Lieber Krieg als Frieden?
Übersicht
1. Die Spaltung des „Westens“
2. Feindschaft als konstitutives und konstituierendes Prinzip
3. Karaganows Feldzug gegen Europas Revanchismus
Anmerkungen
„Um die Wahrheit zu sagen: … wenn Putin eskaliert – und dazu hat er
jetzt die Chance – was bleibt dann von Europa? Nicht viel.“
(Gabrielius Landsbergis, Litauens Ex-Außenminister )1
1. Die Spaltung des „Westens“
Russland und Europa! Vor dem Hintergrund einer radikalen Kehrtwende in der US-amerikanischen Russlandpolitik ist das ewige Thema der europäischen Geschichte „Russland und Europa“ heute aktueller denn je, wehren sich die EU-Eliten doch mit Händen und Füssen gegen die Friedensverhandlungen der Trump-Administration.
Die gestern noch als ewig geglaubten und hochgehaltenen Prinzipien der Anti-Russland-Koalition scheinen heute überholt zu sein und nicht mehr zu gelten; ja, sie werden regelrecht zertrampelt. Es wird nie wieder so sein, wie es mal war! Oder doch?
Die anscheinend nie enden wollenden Spannungen in den Beziehungen zwischen Russland und Europa erleben heute eine neue Phase. Nur welche? Krieg und Frieden liegen nah beieinander und Europa weiß (noch) nicht, wofür es sich entscheiden soll.
Seit drei Jahren tobt ein blutiger Ukrainekonflikt und die EU-Europäer fühlen sich in diesem Konflikt, in den sie zunächst widerwillig hineingezogen wurden, woran sie sich dann umso eifriger beteiligt haben, im Stich gelassen.
Mit Trumps Machtübernahme im Weißen Haus und der Ablösung der Kriegsadministration unter Biden, der laut Trump den Ukrainekrieg provoziert habe, ist der Frieden in aller Munde. „Dieser Krieg hätte nie stattgefunden, wäre ich an der Macht“, beteuert Trump immer und immer wieder.
Und die EU-Europäer? Sie sind erschrocken und wissen nicht, was sie sagen sollen. Sie sträuben sich gegen Trumps Friedensrhetorik und fühlen sich verkauft und verraten. Sie wittern ein „Friedensdiktat“ und unterstellen Trump und Putin ein Komplott gegen die Ukraine und Europa.
„Lieber Krieg als Frieden“, ertönt deswegen eine Stimme aus einem „friedlichen“ Dänemark stellvertretend für das gesamte EU-Establishment. Wörtlich sagte die dänische Premierministerin, Mette Frederiksen (geb. 1977), in der TV-Sendung „21 Søndag“ am 23. Februar 2025: „Ich verstehe, wenn viele Menschen denken, dass eine friedliche Lösung oder ein Waffenstillstand eine gute Idee sei, aber wir laufen Gefahr, dass der Frieden in der Ukraine tatsächlich gefährlicher ist als der Krieg, der jetzt stattfindet.“
Mit ihrer Meinung steht sie in der EU nicht alleine da. Sie verkörpert die Mehrheitsstimmung der Eurokraten und der EU-Eliten. Diese kriegslüsterne junge Politikergeneration wird den Völkern Europas ahnungslos, wie sie ist, nur Krieg und Verderbnis bringen. Galt jahrzehntelang die Parole „Verhandlungen und Diplomatie sind besser als Krieg“, so soll heute die Devise gelten: „Frieden ist gefährlicher als Krieg“!
Drei lange Jahre predigte die Biden-Administration den Krieg, um Russland „eine strategische Niederlage“ zuzufügen, und der ehem. Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell (2019-2024) sekundierte: Der Krieg werde auf dem Schlachtfeld entschieden.
Und jetzt soll all das vorbei und der Krieg nur Schall und Rauch sein? Washington möchte vom Krieg nichts mehr wissen, fordert die sofortige Waffenruhe und will verhandeln. Und die EU-Europäer? Sie sind nicht dabei! Die transatlantische Gemeinschaft, genannt „der Westen“, ist gespalten. Die durch die Trump-Administration ausgelöste Annährung an Russland hat Freund wie Feind und vor allem die EU-Europäer auf dem falschen Fuß erwischt und zutiefst verunsichert.
Mit einer solch radikalen Kehrtwende der US-Russlandpolitik haben sie nicht gerechnet. Jahre, ja Jahrzehnte zu einer Feindschaft gegen Russland erzogen und seit drei Jahren auf einen Krieg gegen die russische „Aggression“ getrimmt, sehen sie sich nunmehr mit dem Phänomen Trump konfrontiert, der ihnen mental, emotional und ideologisch zuwider ist.
Blindwütig und wutschäumend schlagen sie um sich, stellen öffentlich ihre ganze Empörung und Entsetzen über Trumps Zerstörung ihres Feindbildes Russland zur Schau, um im nächsten Schritt ohnmächtig zuzusehen, dass die Geschichte ohne ihr Zutun gemacht wird und dass sie horribile dictu nicht dabei sind.
So etwas durfte gar nicht passieren, empören sich die kriegsbegeisterten Eurokraten unter Ursula Gertrud von der Leyen an der Spitze. Nun liegen ihre überkommenen und lang gepflegten geopolitischen Glaubensbekenntnisse in Trümmern.
Und an allem sei der „Verräter“ Trump schuld. Er hat „die ukrainische Sache“ verraten und verkauft und Europas unerschütterlicher Glaube, dass alles Böse und Aggressive aus dem „Osten“ kommt, in Frage gestellt.
2. Feindschaft als konstitutives und konstituierendes Prinzip
Was nun? Jetzt müssen die EU-Europäer sich entscheiden: entweder den Krieg allein ohne den großen Bruder aus Übersee zu führen oder sich schicksalergeben dem Unabwendbaren zu beugen und das Unvermeidbare – das Ende des Traumes vom Sieg über den „Aggressor“ Putin – akzeptieren.
Wie auch immer sie sich entscheiden, die beiden Handlungsoptionen sind für sie Horrorszenarien. Krieg gegen Russland ohne die USA zu führen, sind sie nicht in der Lage. Und das Eingeständnis, drei Jahre lang mit ihren Kriegszielen einem fatalen Irrtum unterlegen zu sein, wäre ein Alptraum. Ihr Selbst- und Weltbild wäre dann in Frage gestellt und sie stünden wie ein begossener Pudel da.
Denn „welche Wahrheiten“ – fragte einst der französische Freidenker Saint-Évremond (1613-1703) – „können so zuträglich sein, wie jene guten Irrtümer, die einen von dem Gefühl des Bösen, das wir haben, befreien, und uns das Gefühl des Guten zurückgeben, das wir nicht mehr haben?“2
Ja, die Europäer! Drei hundert Jahre lang führten sie erfolglose Kriege gegen Russland und können immer noch nicht von „jenen guten Irrtümern“ sein lassen, die sie vom Gefühl der Unterlegenheit und Ohnmacht, die sie haben, befreien und Ihnen das Gefühl der Überlegenheit und Übermacht geben, die sie nicht haben und vermutlich auch nie haben werden.
Und jetzt? Müssen sie jetzt all jene „guten Irrtümer“ auf einmal über Bord werfen? Es scheint so zu sein. Und das sagt ihnen nicht nur Trump. Neuerlich hielt der US-Ökonom und Prof. der Columbia University, Jeffrey Sachs (ehem. Berater der polnischen Regierung (1989), Gorbačovs u. Jelzins Berater (1990/93) sowie Berater des ukrainischen Präsidenten Kučma, 1993/94) am 25. Februar 2025 im Europäischen Parlament eine Rede zum Thema „Geopolitik des Friedens“.
Und was er sagte, war für das EU-Establishment so sehr unangenehm, dass in den größten britischen, französischen, deutschen, spanischen und italienischen Zeitungen keine einzige Zeile zu seiner Rede zu finden war.
Der Grund für das Totschweigen der Rede erklärte der ehem. stellvertretende UN- Generalsekretär und heutige Europaabgeordnete, Michael von der Schulenburg, der Jeffrey Sachs ins Europäische Parlament eingeladen hat, mit den Worten:
„Wir befinden uns in einer sehr schwierigen Situation. Wir wissen nicht, in welche Richtung wir gehen sollen. Ich arbeite jetzt seit sechs Monaten in diesem Parlament, und für mich als jemanden, der bei den Vereinten Nationen gearbeitet hat, war es ein echter Schock zu erfahren, dass in diesem Parlament nur über Krieg geredet wird und dass Lösungen allein durch Gewalt gefunden werden können.“
Was Sachs dann gesagt hat, war etwas „Ungeheuerliches“! Er sprach vom Frieden! Was die Ukraine betraf, wies er darauf hin, dass sich dort „die Frage der westlichen Hegemonie“ in Europa und in der ganzen Welt entscheide. Der ehem. britische Premier, Boris Johnson, habe die Ukraine im April 2022 nicht zuletzt deswegen dazu bewegen können, das ausgehandelte Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine zu torpedieren.
Dem „Westen“ geht es in diesem Krieg in der Tat um mehr als nur um die Ukraine. Worum es ihm eigentlich geht, hat Johnson in einem Artikel „It’s time to let Ukraine join Nato“ (Es ist Zeit, die Ukraine der Nato beitreten zu lassen) in Spectator am 21. September 2024 klar und deutlich formuliert:
„Eine Niederlage der Ukraine wäre aber vor allem – um es ganz deutlich zu sagen – eine katastrophale Niederlage für die Nato. Es wäre die Sprengung der Aura der Nato-Unbesiegbarkeit, die uns – den Briten – in den letzten 80 Jahren Sicherheit gewährt hat“ (Above all, a defeat for Ukraine would be – let us not mince our words – a catastrophic defeat for Nato, the explosion of the aura of Nato invincibility that has helped keep us – the British – safe for the past 80 years).
Der Ukrainekonflikt konnte laut Sachs längst durch Verhandlungen gelöst werden, was keiner in den EU-Hauptstädten hören wollte. Ende 2021 unternahm Putin einen letzten Versuch, den Ukrainekonflikt friedlich zu lösen, und legte den Entwurf zweier Sicherheitsabkommen auf den Tisch: eines mit Europa und eines mit den USA.
„Ich hatte ein Gespräch mit Jake Sullivan im Weißen Haus und flehte ihn an“, berichtet Sachs in seiner Rede: „Jake, lass es nicht zu, dass es einen Krieg gibt. Du kannst einen Krieg verhindern. Du musst nur sagen: Die Nato wird nicht in die Ukraine expandieren. Und er sagte zu mir: >Oh, die Nato wird nicht in die Ukraine expandieren. Machen Sie sich darüber keine Sorgen<. Ich sagte: >Jake, sag es öffentlich<. >Nein. Nein. Das können wir nicht öffentlich sagen<. Ich sagte: >Jake, willst du wegen etwas einen Krieg anfangen, das gar nicht passieren wird<? Er sagte: >Mach dir keine Sorgen, Jeff, es wird keinen Krieg geben<.“
Es kam anders, wie man heute weiß. Nach seiner Rede beantwortete Sachs die Fragen des Publikums und sagte u. a.: „Europa braucht eine realistische Außenpolitik … Wollen Sie Sicherheit für die baltischen Staaten? Das Beste wäre für sie, sich von der Russophobie zu befreien … Hier ist mein Rat an sie: Es ist ein Fehler, darauf zu beharren, >Russland zerstören zu wollen< … So kann man nicht weiterleben und überleben. Sie überleben nur auf der Grundlage des gegenseitigen Respekts, Verhandlungen und Diskussionen.
Versöhnung? Gegenseitiger Respekt? „Verhandlungen und Diskussionen“? Davon kann für das gegenwärtige EU-Establishment, in dessen Weltanschauung Russland als Feindbild festverankert ist, gar keine Rede sein. Es ist gewöhnt, in Kolonialherren-Manier zu diktieren und nicht zu verhandeln und schon gar nicht zu diskutieren.
Die EU-Machteliten empören sich umso mehr über ein vermeintliches „Friedensdiktat“, das sie den künftigen russisch-amerikanischen Friedensverhandlungen unterstellen, je weniger sie bereit sind, auf ihr eigenes Friedensdiktat zu verzichten.
Europas Machteliten folgen immer noch, selbst wenn das unreflektiert geschieht, instinktiv Carl Schmitts Begriff der Feindschaft. Schmitt hat „das Politische“ in dessen extremster Äußerung als die existenzielle Form des Überlebens einer staatlich organisierten Gemeinschaft definiert, die einen Außenfeind zur Voraussetzung hat. Das „Politische“ definiert sich mit anderen Worten durch den Begriff der Feindschaft.3
Und dieser Feindschafsbegriff ist heute das konstitutives und konstituierendes Prinzip, das die EU und Nato geo- und sicherheitspolitisch eint und vereint. Würde ein solches auf den Begriff der Feindschaft zurückgehendes Machtverständnis fehlen, so würde die transatlantische Gemeinschaft aufhören, geopolitisch zu existieren, weil sie dann als sicherheitspolitische Einheit in der Zweiheit nicht überleben könnte.
Deswegen ist auch die Aufregung in Europa so groß, weil sein US-amerikanischer Schutzpatron – die Trump-Administration – Russland anscheinend nicht mehr als „Feind“ begreift, wodurch das einende und einigende Legitimations- und Handlungsprinzip der Nato in Frage gestellt und die Existenz des Verteidigungsbündnisses gefährdet wird.
Die Spaltung der Nato-Allianz scheint unvermeidbar geworden zu sein. Gefangen in der Logik des Krieges, definiert das EU-Establishment seine geo- und sicherheitspolitische Existenz durch den Begriff der Feindschaft zu Russland, wohingegen die Trump-Administration sich zunehmend gegen die Russlandfeindschaft positioniert.
Die geo- und sicherheitspolitische Grundeinstellung Europas bleibt dessen ungeachtet unverändert bestehen: Russland müsse niedergerungen werden, wolle Europa nach innen seine „politische Freiheit“ bewahren und nach außen seine geopolitische Existenz aufrechterhalten. Verzichte es auf den Begriff der Feindschaft, dann sei es in seiner ganzen Existenz bedroht, höre auf, als ein geopolitischer Akteur von den anderen Groß- und Weltmächten ernstgenommen zu werden.
Diese fatale auf den Begriff der Feindschaft zurückgehende Logik der Konfrontation macht Europa weder friedenswillig noch verhandlungsfähig.
3. Karaganows Feldzug gegen Europas Revanchismus
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, wenn in russischen außenpolitischen Kreisen Stimmen laut werden, die „Europa das Rückgrat brechen“ wollen.
Zwei Tage nach Trumps Inauguration veröffentlichte das Enfant terrible der russischen Außenpolitik, Sergej Karaganow, am 22. Januar 2025 in der Zeitschrift „Russland in der globalen Politik“ einen programmatischen Artikel unter dem bezeichnenden Titel „Сломать хребет Европе: какой должна быть политика России в отношении Запада“ (Europas Rückgrat brechen oder welche Politik Russlands gegenüber dem Westen haben muss).
Darin stellt Karaganow die These auf, dass „ein Krieg für die gegenwärtigen EU-Eliten und EU-Integratoren dringend erforderlich ist“ (Для нынешних евроэлит, евроинтеграторов война остро необходима). Seine These begründet er damit, dass die EU-Eliten einen „traditionellen geopolitischen Rivalen“ schwächen und Revanche an den Niederlagen der vergangenen drei Jahrhunderte nehmen wollen und darüber hinaus unter Russophobie leiden.
All das führe dazu, dass die EU-Eliten Russland seit über einem Jahrzehnt als Buhmann und mittlerweile als einen „wirklichen Feind“ (реальный враг) aufgebaut haben, der als das wichtigste Instrument zur Legitimierung ihres Projekts und zur Aufrechterhaltung ihrer Macht diene.
Diese Instrumentalisierung Russlands als Feindbild, dem Carl Schmitts Begriff der Feindschaft zugrunde liegt, macht es dem EU-Establishment, wie gesehen, so schwer der Kehrtwende in der US-Russlandpolitik der Trump-Administration zu folgen.
Auf eine Weiterführung des Krieges eingestellt, sehen die EU-Europäer gar nicht ein, dass sie an ihrer langfristig angelegten Strategie der Feindschaft zu Russland etwas ändern sollten. Die US-Präsidenten kommen und gehen, Europas Erbfeindschaft zu Russland bleibt aber unerschütterlich bestehen.
Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Als Feindbild bleibt Russland die conditio sine qua non der EU-europäischen „Ostpolitik“. Hinzu kommt laut Karaganow „die fehlende Angst vor Krieg (отсутствие страха перед войной), die in Europa ausgeprägter als in den USA ist. Was das für sie bedeuten könnte, darüber wollen die EU-Europäer nicht nur nicht nachdenken, sondern sie wissen auch nicht mehr, wie sie darüber nachdenken sollten.“
Und diese „fehlende Angst vor Krieg“ nennt Karaganow einen „strategischen Parasitismus“ (стратегический паразитизм). Den Ausdruck verwendete er zum ersten Mal vor gut zweieinhalb Jahren in einem Interview am 26. September 2022, indem er das Problem der Angstlosigkeit vor dem Atomkrieg thematisierte, die sich nach dem Ende der bipolaren Weltordnung breit gemacht hat.4
„Wir haben uns derart an den Frieden gewöhnt“ – sagte Karaganov damals -, „dass wir uns darin überzeugt haben, dass es keinen großen Krieg mehr geben würde. Diese Einstellung ist falsch. Der Krieg kann erstens (jederzeit) stattfinden und die Wahrscheinlichkeit eines Nuklearwaffeneinsatzes ist zweitens eher größer geworden, als zurzeit der Kubakrise. Ich hoffe nur, dass es dazu nicht kommen wird. Denn dann wäre das ein direkter Weg in die Hölle.“
Karaganovs Warnung ist immer noch aktuell angesichts der unausrottbaren Feindschaft Europas zu Russland. Und die Leidtragenden werden in erster Linie die EU-Europäer sein. Der Russenhass der EU-europäischen Macht- und Funktionseliten kennt heute keine Grenzen. Alle persönlichen und geschäftlichen Beziehungen und Kontakte zu Russland werden systematisch unterbunden und geächtet.
Wer sich für eine Normalisierung der Beziehungen mit Russland einsetzt, wird gleich als Putins Freund denunziert und in der medialen Öffentlichkeit stigmatisiert und wie im Mittelalter an den Pranger gestellt. Die EU-Eliten bereiten ihre Bevölkerungen auf einen Krieg vor. Sie wissen nur nicht, welchen gefährlichen Weg sie da beschreiten, schreibt Karaganov und geht mit Europa hart ins Gericht:
Europa ist die Quelle aller großen Übel der Menschheit: zwei Weltkriege, Völkermorde, menschenverachtende Ideologien, Kolonialismus, Rassismus, Nationalsozialismus usw. Josep Borrells Metapher von Europa als einem „blühenden Garten“ würde viel realistischer klingen, wenn man ihn als ein von fettem Unkraut überwucherndes Feld bezeichnet, das auf dem Humus von hunderten Millionen Getöteten, Ausgeraubten und Versklavten blüht. Und ringsum erhebt sich ein Garten aus den Ruinen der unterdrückten und ausgeraubten Zivilisationen und Völker. Europa muss den Namen erhalten, den es verdient, um die Drohung mit dem Atomwaffeneinsatz gegen die EU überzeugender und gerechtfertigter zu machen.
Diese geradezu apokalyptische Drohung an die Adresse der EU-Machteliten scheint bei diesen immer noch nicht angekommen zu sein. Ahnungslos und unbekümmert verweilen sie immer noch im Gefühl der Selbstsicherheit und Selbstzufriedenheit selbst dann, wenn der nukleare Schutzschirm der USA ihnen abhanden zu kommen droht.
Sie sind sich offenbar in ihrer Angst- und Ahnungslosigkeit auch dessen nicht bewusst, dass ein möglicher Krieg zwischen Russland und den Nato-Staaten unweigerlich zu einem Atomkrieg werden bzw. sich zu einem Atomkrieg entwickeln könnte, wenn die EU-Europäer weiterhin in der Ukraine gegen Russland kämpfen, schreibt Karaganow und hält die EU-Pläne, „die riesigen Arsenale konventioneller Waffen anzuhäufen, für sinnlos, weil die damit ausgerüsteten Armeen und die Länder, die diese Armeen entsenden würden, unweigerlich von einem nuklearen Tornado hinweggefegt würden“ (Заготавливать огромные арсеналы обычного оружия бессмысленно, если армии, оснащённые им, да и сами страны, пославшие эти армии, неизбежно будут сметены ядерным смерчем).
„Auf dem Spiel steht nicht nur das Schicksal Russlands, sondern der gesamten menschlichen Zivilisation in ihrer gegenwärtigen Form“ (На кону не только судьба России, но и человеческой цивилизации в её нынешней форме), warnt Karaganow und will damit sagen, dass mit diesem Europa kein Staat mehr zu machen.
Darum plädiert er am Schluss seiner Ausführungen für die Zerschlagung Europas, da dieses Europa friedensfeindlich eingestellt sei: „Der Frieden auf dem Subkontinent kann nur geschaffen werden, wenn Europa erneut das Rückgrat gebrochen wird, wie es im Falle unserer Siege über Napoleon und Hitler geschehen ist“ (Мир на субконтиненте может быть установлен лишь тогда, когда Европе будет в очередной раз сломан хребет, как это происходило в результате наших побед над Наполеоном и Гитлером).
Europa möchte Revanche nehmen, will Karaganow uns sagen. Diesen gefährlichen Revanchismus wird Europa und Deutschland zum dritten Mal nicht mehr überleben.
Anmerkungen
1. Landsbergis, G., „Europa erwartet, dass Merz die Führung übernimmt“. Handelsblatt-Interview, 27. Feb.
2025, S. 9.
2. Zitiert nach August Buck, Die Kunst der Verstellung im Zeitalter des Barocks, in: des., Studien zu
Humanismus und Renaissance. Wiesbaden 1991, 508.
3. Zitiert nach Silnizki, M., Carl Schmitt und „der Begriff des Politischen“. Im Spiegel der geopolitischen
Gegenwart. 3. November 2024, www.ontopraxiologie.de.
4. Караганов, С., „Это надо прямо назвать Отечественной войной“, in: Россия в глобальной политике,
26. September 2022.