Verlag OntoPrax Berlin

Europa in einer sicherheitspolitischen Sackgasse

Krieg ohne die USA – Verhandlungen ohne die EU?

Übersicht

1. „Amerika und Europa driften auseinander“
2. Zwischen Kriegslogik und Verhandlungszwang
3. Verhandlungen als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln?

Anmerkungen

„Solange Präsident Putin glaubt, den längeren Atem zu haben …, müssen wir
die Ukraine unterstützen … Ernst gemeinte Verhandlungen kann man leider
nur unter Einsatz militärischer Mittel herbeiführen.“
(Wolfgang Ischinger, 13. Februar 2023)1

1. „Amerika und Europa driften auseinander“

„Amerika und Europa driften auseinander“, berichtet die Tagesschau am 13. Februar 2025 nach Trumps Telefonat mit Putin. „Trump and Putin stun Europe with peace plan for Ukraine“ überschreibt Politico den Leitartikel am 12. Februar 2025.  

Noch am Vorabend des Telefonats zwischen Trump und Putin fragt der ehem. Chef der Münchener Sicherheitskonferenz (MSC), Wolfgang Ischinger, in einem Gastkommentar für das Handelsblatt am 11. Februar 2025, S. 18 f. voller Sorge: „Sind wir nun also tatsächlich auf dem Wege zu amerikanisch-russischen Gesprächen, zu Verhandlungen über einen möglichen Waffenstillstand oder gar über eine Friedensregelung für die Ukraine?“

Auf die selbstgestellte Frage hat er gleich eine Antwort parat: „Hier ist Skepsis angebracht.“ Ischinger will uns damit sagen: Die Ukraine müsse sich auf die Fortsetzung des Krieges und nicht auf die Friedensverhandlungen vorbereiten. Deswegen überschrieb er auch seinen Gastkommentar mit der Schlagzeile: „Die Ukraine muss noch intensiver unterstützt werden.“

Und nur ein Tag später platzte ein Telefongespräch zwischen Putin und Trump in Europa wie eine Bombe. Die Kriegspartei ist alarmiert und entsetzt. Trump spricht nicht nur vom Frieden, er hat sich auch „erdreistet“, ohne Abstimmung mit den EU-Europäern und ohne jedwede Bedingungen mit dem „Kriegsverbrecher“ Putin zu telefonieren und ihn dadurch salonfähig gemacht.

„Europa gegen Trump“ steht prominent auf der Titelseite der Wochenendausgabe des Handelsblatts von 14./16. Februar 2025 geschrieben. „Wir werden nicht über einen Frieden sprechen, wenn die Europäer daran nicht beteiligt sind“, zitiert das Blatt die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock.

Und Lettlands Außenministerin Baiba Braze pflichtet ihr im Interview mit dem Handelsblatt bei: „Wir werden Putins Versuche, die Grenzen mit Gewalt zu verändern, niemals akzeptieren.“ Schockiert zeigen sich hochrangige Brüsseler Diplomaten „über die Konzessionen, mit denen Trump in Verhandlungen eingestiegen ist,“ berichtet das Blatt in derselben Wochenendausgabe.

Ins gleiche Horn bläst auch Ischingers Nachfolger im MSC-Chefsessel, Christoph Heusgen. Denunziatorisch spricht er nach dem Telefonat zwischen Trump und Putin im ZDF heute am 13. Februar 2025 mit Verweis auf John McCain von Russland als einer „Tankstelle Chinas“, dessen „wirtschaftliche Situation … sehr schlecht“ sei. Und man sollte deswegen nicht schon im Vorfeld der Verhandlungen irgendwelche Konzessionen an Russland machen, belehrt Heusgen unsereinen.

Dass er sich dabei auf den bereits 2018 verstorbenen US-Senator John McCain, der sein Leben lang die Sowjetunion/Russland bekämpft hat, beruft, zeigt nur, wie sehr er aus der Zeit gefallen ist und wie wenig er versteht, was in Russland und an der russisch-ukrainischen Front heute vor sich geht.

„Trump entfremdet die USA vom Westen“, überschreibt auch Torsten Riecke seinen Beitrag einige Seiten weiter (S. 13), als wären die USA nicht der „Westen“ schlechthin. „Ukraine fürchtet Diktatfrieden“ (S. 9), lesen wir eine weitere Schlagzeile.

Und der Münchener Politikwissenschaftler, Carlo Masala, der in Kriegszeiten zum Sprachrohr der Kriegspartei geworden ist, sekundiert: „Das ist ein apokalyptisches Szenario. Es werden Verhandlungen über die Köpfe der Ukrainer und der Europäer hinweggeführt. … Wir stehen blank da. So wie wir drei Jahre lang keine Strategie für diesen Krieg hatten, haben wir jetzt keine Strategie für die Zeit danach. Das ist bitter. Es ist ein massives Versagen.“2

Selbstbemitleidung, Entrüstung und Entsetzen der EU-Europäer kennen keine Grenzen. Drei lange Jahre waren sie auf Krieg eingestimmt. Und jetzt? Jetzt müssen sie radikal umdenken!? Das kommt überhaupt nicht in Frage, empört sich die Kriegspartei und weigert sich ihr Kriegsbeil zu begraben. Es bestehe gar keine Eile, mit Russland Verhandlungen zu führen, will sie uns sagen.

Sie hat ihre Reihen geschlossen und glaubt in ihrer geballten Ohnmacht „mächtig“ zu sein. Fassungslos ist sie darüber, dass Trump sie und die Ukraine nicht einmal gefragt hat, und fordern ihr „Recht“, mitverhandeln zu dürfen.

Die EU-Europäer möchten nun auf den fahrenden Friedenszug springen, der die ganze Zeit auf dem Abstellgleis stand und den sie jahrelang links liegen ließen und auf keinem Falle besteigen wollten, bis der neue Herr aus Übersee den Zug bestiegen hat, ohne sie zu fragen.

Nun ist der Zug in Bewegung gekommen und sie möchten „urplötzlich“ mitgenommen werden, wurden aber vom russischen Außenminister, Sergej Lawrow, brüsk in die Schranken gewiesen.

Die EU-Europäer hätten in den Verhandlungen nichts zu suchen, wenn sie erwarten, dass der Ukrainekonflikt zugunsten einer weiteren Aufrüstung Kiews eingefroren werde, sagte Lawrow am 17. Februar 2025 auf einer Pressekonferenz im Anschluss an Gespräche mit dem serbischen Außenminister Marko Djuric und fügte gleich hinzu: „Die Philosophie der Europäer ist ja die gleiche geblieben. Ich weiß deswegen nicht, was sie am Verhandlungstisch zu suchen haben. Wenn sie nur darauf bedacht sind, wie man den Konflikt einfrieren könnte, um … den Krieg später fortzusetzen, warum sollte man sie dann überhaupt einladen?“

Die EU-Europäer können in der Tat nicht die Verhandlungen ablehnen und zu gleicher Zeit fordern, am Verhandlungstisch sitzen zu dürfen. Im blinden Vertrauen auf den „größten Anführer aller Zeiten“, Joe Biden, ließen sie sich in den Krieg hineinziehen und jetzt fühlen sie sich von Trump verraten und wissen nicht, was sie tun sollten.

Nun ja, auch „die Maulwürfe der Geschichte graben blind.“3 Und wie die blinden Maulwürfe kommen alle Kriegsbesoffenen jetzt aus ihren im Kriegstumult tiefgegrabenen dunklen Löchern an die Erdoberfläche und werden vom Friedenslicht derart geblendet, dass sie, die Zeichen der Zeit verkennend, weiterhin blindwütig nach dem Krieg lechzen, ohne sich dabei vom Verhandlungstisch fernhalten zu lassen.

Die Kriegspartei will freilich nur dann verhandeln, wenn es nur ihren Kriegszielen nützt und nicht der Wiederherstellung des Friedens und der Sicherheit in Europa dient. Sie muss nur aufpassen, nicht schon wieder einen Zug zu verpassen, um nicht auf der Strecke zu bleiben und sich erneut von Lawrow sagen zu lassen, dass sie am Verhandlungstisch nichts zu suchen haben.

2. Zwischen Kriegslogik und Verhandlungszwang

Wie sich die EU-Europäer mit ihrer zur Schau gestellten Militanz am Verhandlungstisch verhalten hätten, wären sie eingeladen, können wir von einem ihrer prominentesten Repräsentanten, Wolfgang Ischinger, erfahren, der in seinem oben erwähnten Gastkommentar darauf eine klare Antwort gegeben hat. Seine Ausführungen zeigen, wie sehr er stellvertretend für die Kriegspartei „Putins Russland“ mit seinem gewaltigen militärischen Machtpotenzial unterschätzt und die Nato-Allianz überschätzt.

Es ist erschreckend und deprimierend zugleich immer wieder sehen zu müssen, wie inkompetent solche Sicherheits- und Militärexperten sind und mit welcher kaltschnäuzigen Machtarroganz und unerträglichen Leichtigkeit des Seins sie sich über ihre eigenen katastrophalen Fehlentscheidungen und Untaten seit dem Ende des Ost-West-Konflikts hinwegsetzen.

„Aus diversen Davoser Gesprächsrunden und Vorbereitungsgesprächen für die bevorstehende Münchener Sicherheitskonferenz (MSC)“ leitet Ischinger sechs Thesen ab, die allesamt wenig mit der geopolitischen Realität und der des Krieges, viel aber mit Fantasie und Wunschdenken derer zu tun haben, die in ihren „Vorbereitungsgesprächen“ Selbstgespräche unter Gleichgesinnten führten, ohne die Standpunkte, Meinungen und Urteile der Gegenseite wenigstens zur Kenntnis zu nehmen.

Die Russen waren ja nicht dabei. „Ranghohe russische Vertreter seien zur Konferenz nicht akkreditiert,“ verkündete der MSC-Leiter, Christoph Heusgen, stolz und selbstentlarvend in einem Interview mit dem DLF am 14. Februar 2025. Man hat es ja nicht nötig, mit Russen zu diskutieren oder ihnen gar zuzuhören. Man ist es ja gewöhnt, in den vergangenen Jahrzehnten Russen zu ignorieren, statt mit ihnen zu diskutieren, und/oder sie zu belehren, statt ihre Gegenargumente anzuhören.

Das Ergebnis dieser Gesprächs- und Diskussionsunfähigkeit ist seit drei Jahren auf dem ukrainischen Schlachtfeld zu besichtigen. Und die Folgen dieser Dialogverweigerung sind Ischingers sechs Thesen, die eher an ein Seminar für freie Assoziationen denn an eine nüchterne sicherheitspolitische Analyse der Gegenwart erinnern:

  1. „Der Frieden wird umso teurer, je billiger der Waffenstillstand erkauft wird und je weniger wasserdicht er ist. Deshalb gilt: Die Unterstützung der Ukraine darf nicht zurückgefahren werden – im Gegenteil, sie muss intensiviert werden. Der Preis für Putin, wenn er diesen Krieg fortführt, muss so hoch wie möglich sein.“

Das ist die altbekannte Position der Kriegspartei, die noch nie nach dem Preis für die Ukraine gefragt und immer nur den hohen „Preis für Putin“ angefordert hat. Wie katastrophal die Lage in der Ukraine ist, hat sie auch nie interessiert. Geradezu besessen fordern sie den „Preis für Putin“ hochzuhalten: Je mehr Russen man tötet, umso mehr wird Putin bereit sein, den Krieg zu beenden. Das steht verklausuliert hinter der Parole „Preis für Putin“.

Und was ist mit der Ukraine selbst? Will Ischinger etwa den Krieg bis zum letzten Ukrainer führen, wie der britische Ex-Premier Boris Johnson einst forderte? Und wenn alle Ukrainer (Gott bewahre!) tot sind, will Ischinger dann deutsche Soldaten in die Schlacht an die „Ostfront“ entsenden, damit der „Preis für Putin“ so hoch wie möglich ist? Diese perverse Kriegslogik kennt keine Grenzen. Sie hat den „totalen Krieg“ zufolge. Hat Ischinger (geb. 1946) die eigene deutsche Geschichte vergessen?

Hat Ischinger die Sportpalast-Rede des Propagandaministers Joseph Göbbels vom 18. Februar 1943 vergessen? „Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?“ brüllte Goebels in die Menge und die Menge brüllte bejahend zurück.

Das deutsche Volk ist heute im Gegensatz zur deutschen Machtelite zum Glück weiser geworden und lehnt in seiner überwältigenden Mehrheit die Logik jeden Krieges ab.

Und wer sagte Ischinger denn, dass Putin einen „Waffenstillstand“ anstrebt? Russland lehnt jedes Waffenstillstandsabkommen kategorisch ab. Das hat Putin immer wieder und zuletzt in seiner Rede am 14. Juni 2024 klar und deutlich formuliert. Russland geht es einzig und allein um einen allumfassenden Friedensvertrag. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!

Dass Ischinger samt der Kriegspartei das nicht einmal weiß, ist nicht nur seinen antiquierten Vorstellungen von Russland, die auf den „Kalten Krieg“ zurückgehen und mit den gegenwärtigen russischen geo- und sicherheitspolitischen Interessen nichts zu tun haben, sondern auch seiner Dialogunfähigkeit zu verdanken.

Wer wie Ischinger und seine Mitstreiter in einer medialen Blase lebt und allein mit Gleichgesinnten kommuniziert, verkennt und ignoriert die sich rasch verändernde Welt, die die alten Mythen von der ökonomischen und technologischen Überlegenheit des „Westens“ und der Unbesiegbarkeit der Nato als der „stärksten militärischen Allianz aller Zeiten“ längst zertrümmert hat, ohne dass Ischinger und Co. diese revolutionären Entwicklungen überhaupt mitbekommen haben.

Dieses selbstverliebte Publikum setzt auf Krieg, nicht auf Frieden. Und die zweite These bestätigt unsere Beobachtung.

2. „Ein früher Gipfel mit Trump … wäre für Putin eine vollkommen unverdiente Belohnung. Dies sollte, wenn überhaupt, erst gegen Ende eines aussichtsreichen Verhandlungsprozesses ins Auge gefasst werden.“

Dieser Hochmut, Machtarroganz und maßlose Selbstüberschätzung sind zum guten Ton des europäischen „Kriegsadels“ nicht erst seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine geworden. Er entstand schon im Siegesrausch der 1990er-Jahre, der „das Ende der Geschichte“ propagierte und die Weltherrschaft des Westens auf Ewigkeit für sich reklamierte.

Diese selbsternannten „Gottesmänner“ stehen heute vor den Trümmern ihrer gescheiterten Welt- und Geopolitik und merken nicht, dass sie weder Russland noch den anderen Großmächten wie China oder Indien die geopolitischen Spielregeln diktieren und ihre „regelbasierte Ordnung“ oktroyieren können.

3. „It ain`t over till it`s over“, lautet Ischingers dritte These. „Wir müssen auf der Hut sein und dürfen keinen Waffenstillstand unterstellen, bevor überhaupt Verhandlungen begonnen haben,“ warnt unser „Verhandlungsexperte“.

Erneut spricht Ischinger von einem „Waffenstillstand“ und verrät damit seine Unkenntnisse über die tatsächlichen militärischen Kräfteverhältnisse an der „Ostfront“. Es ist nicht im Interesse Russlands, sich auf einen Waffenstillstand einzulassen, wenn es sich seit Monaten in einer erfolgreichen Offensive befindet.

„It ain`t over till it`s over“ (Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist) gilt im Übrigen auch in umgekehrter Richtung. Russland kann sich erst dann auf einen Waffenstillstand einlassen, wenn es keine Ukraine mehr gibt. Dann ist alles vorbei, weil dann alles vorbei ist. Es ist darum zuallererst im Interesse des Westens, nicht Russlands, sich so schnell wie möglich auf Verhandlungen einzulassen.

4. Noch abenteuerlicher ist Ischingers vierte These:

„Der Westen sollte es der russischen Seite nicht allzu leicht machen: Zurzeit werden allenthalben Friedens- und Verhandlungspläne geschmiedet und Szenarien entwickelt, als sei die Sache schon gelaufen. Ein Beispiel sind die viel diskutieren Vorschläge, eine Waffenstillstandslinie durch europäische Truppen abzusichern. … Und der französische Präsident Emmanuel Macron hat recht, wenn er prinzipiell keine Option ausschließen will… Warum sollten wir es dem Kreml leicht machen, indem wir vorab signalisieren, welche Optionen wir von vornherein ausschließen?“

Ischinger erweckt hier den Eindruck, als würden die EU-Europäer vor lauter Kraft kaum gehen können, ohne offenbar zu wissen, dass der Kreml die EU nicht einmal als Subjekt der Geo- und Sicherheitspolitik und allein und ausschließlich als Anhängsel der US-Weltpolitik betrachtet.

Erneut zeigt sich, mit welchem hohlen Pathos und Imponiergehabe Ischinger stellvertretend für die EU-Europäer die geo- und sicherheitspolitische Realität verleugnet und glaubt, „dem Kreml“ irgendetwas diktieren zu können.

3. Verhandlungen als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln?

Es war seit Jahren das erklärte Ziel Russlands, keine Nato-Truppen an der Grenze zu Russland stationieren zu lassen. Und jetzt glauben die EU-Europäer, dass Moskau zur Absicherung einer Waffenstillstandslinie die europäischen Truppen auf ukrainischem Boden akzeptieren wird.

Was für eine Realitätsverweigerung! Sie wollen immer noch nicht wahrhaben, was der stellvertretende Vorsitzende von Staatsduma, Pjotr ​​Tolstoi, bereits am 21. März 2024 in einem Interview mit dem französischen Fernsehsender BFMTV verkündete: „Wir werden alle französischen Soldaten töten, die den ukrainischen Boden betreten. Alle!“

Darüber hinaus betonte Tolstoi, dass sich die Russländische Föderation „nicht um die Aussagen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und seine Worte über die Aufgabe der Beschränkungen bei der Unterstützung Kiews schere“.

Und jetzt will Ischinger dem deutschen Michel weismachen, dass wir keine „Optionen von vornherein ausschließen“ wollen. Will Ischinger auch die Entsendung deutscher Soldaten nicht ausschließen, damit sie in Särgen nach Hause zurückkehren?

5. Mit seiner fünften These schließt Ischinger in der Tat die Entsendung deutscher Soldaten in die Ukraine nicht aus und ist nur besorgt darüber, dass Washington „an amerikanische >boots on the ground< in der Ukraine überhaupt nicht denke.“ „Wenn aber europäische Nato-Soldaten in der Ukraine disloziert wären“, sinniert Ischinger weiter, „ohne gleichzeitige Anwesenheit amerikanischer Truppen, wäre das nicht geradezu die historische Gelegenheit für Moskau, einen Keil in die Nato zu treiben?“

In der Logik der Konfrontation des „Kalten Krieges“ leben solche EU-europäischen Zeitgenossen wie Ischinger immer noch. Sie haben immer noch nicht gemerkt, dass die Blockkonfrontation der bipolaren Weltordnung bereits seit vierunddreißig Jahren zu Ende ist und dass der Schlachtruf des „Kalten Krieges“: „lieber tot als rot“ längst überholt ist.

Die Nato-Truppen haben in der Ukraine nichts zu suchen. Das hat selbst Washington begriffen. Nur Ischinger hat es mit seinem europäischen „Kriegsadel“ noch nicht zur Kenntnis genommen. Offenbar nehmen sie Pjotr ​​Tolstois Warnung immer noch nicht ernst.

6. Zum Schluss stellt Ischinger seine ganze Naivität zur Schau, indem er Fragen aufwirft, die er nie aufgeworfen hätte, besäße er wenigstens die elementaren Kenntnisse über die Ziele und Intentionen der russischen Geo- und Sicherheitspolitik.

Da fragt er allen Ernstes, ob Moskau einer „Stationierung Zehntausender europäischer Soldaten in der Ostukraine … zustimmen würde“? Dass er nach drei Jahren andauendem Krieg ausgerechnet von einer Stationierung der Nato-Truppen in der Ostukraine träumt, wo doch der eigentliche Kriegsgrund Russlands darin bestand, die Nato-Expansion in der ganzen Ukraine zu verhindern, ist unbegreiflich.

Und wenn Ischinger beklagt, dass „Moskau noch nicht einmal seine prinzipielle Bereitschaft erklärt (hat), mit Selenskyj zu verhandeln“, dann kennt er offenkundig immer noch die Gründe dafür nicht, die Putin schon hundertmal erklärt hat. Putin hält Selenskyj für einen illegitimen Machthaber, dessen Amtszeit bereits im Mai 2024 abgelaufen ist. Und selbst wenn der Kreml bereit wäre, mit Repräsentanten des ukrainischen Regimes zu verhandeln, wäre Selenskyj nicht befugt, einen ausgehandelten Friedensvertrag zu unterzeichnen.

Denn einen vom demokratisch nicht legitimierten Herrscher unterzeichneten Vertrag hätte eine andere ukrainische Regierung jederzeit juristisch anfechten und für null und nichtig erklären können. Zudem hat Selenskyj am 30. September 2022, als er noch amtierender ukrainischer Präsident war, ein Dekret unterzeichnet, in dem er die Unmöglichkeit von Verhandlungen mit Putin erklärte.

Das Dekret bestätigt die Entscheidungen des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine vom 30.9.2022 und stellt fest, „dass es unmöglich ist, Verhandlungen mit dem Präsidenten der Russischen Föderation, W. Putin, zu führen“.

Und dieses Dekret ist bis heute in Kraft. „Die Crux bei der Sache“ ist laut Putin, dass Selenskyj, der nicht mehr legitimer Präsident der Ukraine sei, nicht befugt sei, das geltende Dekret zu annullieren. Deswegen mache es unmöglich, mit Selenskyj Friedensverhandlungen zu führen.

Das ist die juristische Argumentation der russischen Führung, die Ischinger entweder nicht kennt oder mit einer ihm und seinen Gleichgesinnten gewöhnten Machtarroganz komplett ignoriert. Wer aber Russland nicht ernstnimmt, muss sich nicht wundern, dass er entsprechend arrogant behandelt und ignoriert wird.

Und wenn Ischinger nach wie vor der Kriegslogik folgt und immer noch der gleichen Meinung ist, die er bereits vor zwei Jahren, am 13. Februar 2023, in einem Focus-Interview formulierte: „Ernst gemeinte Verhandlungen kann man leider nur unter Einsatz militärischer Mittel herbeiführen,“4 dann, ja dann müssen er und die Gleichgesinnten sich nicht wundern, dass sie zu den bevorstehenden Friedensverhandlungen nicht eingeladen werden.

„Um einen Platz am Verhandlungstisch mit Russland und den USA zur Lösung des Ukrainekonflikts zu bekommen, müssen sie zuerst ihre an der Fortsetzung des Krieges ausgerichtete Ukrainepolitik ändern.“ Diese Meinung vertrat der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban am 14. Februar 2025 im Morgenprogramm des Radiosenders Kossuth. 

Er zeigte sich verwundert darüber, dass die EU-Staats- und Regierungschefs, die seit drei Jahren für den Krieg trommeln und weiterhin an der Kriegspolitik festhalten, empört darüber sind, dass sie an den Friedensverhandlungen nicht teilnehmen dürfen.

„Die Plätze am Verhandlungstisch werden aber nicht einfach verteilt, sie müssen erst verdient werden. Und warum sollte Europa, das den Krieg unterstützt, dort einen Platz bekommen“, sagte Orban und fügte anschließend hinzu: Es sei unmöglich, „nichts für den Frieden zu tun“ und gleichzeitig darauf zu bestehen, an den Friedensverhandlungen teilnehmen zu können.

Warum die EU-Europäer darauf bestehen, geht aus Ischingers Gastkommentar mehr als deutlich hervor: Sie möchten an Verhandlungen nicht um des Friedens willen teilnehmen, sondern um ein angebliches „Friedensdiktat“ (Olaf Scholz) bzw. einen „schmutzigen Frieden“ (Kaja Kallas) zu verhindern, was letztendlich auf die Fortsetzung des Krieges hinausläuft.

Was Lawrow davon hält, haben wir bereits oben kennenlernen dürfen. Europa befindet sich in einer sicherheitspolitischen Sackgasse. Falls sich die beiden nuklearen Supermächte einigen, werden die EU-Europäer genauso wie die Ukraine zum Frieden gezwungen, es sei denn, Europa führe seinen einsamen Krieg gegen Russland ohne die USA.

Mit ihrem Versuch, Russland zu isolieren, haben die EU-Europäer sich selbst isoliert und von Friedensverhandlungen ausgeschlossen. Sie wollten Sicherheit ohne Russland und bekamen Krieg mit Russland. Eine „geniale“ Strategie!?

Anmerkungen

1. Zitiert nach Silnizki, M., Geschichte als Verklärung und Aufklärung. Anlässlich der Münchener
Sicherheitskonferenz 2023. 22. Februar 2023, www.ontopraxiologie.de.
2. Zitiert nach „Putin wird in die Hände klatschen“, Bild, 13. Februar 2025.
3. Zitiert nach Kobrinskaja, I., Der Westen in Russland: Dimensionen des außenpolitischen Diskurses,
in: Schulze, P. W. u. a. (Hg.), Die Zukunft Russlands. Staat und Gesellschaft nach der Transformationskrise.
Frankfurt/New York 2000, 367-412 (381).
4. Zitiert nach Silnizki (wie Anm. 1).

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