Verlag OntoPrax Berlin

Trump und das Dilemma der US-Außenpolitik

Im Lichte der Geoökonomisierung der US-Geopolitik

Übersicht

1. Die US-Außenpolitik als Synthese aus „Internationalismus“ und „Populismus“?
2. Die Trump-Chinapolitik
3. Das Selbstgefangenendilemma

Anmerkungen

„Americanism, not globalism, will be our credo.
(Donald Trump, 2016)1

1. Die US-Außenpolitik als Synthese aus „Internationalismus“ und „Populismus“?

Im Vorfeld der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahl 2024 machen sich die Transatlantiker diesseits und jenseits des Atlantiks große Sorgen über die künftige US-Außenpolitik. Was passiert in der Europa-, Nato-, Ukraine- und Russlandpolitik, wenn der Ex-Präsident Donald John Trump erneut die Wahl gewinnt und an die Macht kommt, fragen sie besorgt mit Schweißperlen auf der Stirn.

Er würde doch unsere liberale Weltordnung zerstören und damit die US-Führungsrolle in der Welt untergraben, die Nato auflösen und Europa im Stich lassen, sind sie sich ganz sicher. Neuerlich versuchte Wolfgang Ischinger dieser ängstlichen Stimmung entgegenzuwirken.

„Wer hat Angst vor Donald Trump?“, fragte er suggestiv im Handelsblatt am 11. Januar 2024, S. 9. Keine Angst vor Trump, will er damit sagen. Wir sollten uns vielmehr „wieder verteidigungsfähig oder, mit Boris Pistorius zu sprechen, kriegsführungsfähig machen“.

„Nicht Schwäche zeigen, sondern Stärke“, macht Ischinger den verängstigten EU-Europäern Mut und schließt seinen Artikel selbstbewusst mit dem Satz ab: „Das könnte am Ende nicht nur Putin, sondern sogar Trump beeindrucken.“

Auch die Transatlantiker jenseits des Atlantiks halten eine Beruhigungspille parat. Sollte es nicht möglich sein, den Wahlsieg von Trump zu verhindern, dann sollte wenigstens versucht werden, die US-Republikaner auf den Pfad der außenpolitischen Tugend zurückzuführen, um wenigstens auf diese Art und Weise die künftige Außenpolitik der zweiten Amtszeit von Donald Trump zu beeinflussen.

Einen solchen Versuch unternahm zuletzt Gerald F. Seib (Senior Mentor am Center for Strategic and International Studies). In seinem in Foreign Affairs am 9. Januar 2024 veröffentlichten umfangreichen Artikel „Can Republicans Find Consensus on Foreign Policy?machte er einen kühnen Vorschlag: Die Grand Old Party müsse ihren „neuen Populismus“ und „alten Internationalismus“ miteinander versöhnen (The GOP Must Reconcile Its New Populism and Old Internationalism).

Diesem Anliegen widmet Seib einen ganzen Artikel, der es in sich hat. Mit seiner Begründung holt er weit aus und geht bis auf die US-Außenpolitik der Eisenhower-Administration (1953-1961) zurück. Lobend spricht er von „einer aktiven Rolle der USA“ als dem „zentralen Grundsatz“ der US-republikanischen Außenpolitik seit Dwight Eisenhower bis zu Ronald Reagans „kraftvollem Internationalismus“ (muscular internationalism).

Was wir aber heute vorfinden – entrüstet sich Seib -, sei Trumps „America first“-Populismus, welcher der Globalisierung kritisch gegenüberstehe und dazu neige, sich aus der Welt zurückzuziehen. Die Schlüsselfrage würde in den kommenden Monaten sein, ob es den US-Republikanern gelingen werde, die Elemente des Internationalismus der Reagan-Ära und der „America first“-Impulse der Trump-Ära zu einer kohärenten Strategie und Weltsicht zu verschmelzen (vgl. „the key question is whether they can blend elements of Reagan-era internationalism and Trump-era >America first< impulses into a coherent strategy and view of the world).

Diese stramme Zielsetzung, den „kraftvollen Internationalismus“ eines Roland Reagans und „America first“-Populismus eines Donald Trump in Einklang zu bringen, wirft freilich zahlreiche Fragen auf: Kann die US-Außenpolitik des „Kalten Krieges“, die der bipolaren Weltordnung und dem ideologischen Systemwettbewerb entstammt, ohne weiteres auf die Ordnungsstrukturen der unipolaren Welt übertragen werden?

Können die gegensätzlichen Strömungen in der US-republikanischen Außenpolitik überhaupt miteinander versöhnt werden? Sind Reagans „Internationalismus“ und der sog. „liberale“ bzw. „konservative Internationalismus“ der US-Außenpolitik der vergangenen dreißig Jahren ein und dasselbe? Und was versteht Seib überhaupt unter Trumps „Populismus“?

Mit Berufung auf die „führenden außenpolitischen Denker der Republikanischen Partei“ glaubt Seib, „dass ein Amalgam der aktuellen widersprüchlichen Impulse der Partei sowohl notwendig als auch möglich ist“ (that an amalgam of the party’s current, conflicting impulses is both necessary and possible) und „dass die Republikaner an der Basis weniger zum Neo-Isolationismus neigen, als einige der öffentlichen Äußerungen ihrer Führer vermuten lassen“ (that rank-and-file Republicans are less inclined to neo-isolationism than some of their leaders’ public statements suggest).

Seib setzt mit anderen Worten den „America first“-Populismus mit „Neo-Isolationismus“ gleich, wogegen sich seinen Angaben zufolge das republikanische Establishment wie Mike Pence (ehem. US-Vizepräsident), Stephen Hadley (ehem. Nationaler Sicherheitsberater) und Tom Cotton (Senator aus Arkansas) vehement aussprechen.

Sie plädieren vielmehr für eine Synthese der beiden gegensätzlichen Strömungen in dem Maße, in dem Ronald Reagans Außenpolitik unter Berücksichtigung der veränderten Umstände und Zeiten möglich sei.

Konkret fordert Seib von den US-Republikanern „einen Konsens über eine Reihe von Kernfragen“ der US-Außenpolitik wie „eine nüchternere Sicht auf China“; ein klares Engagement für Taiwans Selbstverteidigung; eine Strategie, die „auf die neue chinesisch-russische Achse zugeschnitten ist; Freihandelsvereinbarungen, welche Peking ausschließen“ und „eine klare Anerkennung der wirtschaftlichen Vorteile legaler Einwanderung und Forderungen nach einer stärkeren Lastenteilung unter den US-Verbündeten“.

„Damit dieser neue außenpolitische Konsens der Republikaner politisch tragfähig bleibt, muss die Partei überzeugend dafür plädieren, dass die USA weiterhin eine aktive Rolle in der Welt beibehält“, verlangt Seib abschließend.

Was Seib hier mit einem „neuen außenpolitischen Konsens“ unter den US-Republikanern als einer Synthese der Außenpolitiken von Reagan und Trump meint, hat weder mit Reagan noch mit Trump etwas zu tun. Reagans Antikommunismus hat mit der geopolitischen Realität der Gegenwart nichts gemein. Da versucht ein „Versöhner“ Reagans konfrontative Sowjetpolitik mit einem „kraftvollen Internationalismus“ zu verklären, um der aktuellen Tagespolitik, der innerparteiischen Auseinandersetzung zwischen den US-Republikanern sowie dem außenpolitischen Dissens zwischen den US-Republikanern und US-Demokraten gerecht zu werden.

Das ist nichts anderes als eine Geschichtsklitterung. Trumps außenpolitische Intentionen werden von Seib ebenfalls missdeutet. Trumps oben zitierter Spruch aus dem Jahr 2016 „Americanism, not globalism, will be our credo“ hat weder mit einem „Neo-Isolationismus“ noch mit dem ihm von seinen innerparteiischen Gegnern und US-Demokraten unterstellten „Populismus“ zu tun.

Denn die US-Demokraten, Trump und seine Anhänger verfolgen letztlich ein und dasselbe außenpolitische Ziel: die Aufrechterhaltung und Perpetuierung der globalen Führungsrolle der USA. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die beiden mächtigsten US-Rivalen – China und Russland – aus Sicht der beiden Parteien geopolitisch und geoökonomisch neutralisiert bzw. marginalisiert werden. Der Dissens besteht lediglich in der Intensität und Priorisierung der Rivalität sowie in der Art und Weise, wie diese Rivalität ausgetragen wird und unter welchen Voraussetzungen die Rivalen neutralisiert werden.

Sehen die US-Republikaner in China geostrategisch einen viel gefährlicheren Gegner als Russland und suchen sie mit Russland im Zweifel einen machtpolitischen Modus Vivendi zu finden, so haben die US-Demokraten Russland zum Hauptfeind ihrer Geopolitik auserkoren und scheuen sich selbst nicht davor, einen Proxy-Krieg gegen Russland auf ukrainischem Boden zu führen.

Daraus ergibt sich, nebenbei gesagt, auch ein unterschiedlicher Stellenwert der Nato für die US-Geopolitik. Trägt die Nato-Allianz für die Trump-Republikaner eher einen instrumentellen Charakter („I don’t give a shit about Nato“ (Die Nato ist mir scheißegal), soll Trump gesagt haben2), so sehen die US-Demokraten in der Nato eine überragende sicherheits- und machtpolitische Bedeutung für die globale US-Führungsrolle und die Festigung des US-Hegemonialstatus in der Welt, die wie zurzeit des „Kalten Krieges“ ideologisch als Verteidigung der Demokratie und Menschenreche verklärt wird.

Dieser unterschiedlichen Priorisierung der Rivalität liegen infolgedessen unterschiedliche Vorgehens- und Legitimationsweisen zugrunde. Berufen sich die US-Demokraten stets auf ihren sog. „liberalen Internationalismus“ mit seiner Missionierung von Demokratie und Menschenrechten zwecks Legitimierung ihres Machtkampfes gegen die geopolitischen Rivalen, so scheren sich Trump und seine Anhänger nicht um ein solches ideologisches Geplänkel und verfolgen knallharte geoökonomische Machtinteressen ohne jedwede ideologische Vernebelung ihrer Geopolitik als einer geoökonomisch geleiteten Machtpolitik.

Selbst wenn man Trumps Theatralität und Hochstapelei gelegentlich zu Recht anprangert, bedeutet das noch lange nicht, dass die US-Außenpolitik der Trump-Administration substanzlos oder populistisch ist.

Man sollte die Diffamierung seiner Person durch die innerparteiischen und politischen Gegner nicht mit der Substanzlosigkeit seiner Außenpolitik verwechseln, die selbst von der Biden-Administration zumindest im Falle der Trump-Chinapolitik ohne Wenn und Aber übernommen wurde.

2. Die Trump-Chinapolitik

Worum ging es Trump außenpolitisch in seiner Amtszeit als US-Präsident (2017-2021)? Was hat ihn bewegt? Um die US-Außenpolitik der Trump-Administration besser verstehen zu können, muss man seine konfrontative Chinapolitik in Erinnerung rufen.

Die geoökonomische Konfrontation zwischen China und den USA prägte im Wesentlichen die US-Außenpolitik der Trump-Administration. Die Konfrontation lässt sich nicht wie zurzeit des Ost-West-Konflikts ideologisch als Kampf von Gut und Böse, als Gegensatz zwischen einem aggressiven chinesischen Totalitarismus und den friedfertigen, Freiheit liebenden und eine leuchtende Zukunft versprechenden „liberalen Demokratien“ des Westens verklären.

Diese ideologische Verklärung der geoökonomischen Konfrontation zieht heute nicht mehr, weil China ideologiefrei mit den gleichen ökonomischen Kampfmitteln, wie es der Westen seit eh und je praktiziert, zurückschlagen kann.

An der Spitze des Konflikts stand eine merkantilistisch geleitete Außenwirtschaftspolitik und eine technologisch eskalierende Handelspolitik der Trump-Administration, die die globale Führungsrolle der USA geoökonomisch als bedroht ansah und suchte, ihre geoökonomische Vormachtstellung mittels monetärer und technologischer Repression ebenso, wie mittels des Handels- und Justizmerkantilismus3 aufrechtzuerhalten bzw. zu verteidigen. Freund wie Feind gerieten dadurch in Mitleidenschaft.

Was die US-Chinapolitik angeht, so hat sie unmittelbar mit Chinas fulminantem Aufstieg zu einer geoökonomischen Supermacht in den vergangenen drei Jahrzehnten seit dem Ende des „Kalten Krieges“ zu tun. Chinas Aufstieg hatte zwei Ursachen: Merkantilismus und Globalisierung.

Im Gegensatz zum Aufstieg der USA zur Weltwirtschaftsmacht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam Chinas Aufstieg ohne einen einzigen Krieg aus. Das ist ein einmaliger Vorgang in der Weltgeschichte. Wie war das überhaupt möglich?

Glaubte Kay Möller noch im Jahre 2000, dass „Globalisierung ein nicht abgeschlossener Prozess“4 sei, so kann man heute eher von deglobalisierenden Tendenzen in der Weltwirtschaft sprechen, die nicht mehr aufzuhalten sind. Zwar erlebte der Globalisierungsprozess nach dem Ende des Kalten Krieges in den 1990er-Jahren und dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts seine Blütezeit; innerhalb von nur vier Jahren der Trump-Präsidentschaft hat sich aber die geopolitische Großwetterlage drastisch verändert.

Diese Prozessumkehrung ist die Folge eines schleichenden geoökonomischen Machtverlustes der USA in der globalisierten Weltwirtschaft sowie eines rasanten Aufstiegs Chinas zur zweitgrößten Weltwirtschaftsmacht, die zu dem geoökonomischen Herausforderer des amtierenden US-Hegemonen geworden ist.

Diese geoökonomische Machtverschiebung war der ausschlaggebende Grund für Trumps Geoökonomisierung der US-Geopolitik. Die USA, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges einen entscheidenden Beitrag zur Ausbildung des globalen Weltwirtschaftssystems geleistet haben, machen mittlerweile alles zur Beseitigung eben dieser von ihm selbst maßgeblich aufgebauten Weltwirtschaftsordnung.

Die Trump-Administration hat wesentlich zu dieser Deglobalisierung beigetragen. Den ersten Höhepunkt erfuhr sie im Mai 2019, als Trump beschloss, dass jedes US-Unternehmen, das Huawei beliefern möchte, ihn erst um Erlaubnis bitten müsse.

Eine weltweite gegenseitige ökonomische Abhängigkeit verband plötzlich nicht mehr, sondern diente vielmehr als geoökonomische Waffe im Kampf gegen einen technologisch und ökonomisch zu mächtig gewordenen geopolitischen Rivalen. Damit bahnte sich eine Deglobalisierung – zu Trumps Amtszeit als „Entkopplungsprozess“ (decoupling) verstanden und heute von der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, als „de-risking“ verklärt – an, die zu einem Handels- und Technologiekrieg gegen China ausartete.

Dazu trug auch der Aufruf des US-Außenministers Mike Pompeo im Juli 2020 zur „breiten Allianz gegen China“ bei. „Wir wollen erreichen, dass jede Nation, die Freiheit und Demokratie versteht, die Bedrohung begreift, die die kommunistische Partei Chinas für sie bedeutet“, rechtfertigte Pompeo ideologisch seinen geopolitisch motivierten Aufruf in einer Pressekonferenz am 21. Juli 2020.

Die Entkopplungsstrategie sei „nicht nur möglich“ – beteuerte der alte Hardliner und ehem. Nationaler Sicherheitsberater John Bolton am 16. Juli 2020 -, „sie geschieht bereits“. Bolton bezog sich darauf, dass sich eine Reihe westlicher Unternehmen seit geraumer Zeit bemüht, Zulieferer aus China durch Zulieferer aus anderen Ländern, etwa Südostasien, zu ersetzen.

Die von der Trump-Administration verschärfte handelspolitische und technologische Konfrontation zwischen den USA und China wurde nach dem Ausscheiden Trumps aus dem Präsidentenamt von der Biden-Administration nahtlos fortgesetzt.

Es war auch nichts anders zu erwarten. Die USA haben den „Kalten Krieg“ ideologisch, technologisch und ökonomisch gewonnen, den ökonomischen Aufstieg Chinas aber komplett verschlafen und erst mit Trumps Amtszeit darauf reagiert. Diese Reaktion erfolgte womöglich schon zu spät.

China ist heute der einzige geopolitische Rivale, der den Hegemonialstatus der USA tendenziell und prinzipiell geoökonomisch und technologisch in Frage stellen kann, was zwangsläufig sowohl zur Destabilisierung der global vom US-Hegemon (noch) dominierten Weltordnung als auch zur Schwächung der USA als Weltwirtschaftsmacht führen muss.

Der geoökonomische und monetäre Machtschwund der USA ist selbst verschuldet; sein Ursprung geht bereits auf die Zeiten des „Kalten Krieges“ zurück. Verstärkt und beschleunigt hat sich dieser Prozess infolge der zahlreichen militärischen Interventionen und Invasionen in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren.

Wenn man also – wie SeibTrumps „Populismus“ in der US-Außenpolitik im Gegensatz zu Reagans „Internationalismus“ beklagt, so hat er von der Geoökonomisierung der US-Geopolitik der Trump-Administration nichts verstanden. Trump hat eine geoökonomische Gefährdung der globalen Führungsrolle der USA – wie kein anderer Amtsvorgänger vor ihm – ganz genau verstanden und versuchte dagegen zu steuern.

Seine geoökonomisch induzierte Anti-China-Politik ist nichts anderes als eine Fortsetzung der US- Hegemonialpolitik mit den Mitteln handelspolitischer und technologischer Eskalationsstrategie. Es sei dahingestellt, ob Trumps Anti-China-Politik erfolgsversprechender als die von den US-Demokraten in den 1990er-Jahren praktizierte und von der Obama-Administration fortgesetzte Chinastrategie war.

Allein die Tatsache, dass Trumps Chinapolitik von der Biden-Administration nahtlos übernommen wurde, spricht für sich. Zu Recht hat der in Stanford lehrende Historiker Niall Ferguson in einem Handelsblatt-Interview vom 17.12.20, S. 14 f. bereits vor Bidens Machtübernahme im Weißen Haus vorausgesagt, dass „Biden … den harten Kurs von Trump gegenüber China beibehalten“ werde.

Es geht darum nicht – wie Seib und die anderen Kritiker von Trumps Außenpolitik suggerieren – um das falsch verstandene außenpolitische Dilemma: Internationalismus versus Populismus, sondern allein darum, wie und auf welche Weise die USA ihre globale Führungsrolle verstetigen bzw. aufrechterhalten können.

Kurzum: Der Dissens zwischen Trumps Republikanern und dessen innerparteiischen Gegnern und/oder US-Demokraten ist einer methodischen und nicht substantiellen Natur, auch wenn die Methode zugegebenermaßen unter Umständen auch die Substanz aushohlen kann.

Glaubte die Trump-Administration statt Panzer und Marschflugkörper die US-Machtinteressen mittels einer Geoökonomisierung der US-Geoplitik ohne Rücksicht auf Freund wie Feind durchsetzen zu können, so verfolgten seine Amtsvorgänger die geopolitischen Ziele mittels einer Militarisierung der US-Außenpolitik.

Heute sieht es freilich danach aus, dass die USA ihre globale Führungsrolle weder geoökonomisch noch militärisch aufrechterhalten können. Die Zeiten ändern sich und sie ändern sich nicht unbedingt zum Vorteil der USA.

3. Das Selbstgefangenendilemma

Nun entrüstet sich Seib über die „neue chinesisch-russische Achse“ (the new Chinese-Russian axis), verschweigt aber zugleich, wer daran schuld ist. Statt der Frage nachzugehen, warum es zu einer de facto informellen Allianz zwischen Russland und China gekommen ist, zitiert Seib den bereits erwähnten US-republikanischen Hardliner, John Bolton, der lieber heute als morgen die Welt in die Luft sprengen will: „Wir befinden uns in einer neuen Ära der Außenpolitik. … Die Ära nach dem Kalten Krieg ist vorbei und ich denke, sie endete mit Xi Jinpings Besuch in Moskau 2023“ (The post–Cold War era is over, and I think it ended with Xi Jinping’s visit to Moscow (in 2023)).

„Diese Reise trug dazu bei“ – kommentiert Seib Boltons Äußerung -, „eine sich abzeichnende, wenn auch noch lose Annäherung zwischen China, Iran, Nordkorea und Russland herauszukristallisieren, die alle in Opposition zu den USA stehen.

Bolton und Seib wollen oder können nicht erklären, warum es dazu gekommen ist, dass „the post–Cold War era“ zu Ende sei. Dieser Frage gehen die beiden aus dem Wege. Der Grund liegt aber zum einem in der gescheiterten amerikanischen Chinapolitik und zum anderen in der verfehlten Geostrategie gegenüber den beiden geopolitischen Rivalen.

Die US-China-Einbindungsstrategie – die sogenannte „comprehensive engagement strategy“ -, die in den 1990er-Jahren an die Stelle der „enlargement“-Strategie getreten ist,5 ist gescheitert. Im Glauben, China werde sich in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren zu einer wirtschaftlichen und militärischen Großmacht entwickeln, versuchte die Clinton-Administration diese Entwicklung zu kanalisieren und zum beiderseitigen Nutzen in die globalen, von den USA dominierten Ordnungsrahmen einzubinden.

Das Problem war allerdings, dass beide Kontrahenten von völlig unterschiedlichen strategischen Interessen und kulturellen Selbstverständnissen ausgingen.6

Seit Trumps Regentschaft schlug diese nach dem Ende des „Kalten Krieges“ vor allem von den US-Demokraten vorangetriebene Kooperation in Konfrontation um. Bereits lange vor Trump ist aber klar geworden, dass die angestrebte Kooperation letztlich – auf Sand gebaut – ergebnislos bleiben wird und China (genauso wie Russland) sich in die westlichen Strukturen nicht „integrieren“ lässt.

An dieser Desintegration Russlands und Chinas zeigt sich aber die ganze Misere der US-China- und Russlandpolitik. Die daran anschließende, auf Konfrontation angelegte US-Außenpolitik gegen die beiden geopolitischen Rivalen weist darauf hin, wie sehr es sowohl den US-Demokraten als auch den US-Republikanern am strategischen Denken des „Kalten Krieges“ mangelt und wie wenig sie bis dato verstanden haben, was sie mit ihren Außenpolitiken geopolitisch angerichtet haben.

Statt eines der geopolitischen Rivalen für sich zu gewinnen, haben zunächst die US-Demokraten Russland und dann die US-Republikaner China gegen sich in Stellung gebracht und so die beiden geopolitischen Gegner zueinander getrieben. Die Folge war eine immer enger werdende geostrategische Zusammenarbeit zwischen China und Russland, die heute zu einer regelrechten informellen Allianz ausgewachsen ist.

Folgt man dem Urteil eines einflussreichen russischen Außenpolitikers, Senator Aleksej Puškov (Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma (2011-2016) und Leiter der russischen PACE-Delegation (2012-2016)), so erlitt die US-Außenpolitik in den vergangenen Jahrzehnten „eine fatale (geo)strategische Fehlkalkulation “ (огромный стратегический просчёт США), indem sich die USA gleichzeitig gegen Russland und China in Stellung brachten.

Diese Fehlkalkulation gehe laut Puškov aus einer „Doktrin über die amerikanische Hegemonie und der Logik der amerikanischen Außenpolitik“ (из доктрины американской гегемонии и из всей логики американской политики)7 hervor. Es gab Zeiten, in denen das Projekt „Chimerica“ populär war und seine Befürworter eine Symbiose in den Beziehungen zwischen China und den USA für möglich gehalten haben. „Chimerika“ erwies sich jedoch als Chimäre.

In Washington – kritisiert Puškov diese US-Geostrategie – habe man zwei geostrategische Grundsätze des „Kalten Krieges“ vergessen. Der erste stammt von Henry Kissinger und lautet: „Washington muss immer viel bessere Beziehungen mit Moskau und Peking als Moskau und Peking untereinander haben“.

Der zweite Grundsatz stammt von einem rumänisch-US-amerikanischen Militärstrategen und Ex-Berater von Ronald Reagan, Edward Luttwak: „Die USA können sich eine Konfrontation mit Moskau leisten, falls sie nicht im Konflikt mit China stehen. Die USA können sich auch eine Konfrontation mit China leisten, falls sie nicht im Konflikt mit Moskau stehen. Eine gleichzeitige Konfrontation mit China und Moskau können die USA sich aber nicht leisten.“

Genau dieser „Kampf an zwei Fronten“ (борьба на два фронта) führen die US-Amerikaner heute. „Ich würde dies“- beteuert Puškov allen Ernstes – „eine geopolitische Demenz“ nennen, weil die USA jeden Realitätssinn verloren haben und nicht in der Lage sind, die Grenzen ihrer Macht richtig einzuschätzen. Amerika ist die Unipolarität in den Kopf gestiegen.“

Dieser Analyse des russischen Außenpolitikers kann man in der Tat nur schwer etwas entgegensetzen. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts verfuhr die US-Außenpolitik nach dem Motto: „Expansion is everything. … I would annex the planets if I coud“ (Cecil Rhodos).8

Das Hauptziel war zum einen die Ausdehnung der geopolitischen Machtprojektion in Eurasien und zum anderen eine sicherheitspolitische Neutralisierung Russlands auf dem europäischen Kontinent. Zutreffend brachte Stephen Wertheim in seiner ebenso umfangreichen wie anspruchsvollen Studie „Iraq and the Pathologies of Primacy“ (Foreign Affairs, 17. März 2023)9 diese geostrategische Zielsetzung der US-Außenpolitik oder – wie er es nennt – die „vision of American hegemony“ auf den Punkt, indem er feststellte: Die USA strebten danach, „das Machtgleichgewicht durch die amerikanische Übermacht zu substituieren“ (replace balances of power with an American preponderance of power).

Diese geostrategische Idee fixe ist zum Verhängnis der US-Außenpolitik geworden. Und hier kam Trump mit seiner Geoökonomisierung der US-Geopolitik ins Spiel und löste ungewollt einen seit Jahren schwelenden, aber immer wieder unten den Teppich gekehrten Konflikt des US-Hegemonen mit sich selbst aus.

Die Trump-Administration kam nämlich zu dem Schluss, dass sich für die USA infolge einer zunehmenden geoökonomischen Erosion ihrer globalen Führungsrolle die bestehende Weltwirtschaftsordnung nicht mehr auszahle und dass neue Spielregeln zu Gunsten der eigenen nationalen wohlfahrtsstaatlichen Wirtschaftsinteressen erforderlich seien.

Trumps Problem war nur, dass der US-Hegemon der Gefangene seiner selbst geworden ist und sich nicht ohne Weiteres aus dieser Selbstgefangenschaft befreien kann. Er befindet sich in einem Selbstgefangenendilemma:

  • Verzichtet er ganz oder „nur“ teilweise auf die etablierten Spielregeln der globalisierten Weltwirtschaftsordnung zu Gunsten der eigenen nationalökonomischen Wohlfahrtsinteressen, gefährdet er seine globale Führungsrolle und die darauf gegründete monetäre Stellung als Weltgeldproduzent.
  • Verzichtet er hingegen auf seine merkantilistisch geleitete Außenwirtschaftspolitik, kann er das selbstgestellte Ziel abschreiben, die Ungleichgewichte im Außenhandel abzubauen, mit der Konsequenz einer weiteren Zunahme von Importüberschüssen, eines weiteren Ausbaus seiner Schuldnerposition und zuallerletzt eines weiteren Beschäftigungsrückgangs im Inland.

Die Biden-Administration hat dieses Selbstgefangenendilemma der Trump-Administration mit einer weiteren Militarisierung der US-Außenpolitik bei der gleichzeitigen Verschärfung der monetären und handelspolitischen Sanktionen bis zum totalen Sanktionskrieg gegen Russland nur noch vergrößert, was zur Gefährdung – wenn nicht gar zur Beseitigung – der monetären Vormachtstellung der USA führen könnte.

Die USA können sich im Grunde weder den Selbstverzicht auf ihre geopolitische Weltdominanz noch einen Selbstverzicht auf die eigenen wohlfahrtsstaatlichen Interessen leisten. Beide Ziele gleichzeitig zu erreichen, kann und wird es nicht geben.

Aus dieser ausweglosen Position ergibt sich das Selbstgefangenendilemma: Der Selbstverzicht auf die militärisch fundierte US-Außenpolitik und deren Substituierung durch eine geoökonomisch und merkantilistisch geleitete Außenwirtschaftspolitik (wie die Trump-Administration (2017-2021) es praktizierte und Trump es heute nach wie vor anstrebt) schmälert die globale Führungsrolle der USA; die Militarisierung der US-Außenpolitik sowie die zahlreichen Sanktionskriege (wie die Biden-Administration es heute praktiziert) gefährden wiederum die wohlfahrtsstaatlichen US-Machtinteressen und die monetäre Vormachtstellung der USA als Weltgeldproduzent.

Die einzige Lösung scheint eine permanente Chaosstrategie zu sein, begleitet von einer ununterbrochenen geoökonomischen und militärischen Eskalation zur Erzwingung der eigenen monetären, handelspolitischen und geopolitischen Unverzichtbarkeit im globalen Raum, ohne freilich das unlösbare Dilemma überwinden zu können.

Neigten die vorangegangenen US-Administrationen eher zu militärischen Interventionen und schlug das Pendel mit Trumps Regentschaft in die andere, vermeintlich „elegantere“, „friedlichere“ Richtung aus, so priorisiert die Biden-Administration erneut eine militärische Option der US-Außenpolitik bei einer gleichzeitigen Beibehaltung der geoökonomischen Strategie der Trump-Administration, ohne freilich einen geoökonomischen und mittlerweile auch militärischen Machtschwund der USA stoppen zu können.

Suchte die Trump-Administration nach dem Motto „Märkte statt Militär“ das zu erreichen, was den vorangegangenen US-Administrationen militärisch misslang: eine „friedlichere“, „nur“ außenwirtschaftspolitisch erzwungene Aufrechterhaltung bzw. Stabilisierung der geoökonomischen und geopolitischen Vormachtstellung der „unverzichtbaren Nation“ im globalen Raum, so gelingt es der Biden-Administration heute weder eine militärische (wie im Fall des Ukrainekrieges) noch eine geoökonomische Durchsetzung (siehe u. a. den Sanktionskrieg gegen Russland) ihrer geopolitischen Machtinteressen.

Wie konnte es dazu überhaupt kommen? Hegemonie ist keine philanthropische Veranstaltung. Der Hegemon produziert nur dann eine stabile Weltordnung, wenn er erstens seinen Eigeninteressen dient und er zweitens dazu auch in der Lage ist. Der Aufstieg der Volksrepublik China zu einem mächtigen und ernst zu nehmenden geoökonomischen Akteur, Russlands Wiedergewinnung der militärischen Potenz und dessen Aufstieg zu einem geopolitischen Konkurrenten und schließlich die monetäre Selbstschwächung bzw. die finanzielle Selbstüberforderung des US-Hegemonen infolge der zahlreichen militärischen Interventionen und Invasionen zwangen die Trump-Administration geradezu zu einer Geoökonomisierung der US-Geopolitik.

Der US-Hegemon büßte dessen ungeachtet seine geopolitische Fähigkeit ein, die Großmächte China und Russland in seinem Sinne zu „integrieren“. Das ist der eigentliche Casus knacksus! Es war auch absehbar, dass es nicht so weiter gehen kann und dass ohne den Paradigmenwechsel in der US-Außenpolitik nicht nur die geoökonomische Weltdominanz der USA, sondern langfristig auch ihre geopolitische Vormachtstellung erodieren würde.

Die US-Außenpolitik der Trump- und Biden-Administration hat uns freilich gezeigt, dass weder eine merkantilistisch geleitete noch eine militärisch fundierte Geopolitik zielführend waren und die globale Führungsrolle der USA gestärkt haben.

Die bestehende Weltordnung und die noch halbwegs globalisierte Weltwirtschaft stehen heute am Scheideweg und vor der Gefahr, dass der globale Raum in mehrere, voneinander nur bedingt abhängige wirtschaftliche und politische Machträume zerfallen könnte, die nicht gewillt sind, sich der Pax Americana bedingungslos anzuschließen.

Vor diesem Hintergrund ist es völlig unverständlich, wenn Seib am Ende seiner Schrift trotz alledem „für einen neuen republikanischen Internationalismus“ (for a new Republican internationalism) plädiert und erneut Bolton zitiert, der seinerseits mit Verweis auf Reagan über einen „Frieden durch Stärke“ (peace through strength) phantasiert und damit einer weiteren Militarisierung der US-Außenpolitik das Wort redet. Nichts Neues „im Reich der unbegrenzten Möglichkeiten“!

Anmerkungen

1. Zitiert nach Seib, G. F., „Can Republicans Find Consensus on Foreign Policy? Foreign Affairs, 9.01.2024.
2. Trumps Äußerung hat John Bolton in die Welt gesetzt (Zitiert nach Graham Allison, Trump Is Already
Reshaping Geopolitics. How U.S. Allies and Adversaries Are Responding to the Chance of His Return.
Foreign Affairs, January 16, 2024).
3. Siehe dazu Silnizki, M., Geoökonomie der Transformation in Russland. Gajdar und die Folgen. Berlin 2020,
103; Lohman, S., Extraterritoriale US-Sanktionen. Nur US-Gerichte können den weltweiten Vollzug
nationalen Rechts wirksam begrenzen, SWP. Aktuell 2019/A 31, Mai 2019.
4. Möller, K., Ostasien nach der Krise: Globalisierung und Sicherheit, in: Scherpenberg, J. van/Schmidt, P.
(Hrsg.), Stabilität und Kooperation: Aufgaben internationaler Ordnungspolitik. Baden-Baden 2000, 83-100
(83).
5. Näheres dazu Kay Möller, Hegemoniale Herausforderung und wirtschaftliche Zusammenarbeit: Die USA und
China, in: Rudolf, P./Wilzewski, J. (Hrsg.), Weltmacht ohne Gegner. Amerikanische Außenpolitik zu Beginn
des 21. Jahrhunderts. Baden-Baden 2000, 65-86 (65).
6. Vgl. Silnizki, M., Anti-Moderne. US-Welthegemonie auf Abwegen. Berlin 2021, 65 ff.
7. Näheres dazu Silnizki, M., Russlands geopolitisches Weltbild. Aleksej Puškovs Analyse der US-Außenpolitik.
31. Mai 2023, www.ontopraxiologie.de.<> 8. Zitiert nach Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. München Zürich 1967, 218.
9. Vgl. Silnizki, M., „Globale Dominanz als Selbstzweck“? Zur Frage nach den „Pathologies of Primacy“ in
der US-Außenpolitik. 29. März 2023, www.ontopraxiologie.de.

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