Verlag OntoPrax Berlin

Spielt Putin auf Zeit oder auf Sieg?

Zum Stand der Friedensgespräche

Übersicht

1. Waffenstillstand oder Kapitulation?
2. „Putin’s Play for Time“?

Anmerkungen

„Hegel bemerkt irgendwo, dass alle großen Tatsachen und Persönlichkeiten
der Weltgeschichte sozusagen zweimal auftreten. Er vergaß hinzuzufügen:
das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce.“
(Karl Marx) 

1. Waffenstillstand oder Kapitulation?

Welche Strategie verfolgt Europa in der Ukraine, nachdem die Trump-Administration immer mehr auf Distanz zum Ukrainekonflikt geht und den Ukrainekrieg den europäischen Nato-Verbündeten überlässt?

Es gibt zwei diametral entgegengesetzte, nicht desto weniger aber gleichwertige Strategien, die zur Diskussion stehen: Entweder muss der Krieg durch einen bedingungslosen Waffenstillstand sofort gestoppt und dauerhaft eingefroren werden. In diesem Fall bekommt die Ukraine eine Verschnaufpause. Das angeschlagene und geschwächte ukrainische Militär kann sich dann konsolidieren, sich neu aufstellen, massiv aufrüsten und sich erneut in Stellung gegen Russland bringen.

Oder: Der Krieg muss in der Hoffnung fortgesetzt werden, dass Russland erschöpft wird, nicht weiterkämpfen kann und die EU-Europäer genügend Zeit haben werden, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Dass dabei zuallererst die Ukraine unter die Räder kommt, wird billigend in Kauf genommen.

Wenn man den offiziellen EU-Verlautbarungen zuhört, dann priorisieren die EU-Europäer eine bedingungslose Waffenstillstandsstrategie. Sie erhoffen dadurch einen Zeitgewinn, um die Ukraine massiv aufzurüsten, sie auf den nächsten Krieg vorzubereiten und nicht zuletzt die eigene europäische Rüstungsindustrie ankurbeln zu können.

Deswegen fordern sie einen sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand. Zuletzt wiederholte der Bundeskanzler, Friedrich Merz, diese Forderung am 27. August 2025, als er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Moldaus Präsidentin Maia Sandu, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Polens Ministerpräsident Donald Tusk in der moldauischen Hauptstadt Chişinău zu Maia Sandu sagte:

„Wir kennen die Sorge, mit der Sie das Geschehen an der Front und den russischen Krieg jeden Tag verfolgen. Ich will es daher auch von dieser Stelle aus noch einmal sagen: Dieser Krieg muss aufhören. Wie Sie wollen wir, dass die Waffen in der Ukraine endlich schweigen, am besten heute und sofort, aber nicht um jeden Preis. Wir wollen keine Kapitulation der Ukraine. Eine solche Kapitulation würde Russland nur Zeit geben, und diese Zeit würde Putin nutzen, um den nächsten Krieg vorzubereiten. Deshalb wollen und brauchen wir einen Frieden, der hält. Daran arbeiten wir mit großer Intensität gemeinsam mit unseren Partnern in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Europa. Wir tun das für die Ukraine, aber wir tun das auch für uns selbst. Wir tun das auch für Moldau.“

Merz plädiert, stellvertretend für die gesamte EU, für einen „sofortigen“ Waffenstillstand, aber „nicht um jeden Preis“. Das heißt: Merz will einen „sofortigen“, aber bedingten und nicht bedingungslosen Waffenstillstand, wie er bis dato unentwegt verlangte. Und diese Bedingung lautet: „keine Kapitulation der Ukraine“.

Seine Begründung ist dabei sonderbar: Käme es zur Kapitulation, würde Putin quasi automatisch „den nächsten Krieg vorbereiten“. Es ist zwar nicht ungewöhnlich, wenn man sich auf einen Krieg vorbereitet, lautet doch der alte römische Spruch: „Si vis pacem para bellum“ (Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor).

Merz´ Äußerung läuft aber auf etwas ganz anderes hinaus. Er unterstellt Putin einen ungebrochenen Militarismus und will damit nicht nur den westlichen Militarismus, der mit seinen zahlreichen Interventionen und Invasionen des vergangenen Vierteljahrhunderts der Welt viel Leid und Zerstörung gebracht hat, vergessen lassen, sondern auch die Hintergründe des Ukrainekonflikts verschleiern.

Zugleich setzt Merz einen „sofortigen“ Waffenstillstand ohne Kapitulation mit „Frieden“ gleich, „der hält“, und nimmt dabei eine Begriffssubstitution vor. Waffenstillstand und Frieden sind nämlich nicht ein und dasselbe. Waffenstillstand kann auch gezielt als Verschnaufpause missbraucht werden, um anschließend den vorübergehend unterbrochen Konflikt fortsetzen zu können, ohne Frieden schaffen zu wollen, wohingegen die Friedensverhandlungen auch ohne den Waffenstillstand stattfinden können, wie beispielsweise die Verhandlungen zur Beendigung des Vietnamkrieges gezeigt haben.1

Mit seiner Begriffssubstitution betreibt Merz entweder eine gezielte Irreführung der öffentlichen Meinung oder verkennt die wahren Absichten der ukrainischen Regierung, die aus durchsichtigen Gründen bewusst und gezielt jede friedliche Regelung des Konflikts torpediert, oder ihm fehlen einfach militärhistorische Kenntnisse, die darauf hindeuten, wie der Ukrainekrieg beendet werden könnte.

Kennt Merz aber überhaupt die Hintergründe des Konflikts? Wenn er Putin eine Vorbereitung zum nächsten Krieg unterstellt, so ist das entweder pure Demagogie oder fehlende Kenntnisse der russischen Geo- und Sicherheitspolitik. Als besorgter Bürger fragt unsereiner dann irritiert: Von welchen Russlandexperten lässt Merz sich beraten?

Oder behauptet er etwas ins Blaue hinein, ohne sich dessen bewusst zu sein, was er da sagt? Man hat des Öfteren den Eindruck, als würde Merz immer noch Oppositionsführer und nicht Bundeskanzler sein. Und wie will er einen „sofortigen“ Waffenstillstand ohne die Kapitulation der Ukraine erreichen?

Ein sofortiger Waffenstillstand ist nur möglich, wenn die Ukraine kapituliert. Will sie nicht kapitulieren, dann gibt es auch keinen sofortigen Waffenstillstand.

Im Gegensatz zu Merz hat Trump das ganz genau verstanden und nach dem Gipfeltreffen in Alaska öffentlich auch kundgetan, weil er offenbar begriffen hat, dass der Krieg für die Ukraine verloren geht, und darum nicht auf der Seite des Verlierers, Selenskyj, stehen will.

Es geht in der Tat nicht mehr darum, ob die Ukraine verliert, sondern allein darum, wann sie es tut. Und deswegen plädiert Trump mittlerweile für Friedensverhandlungen ohne einen sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand, den der „Westen“ nur zu Kapitulationsbedingungen bekommen kann.

Genau diese ukrainische Kapitulation will Trump aber unbedingt verhindern, weil die Kapitulation, sollte sie in seiner Amtszeit stattfinden, auch seine Kapitulation und zugleich auch die Kapitulation bzw. Schmach für die Nato selbst sein würde, ohne die dieser dreieinhalb Jahre andauernde Krieg unmöglich wäre.

Dass Merz das immer noch nicht begriffen hat, macht seiner Stellung als Bundeskanzler keine Ehre. Offenbar weiß er nicht einmal oder tut so, als würde er das nicht wissen, was der investigative Journalist, Adam Entous, bereits am 30. März 2025 in seinem Bericht für die New York Times veröffentlichte.

Unter der Überschrift „Key Takeaways From America’s Secret Military Partnership With Ukraine“ enthüllte Entous, wie sehr die USA im Ukrainekrieg involviert waren.

Entous veröffentlichte eine umfangreiche Untersuchung darüber, wie Kiew und Washington seit beinahe drei Jahren eine geheim gehaltene Partnerschaft in den Bereichen der Geheimdienste, Strategie, Planung und der militärischen Durführung pflegten – eine Partnerschaft, die nur einem kleinen Kreis der US- amerikanischen und EU-europäischen Beamten bekannt war.

Laut der Untersuchung hat der US-Stützpunkt im Wiesbaden stets den ukrainischen Streitkräften die Koordinaten russischer Truppen auf russischem Territorium übermittelte. Die Operation trug den Namen „Task Force Dragon“.2

Weiß Merz wirklich nicht, was in seinem eigenen Haus passiert? Hat er immer noch nicht begriffen, dass weder ein sofortiger Waffenstillstand noch die Fortsetzung des Krieges eine Option ist? Sollte der Krieg fortgesetzt werden, würde das auch zu einer Totalniederlage der Nato führen.

Wenn Merz sich über die Konsequenzen einer solchen Niederlage nicht im Klaren ist, sollte er den britischen Ex-Premier, Boris Johnson, fragen, der im Gegensatz zu seinem inkompetenten Amtsnachfolger, Keir Starmer, diese Konsequenzen mit einer kaum zu übertreffenden Klarheit deutlich gemacht hat:

„Eine Niederlage der Ukraine wäre aber vor allem – um es ganz deutlich zu sagen – eine katastrophale Niederlage für die Nato. Es wäre die Explosion der Aura der Nato-Unbesiegbarkeit, die uns – den Briten – in den letzten 80 Jahren Sicherheit gewährt hat“ (Above all, a defeat for Ukraine would be – let us not mince our words – a catastrophic defeat for Nato, the explosion of the aura of Nato invincibility that has helped keep us – the British – safe for the past 80 years).3

Die Infragestellung der „Aura der Nato-Unbesiegbarkeit“ (the aura of Nato invincibility) machte Johnson bereits 2024 besorgt und macht Trump im Jahr 2025 zu denken. Deswegen führt er mit Putin Gespräche zur Beendigung des Krieges.

Hätte Boris Johnson diese Erkenntnis schon in März/April 2022 gehabt, hätte er sich nicht getraut, die Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zu torpedieren. Merz hat das bis heute nicht begriffen, weil er sich immer noch wie ein Oppositionsführer verhält und Posieren und Opponieren mit Regieren verwechselt.4

2. „Putin’s Play for Time“?

Einen Tag vor den deutsch-französischen Regierungsberatungen sagte Merz bei einem Treffen mit Macron in dessen Sommerresidenz an der Côte d’Azur am 28. August 2025: „Die Entwicklung auf dieser Welt zeigt, wie wichtig es ist, dass wir ein Machtfaktor werden auf der Welt – ökonomisch, politisch, auch sicherheitspolitisch.“

Wer stets vom „Machtfaktor“ spricht und Macht einfordert, hat keine; er ist machtlos und wird durch eine ständige Machteinforderung nicht mächtiger. Ganz im Gegenteil: Er stellt seine Machtlosigkeit zur Schau. Von Macht spricht man nicht, man übt sie aus. Diese Binsenwahrheit der Geopolitik ist offenbar immer noch nicht in die Köpfe der EU-europäischen Scheinriesen unter der machtlosen Führung von Macron und Merz vorgedrungen.

Deswegen reden sie gern und oft davon, mit Putin aus einer „Position der Stärke“ zu verhandeln und warnen ihn machtlos, wie sie sind, bei den Friedensverhandlungen „auf Zeit zu spielen“. Das Komische daran ist, dass sie sich selbst aus dem Verhandlungsprozess ausgeschlossen haben und Putin seinerseits gar nicht vorhat, mit ihnen zu verhandeln, sodass dieses Posieren aus einer „Position der Stärke“ ins Leere geht.

Merz und Co. simulieren die „Stärke“, die sie nicht haben, und weigern sich zu begreifen, dass sie mit ihrer Simulation nicht nur Russland, sondern auch den Rest der Welt kaum beeindrucken können. Gleichwohl droht Merz Russland unentwegt mit „neuen Sanktionen“. Sollte Russland keinem Waffelstillstand zustimmen, werde es „massive Hilfen“ für die Ukraine und Sanktionen gegen Russland geben, sagte er bei seinem Besuch in Kiew am 10. Mai 2025, als hätten die bereits beschlossenen knapp dreißig Tausend Sanktionen die gewünschte Wirkung entfalten können.

Bei seinem Treffen mit Kanadas Premierminister Mark Carney in Berlin warf Merz Moskau „Verzögerungsstrategie“ vor. Damit wollte er offenbar der deutschen Öffentlichkeit sagen, dass Putin auf Zeit spiele. Seit dem Gipfeltreffen in Alaska ist dieser Vorwurf zum Lieblingsthema der EU-Politmatadoren und ihrer Claqueure hüben wie drüben des Atlantiks geworden.

Putin’s Play for Time“ (Putins Spiel auf Zeit) überschrieb der von „Putins Krieg“ nach Berlin geflüchtete Russe, Alexander Gabuev, der mittlerweile zum Direktor des Berliner Carnegie-Zentrums aufgestiegen ist5, seinen Beitrag für Foreign Affairs am 26. August 2025.

Der allerseits hochgelobte „Russlandexperte“ hat auch diesmal die russische Außen- und Sicherheitspolitik missverstanden und missdeutet, indem er das Gipfeltreffen in Alaska unzutreffend analysiert und die geopolitische Dimension des Ereignisses vollkommen verkannt hat. Es ist auch nicht nachvollzierbar, warum man in Europa all jene Russen, die nach Europa flüchten, für große Russlandexperten hält, nur weil sie sich als Putins Gegner verkaufen.

In wenigen Fällen sind sie Russlandexperten, sondern vielmehr Geschäftemacher in eigener Sache. So auch in unserem Falle!

„Russland spielt mit Trump auf Zeit“ (Russia is playing Trump for time), um ihn in die Irre zu führen, um sein strategisches Ziel – die Unterwerfung der Ukraine – erreichen zu können, beteuert Gabuev.

Empört wirft er Putin vor, dass es ihm gelungen sei, Trump darin zu überzeugen, sich auf eine umfassende Lösung zur Beendigung des Krieges zu konzentrieren, statt auf einen bedingungslosen Waffenstillstand zu beharren. Er gaukele der Trump-Administration nur vor, ernsthafte Zugeständnisse machen zu wollen.

Allein diese dem Kreml gemachten Unterstellungen zeigen, wie wenig Gabuev die Intentionen der sog. „Speziellen Militärischen Operation“ (SVO) begriffen hat, und wie krampfhaft er sich darum bemüht, die Bestrebungen des Kremls, den Ukrainekonflikt auf friedlichem Wege lösen zu wollen, zu diskreditieren.

Gabuev will nicht einmal die hinlänglich bekannten Ziele der SVO wahrhaben, die bereits seit Februar 2022 unverändert bestehen und die die Pressesprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, zuletzt am 29. August 2025 in einer Pressekonferenz zum wiederholten Mal klargemacht hat: „Entmilitarisierung, Entnazifizierung, neutrale, block- und nuklearfreie Ukraine sowie die Anerkennung territorialer Realitäten und die Gewährleistung der Rechte der russischsprachigen Bevölkerung.“

„Nur unter diesen Bedingungen wird die SVO enden“, betonte Sacharowa und stellte sogleich fest, dass „die Sicherheitsgarantien für die Ukraine keine Bedingung, sondern das Endergebnis des Friedensprozesses sein sollten“, wohingegen die in den EU-Hauptstädten „einseitig diskutierten Sicherheitsgarantien allein auf die Eindämmung (Containment) Russlands ausgerichtet sind“.

Die Rückkehr zum „Kalten Krieg“ ist das letzte, was der Kreml akzeptieren wird. Zu alledem merkte Putins Pressesprecher, Dmitrij Peskov, an, dass die Einzelheiten der Verhandlungen zwischen Putin und Trump in Alaska im Interesse einer Konfliktlösung in der Ukraine bewusst nicht preisgegeben würden.

Will man nun den aktuellen Stand der Friedensgespräche auf einen Nenner bringen, so wird immer deutlicher, worauf sie hinauslaufen: auf ein Friedensdiktat oder eine militärische Friedenserzwingung, sollte sich die Ukraine auf das russische Friedensdiktat nicht einlassen. Ob Merz, Macron und die anderen europäischen Scheinriesen damit einverstanden sind oder nicht, spielt dabei die geringste Rolle. Putin spielt auf Sieg, nicht auf Zeit!

Anmerkungen

1. Näheres dazu Silnizki, M., Zwischen Krieg und Frieden. Setzen die Friedensverhandlungen einen
Waffenstillstand voraus? 8. Juni 2025, www.ontopraxiologie.de.
2. Vgl. Silnizki, M., Amerika in geheimer Mission. Der US-Proxykrieg gegen Russland. 1. April 2025,
www.ontopraxiologie.de.
3. Zitiert nach Silnizki, M., Die Erzfeinde. Great Britain und Russland. 9. Oktober 2024,
www.ontopraxiologie.de.
4. Vgl. Silnizki, M., Russlandpolitik unter Kanzler Merz. Posieren statt Regieren? 3. August 2025,
www.ontopraxiologie.de.
5. Näheres dazu Silnizki, M., Nichts Zweideutiges. Gabuev in seiner Anti-Putin-Mission. 22. Juli 2025,<> www.ontopraxiologie.de; des., Russische „Denkfabrik“ in Berlin. Carnegie Russia Eurasia Zentrum. 28. April 2025, www.ontopraxiologie.de.

Nach oben scrollen