West-Konflikts. Er hat die Fähigkeit, nicht nur die unipolare, sondern auch die UN-zentrierte Weltordnung aus den Angeln heben.

Aus Sicht der Transatlantiker sei der Ukrainekrieg eine direkte Folge des russischen „Neoimperialismus“ und „Revisionismus“, der die entstandene unipolare Weltordnung zu „revidieren“ versucht. Wer in derart geo- und sicherheitspolitisch verklärten Schlagworten über die Vorgeschichte und Ursachen des Ukrainekonflikts denkt und spricht, der wird darüber verwundert sein zu hören, was Putin in einer Rede im russischen Außenministerium vor dem diplomatischen Corps am 14. Juni 2024 ankündigte.

Russland sei – so Putin – zu einem Waffenstillstand und Verhandlungen bereit, wenn Kiew seine Truppen vollständig aus den Regionen DVR, LVR, Saporožje und Cherson abziehe und sich weigere, der Nato beizutreten. Moskau wäre in diesem Falle auch bereit, sofort – „bereits morgen“ – an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Bei einer derartigen Ankündigung kann vom russischen „Neoimperialismus“ und/oder einer Wiederherstellung der Sowjetunion gar keine Rede sein. Wenn man wie die EU-Europäer Ideologie an Stelle der Analyse setzt und die eigene Außenpolitik durch die sog. „Bündnissolidarität“, sprich: bedingungslose Gefolgschaftstreue gegenüber dem US-Patron, substituiert, verfällt man unweigerlich der Logik der Konfrontation, die in ihrer letzten Konsequenz zur Ausweitung des Krieges auf ganz Europa führen kann.

„Wer Solidarität sagt, will etwas haben“, hat der Rechtshistoriker Michael Stolleis (1941-2021) vor zwanzig Jahren seine lesenswerte Studie überschrieben.10 „Solidarität“ sei seiner Meinung nach „ein Wieselwort von gallertartiger Konsistenz. Es ist allgegenwärtig, gibt sich bedeutungsschwer und meist auch etwas vorwurfsvoll. Sein Kontext ist durchweg normativ. Es taucht dort auf, wo es um den Appell an Personen auf der gleichen Ebene geht. Typischerweise rufen Gruppen nach >Solidarität<, deren innere Bindungen bröckeln oder die sich in Gefahrenlagen zusammenscharen.“11

Und so scharen sich auch die EU-Europäer in ihrem Kadavergehorsam um den „allmächtigen“ US-Hegemon im Glauben, in ihm und nur in ihm jenen sicherheitspolitischen Rettungsanker gefunden zu haben, der sie von der vermeintlichen „russischen Gefahr“ retten wird. Die EU-Außen- und Sicherheitspolitik verkommt dadurch zur auf Solidaritätszwang gegründeten „Mitmacher-Außenpolitik“, die an eine Unterwerfungsbereitschaft der solidarischen Zwangsgemeinschaft appelliert.

Denn „die autoritäre Variante“ des Solidaritätszwangs enthält „den immer lauter werdenden Ruf nach Führertum und Führer, zugleich mit der Unterwerfungsbereitschaft unter den Willen eines Einzelnen, besiegelt durch den Treueschwur, der Gemeinschaft treu zu bleiben >bis in den Tod<.“12

Die bedingungslose Unterwerfungsbereitschaft unter den Willen des US-Hegemonen liegt der EU-Ukrainepolitik zugrunde. Freilich hat der Treueschwur auch sein Verfallsdatum, sobald die geo- und sicherheitspolitischen Konstellationen dem Solidaritätszwang zuwiderlaufen. Alle lautstark proklamierten Formen der Solidarität und Gefolgschaftstreue können sich schnell zersetzen, sobald unerwartete Ereignisse eintreten und die Solidarität in Frage stellen. Solche Ereignisse sind die vor unseren Augen stattfindenden geopolitischen Umwälzungen.

Je mehr sich diese Umwälzungen verfestigen und zu einem unumkehrbaren verlässlichen Trend entwickeln, desto eher steigt das Misstrauen gegen die Erfolgschancen der eingeschlagenen EU-Außenpolitik. Was sich heute in den transatlantischen Beziehungen abspielt, ist eine beispielslose Unterwerfungsbereitschaft der EU-Europäer unter den Willen des US-Hegemonen, der die bedingungslose Gefolgschaft im Ukrainekonflikt einfordert.

3. Der Ukrainekrieg als Kolonialkrieg um die Bodenschätze?

Die ganze Monstrosität, die sich mit der Militarisierung der US-Außenpolitik spätestens seit dem Kosovo-Krieg 1999 offenbart, kommt in dem Ukrainekrieg auf ihren wahren Begriff. Die ungehemmte Expansionsenergie, die sich in der transatlantischen Wertegemeinschaft (Nato + EU) im vergangenen Vierteljahrhundert aufgestaut hatte, schlug in einen regelrechten Kolonialkrieg um, der vom transatlantischen Machtestablishment als Widerstand gegen die „russische Aggression“ in der Ukraine verklärt wird.

Der eigentliche Grund für diese transatlantische Kolonialpolitik ist indes neben dem Bestreben, Russland „eine strategische Niederlage“ zuzufügen, dasjenige, was der republikanische US-Senator und Hardliner Lindsey Graham unlängst in einem Interview mit CBS am 13. Juni 2024 erklärte, dass nämlich die USA keine ukrainischen Bodenschätze an Russland oder China abgeben wollen.

Wörtlich sagte er: „Wenn wir der Ukraine jetzt helfen, kann sie der beste Geschäftspartner werden, von dem wir je geträumt haben, und wichtige Naturressourcen im Wert von 10 bis 12 Billionen US-Dollar können von der Ukraine und dem Westen genutzt werden, anstatt sie Putin und China zu überlassen.“

Die Washington Post schätzte bereits im August 2022, dass „Russland die Kontrolle über mehrere ukrainische Mineralvorkommen im Wert von 12,4 Billionen US-Dollar übernommen hat.“

Konkret verlor die Ukraine laut dieser Schätzung 63 % der Kohlevorkommen, 11 % der Ölvorkommen, 20 % der Erdgasvorkommen, 42 % der Metallvorkommen und 33 % der Vorkommen an Lithium. Und im April 2023 schätzte Forbes den Wert der Bodenschätze der Ukraine auf ca. 15 Billionen US-Dollar, wobei mehr als 70 % des Gesamtbetrags auf nur drei Regionen innerhalb der Grenzen von 1991 – Dnepropetrowsk, Donezk und Lugansk entfallen. Alle anderen ukrainischen Vermögenswerte machen zusammen weniger als ein Viertel aus.

Bereits am 17. Dezember 2023 sprach der CDU-Bundestagabgeordnete und glühende Unterstützer der Ukraine gegen die „russische Aggression“, Roderich Kiesewetter, im ARD-Bericht aus Berlin Extra u. a. unumwunden von der ökonomischen Dimension des Krieges:

„Wenn die Ukraine zerfällt, sind die Folgekosten viel größer, als wenn wir jetzt viel stärker reingehen. Und wenn Europa die Energiewende vollziehen will, braucht sie eigene Lithium-Vorkommen. Die größten Lithium-Vorkommen in Europa liegen in Donezk-Luhansk-Gebiet. Deswegen will Russland diese auch, um uns abhängig zu machen von der Energiewende mit Blick auf Elektromotoren. Also wir haben hier auch ganz andere Ziele noch im Hintergrund und deshalb brauchen wir eine vereinte Anstrengung der Bürgerinnen und Bürger, damit unsere Politik die Rückendeckung hat mehr für die Ukraine zu tun.“

Der Ausverkauf der Ukraine ist im Übrigen längst voll im Gange. Schon am 16. März 2015 berichtete die Zeit Online mit Verweis auf das German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg, dass sich rund 1,7 Millionen Hektar ukrainischen Ackerlandes in ausländischer Hand befinden – heute sind es offiziell fast 3,5 Millionen Hektar, von insgesamt 32 Millionen Hektar.

Wie die russische Nachrichtenagentur Regnum am 13. Juni 2024 berichtet, besitzt die Ukraine Eisen- und Manganerz-Reserven im Wert von mehr als 2 Billionen US-Dollar. Ein weiterer, äußerst wertvoller Rohstoff ist Titan – das wichtigste Element im Flugzeug- und Raketenbau. Einige der Titanvorkommen wurden noch nicht erkundet und dessen Hauptanteil gehörte dem ukrainischen Oligarchen Dmitry Firtasch.

Jetzt steht seine United Mining and Chemical Company unter der Kontrolle des State Property Fund of Ukraine und die ukrainische Regierung will dieses Unternehmen und mehrere Bergbau- und Verarbeitungsanlagen in diesem Jahr für einen Apfel und ein Ei verkaufen, um den Krieg finanzieren zu können. An wen dieses Unternehmen verschleudert wird, ist nicht schwer zu erraten.

So geht die Ausplünderung der Ukraine munter weiter. Auf ihrem Territorium befinden sich Vorkommen von 21 Seltenerdmetalle, die von der EU als „kritische Rohstoffe“ für die Herstellung von Geräten zur Entwicklung der „grünen Energie“ definiert werden, wie Lithium, Kobalt, Scandium, Graphit, Tantal oder Niob.

„Ungefähr fünf Prozent aller weltweiten Reserven an >kritischen Rohstoffen< befinden sich in der Ukraine, die nur 0,4 % der Erdoberfläche einnimmt“, sagte die stellvertretende Ministerin für Umwelt und natürliche Ressourcen der Ukraine, Swetlana Grinchuk, bei einem UN-Treffen der United Nations Economic Commission for Europe (UNECE).

Für den Westen bedeutet dieser Rohstoffreichtum der Ukraine vor allem die Beseitigung einer erdrückenden Abhängigkeit von China bei der Produktion von Seltenerdmetallen, die für die Herstellung von Halbleitern, 5G-Basisstationen, Solarpaneelen usw. benötigt werden. Bisher kontrollieren die Chinesen ca. 90 % des Marktes, indem sie die USA und die EU jederzeit erpressen und Exportbeschränkungen einführen können.

Wenn die Konfrontation zwischen Peking und Washington, einschließlich des Konflikts um Taiwan, zunimmt, könnte China den Export der Seltenen Erden auf die Weltmärkte vollständig blockieren.

Die Gesamtreserven an Seltenen Erden in der Ukraine schätzt man auf ca. 100 Milliarden Dollar. Das Hauptproblem besteht allerdings darin, dass deren Gewinnung äußerst schädlich für die Umwelt und die Gesundheit ist, Böden und Grundwasser verschmutzt und für die Lithiumgewinnung große Mengen Wasser (bis zu 2,27 Millionen Liter pro Tonne Lithium) erforderlich macht.

Trotz großer Flüsse kann sich die Ukraine dies nicht ohne weiteres leisten. In Bezug auf die Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochwertigem Wasser liegt sie bereits heute auf dem Niveau einiger asiatischer und afrikanischer Länder. Und die Energieprobleme führten dazu, dass zur Produktionssteigerung die Nebenflüsse des Dnjestr buchstäblich ausgetrocknet wurden und der Dnjestr selbst sehr flach wurde. Stört das jemanden im Westen? Wohl kaum.

Eine weitere wichtige Ressource der Ukraine ist Uran, dessen Reserven auf bis zu 50 Milliarden US-Dollar geschätzt werden. Die USA sind jetzt auf die Uranlieferungen aus Kasachstan und Russland angewiesen; sie sind daran interessiert, an diese wertvolle Ressource zu gelangen, ohne dafür irgendetwas zu zahlen, was in Anbetracht der gigantischen ukrainischen Schuldenberge durchaus ein realistisches Ansinnen ist.

Summa summarum: Der Westen führt in der Ukraine nicht nur einen erbitterten Machtkampf gegen den ewigen geopolitischen Rivalen Russland, sondern auch einen Kolonialkrieg im alten Stil um Rohstoffe und nährstoffreiche ukrainische Schwarzerde.

Krieg und Hegemonie sind für die USA zwei Seiten derselben Medaille. Die USA kommen nicht umhin, ihre Hegemonie ohne die gezielt provozierten Kriege und Krisen aufrechtzuerhalten. Und die Kriege – insbesondere die Proxy-Kriege – sind erforderlich, um den Aufstieg der geopolitischen Rivalen auszubremsen.

„Es bleibt“ – stellte Ekkehart Krippendorff einst resigniert fest -, „solange wir es uns gefallen lassen, von den Herrschenden regiert, manipuliert und in ihrem Spiel benutzt zu werden, die alte, einfache Weltmilitärordnung, deren Logik der Macht der Gewehrläufe entspricht, denn nur das ist die Sprache, die sie sprechen und gegenseitig verstehen. Eine menschliche Sprache aber ist das nicht.“13

Dem möchte man entgegnen: Die „Macht der Gewehrläufe“ wird bestehen, solange die Menschheit existiert, und die Machtsprache der Gewehrläufe ist wohl die einzige, worauf der US-Hegemon nie verzichten wird, solange er seine Hegemonie aufrechterhalten kann.

Anmerkungen

1. Zitiert nach Arnold, H., Deutschlands Größe. Deutsche Außenpolitik zwischen Macht und Mangel. München
Zürich 1995, 191.
2. Arnold (wie Anm. 1), 9.
3. Arnold (wie Anm. 1), 9.
4. Arnold (wie Anm. 1), 191.
5. Krippendorff, E., Kritik der Außenpolitik. Frankfurt 2000, 157.
6. Krippendorff (wie Anm. 5), 153.
7. Krippendorff (wie Anm. 5), 155.<> 8. Silnizki, M., „Die russische Gefahr“. Im Schatten des Ukrainekrieges. 20. April 2022,
www.ontopraxiologie.de.
9. Krippendorff (wie Anm. 5), 166 f.
10. Stolleis, M., Wer Solidarität sagt, will etwas haben, in: Rg 5 (2004), 49-54.
11. Stolleis (wie Anm. 10), 49.
12. Stolleis (wie Anm. 10), 50.
13. Krippendorff, E., Die alte Weltmilitärordnung, in: ders., Militärkritik. Mit einem Vorwort von Johan Galtung.
Frankfurt 1993, 128-132 (131 f.).

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