Verlag OntoPrax Berlin

Landnahme versus Landraub

Das Gewalt- und Annexionsverbot im Völkerrecht

Übersicht

1. Annexion ohne „Landraub“?
2. Die „innere“ und „äußere“ Annexion
3. Die Macht des Faktischen und die Dysfunktionalität des Völkerrechts

Anmerkungen

Die derzeit bestehenden Grenzen sind zum größten Teil durch Gewalt oder
widerrechtlich zustande gekommen, sodass sich die Sicherung des Status quo
in Einzelfällen als eine „offensichtliche Ungerechtigkeit“ darstellen könnte.
(Georg Dahm)1

1. Landnahme ohne Landraub?

Es ist doch erstaunlich immer wieder sehen zu können, mit welchem Übereifer die US-amerikanische Politikwissenschaft alle Aggressionen und Aggressoren dieser Welt anzuprangern bereit ist, mit einer einzigen Ausnahme: die eigenen zahlreichen US-Interventionen und Invasionen in den vergangenen drei Jahrzehnten, die all zu oft entweder als „humanitäre Interventionen“ verharmlost oder ganz unter den Teppich gekehrt werden.

So auch diesmal. In ihrer am 21. März 2025 in Foreign Affairs veröffentlichten Studie „Conquest Is Back“ setzt sich die US-Politikwissenschaftlerin, Tanisha M. Fazal, ausführlich und eingehend mit Russlands Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewalt- und Annexionsverbot in der Ukraine auseinander, erwähnt aber nur verschämt und beiläufig die eklatanten Verletzungen des völkerrechtlichen Gewaltverbots durch die USA.

Wörtlich schreibt sie gleich am Anfang ihrer Ausführungen: „Der Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022 ist sicherlich die ungeheuerlichste Verletzung dieses Gewaltverbots“ (Russia’s invasion of Ukraine in 2022 is certainly the most egregious recent violation of this prohibition).

Es sei gar „ein Ausreißer“ (an outlier) – ein Ausnahmefall in der jüngsten Zeitgeschichte -, da es „ein ganzes souveränes Land zu erobern (versucht).“ Schlimmer noch: Falls Moskau die Teile des ukrainischen Territoriums an sich reißt und diese gewaltsame und völkerrechtswidrige Aneignung eines fremden Landes internationale Anerkennung findet, könnten die anderen Mächte ebenfalls versuchen, „Eroberungskriege“ (wars of conquest) zu führen.

„Der versuchte Landraub (attempted land grabs), der so groß und dreist ist, wie der Russlands im Jahr 2022, dürfte zumindest vorerst selten bleiben,“ tröstet Fazal die Leser.

Eine solche „Analyse“, die wir in den zitierten Sätzen der US-Politikwissenschaftlerin erfahren, blendet nicht nur die zahlreichen völkerrechtswidrigen US-Interventionen und Invasionen aus, was auch nichts Neues wäre, sondern lässt auch die Vorgeschichte sowie geopolitische und geokulturelle Hintergründe des Konflikts völlig außer Acht.

Derartige simplifizierte Studien tragen kaum dazu bei, die Komplexität und die Folgewirkung des Konflikts zu ergründen. Dass der Ukrainekonflikt eine Vorgeschichte hat; dass der sog. „Eroberungskrieg“ eine Präventivmaßnahme2 sein könnte; dass der sog. „Landraub“ möglicherweise auf einen immer noch nicht abgeschlossenen Zerfallsprozess der Sowjetunion zurückzuführen sei, dem möglicherweise widerrechtliche Handlungen vorausgingen, und dass es hier womöglich um eine abschließende Landverteilung zwischen zwei ehem. Sowjetrepubliken bzw. unter den mittlerweile verfeindeten Brudervölkern geht – all das spielt für Fazal gar keine Rolle.

Man vermisst hier nicht nur ein historisches Problembewusstsein; Fazal geht es offenbar nicht nur um eine Analyse des bestehenden Konflikts, sondern auch und insbesondere um die Stigmatisierung Russlands als „Völkerrechtsbrecher“ und „Landräuber“. Es geht ihr nicht so sehr um eine Erkenntnisgewinnung, als vielmehr um die Anprangerung des geopolitischen Rivalen.

Dass eine eklatante Verletzung des völkerrechtlichen Gewaltverbots auch von den USA des Öfteren in der jüngsten Zeitgeschichte praktiziert wurde, ist für die Autorin nur eine beiläufige Erwähnung wert, die sie nicht weiterverfolgt. Das liegt offenbar nicht in ihrem „Erkenntnisinteresse“.

Wenn Fazal vom „Eroberungskrieg“ (war of conquest) spricht, so darf sie den Begriff nicht allein auf einen „Landraub“ reduzieren und sich darüber empören, dass das Völkerrecht mit Füßen getreten werde, wodurch „die Entwertung seiner normativen Kraft“ (the degrading strength of the norm) stattfindet.

Dass ein „Landraub“ bzw. Annexion die Verletzung des Völkerrechts bedeutet und man ein Verstoß dagegen handhaben muss, um nicht auf eine Entwertung der völkerrechtlichen Normativität ankommen zu lassen, steht außer Frage.

Eine ganz andere Frage ist, ob die Inbesitznahme eines fremden Staatsgebietes als Annexion zu qualifizieren wäre, selbst wenn sie nicht unmittelbar in Form einer territorialen Eroberung eines fremden Staatsgebiets geschieht.

Annexion kann auch dann der Fall sein, wenn die Landnahme ohne einen „Landraub“ stattfindet. Das trifft auf den US-amerikanischen Interventionismus zu. Hierfür bedarf es keiner unmittelbaren territorialen Besitznahme.

Die US-Interventionspolitik ist dadurch gekennzeichnet, dass sie eine offene territoriale Annexion vermeidet. Der territoriale Status des von der Intervention betroffenen Landes wird zwar nicht in der Weise verändert, dass es in das Staatsgebiet des intervenierten Landes eingegliedert wird; wohl aber wird dieses Staatsgebiet in den Einflussbereich der USA bzw. in deren Raumhoheit einbezogen bzw. geopolitisch und geoökonomisch integriert.

Die äußere, territoriale „Souveränität“ bleibt zwar unangetastet, deren Innenraum aber der Sicherung der geoökonomischen, monetären und geopolitischen Machtinteressen der USA angepasst. Das ist aber nichts anderes als eine innere Annexion bzw. eine Landnahme im Sinne einer Raumbeherrschung durch einen fremden Staat, die zu einer innerstaatlichen Entsouveränisierung führt.

Sie garantiert zwar den äußeren, territorialen Status quo, höhlt aber den Innenraum der Macht des domestizierten Landes politisch, ideologisch und ökonomisch aus.

2. Die „innere“ und „äußere“ Annexion

Bereits nach dem Ersten Weltkrieg versuchte man die Annexion zu ächten. Durch Art. 10 der Völkerbundsatzung verpflichteten sich die Bundesmitglieder, die Unversehrtheit des Gebiets und die bestehende politische Unabhängigkeit aller Bundesmitglieder oder anderer Staaten zu achten.

Der Grundsatz der Nichtanerkennung gewaltsamer Gebietsänderungen fixierte die Vollversammlung des Genfer Völkerbundes am 11. März 1932 im folgenden Beschluss: „Dass kein Eingriff in die Unversehrtheit des Gebiets und keine Beeinträchtigung der politischen Unabhängigkeit eines Bundesmitgliedes, die etwa unter Missachtung des Art. 10 begangen wurde, von den Mitgliedsstaaten des Völkerbundes als gültig und wirksam anerkannt werden können.“3

Dieser Grundsatz wurde schließlich von den Vereinten Nationen in Art. 2, Abs. 4 der UN-Charta vom 26. Juni 1945 übernommen: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“

Diese Definition des völkerrechtlichen Annexionsverbots impliziert bei näherem Hinsehen zweierlei: das äußere Annexionsverbot, das sich auf die territoriale Unversehrtheit von Staaten bezieht, und das innere Annexionsverbot, dass „alle Mitglieder“ dazu auffordert, die gewaltsame Veränderung „der politischen Unabhängigkeit eines Staates“, zu „unterlassen“.

Zu dem inneren Annexionsverbot gehört eben eine von außen herbeigeführte bzw. erzwungene gewaltsame Veränderung der politischen Machtverhältnisse. Die vom „Westen“ in den vergangenen Jahrzehnten praktizierte Außenpolitik des sogenannten „regime change“ ist nichts anderes als der klare Verstoß gegen das innere Annexionsverbot im Völkerrecht.

Infolge der Geopolitisierung des Völkerrechts blenden die Meinungsmacher im Westen den „inneren“ Annexionsbegriff komplett aus und verengen ihn ausschließlich auf dessen „äußeren“, gegen das Gewaltverbot verstoßenden Gebietserwerb durch einen Staat zu Ungunsten eines anderen.

Die westliche Deutungshoheit kennt den inneren Charakter des Annexionsverbots nicht, der viel gravierendere Folgen mit sich bringt, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Sie gehen oft mit einer geoökonomischen Unterwerfung und einer monetären Repression einher, obzwar der geoökonomisch und monetär unterworfene Staat nach außen als „souveräner Staat“ auftritt bzw. die äußere Schale der territorialen Unversehrtheit – die „Souveränität“ – lediglich vortäuscht, aber nicht aufrechterhält.

Eine solche Entsouveränisierung verwandelt ein Staatswesen „in einen leeren Raum für wirtschaftlich-soziale Vorgänge. Der äußere territoriale Gebietsbestand mit seinen linearen Grenzen wird garantiert, nicht aber der soziale und wirtschaftliche Inhalt der territorialen Integrität, ihre Substanz … Ein Staat, dessen Handlungsfreiheit in solcher Weise Interventionsrechten unterliegt, ist etwas anderes als ein Staat, dessen territoriale Souveränität darin besteht, kraft eigener souveräner Dezision über die konkrete Verwirklichung von Begriffen wie Unabhängigkeit, öffentliche Ordnung, Legalität und Legitimität oder gar über seine Eigentums- und Wirtschaftsverfassung frei zu entscheiden und den Grundsatz cujus regio ejus economia zu realisieren.“4

Dieser Prozess der Entsouveränisierung bei gleichzeitiger Unantastbarkeit der territorialen Integrität eines Staatsgebietes lässt sich am Beispiel einer monetären Raumbeherrschung im Gegensatz zur territorialen Gebietsabtrennung infolge der Besetzung Deutschlands nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Siegermächte sehr plastisch demonstrieren.

Die Sowjetunion suchte durch Abtrennung von Territorien und Ressourcentransfer den erlittenen Kriegsschaden zu vermindern, wohingegen die USA keine Gebietsabtretungen erzwangen. Sie bewirkten stattdessen „die Überleitung von Überschusseinkommen aus der Güterproduktion durch Integration der westdeutschen Wirtschaft in die Hierarchie des New Yorker Finanzzentrums“, indem sie „ein an den US-Dollar gekoppeltes Geld“ einführten und „den bestehenden politischen und wirtschaftlichen Steuerungszusammenhang“ auflösten.

Das erlaubte den USA, die Ressourcen der westdeutschen Wirtschaft „der Bewirtschaftung durch das New Yorker Finanzzentrum zu unterwerfen . . . Die sogenannte Währungsreform wird so als ein Akt der Reservierung von Überschusseinkommen für das Finanzzentrum in New York erkennbar. Es handelt sich um eine Maßnahme, die sich gleichermaßen gegen das besetzte Deutschland wie gegen die Verbündeten der Vereinigten Staaten von Amerika gerichtet hat.“5

Vor dem Hintergrund der Vorherrschaft der Geoökonomie und der Geopolitik in den internationalen Beziehungen manövriert sich das moderne Völkerrecht immer mehr und immer deutlicher in eine geopolitische Sackgasse, sodass der Vorwurf des „Landraubes“ an die Adresse Russlands bei der gleichzeitigen Ausblendung des Prozesses einer innerstaatlichen Entsouveränisierung der Ukraine den Blick auf eine ganz andere Seite der Aushöhlung und Unterminierung des geltenden Völkerrechts verstellt.

Das geltende Völkerrecht ist bereits in seinen Denkvoraussetzungen dysfunktional angelegt.6 Die Folge ist dessen machtpolitische Instrumentalisierung in der Außen- und Sicherheitspolitik. In so einem Falle dient die UN-Charta allein zur Legitimierung der jeweiligen Machtpolitik der verfeindeten geopolitischen Rivalen.

3. Die Macht des Faktischen und die Dysfunktionalität des Völkerrechts

In Verkennung der Dysfunktionalität des modernen Völkerrechts, das die machtpolitische Seite des Gewalt- und Annexionsverbots gänzlich ignoriert und als rechtlich irrelevant von vornherein ausschließt, betrachtet Fazal das territoriale Problem im Sinne der communis opinio doctorum rein formalrechtlich, ohne die geopolitische Dimension des Problems in die Analyse einzubeziehen.

Bitter beklagt sie die Weigerung der Trump-Administration in der jüngsten G-7-Resolution sowie bei den UN-Abstimmungen Russland als „Aggressor“ in der Ukraine zu verurteilen und warnt vor der Verletzung des Rechts auf die territoriale Unversehrtheit der Ukraine. Ein Recht, das nicht beachtet wird, verliert seine normative Kraft und „stirbt ab“ (vgl.: the norm will have died), belehrt uns Fazal.

Diese an und für sich richtige Feststellung klingt ziemlich aufgesetzt, sobald man die ganze Studie der Autorin liest. Der Studie geht es mehr um eine propagandistische Effekthascherei, die sich gegen die eingeleiteten Friedensverhandlungen zwischen der Trump-Administration und Russland richtet, als um eine allumfassende Würdigung des Gewalt- und Annexionsverbots im modernen Völkerrecht.

Der Ruf nach einer ausschließlichen Befolgung der Normen des Völkerrechts bekommt in dem Augenblick einen höchst problematischen Sinn, wenn es sich um eine diplomatische Beilegung des Ukrainekonflikts handelt, ohne alles auf eine militärische Karte zu setzen.

Dass die Meinungsverschiedenheiten der rivalisierenden Parteien ausschließlich auf dem Boden der völkerrechtlichen Normativität beigelegt werden sollen, bedeutet nur, dass diejenige rivalisierende Partei, die nach geltendem Völkerrecht im Recht ist, dauerhaft im Recht bleibt und keine Konzessionen zur Beilegung des Konflikts zu machen braucht, selbst dann, wenn sie militärisch auf verlorenem Posten steht.

Dass auf diese Weise ein Krieg beendet werden kann, liegt im Bereich des Unmöglichen. Denn das Beharren auf die Wiederherstellung des Status quo ante würde unweigerlich zum Krieg in Permanenz führen, den die Ukraine kaum durchzuhalten in der Lage wäre.

Hinzu kommt noch ein weiteres gravierendes Problem: „Das Annexionsverbot folgt aus dem Verbot des Angriffskrieges. Wenn das Völkerrecht den Angriffskrieg ächtet, so sollen auch die Früchte eines Angriffs der Ächtung verfallen.“7

Erkennt das klassische Völkerrecht an, was sich faktisch durchsetzt, und kommt es durch die Legitimierung des Stärkeren in Einklang mit den tatsächlichen Machtverhältnissen, so kann das moderne Völkerrecht in Widerspruch zur Macht des Faktischen treten. Je nachdem wie die Macht des Faktischen sich durchsetzt, kann das moderne Völkerrecht mit seinem Gewalt-, Annexionsverbot und/oder dem Verbot des Angriffskrieges in einen solch starken Gegensatz zur Machtfaktizität treten, dass es de facto zu existieren aufhört.

So gesehen, spricht Fazal nicht ohne Recht davon, dass eine Norm, die stets ignoriert wird, seine normative Kraft verliert und „abstirbt“. Denn die Macht des Faktischen birgt in sich immer die Gefahr der Unmöglichkeit des Völkerrechts, sich selbst durchzusetzen. Wenn etwa die gewaltsamen Gebietsänderungen vom modernen Völkerrecht nie anerkannt werden, obgleich sie sich faktisch durchsetzen, dann treten Legalität und Faktizität so weit auseinander, dass das Völkerrecht seine normative Kraft und folglich seine friedenssichernde Funktion verliert.

„Der Rigorismus der modernen Friedenssicherung durch das moderne Völkerrecht raubt dem Völkerrecht seine friedenssichernde Funktion,“8 verschärft ungewollt die geopolitischen Spannungen zwischen den Großmächten und gefährdet den Weltfrieden. Hinter dieser geopolitischen Dysfunktionalität des modernen Völkerrechts verbirgt sich eine Legalitätsfalle. Die moderne Lehre von Annexionsverbot postuliert eine „Friedenssicherung als Sicherung des Status quo mit der Gefahr, dass Recht und tatsächliche Verhältnisse soweit auseinandertreten, dass das Recht jede Realisierbarkeit verliert.“9

Sie beschwört darüber hinaus die Gefahr des Krieges herauf und macht die friedensstiftende Funktion des Völkerrechts irreparabel. „Der Versuch der modernen Völkerrechtslehre jeglicher Annexion die Legitimierung zu verweigern, erweist sich“ nach Stark (ebd., 860) „als zu rigoros. Weder die Rechtfertigung der blanken Macht noch der Ausschluss jeder Rechtfertigung kann die Frage nach der gerechten oder ungerechten Annexion verdrängen“.

Das Annexionsverbot des modernen Völkerrechts muss eine Chance der Realisierbarkeit haben. Fehlt sie, kann man sie dann nicht mehr als Rechtsnorm ansehen, wodurch man Gefahr läuft, in die Legalitätsfalle zu tappen, die die geopolitische Dysfunktionalität des Völkerrechts bloßstellt und im extremen Falle friedensgefährdend wirkt.

Die Beachtung der Macht des Faktischen ist – worauf Stark (ebd., 862) zutreffend hinweist – „kein Zynismus“, sie soll vielmehr die tatsächlichen Umstände berücksichtigen, um größere Übel für den Weltfrieden zu vermeiden. Auch das Völkerrecht ist letztlich auf seine Realisierbarkeit und Wirksamkeit bedacht. Ein „Recht“ ist keine Rechtsnorm mehr, „wenn sie ein Verhalten verlangt, dem die Adressaten regelmäßig nicht entsprechen, und für das es keine Sanktionen gibt. Solche Fortschritte sind allenfalls moralische Forderungen, die man als völkerrechtliche Programmsätze bezeichnen könnte“ (ebd., 862).

Setzt sich das Völkerrecht zu hohe Ziele, so leidet darunter nicht nur seine friedenssichernde Funktion, sondern auch seine geopolitische Relevanz und Glaubwürdigkeit. Es ist dann der Beliebigkeit der Mächtigen ausgeliefert.

Darum muss nicht nur das Völkerrecht, sondern auch und insbesondere dessen geopolitische Instrumentalisierung „eine gewisse Zurückhaltung üben; es darf nur Verbote normieren“ und die völkerrechtlich verklärten geopolitischen Mittel ansetzen, die de facto und nicht nur zur Gewissensberuhigung „eine echte Realisierbarkeitschance haben.“10 Zu Recht ist bemerkt worden, dass alle Sanktionen, „die dem annexionswilligen Staat weniger Schaden zufügen als dem Staat, der die Annexion verhindern möchte, ungeeignete Mittel sind.“11

Anmerkungen

1. Zitiert nach Stark, Ch., Zum Annexionsproblem im Völkerrecht, in: Recht und Staat. Festschrift f. Günther
Küchenhoff zum 65 G. am 21.08.1972. Berlin1972, 851-867 (860 f.).
2. Silnizki, M., Präemption, Prävention und der Ukrainekonflikt. Zwischen Geopolitik und Völkerrecht.
16. Januar 2025, www.ontopraxiologie.de.
3. Stark (wie Anm. 1), 852.
4. Schmitt, C., Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum. Köln 1950, 226.
5. Stadermann, H.-J., Der stabile Euro und seine Feinde. Marburg 2014, 404.
6. Vgl. Silnizki, M., Die geopolitische Dysfunktionalität des Völkerrechts und das Annexionsverbot, in: des.,
Außenpolitisches Denken in Russland. Im Strudel von Geopolitik und Identitätsdiskurs. Berlin 2018, 110 ff.
7. Stark (wie Anm. 1), 859.
8. Stark (wie Anm. 1), 859.
9. Stark (wie Anm. 1), 860.
10. Ebd., 862.
11. Ebd., 864.

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