Verlag OntoPrax Berlin

Das gescheiterte Experiment

Der verlorene Krieg in der Ukraine.

Übersicht

  1. Zwischen allen Stühlen
  2. Die gescheiterte Strategie

Anmerkungen

„Da sind sie, die man >Vertreter des Geistes< nennt … Sie säen Meinung,
verschenken Gesinnung, erwählen Völkerbrand und Massenuntergang,
Millionenmord und Seelennot zum Stoff ihrer Rede und Dichtung, weil
denn Darüberreden und Darüberschreiben den Beruf der alles
könnenden, alles sagenden Sendungslosigkeit ausmacht.“
(Theodor Lessing)1

  1. Zwischen allen Stühlen

Die europäische Kriegspartei ist seit einiger Zeit nervös. Sie ist ratlos darüber, wie es im Ukrainekonflikt weiter gehen soll. Der Krieg ist für die Ukraine so gut wie verloren, was sie öffentlich nicht zugeben will. In der Ukraine selbst tobt ein grandioser Korruptionsskandal, der das Zeug dazu hat, die ganze politische Führung wegzufegen.

Hinzu kommt noch ein angeblich zwischen Russland und den USA ausgehandelter Friedensplan. Wie Axios am 18. November 2025 in seinem Beitrag „Scoop: U.S. secretly drafting new plan to end Ukraine war“ (Exklusivmeldung: Die USA arbeiten im Geheimen an einem neuen Plan zur Beendigung des Ukraine-Krieges) berichtete: „Die Trump-Administration arbeitet … in geheimer Absprache mit Russland an der Ausarbeitung eines neuen Plans zur Kriegsbeendigung in der Ukraine.

Zunächst bestritt Putins Pressesprecher, Dmitri Peskow, am 20. November den „28-Punkte-Plan der USA“ zu kennen. „Ich kann nur das wiederholen, was wir gestern schon mehrfach gesagt haben. Wir können dem, was in Anchorage gesagt wurde, nichts Neues hinzufügen. Wir haben nichts Neues“, sagte Peskow.

Ein Tag später erklärte Putin jedoch, dass Russland einen 28-Punkte-Friedensplan der USA erhalten habe und bereit sei, darüber zu diskutieren. Das Dokument könne die Grundlage für eine endgültige Beilegung des Konflikts bilden, werde aber derzeit nicht inhaltlich mit der russischen Seite erörtert.

Nach langem Hin und Her fuhren die US-Unterhändler, Steve Witkoff und Jared Kushner, am 2. Dezember 2025 zu Gesprächen nach Moskau und kehrten offenbar ergebnislos zurück. Es sei noch viel zu tun, sagte Putins Berater, Juri Uschakow, den russischen Nachrichtenagenturen Interfax und Tass. Über die Inhalte der Gespräche sei Vertraulichkeit vereinbart worden. Uschakow bezeichnete sie jedoch als nützlich und konstruktiv.

Und was macht die europäische Kriegspartei? Sie ist wie immer entsetzt und empört darüber, dass Trump und Putin über ihre Köpfe hinweg entscheiden, und wiederholen die gleiche Leier: „Nichts über die Ukraine ohne die Ukraine“. Jetzt heißt es wohl: Alles über die Ukraine ohne die Ukraine.

Aber was haben die Europäer eigentlich erwartet? Drei Jahre lang hatten sie die Chance, den Krieg auf friedlichem Wege beizulegen. Jede Verhandlungsbereitschaft haben sie aber vermissen lassen. „Man verhandelt nicht mit dem Aggressor“, war die ganze Zeit zu vernehmen.

Auf dem Schlachtfeld im Donbass und nicht am Verhandlungstisch wollte der EU-Außenbeauftragte, Josep Borrell, den Krieg entscheiden lassen. Seitdem Trump sich für Verhandlungen entschieden hat, legen die Kriegsfalken ihm Steine in den Weg und tun alles, um die Friedensverhandlungen zu torpedieren, werfen aber gleichzeitig Putin vor: Er wolle nicht verhandeln.

Und dann glauben sie, dass sie einem solch verschlagenen, gerissenen und ausgebufften Fuchs wie Trump ihre durchsichtige und ziemlich einfältige Hinhaltetaktik ewig verkaufen können. Was nun den Korruptionsskandal angeht, so spielen die Eurokraten und die Kriegspartei ihn herunter.

Entscheidend sei vielmehr den Krieg gegen den „russischen Aggressor“ fortzusetzen, wohl wissend, dass der Krieg nicht zu gewinnen ist. Man muss nur die Überschriften der Zeitungsartikel lesen, um sich über den ganzen Irrsinn im Klaren zu sein.

Zuletzt veröffentlichte Christopher S Chivvis am 22. Oktober 2025 in The Guardian einen Artikel unter einem aufklärerischen Titel „New sanctions and weapons will not stop Russia. It’s time for Ukraine’s allies to change their flawed strategy“ (Neue Sanktionen und Waffen werden Russland nicht stoppen. Es ist Zeit für die Verbündeten der Ukraine, ihre fehlerhafte Strategie zu ändern).

Von einer „fehlerhaften Strategie“ möchten die EU-Kriegsstrategen jedoch nichts wissen. Sie haben allerdings ein kleines Problem. Der Krieg hat einerseits gar keine Chance gewonnen zu werden, wird aber andererseits allmählich zu teuer. Die Eurokaten haben kein Geld in der EU-Kasse, können sich den Krieg entweder nicht mehr leisten oder geizigen, die Gelder für den verlorenen Krieg freizugeben, nachdem Trumps Amerika aus der Kriegsfinanzierung ausgestiegen ist.

Europa ist klamm, die Wirtschaft stagniert und die Fortführung des Krieges ist teuer, sehr teuer. Auf 120/140 Milliarden Euro schätzt man die Kriegskosten pro anno. Da die EU-Kriegspartei den Krieg auf Gedeih und Verderb fortführen will, muss sie die Kriegsfinanzierung irgendwie gewährleisten können.

Und da fällt den Eurokraten unter der deutschen Kommissionspräsidentin „natürlich“ nichts Besseres ein, als den Krieg vom „Aggressor“ selbst bezahlen zu lassen und die russische Zentralbank auszuplündern, was wiederum eine eklatante Verletzung aller völkerrechtlichen Spielregeln bedeuten würde.

Noch schrecken sie sich davor ab, die russischen Notenbankgelder auszurauben, zumal Russland seinerseits mit Gegenmaßnahmen gedroht hat. Und die EZG stellt sich am 2. Dezember 2025 gegen den Plan der EU-Kommission, das eingefrorene russische Vermögen für Kredite an die Ukraine zu nutzen, weil sie damit gegen ihr Mandat verstoßen würde.

Woher soll also das Geld kommen? Auch die Waffenlieferungen an die Ukraine gehen nicht mehr reibungslos von der Hand; die Lage an der Front ist katastrophal; die energetische Infrastruktur der Ukraine wird von den russischen Streitkräften systematisch zerbombt und die EU weiß nicht, wie sie das Problem in den Griff bekommt.

Kurzum: Es gibt Probleme über Probleme und die Eurokraten werden immer rat- und hilfloser und wissen nicht, wie sie dieses Kriegsspiel weiterführen sollten. Nur eins wissen sie: Der Krieg muss „bis zum letzten Ukrainer“ weitergehen.

Und er wird mit unerhört hohem Einsatz gespielt – dem Einsatz des Lebens – nur nicht des Lebens der EU-Europäer. Die Ukrainer müssen für sie – die Europäer – weiterkämpfen und sterben. Der Krieg wird für die Aufrechterhaltung des Kiewer Regimes als Anti-Russland-Projekt und nicht für die Menschen in der Ukraine geführt. Für Selenskyj und sein Regime wollen von der Leyen und Co. den Krieg finanzieren.

Die Menschen flüchten indes scharenweise aus der Ukraine, soweit es möglich ist. Denn sie wollen für Selenskyj, von der Leyen, Merz und Co. nicht kämpfen und sterben.

Zuletzt hat Merz Selenskyj gebeten, die Ausreise junger Männer nach Deutschland zu verhindern. „Diejenigen, die zurzeit aus der Ukraine kommen, sind zu einem beachtlichen Teil junge Männer im Alter zwischen 18 und 24, weil der Wehrdienst in der Ukraine erst mit 25 beginnt“, sagte er am 14. November. „Ich habe ihn gebeten, dafür zu sorgen, dass diese jungen Männer im Land bleiben, weil sie im Land gebraucht werden und nicht in Deutschland.“

Offenbar weiß der Bundeskanzler nicht, dass die ukrainischen Grenzen abgeriegelt und dicht gemacht sind. Hunderttausende dissertieren und nur die ideologisch verbrämten und hasserfüllten Ultranationalisten wie die Asow-Truppen kämpfen noch erbittert gegen die Russen. Die Anhänger von OUN und UPA sind heute die eigentliche Stütze des Kiewer Regimes.

Der russische Historiker, Ilija Altmann, weist in seinem Werk „Opfer des Hasses. Der Holocaust in der UdSSR 1941-1945“ (2008) nach, dass die Pläne der OUN inhaltlich an die >Endlösung der Judenfrage< der Nazis anknüpfen. Noch vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht lautete der Beschluss eines OUN-Kongresses im April 1941: >Die Juden sind die am meisten ergebene Stütze des bolschewistischen Regimes und die Avantgarde des Moskauer Imperialismus in der Ukraine. OUN kämpft gegen die Juden, weil sie die Stütze des Moskauer bolschewistischen Regimes sind, gleichzeitig wird den Volksmassen erklärt, dass Moskau der Hauptfeind ist<.“2

Und mit diesen Helden der Ukraine will die EU den Krieg gegen Russland ohne Wenn und Aber weiterführen. Nun ja, die EU-Nachgeborenen können in ihrem Kampf gegen Russland auf eine lange „glorreiche“ Tradition zurückblicken.3

Wozu soll das nur gut sein und wohin soll all das führen? Es fehlt Strategie für eine erfolgreiche Beendigung des Krieges. Die taktische Hinhaltetaktik zur Torpedierung der Friedensverhandlungen führt hingegen ins Nirgendwo.

„Taktik ohne Strategie ist der Lärm vor der Niederlage“ (Sun Tzu)! Und „Lärm“ ist das, was die EU-Kriegspartei am besten kann. Dieser „Lärm“ kostet nur tausende Menschenleben, was freilich keinen in den europäischen Korridoren der Macht sonderlich interessiert. Es sind ja nicht die EU-Europäer, die sterben!

2. Die gescheiterte Strategie

„Ein Krieg in Europa würde – insbesondere angesichts der derzeitigen Nato-Strategie – von Deutschland sicherlich nur wenig übriglassen; ein zukünftiger Krieg würde sicherlich ganz anders verlaufen, als es unseren an vergangenen Kriegen gewonnenen Vorstellungen entspricht.“4

Diese Erkenntnis, die Helmut Schmidt 1965 formuliert hat, ist Deutschen und EU-Europäern heute weitgehend verlorengegangen. Sie sehen den in der Ukraine tobenden und von ihnen massiv unterstützten Krieg einen Beweis dafür, dass sie gegen eine nukleare Supermacht bestehen und sogar einen konventionellen Krieg führen können. Schlimmer noch: Sie fühlen sich Russland militärisch überlegen und glauben, einen Krieg gegen Russland zu gewinnen, ohne Gefahr zu laufen, ausgelöscht zu werden.

Nun ja, die EU folgt offenbar, ohne sich dessen bewusst zu sein, einem Rat von Josef W. Stalin, der einmal gesagt hat, als die Sowjetunion selber noch nicht im Besitz der Atomwaffen war: „Mit der Kernwaffe kann man nur Leute mit schwachen Nerven erschrecken. … Niemand, der seine fünf Sinne beisammenhat, würde einer atomaren Erpressung nachgeben. Zunächst einmal ist es … höchst unwahrscheinlich, dass die Drohung wahrgemacht würde, falls man auf die Erpressung nicht eingeht. Und zweitens hätte es keinen Sinn, sich auf sie einzulassen. Jedes Regime, das nicht den Verstand verloren hat, würde eine nukleare Bedrohung zurückweisen. >Wenn wir heute tun, was ihr mit dieser Drohung von uns verlangt, was werdet ihr morgen von uns verlangen? Das wäre eine Schraube ohne Ende<.“5

Allgemein und abstrakt für sich genommen, mag Stalins Äußerung zwar stimmen. Er war auch kein Mann mit schwachen Nerven. Bezogen auf den Ukrainekonflikt, gilt das aber nicht.

Die EU-Kriegspartei verkennt die Natur des Krieges in der Ukraine. Dieser Krieg ist seiner Natur nach in erster Linie ein Bürgerkrieg6, in den sich die EU-Europäer unter US-Führung eingemischt haben. Dieser Krieg ist kein europäischer Krieg – kein „Krieg in Europa“ -, den Helmut Schmidt 1965 meinte. Und er findet an der europäischen Peripherie statt.

Der ukrainische Bürgerkrieg wäre längst zu Ende, wenn die Biden-Administration zusammen mit den europäischen Nato-Ländern nicht stets Öl ins Feuer gegossen und ihn mit massiven Waffenlieferungen und massiver Kriegsfinanzierung am Leben erhalten hätten.

Aus dem Bürgerkrieg, der 2014 begann, ist längst ein „Proxykrieg“ (Marco Rubio) zwischen Russland und der Nato geworden. Und dieser Proxykrieg ist (noch) kein „Krieg in Europa“, an den Helmut Schmidt 1965 dachte.

In seinem vier Jahre später 1969 erschienenen Werk „Strategie des Gleichgewichts“, das innerhalb eines Jahres fünf Auflagen erlebt hat, hat Schmidt einen Grundsatz des nuklearen Zeitalters aufgestellt, der heute ebenfalls verlorengegangen zu sein scheint: „Strategie ist heute weitgehend zu der Kunst geworden, Kriege zu vermeiden.“7

Im Zeitalter der unipolaren Weltordnung, die am 24. Februar 2022 zu Ende gegangen ist8, wurde dieser Grundsatz über Bord geworfen. Das liegt an den veränderten Kräfteverhältnissen in Europa und in der Welt seit dem Untergang der Sowjetunion und des Warschauer Pakts. So viele Kriege, wie die USA und die Nato in einer kurzen Zeitspanne von knapp 25 Jahren (1999-2021) geführt haben, muss erst seinesgleichen suchen.

Schmidt schrieb sein Werk „Strategie des Gleichgewichts“ in einem ganz anderen Zeitalter – im Zeitalter des Machtgleichgewichts. Seine Kriegsvermeidungsstrategie gilt nur unter den Bedingungen der Kontinuität des Gleichgewichts der Machtmittel, um dem potenziellen Angreifer ein abschreckendes Risiko entgegenzustellen.

„Je stärker aber das Gleichgewicht der Macht sich ausprägt“, schreibt Schmidt, „um so mehr verfestigt es den gegenseitigen Besitzstand und die Einflussbereiche. Eine Strategie des Gleichgewichts tendiert zur Strategie der Aufrechterhaltung des Status quo; denn wer den Status quo ändern will, tendiert zu einer Störung des Gleichgewichts. Deshalb haben die beiden nuklearen Weltmächte in den sechziger Jahren ihren gegenseitigen Einflusssphären markiert und respektiert. Sie sehen sich auf eine indirekte Strategie angewiesen: Operation auf dritten Feldern, Operation durch Verbündete, Operation mittels nichtmilitärischer, auf jedem Fall aber nichtnuklearer Machtmittel.“9

Diese „Strategie des Gleichgewichts“ aus dem „Kalten Krieg“, von dem Schmidt 1969 gesprochen hat, wurde mit dem Untergang der Sowjetunion 1992 zerstört. An Stelle des Machtgleichgewichts trat ein Machtungleichgewicht, an Stelle der „Strategie des Gleichgewichts“ trat die Strategie der Expansion, an Stelle der „Strategie der Aufrechterhaltung des Status quo“ trat die Strategie zur Überwindung des Status quo, kurz: die Expansionsstrategie, die zur EU- und Nato-Osterweiterung geführt hat.

Dass diese Expansionsstrategie auf Dauer untragbar ist, weil sie per definitionem keine Grenze kennt und darum früher oder später auf einen entschiedenen Widerstand Russlands stoßen musste, weil sie ihrer Natur nach aggressiv und existenzbedrohend wirkt, davor haben Georg F. Kennan und die anderen Russlandkenner und/oder US-Politikwissenschaftler (wie John Mearsheimer) bereits in den 1990er-Jahren eindringlich gewarnt.

Und nun sucht Russland mit dem Krieg in der Ukraine dieses Machtgleichgewicht wiederherzustellen und wird mit einem geo- und sicherheitspolitisch deplatzierten Vorwurf des „Neoimperialismus“ und „Revisionismus“ konfrontiert.

Die EU-Europäer zogen aus einer vorübergehenden Schwäche Russlands der 1990er-Jahre und der ersten zwei Jahrzehnte des 21.Jahrhunderts falsche Schlüsse. Im Glauben, sie können endlos expandieren, die russischen Sicherheitsbedenken unbestraft ignorieren und Russland die Nato-Sicherheitsordnung als eine gesamteuropäische verkaufen, haben sie weit über das Ziel hinausgeschossen.

Zu früh haben die Eurokraten aus Machtarroganz, Selbstüberschätzung und/oder Inkompetenz die Gefahren des nuklearen Zeitalters beerdigt und Russlands legitime Sicherheitsinteressen ignoriert. „Keine Macht dürfe die andere in die Enge treiben, so innig ihr Wunsch auch sein mag, den Weg des Rivalen auf den (wie Ronald Reagan es ausdrückte) >Kehrrichthaufen der Geschichte< zu beschleunigen,“10 lautete der Grundsatz der Koexistenz im „Kalten Krieg“.

Die EU-Kriegsfalken möchten heute von einer „Strategie des Gleichgewichts“ nichts hören und nichts wissen. Sie lehnen jeden Status quo kategorisch ab und streben nach der Aufrechterhaltung einer hemmungslosen Expansionspolitik. Aus der Geschichte der vergangenen Kriegsjahre in der Ukraine haben sie immer noch nichts gelernt.

Zu inkompetent, ungebildet, geschichtsvergessen und machtbesessen ist die heutige europäische Führungsschicht. Noch vor dem Kriegsausbruch in der Ukraine hat der Historiker, Michael Stürmer (geb. 1938), am 15. März 2021 weise Worte gesprochen, als er feststellte: „Die Aufgaben vor den Staatslenkern unserer Zeit sind größer, als die meisten von ihnen auch nur ahnen. Die Architekten der neuen Weltordnung nach 1990 haben die Zeit nicht genutzt zur historischen Lektüre. Es hätte ihnen deutlich werden müssen, dass das östliche Europa … quer durch die Jahrhunderte Gestaltungsprobleme aufwirft, die sich wiederholen und jedenfalls zu größtmöglicher Vorsicht raten. Die Staaten des europäischen Westens können sich entweder mit Polen gut stellen und, wie mit der Nato-Erweiterung geschehen, Russland ins Abseits drängen. Oder sie können mit Russland gegen Polen und Polens Beschützer optieren. Beides zusammen ist noch niemals dauerhaft gelungen. … Inzwischen sind die Reste der Stabilität durch den Zorn Russlands, die Macht Chinas und die Überforderung Amerikas in Trümmer gelegt.“11

Diese vorzügliche Analyse gilt umso mehr seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine. Die „neue Weltordnung nach 1990“, von der Michael Stürmer im Jahr 2021 gesprochen hat, gilt nicht mehr. Sie ist am 24. Februar 2022 zu Ende gegangen. „Russlands Zorn“ ließ sich nicht mehr bändigen, nachdem die Nato-Expansion an der polnisch-ukrainischen Grenze nicht länger stehen bleiben wollte und Russland sich nicht mehr ins Abseits drängen ließ.

Und die Verantwortung dafür tragen allein die „Architekten“ dieser „neuen Weltordnung“, allen voran die USA und in deren Schlepptau die EU-Matadoren, die den Herausforderungen der neuen geopolitischen und geoökonomischen Kräfteverhältnissen in Europa und Eurasien nicht gewachsen sind.

Erneut bewahrheitet sich die von Raymond Aron 1974 gewonnene Erkenntnis: Die Vereinigten Staaten mögen „vielleicht militärisch die Welt beherrschen, regieren können sie sie nicht.“12 Trumps Amerika bestätigt diese Erkenntnis heute von Neuem.

Anmerkungen

1. Lessing, Th., Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen. Mit einem Nachwort von Rita Bischof. München
1983, 95.
2. Zitiert nach Silnizki, M., Der ukrainische Nationalismus: gestern und heute, in: des., Das andere Gesicht der
Ukraine-Krise. Im Spannungsfeld zwischen Geschichte und Gegenwart. 18. Mai 2025,
www.ontopraxiologie.de.
3. Näheres dazu Silnizki, M., In Feindschaft vereint. Russland und Europa im Wandel der Zeit. 22. November,
www.ontopraxiologie.de.
4. Schmidt, H., Verteidigung oder Vergeltung. Ein deutscher Beitrag zum strategischen Problem der Nato.
Stuttgart 1965, 238 f.
5. Zitiert nach Kennan, G. F., Machtpolitik in Ost und West, in: George Orban, Gespräche mit Zeitgenossen.
Acht Dispute über Geschichte und Politik. Basel 1982, 229-280 (267).
6. Vgl. Silnizki, M., Im Kriegsjahr 2022. Entstehungsjahr eines nachhegemonialen Zeitalters? 3. Mai 2022,
www.ontopraxiologie.de.
7. Schmidt, H., Strategie des Gleichgewichts. Stuttgart 51970, 19.
8. Näheres dazu Silnizki, M., Im Wandel der Nachkriegsordnungen. Auf dem Wege zu einem zivilisatorischen
Pluriversums? 28. September 2025, www.ontopraxiologie.de.
9. Zitiert nach Woller, R., Der unwahrscheinliche Krieg. Eine realistische Wehrkonzeption. Stuttgart 1970, 10.
10. Bittorf, W., Raketen töten nicht -Menschen töten, in: Der Spiegel, Nr. 8/9 (1983).
11. Stürmer, M., Russlands Zorn, Chinas Macht, Amerikas Überforderung. 15.03.2021.
12. Aron, R., Zwischen Macht und Ideologie. Politische Kräfte der Gegenwart. Wien 1974, 275.

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