Verlag OntoPrax Berlin

Gibt es eine Chance für Diplomatie?

Zwischen Friedensverhandlung und Friedensdiktat

Übersicht

1. Verhandlung oder Diktat?
2. Westliche Verhandlungsstrategie versus russisches Friedensdiktat?

Anmerkungen

„Verhandlungen sind für die Beziehungen zwischen den Großmächten unserer
Zeit ebenso wichtig …, wie sie es in den Tagen eines Machiavelli, eines
Wicquefort und eines Callières gewesen sind.“1

1. Verhandlung oder Diktat?

Die Frage, wie Kriege beendet werden, wurden bis heute weder systematisch untersucht noch behandelt. Bei der Kriegsbeendigung muss man dabei zwischen der bloßen Einstellung oder – in derzeit üblicher Terminologie gesprochen – „Einfrieren“ der Kampfhandlungen und einem Friedensvertrag unterscheiden. Wenn man sich vergegenwärtigt, was momentan in den Medien diskutiert wird, so besteht zwischen den Kriegsparteien ein Dissens darüber, was überhaupt ausgehandelt werden muss.

Die dem wiedergewählten US-Präsidenten Donald J. Trump nahstehenden Kreise plädieren meistens für ein sofortiges „Einfrieren“ der Kriegshandlungen und eine rasche Aufnahme der diplomatischen Verhandlungen, wohingegen die russische Seite eine solche Vorgehensweise aus zwei Gründen kategorisch ablehnt:

Zum einen befinden sich die russischen Streitkräfte auf dem Vormarsch und haben es nicht eilig irgendetwas „einzufrieren“, zumal die ukrainische Front kurz vor dem Zusammenbruch steht. Zum anderen begegnet die russische Seite mit tiefem Misstrauen alle vom Westen stammenden Friedensappelle und -vorschläge, die auf das sofortige Ende der Kriegshandlungen hinauslaufen. Zu oft wurde sie vom Westen ihrer Meinung nach „belogen“ und „betrogen“ und kann auch jetzt nicht sicher davon ausgehen, ob es sich um ernstzunehmende Verhandlungen oder lediglich um einen Zeitgewinn zwecks Konsolidierung und Neuaufstellung des ukrainischen Militärs handelt, um den Krieg fortzusetzen.

Die Einstellung der Kriegshandlungen kann zudem einen ganz unterschiedlichen Verlauf nehmen, wovon die Kriegsparteien unterschiedlich bevorteilt oder benachteiligt werden können. Russland ist, so gesehen, nur zu Verhandlungen ohne die Unterbrechung der Kriegshandlungen bereit, um sich nicht das militärische Druckmittel aus der Hand nehmen zu lassen.

Wenn im Westen von einer diplomatischen Regelung des Ukrainekonflikts die Rede ist, so ist wiederum nicht ganz klar, was damit gemeint ist. Wie der Bundeskanzler Olaf Scholz meinen die einen: „Wir werden kein Friedensdiktat akzeptieren“, wobei es nicht ersichtlich ist, wer hier „wir“ sind und worüber „wir“ verhandeln müssen. Die anderen wollen hingegen genau das, was „wir“ uns verbieten, nämlich Russland die Friedensbedingungen zu diktieren, als wäre die Ukraine auf dem Siegeszug und als stünde Russland kurz vor einer Kriegsniederlage.

Und alle versichern seit Trumps Wiederwahl inständig: Sie möchten der Diplomatie eine Chance geben, nachdem der höchste EU-Diplomat Josep Borrell und die meisten seiner EU-Kollegen zweieinhalb Jahre lang ununterbrochen und siegesgewiss predigten: Der Ukrainekonflikt werde allein auf dem Schlachtfeld und sonst nirgendwo entschieden. Und jetzt?

Hört man den zahlreichen Vorschlägen über die diplomatischen Regelungen des Ukrainekonflikts zu, so ähneln sie häufig der imaginären Welt eines Realitätsverweigerers, der gar nicht wissen will, was die Gegenseite überhaupt denkt und sagt oder das Gesagte einfach ignoriert.

Insbesondere die EU-Europäer werden in einem solchen Falle zum Spielball jener berühmten „drei Affen“, die „nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“: Sie wollen „nichts sehen“, was an der Front real stattfindet und wie sehr sich die geopolitische Realität nach beinahe drei Jahre andauerndem Krieg verändert hat.

Sie wollen „nicht hören“, was die Gegenseite seit Jahr und Tag ununterbrochen fordert. Und sie wollen „nichts sagen“, was ihrer ritualisierten Phrasendrescherei widerspricht. Das ist aber weder zielführend noch ergebnisorientiert.

Der Grund liegt nicht zuletzt in einer grundlegend unterschiedlichen Auffassung von Sinn, Zweck und Aufgaben der Diplomatie. Das Ziel diplomatischer Gespräche, Unterredungen und Verhandlungen besteht für die transatlantischen Machteliten mittlerweile – wie merkwürdig das auch klingen mag – darin, zu diktieren und nicht zu verhandeln, um zu einer Verständigung und Einigung über strittige Fragen zu kommen.

Ziel besteht auch nicht in der Absicht, eine Einigung und/oder Verständigung am Verhandlungstisch zu erzielen, sondern die Gespräche solange und so zeitaufreibend zu führen, bis die Situation sich ökonomisch und militärisch in einer die westliche Verhandlungsposition stärkenden Weise geändert hat.

Deswegen beharren die Befürworter einer diplomatischen Konfliktregelung wie die Anhänger des wiedergewählten US-Präsidenten Donald Trump auf die sofortige Unterbrechung bzw. das „Einfrieren“ aller Kriegshandlungen vor Beginn der Verhandlungen. Es ist dabei nicht ganz klar, was damit bezweckt werden soll: Will man wirklich verhandeln oder dem ukrainischen Militär lediglich ermöglichen, Zeit zu gewinnen, eine Verschnaufpause zu bekommen, sich neu aufzustellen, um dann weiter zu kämpfen?

Falls eine Wiederaufnahme der Kriegshandlungen aussichtslos sein sollte, so geht es bei deren „Einfrieren“ um die Zementierung des Status quo an der Front, um wenigstens auf diplomatischem Wege eine Fortsetzung der russischen Offensive zu stoppen. Man darf auch die Absicht nicht außer Acht lassen, Ziele und die Entschlossenheit der anderen Seite zu erkunden, um weitere Taktiken und Strategien im Kampf gegen den Gegner zu entwickeln.

Sollte die Forderung nach einem sofortigen „Einfrieren“ der Kriegshandlungen zum Ziel haben, Scheinverhandlungen zu führen, so steht eine solche allein taktisch motivierte Verhandlungsbereitschaft im Einklang mit dem eigentlichen Ziel der so verstandenen „Diplomatie“: nicht zu verhandeln, sondern zu diktieren getreu Talleyrands Devise: Diplomatie sei „die Kunst, einem anderen so lange auf den Zehen zu stehen, bis dieser sich entschuldigt.“

Dass die russische Führung für diese Art von „Verhandlungen“ nicht zur Verfügung steht, hat sie mehr als nur einmal klar gemacht.

2. Westliche Verhandlungsstrategie versus russisches Friedensdiktat?

„Normalerweise sind zwei Dinge nötig“, schrieb der US-amerikanische Politikwissenschaftler, Fred C. Iklé (1924-2011) einmal, „damit Verhandlungen stattfinden können: Es muss sowohl gemeinsame Interessen als auch Konfliktstoff geben. Ohne gemeinsame Interessen gäbe es nichts, wofür man verhandelt, ohne Konflikt nichts, worüber man verhandelt.“2

„Man sollte jedoch bedenken“, kommentieren Gordon A. Craig und Alexander L. George (ebd.) Iklés Feststellung, „dass Regierungen manchmal aus bestimmten Erwägungen heraus in Verhandlungen eintreten, selbst wenn ihnen klar ist, dass ein gemeinsames Interesse nicht gegeben ist.“

Genau diese Situation liegt bei einer möglichen Aufnahme der diplomatischen Verhandlungen zwischen Russland und der Trump-Administration bzw. der Ukraine nach dem 20. Januar 2025 vor. Die Kriegsgegner und deren Unterstützer haben kein „gemeinsames Interesse“ für die Aufnahme der Friedensverhandlungen und die Ziele der Verhandlungen, sollten sie doch stattfinden, würden sich keineswegs allein im Bestreben erschöpfen, eine Einigung zu erzielen.

Es gibt darüber hinaus mindestens noch zwei weitere Ziele, warum die verfeindeten Kriegsparteien bereit wären, Verhandlungen aufzunehmen, selbst wenn sie eine Einigung weder erwarten noch wünschen. Ziel solcher Verhandlungen wäre entweder eine Diskreditierung des Gegners, um propagandistische Effekte auf seine Kosten zu erzielen. Vor dem Hintergrund des seit dem Kriegsausbruch geführten Informations- bzw. Propagandakrieges wäre es ein Teil der sog. „hybriden“ Kriegsführung, um die Zustimmung und das Wohlwollen der öffentlichen Meinung im eigenen Land und weltweit für sich zu gewinnen.

Oder ist man zu den Verhandlungen deshalb bereit, um die andere Seite irrezuführen und/oder zu täuschen, ohne die erzielten Vereinbarungen, sollten sie tatsächlich getroffen werden, jemals umsetzen zu wollen. Hier geht es, anders gesagt, nicht so sehr um ernsthafte Verhandlungen zwecks Ergebniserzielung als vielmehr um einen endlosen Verhandlungsprozess zwecks Zeitgewinnung und Ablenkung von anderen übergeordneten Zielen und Interessen.

In diesem Falle handelt es sich nicht um Verhandlungen, sondern um das Vortäuschen von Verhandlungen, wobei sich die US-Führung und die Ukraine derzeit in einer ziemlich schwachen Verhandlungsposition befinden.

Die US-amerikanische Diplomatie tritt dessen ungeachtet mit ihrem geo- und sicherheitspolitischen Habitus Russland gegenüber als globale Macht auf, die die Geschicke der Welt allein zu bestimmen hat. Es ist deswegen unter ihrem Niveau mit Russland überhaupt verhandeln zu müssen. Und wenn verhandelt wird, dann nur zu US-Konditionen. Diese Geisteshaltung hat sie in den vergangenen dreißig Jahren seit dem Ende des Ost-West-Konflikts allzu oft zur Schau gestellt.

Und selbst wenn die transatlantischen Machteliten auf dem ukrainischen Schlachtfeld den Krieg zu verlieren drohen, glauben sie auch dann lediglich einen Regionalkrieg – eine Schlacht – und nicht einen global geführten „hybriden Krieg“ verloren zu haben. Diesen „Krieg“ hoffen sie immer noch mit oder ohne die Trump-Administration gewinnen zu können.

Sie sehen darum gar nicht ein, dass sie Russland irgendwelche Konzessionen machen müssen. Ganz im Gegenteil: Ihre Selbstüberschätzung und unbändige Machtarroganz kennen keine Grenzen. Sie würden sogar, falls nötig, in der medialen Öffentlichkeit selbst den Verlierer zum Sieger erklären und die Kriegsniederlage in einen militärischen Sieg umdeuten wollen, um nur bloß nicht das eigene Versagen öffentlich eingestehen zu müssen.

Lieber folgen sie dann der Logik des „Doppeldenks“ (doublethink), wodurch laut Orwells dystopischem Roman 1984 das propagierte Denken zwei sich gegenseitig ausschließende Ereignisse gleichzeitig gelten lässt.

Dass Gegensätze „zusammenfallen“, propagierte bereits der katholische Theologe und Kardinal Nikolaus Cusanus (1401-1464), der in die Philosophie des Mittelalters den Begriff „Coincidentia oppositorum“ (Zusammenfall der Gegensätze) einführte.

Auf diplomatische Verhandlungen übertragen, würde dieses „credo quia absurdum est“ (ich glaube, weil es absurd ist) eine Verhandlungsstrategie bedeuten, die zwei in sich widersprüchliche Positionen gleichzeitig vertritt. Sie setzt dabei eine Taktik voraus, die Gespräche im Allgemeinen und Ungefähren zu halten, wohl wissend, dass sie endlose Debatten garantiert und zu keinem Ergebnis führt.

Weil die russische Führung genau das befürchtet, wird sie sich auf keine Unterbrechung der Kriegshandlungen während möglicher Friedensverhandlungen einlassen, um den Verhandlungsdruck militärisch aufrechterhalten zu können.

Die westliche Verhandlungsstrategie würde gleichzeitig Russland in die Defensive drängen wollen, dergestalt, dass sie dessen guten Willen und damit die Kompromissbereitschaft in Frage stellt. Selbst wenn solche Unterstellungen widerlegt würden, würden sie vom Westen schlicht und einfach ignoriert, um sich bloß nicht auf die Gegenargumente einzulassen.

Es geht, wie gesagt, nicht um Verhandeln, sondern um Diktieren. Die westliche Diplomatie orientiert sich heute nicht so sehr an den Verhandlungsmaximen des französischen Diplomaten, Schriftstellers und Mitglieds der Académie française, François de Callières (1645-1717), als vielmehr an der Verhandlungsweise der Diplomatie des jungen Sowjetstaates in der Zwischenkriegszeit (interbellum).

Lehrte Callières, dass in einem Verhandlungsprozess „die Beteiligten durch beständiges Feilschen um wechselseitige Zugeständnisse schrittweise zu einer Einigung zu kommen suchen,“ so nannte Nikita Chruščovs dies einmal eine „Kleinkrämer-Methode“. Sowjetische Unterhändler hätten es, so erklärte er, nicht nötig, „Zugeständnisse zu machen, weil unsere Vorschläge nicht zum Zwecke des Feilschens ausgearbeitet worden sind,“ zitieren Craig/George Chruščov und stellen sodann fest: „Sowjetische Diplomaten der Zwischenkriegsperiode wie Tschitscherin, Litwinow und Molotow ließen sich von ähnlichen Grundsätzen leiten, und bei Verhandlungen registrierten sowjetische Unterhändler, selbst an präzise Weisungen gebunden, die ihnen wenig Spielraum ließen, die taktische Bewegungsfreiheit ihrer westlichen Pendants mit Argwohn. Vorschläge von der anderen Seite des Tisches verfielen fast automatisch der Ablehnung, und dann folgte mit penetranter Regelmäßigkeit eine keine Kompromissbereitschaft erkennen lassende Darstellung des sowjetischen Standpunktes.“3

Genau diesen Verhandlungsstil praktizieren die Transatlantiker gegenüber Russland im Grunde seit dem Ende des Ost-West-Konflikts. Sie lassen sich dabei von drei Verhandlungsmaximen leiten:

  • eine rigorose Ablehnung beinahe aller russischen Sicherheitsvorschläge und -bedenken,
  • keine Kompromissbereitschaft und
  • eine rücksichtslose Durchsetzung der eigenen geo- und sicherheitspolitischen Interessen.

Der Grund für diese transatlantische Ignoranz der russischen Sicherheitsinteressen war die ökonomische und militärische Schwächung Russlands als Folge des Untergangs des Sowjetimperiums, der es ins Chaos gestürzt hat. Russland ist keine Sowjetunion mehr und keiner hatte vor, mit Russland irgendwelche Verhandlungen auf Augenhöhe zu führen. Das Russland der 1990er- und 2000er-Jahre war eine im Niedergang begriffene und gescheiterte Weltmacht. Wie sich heute allerdings herausstellt, war es ein unverzeihlicher Fehler, Russland als Großmacht abzuschreiben.

Die geo- und sicherheitspolitische Lage hat sich drastisch zu Lasten des Westens und zu Gunsten Russlands verändert. Heute ist es Russland, das die Spielregeln für die diplomatischen Verhandlungen diktieren kann und wird. Es sitzt am längeren (militärischen) Hebel und wird aus der Position der Stärke verhandeln. Und wenn es nicht anderes geht, kann Russland es sich leisten, im Zweifel auch auf Verhandlungen ganz zu verzichten.

Nur wenn der Westen glaubhaft versichert, dass er zu ernsthaften Verhandlungen bereit ist, die nicht nur den Ukrainekonflikt, sondern auch die gesamteuropäische Sicherheitsordnung betreffen, kommt es zu sinnvollen, weil zielführenden Verhandlungen. Alles andere wird Schall und Rauch bleiben.

Anmerkungen

1. Craig, G. A./George, A. L., Zwischen Krieg und Frieden. Konfliktlösung in Geschichte und
Gegenwart. München 1984, 11 f.
2. Craig/George (wie Anm. 1), 175.
3. Craig/George (wie Anm. 1), 106.

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