Keith Kelloggs Strategiepapier zu Friedensverhandlungen
Übersicht
1. Bidens Provokation und Putins Intervention
2. Ideologiefreie Russlandpolitik aus der Position der Stärke
3. „America First“ statt „America is Back“?
Anmerkungen
„Trump has ushered in an entirely new U.S. grand strategy: illiberal hegemony.“
(Trump hat eine ganz neue Grand Strategie der USA eingeführt:
die illiberale Hegemonie.)
(Barry R. Posen, 2018)1
1. Bidens Provokation und Putins Intervention
Der frühere Drei-Sterne-General, Keith Kellogg (geb. 1944), soll US-Sondergesandter für die Ukraine und Russland werden. Dass ausgerechnet Kellogg dazu auserkoren wurde, hat einen einfachen Grund. Neben seiner Loyalität zu Trump ist er beinahe der einzige aus der Trump-Mannschaft, der sich eingehend mit dem Ukraine-Konflikt auseinandergesetzt und gemeinsam mit seinem Co-Autoren Fred Fleitz ein umfangreiches Strategiepapiere vorgelegt hat.
Das erwähnte Strategiepapiere wurde vom America First Policy Institute (AFPI) am 9. April 2024 veröffentlicht. Sieht man von der Lobpreisung Trumps und einer parteipolitischen Polemik gegen „Bidens Inkompetenz in Sachen der nationalen Sicherheit“ (Biden’s National Security Incompetence) ab, die das ganze Strategiepapier durchziehen, so zeichnet es sich erstens durch eine Geschichtsklitterung, die ohnegleichen ist, und zweitens durch die Unkenntnis der Vorgeschichte und des tatsächlichen Verlaufs des Ukrainekonflikts aus.
Und jetzt soll dieser achtzig Jahre alte Drei-Sterne-General die Friedensverhandlungen führen!? Was er mit Fleitz zusammengeschustert hat, deutet eher auf eine weitere Konfrontation, Eskalation und Zuspitzung des Ukrainekonflikts als auf Entspannung und Kriegsbeendigung hin. Sein Kenntnisstand und Hintergrundwissen von den russisch-ukrainischen und russisch-amerikanischen Beziehungen hält keiner Kritik stand.
In Verkennung der US-Geopolitik der vergangenen dreißig Jahre seit dem Ende des Ost-West-Konflikts behauptet Kellogg, dass der Ukrainekrieg „eine vermeidbare Tragödie“ (an avoidable tragedy) war. Und die Ursache für diese „vermeidbare Tragödie“ führt er auf eine angebliche „Inkompetenz“ Bidens als „world leader“ und dessen „chaotische Außenpolitik“ (chaotic foreign policy) zurück.
Sieht man von einer parteipolitisch motivierten Kritik eines Maga-Republikaners ab, so zeigt allein schon diese Fehldiagnose, die seinem gesamten Strategiepapier zugrunde liegt, wie wenig Kellogg verstanden hat, worum es der Biden-Administration in diesem Ukrainekonflikt eigentlich ging. Der Krieg war weder „vermeidbar“ noch betrieb Biden aus außenpolitischer „Inkompetenz“ eine „chaotische Außenpolitik“.
Biden ist einer der erfahrensten – wenn nicht gar der erfahrenste US-Außenpolitiker, dessen außenpolitische Aktivitäten bereits auf Anfang der 1970er-Jahre zurückgehen. Im August 1979 besuchte er als 36-jähriger Senator und Leiter der Delegation von sieben US-amerikanischen Senatoren die Sowjetunion und traf sich mit dem damaligen Vorsitzenden des Ministerrats Alexej Kosygin (1904-1980).
„Wir vertrauen Ihnen nicht, und Sie vertrauen uns nicht“, sagte Kosygin Joe Biden bei diesem Treffen. Und dieses Misstrauen zu den Sowjetführern hat Biden auch auf die russische Führung übertragen. Sein ganzes Leben blieb er ein Kalter Krieger und sah in Putins Russland nichts weiter als ein „aggressives“ und auf „Expansion“ ausgerichtetes Land, das der Sowjetunion nachtrauert.
Nicht Bidens außenpolitische „Inkompetenz“, wie Kellogg behauptet, sondern das Denken in der Logik des „Kalten Krieges“ hat die US-Außenpolitik der Biden-Administration bestimmt. Deswegen war auch der Ukrainekrieg unvermeidbar, weil Bidens Russlandpolitik einen Krieg gezielt provoziert und Putins Intervention unvermeidbar gemacht hat.
Wenn Kellogg nun behauptet, dass „ein starker und fest entschlossener US-Präsident mit einer harten und kohärenten US-Außenpolitik gegenüber Russland … Putin hätte davon abhalten können, die Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 anzuordnen“, so verkennt er die US-Russlandpolitik der vergangenen Jahrzehnte und ignoriert darüber hinaus die militärische Zuspitzung des innerukrainischen Konflikts im Vorfeld der russischen Intervention.
Biden hatte auch gar nicht vor, Putins Intervention zu verhindern. Ganz im Gegenteil: Der Krieg war gewollt. Es ist darum nicht Bidens „Inkompetenz“, sondern Kelloggs Unkenntnis der an der Demarkationslinie zwischen der ukrainischen Zentralregierung und den Aufständischen stattgefundenen dramatischen Zuspitzung des Konflikts, die ihn dazu verleitet, zu behaupten, dass „Bidens Inkompetenz in Sachen der nationalen Sicherheit die Ukraine in die Katastrophe führte“ (Biden’s National Security Incompetence Resulted in Disaster for Ukraine), weil Biden angeblich Putin, der seinen Truppen den Einmarsch in die Ukraine befahl, falsch einschätzte (vgl.: Biden Misjudged Putin Before He Ordered Russian Troops to Invade Ukraine).
Die Fakten sprechen freilich gegen Kellogg. Fest entschlossen, die Gebiete gewaltsam zu „befreien“, begann die Kiewer Zentralregierung im Herbst 2021 einen massiven Truppenaufmarsch der ukrainischen Streitkräfte von schätzungsweise 120.000/140.000 Kämpfer entlang der Demarkationslinie zu konzentrieren. Am 17. Februar 2022 – genau eine Woche vor der russischen Intervention – setzte das ukrainische Militär die Provinzen Donbas und Luhansk unter massivem Artilleriefeuer offenbar als Vorbereitung zum Bodenangriff, dem Russland mit Präventivschlag am 24. Februar 2022 zuvorgekommen ist.2
Seitdem ist Russland dem Vorwurf einer Aggression gegen einen souveränen Staat ausgesetzt. Die russische Führung sieht das ganz anders. Sie kam ihrer Meinung nach lediglich einem eklatanten Bruch des Minsker Abkommens durch den Versuch der Kiewer Zentralregierung, die Gebiete gewaltsam zurückzuerobern, zuvor.
Deswegen betrachtet die russische Führung ihre Vorgehensweise bis heute als einen Präventivschlag, für dessen Ausweitung zu einem regelrechten Krieg sie vor allem die US-Amerikaner und die Briten verantwortlich macht.3
2. Ideologiefreie US-Russlandpolitik aus der Position der Stärke
Warum sollte die Biden-Administration aber eine russische Intervention in der Ukraine wollen? Die Antwort liegt auf der Hand: Als alter Haudegen des „Kalten Krieges, der der Logik der Systemkonfrontation der bipolaren Weltordnung verhaftet blieb, witterte Biden die geopolitische Chance seines Lebens, getreu Brzezinskis „imperialer Geostrategie“4 Russland ein für alle Mal eine „strategische Niederlage“ zuzufügen, sollte Russland in der Ukraine intervenieren.
Die erwartbare und letztlich erfolgte, weil provozierte Intervention Russlands war anfänglich aus Sicht der Biden-Administration zweifellos ein großartigste Erfolg der US-Geopolitik, der es gelungen ist, nicht nur einen Keil zwischen Europa und Russland erfolgreich zu treiben, nicht nur die EU und die USA in ihrem nie enden wollenen Kampf gegen Russland wie zu Zeiten des „Kalten Krieges“ noch enger zusammenzuschweißen und nicht nur Europa in wirtschaftliche Kalamitäten zu stürzen, sondern Russland auch mit den schwersten monetären, finanziellen und ökonomischen Sanktionen aller Zeiten zu belegen und dem geopolitischen Rivalen große Schaden zuzufügen.
Im Glauben, dass Russland mit seiner Intervention in der Ukraine genau dasselbe Schicksal wie der Sowjetunion mit ihrer Invasion in Afghanistan 1979 widerfahren wird und zur „strategischen Niederlage“, sprich: dessen Zerfall, führen wird, hat Biden in Wirklichkeit die Zeichen der Zeit verkannt. Russland ist heute nicht die Sowjetunion und die Ukraine ist nicht Afghanistan.
Bidens Abenteuer hat sich, so gesehen, als eine geostrategische Fehlkalkulation erwiesen, und zwar nicht – wie Kellogg vermutet – wegen seiner außenpolitischen „Inkompetenz“, sondern wegen seinem Verharren in der Blocklogik der Konfrontation des „Kalten Krieges“. Zudem hat die Biden-Administration die ökonomische und militärische Überlegenheit der USA maßlos überschätzt und Russlands militärisches und ökonomisches Potenzial unterschätzt.
Statt einer ökonomischen und militärischen Schwächung Russlands hat Biden ökonomisch die europäische und zuallererst die deutsche Wirtschaft geschwächt und geostrategisch Russland, worauf Kellogg zu Recht hinweist, nicht nur unnötig zum Feind der USA gemacht, sondern es auch in die Arme Chinas getrieben und zur Bildung einer neuen Achse Russland-China-Iran-Nordkorea beigetragen (vgl.: Biden’s hostile policy toward Russia not only needlessly made it an enemy of the United States, but it also drove Russia into the arms of China and led to the development of a new Russia-China-Iran-North Korea axis).
Was schlägt Kellogg aber selber zur Befriedung des Ukrainekonflikts vor? Seinen Friedensplan nennt er einen „America First“-Ansatz, der drei Punkte umfasst, die seiner Meinung nach die russische Invasion hätte verhindern können:
- Es lag im besten US-Interesse, den Frieden mit Putin aufrechtzuerhalten und ihn nicht mit „aggressiven Menschenrechts- und Demokratiekampagnen“ (aggressive globalist human rights and pro-democracy campaigns) sowie mit einer ukrainischen Nato-Mitgliedschaft zu provozieren.
- Es lag auch im US-Interesse, mit Putin eine Einigung über den Nato-Beitritt der Ukraine bis Januar 2022 zu erzielen, als es Anzeichen für eine bevorstehende russische Invasion gab. Statt Putin öffentlich zu kritisieren, hätte die Biden-Administration auf einen Kompromiss hinarbeiten müssen. Ein US-Angebot, den Nato-Beitritt der Ukraine um ein Jahrzehnt zu verschieben, hätte womöglich ausgereicht, um Putin von der Invasion abzuhalten.
- Die USA und ihre Nato-Verbündeten hätten der Ukraine im Herbst 2021 massiv aufrüsten müssen, um eine russische Invasion abzuschrecken.
Kelloggs drei Punkte deuten in der Tat einerseits auf einen ganz anderen außenpolitischen, vor allem ideologiefreien bzw. realpolitischen Ansatz in der US-Russlandpolitik hin. Damit erweckt er den Eindruck in der US-republikanischen Tradition der Nixon/Kissinger-Außenpolitik zu stehen.
Die Nixon-Administration ging von einem realpolitischen und ideologiefreien Leitgedanken aus, dass die Verfassungsordnung der Supermächte als legitim erachtet und deren Existenz getreu dem Motto anerkannt wird: „Nicht der Kommunismus, sondern die internationale Anarchie sei die größte Gefahr.“5
Getreu diesem Motto merkte Kissinger einst spöttisch an: Im außenpolitischen US-Establishment herrschte eine Stimmung vor, die entweder von der Theologie oder von der Psychiatrie vorgegeben wird. An die Stelle einer „totalen Konfrontation (im Sinne der >Theologen<)“ oder „totalen Versöhnung (wie die >Psychiater< forderten)“ müsse demgegenüber „das nationale Interesse als maßgebliches Kriterium für eine langfristige amerikanische Außenpolitik“6 treten.
Kellogg predigt aber andererseits die US-Russlandpolitik aus der Position der Stärke und steht damit in der Tradition von Reagans ideologiegeleiteter Sowjetpolitik, die mit ihrem „Krieg der Sterne“ das sowjetische „Reich des Bösen“ (evil empire) in die Knie zwingen wollte.
Dass Reagans Außenpolitik aus der Position der Stärke bei den US-Republikanern viele Anhänger hat und nach wie vor einflussreich ist7, zeigt ein gerade veröffentlichter Artikel von zwei der US-republikanischen Partei nahestehenden Autoren Mark Montgomery und John Hardie. „Trump sollte Putin erzittern lassen, bevor sie sich zu einem Gespräch zusammensetzen“ (Trump Should Make Putin Wince Before They Sit Down to Talk) überschreiben Montgomery/Hardie übermutig ihren Artikel in Foreign Policy am 4. Dezember 2024.
Und im Untertitel steht geschrieben: „A maximum pressure campaign would raise the likelihood of a fair and lasting peace in Ukraine“ (Eine Kampagne mit maximalem Druck würde die Wahrscheinlichkeit eines gerechten und dauerhaften Friedens in der Ukraine erhöhen).
Wie Kellogg die zwei gegensätzlichen Positionen unter einen Hut bringen will, bleibt sein Geheimnis. Die beiden Ansätze der US-republikanischen Außenpolitik von der Nixon/Kissinger- und Reagan-Administrationen, die sich praktisch gegenseitig ausschließen, werden keine kohärente Russlandpolitik der Trump-Administration gewährleisten.
Und wenn Kellogg darüber hinaus noch dafür plädiert, die ukrainische Nato-Mitgliedschaft nicht auszuschließen, sondern lediglich um zehn Jahre zu vertagen und damit den Kriegshauptgrund aufrechtzuerhalten, dann führt Kelloggs „America First“-Ansatz letztlich zur Zuspitzung und nicht zur Entschärfung des Ukrainekonflikts.
Kelloggs Strategiepapier hat vor diesem Hintergrund gar keine Chance auf Realisierbarkeit und ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.
3. „America First“ statt „America is Back“?
Unabhängig davon, ob Biden oder Trump an der Macht ist, befindet sich die US-Außenpolitik in einer Sackgasse, solange die außenpolitischen Dogmen und Mythen nicht überwunden und/oder beseitigt werden. Diese These stellten Nancy Okail und Matthew Duss in ihrem Beitrag für Foreign Affairs am 3. Dezember 2024 auf.
„America is Cursed by a Foreign Policy of Nostalgia“ (Amerika ist verflucht durch eine nostalgische Außenpolitik) überschreiben sie ihren Beitrag und erklären bereits im Untertitel, worum es ihnen eigentlich geht: „Washington Needs Something Better Than >America First< and >America is Back<“ (Washington braucht etwas Besseres als „America First“ und „America Is Back“).
Mit ihrem Beitrag präsentieren sie eine Analyse, die zeigt, wie festgefahren die US-Außenpolitik seit dem Ende des „Kalten Krieges“ ist, und stellen gleich zu Beginn ihres Beitrages fest: „The old Washington consensus is dead“ (Der alte Washingtoner Konsens ist tot).
Der unumstößliche außenpolitische Konsens des US-Establishments, dass nämlich die Weltordnung, die von der „American military hegemony“ gestützt werde, es selbstverständlich wert sei, aufrechterhalten zu werden, koste es, was es wolle, gelte mit Trumps Wiederwahl zum 47. US-Präsidenten nicht mehr.
Der „America first“-Ansatz sei aber „keine gangbare Alternative“ und genauso wenig eine Lösung wie der „liberale Internationalismus“ der US-Demokraten. Trumps Außenpolitik bezwecke nicht so sehr einen ihm unterstellten „Isolationismus“ als vielmehr einen „aggressiven Unilateralismus“ (aggressive unilateralism), den Barry Posen als „illiberale Hegemonie“ bezeichnete.8
Die US-Amerikaner brauchen heute weder einen „America first“-Unilateralismus noch eine „America is back“-Nostalgie. Denn „der alte liberale Internationalismus“ (the old liberal internationalism), der eine „regelbasierte Ordnung“ propagiert, gelte für den Rest der Welt als eine Weltordnung, deren Spielregeln von ihren Protagonisten selber stets „verbogen und gebrochen“ werden.
Sie gewährleiste zudem auch nicht die außenpolitischen Ziele eines jeden Landes: die Sicherheit und den Wohlstand seiner Bevölkerung. Diese ungewöhnliche Kritik ist umso bemerkenswerter, als sie vom Flaggschiff des „liberalen Internationalismus“ – der Zeitschrift Foreign Affairs – veröffentlicht wurde.
Auch wenn man sich inzwischen darüber im Klaren ist, dass Washington sich von den gescheiterten Ansätzen der Vergangenheit lösen müsse, halte ein Großteil des außenpolitischen US-Establishments trotzdem an der „globalen militärischen Hegemonie Amerikas“ (American global military hegemony) fest, bedauern die Autoren.
Dieses Festhalten an der militärischen US-Vormachtstellung wird noch problematischer, wenn man bedenkt, dass die USA in Wirklichkeit zunehmend seine „globale militärische Hegemonie“ verlieren, die immer mehr zum Mythos der im ökonomischen und militärischen Abstieg begriffenen USA wird. Was den USA ihre globale Hegemonialstellung noch garantiert, ist nach wie vor ihre unangefochtene monetäre Vorherrschaft. Fällt auch diese letzte Bastion der US-Hegemonie, dann fällt auch die US-Vormachtstellung in der Welt wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Diesen unabwendbaren Entwicklungsgang der Geschichte ignorieren sowohl die Trumpisten mit ihrem unzeitgemäßen „aggressiven Unilateralismus“ als auch die US-Demokraten mit ihrem überholten „liberalen Internationalismus“. Je länger diese Ignoranz andauert, umso aussichtsloser werden die Friedensverhandlungen zwischen der Trump-Mannschaft und der russischen Führung sein und umso konfrontativer werden sich die Beziehungen zwischen den beiden nuklearen Leviathans gestalten.
Der „America first“-Ansatz ist ein Irrweg, der die US-Außenpolitik der Trump-Administration in eine Sackgasse führen wird. Deswegen sollte die künftige Trump-Administration vielleicht das Credo eines der großen US-amerikanischen Patrioten und Russlandkennern, George F. Kennan (1904-2005), zur Richtschnur der US-Außenpolitik machen.
In einem 1982 veröffentlichten Interview sagte Kennan: „Wenn ich sage, dass ich ein >Isolationist< bin – was in gewissem Sinne zutrifft -, so bedeutet dies nicht, dass wir nun plötzlich aus der NATO austreten und unsere westeuropäischen Verbündeten im Stich lassen sollten. Wir sollten überhaupt nichts Abruptes tun, um unsere Verpflichtungen in der Welt einzuschränken. Das würde nur selbst wieder neues Ärgernis erregen. Ich bin aber in der Tat der Meinung, dass wir keine neuen Verpflichtungen mehr auf uns nehmen sollten, dass wir nach und nach die bestehenden Verpflichtungen auf ein Minimum reduzieren sollten … und dass wir zu der Politik zurückkehren sollten, andere Leute in Ruhe zu lassen und dafür zu erwarten, dass wir unsererseits weitgehend in Ruhe gelassen werden. Die Risiken einer solchen Politik werden bei uns stark übertrieben.“9
Ob die Trump-Mannschaft das ihr eigentlich nahestehende Credo Kennans zu eigen machen wird, bleibt indes mehr als zweifelhaft. Zu sehr ist sie ihrem vom US-Hegemonialstreben ergriffenen „aggressiven Unilateralismus“ verhaftet.
Anmerkungen
1. Posen, B., The Rise of Illiberal Hegemony: Trump’s Surprising Grand Strategy. Foreign Affairs, 13. Februar
2018.
2. Näheres dazu Silnizki, M., Der Ukrainekrieg als Präventivkrieg? Zwischen Existenzbedrohung und
Nichteinmischung. 29. September 2024, www.ontopraxiologie.de.
3. Näheres dazu Silnizki, M., Zur Frage der europäischen Glaubwürdigkeit. Von der Umarmung der US-
Geopolitik erdrückt. 28. Dezember 2022, www.ontopraxiologie.de.
4. Vgl. Silnizki, M., Brzezinskis „imperiale Geostrategie“ im Lichte der Gegenwart. Zum Scheitern der US-
amerikanischen Russlandpolitik. 9. November 2022, www.ontopraxiologie.de.
5. Junker, D., Power and Mission. Was Amerika antreibt. Freiburg 2003, 108.
6. Kissinger, H., Die Vernunft der Nationen. Über das Wesen der Außenpolitik. Berlin 1994, 782, 788.
7. Vgl. Silnizki, M., Ronald Reagan und das Ende der Sowjetunion. Hat Reagan den „Kalten Krieg“
gewonnen? 4. Oktober 2024, www.ontopraxiologie.de.
8. Posen (wie Anm. 1).
9. Kennan, G. F., Machtpolitik in Ost und West, in: Urban, G., Gespräche mit Zeitgenossen. Acht Dispute über
Geschichte und Politik. Basel 1982, 229-280 (241 f.).