Verlag OntoPrax Berlin

Europas gescheiterte Kriegspolitik

Zwischen die Fronten geraten

Übersicht

1. Auf eine geoökonomische Karte gesetzt
2. Europas Selbstzerstörung
3. Kräfteverhältnisse zwischen Russland/China und den USA/Nato
4. In einer geopolitischen Sackgasse

Anmerkungen

„Wer sagt, dass wir Russland nicht provozieren dürfen?
Es besteht kein Grund, eine Eskalation zu fürchten!“
(Litauens Außenminister, Kęstutis Budrys, 12.11.25)
„Sag mir wo die Männer sind
Zogen fort der Krieg beginnt
Wann wird man je verstehen?
Wann wird man je verstehen?
………………………………
Sag wo die Soldaten sind
Über Gräben weht der Wind
Wann wird man je verstehen?
Wann wird man je verstehen?“
(Marlene Dietrich, 1962)

 

1. Auf eine geoökonomische Karte gesetzt

Die unipolare Weltordnung, die unter Führung des US-Hegemonen in den vergangenen fünfunddreißig Jahren Bestand hatte, bricht heute vor unseren Augen auseinander und alle Versuche von Donald Trump den Niedergang der US-Hegemonie mittels eines Zoll-Krieges, finanziellen Forderungen oder anderen handelspolitischen Pressionen, Sanktionen und militärischen Aktionen gegen Freund wie Feind aufzuhalten, sind zum Scheitern verurteilt.

Die USA besitzen samt ihrer Nato-Bündnisgenossen keine ausreichende ökonomische und militärische Macht mehr, um die konkurrierenden Großmächte China, Indien und Russland in Schach zu halten.

Waren die USA in den Amtsjahren der US-Präsidenten Bill Clinton und George W. Bush (1993 – 2009) auf der Höhe ihrer Macht und wurden Washington „als das >neue Rom< und die USA als >Hypermacht<“1, als „Weltmacht ohne Gegner“ (Rudolf/Wilzewski) bezeichnet, so explodiert die Anzahl der Gegner Amerikas seit der zweiten Amtszeit von Donald Trump geradezu exponentiell.

Mit seinem aggressiven geoökonomischen Unilateralismus2 hat Trump Freund wie Feind abgeschreckt und den Erosionsprozess der US-Hegemonie beschleunigt. In diesen Abwärtssog gerät mittlerweile auch Europa, das mit den USA geo- und sicherheitspolitisch und mittlerweile auch geoökonomisch und energiepolitisch auf Gedeih und Verderb eng verbunden ist.

Europa hat selbstverschuldet mit Russland alle politischen, kulturellen und vor allem ökonomischen Beziehungen gekappt, sich selbst isoliert und alles frei- und mutwillig auf eine geoökonomische Karte gesetzt. Geostrategisch gesehen, hat Europa sich mehrere geopolitische Optionen verbaut lassen, wodurch es sich einerseits von den USA kurz-, lang- und mittelfristig erpressbar gemacht und sich andererseits alle profitablen Geschäfte mit Russland verboten hat, die den europäischen Wohlstand jahrzehntelang gesichert haben.

Diesem Prozess der Abkopplung und der Selbstisolation liegt die US-Europapolitik der Biden-Administration zugrunde, die den Kriegsausbruch in der Ukraine am 24. Februar 2022 geschickt genutzt hat, um Europa unter dem Vorwand der Abstrafung Russlands für seine „Aggression“ von der russischen Wirtschaft und insbesondere deren billigen Energieressourcen abzuschneiden.

Der Biden-Administration ist es im Jahr 2022 erfolgreich gelungen, einen Keil zwischen Europa und Russland zu treiben, ohne dass die Europäer die geopolitische Dimension dieser Vorgehensweise überhaupt verstanden haben.

Aus Mangel an geopolitischem Denken haben sie nicht begriffen, dass Bidens Geostrategen auf Russland zielten, um Europas Wirtschaft und deren Wettbewerbsfähigkeit zu treffen.

Der Krieg in der Ukraine war von Anfang an „nicht im Interesse Europas, wohl aber im Interesse der US-Geopolitik. Die US-Geostrategie steht deswegen in direktem Widerspruch nicht nur zu den russischen, sondern auch zu den geopolitischen, sicherheitspolitischen und nicht zuletzt geoökonomischen Interessen der EU-Länder.“

Diese These habe ich bereits im März 2022 vertreten3 und ich bleibe auch heute dabei. Denn die Kriegsfolgen bedeuten für die europäische und deutsche Wirtschaft einen dramatischen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit. Wer alles auf eine Karte setzt, kann entweder alles gewinnen oder alles verlieren.

Die EU-Europäer sind beim Kriegsausbruch in der Ukraine 2022 aus Selbstüberschätzung eine sehr gefährliche Wette im Glauben eingegangen, Russland geopolitisch eine „strategische Niederlage“ zuzufügen und geoökonomisch zu „ruinieren“. Beide Ziele wurden verfehlt.

Und jetzt stehen sie knapp vier Jahre später militärisch und ökonomisch vor dem Scherbenhaufen ihrer gescheiterten Russlandpolitik, deren Folgen an der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands und Europas abzulesen sind. Erneut bewahrheitet sich die Volksweisheit: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein …

2. Europas Selbstzerstörung

Laut Ifo-Umfrage vom 11. November 2025 sieht die deutsche Industrie ihre Wettbewerbsfähigkeit immer schneller schwinden. „Noch nie in den 31 Jahren, seit denen das Münchner Ifo-Institut danach fragt, sagten so viele Betriebe wie jetzt, dass sie gegenüber Unternehmen außerhalb der EU an Wettbewerbsfähigkeit verlieren wie im Oktober“, berichtete BR 24.

„Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie befindet sich auf einem neuen Tiefpunkt“, sagte der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. „Das zeigt, wie stark die strukturellen Probleme inzwischen durchschlagen.“ Auch im innereuropäischen Vergleich sehen sich die deutschen Unternehmen auf dem absteigenden Ast. Hier stieg der Anteil derer, die von einem Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit berichteten, von 12 auf 21,5 Prozent.

Auch Volker Brühl (Direktor am Center for Financial Studies an der Uni. Frankfurt) brachte es Ende Oktober 2025 auf den Punkt: „Kleine und mittlere Industrieunternehmen kämpfen ums Überleben.“ Unternehmen mit einem Umsatz zwischen 100 und 250 Millionen Euro gerieten in die Falle. Sie sind zu klein, um in den USA zu produzieren. Ihre einzige Möglichkeit ist der Export, wodurch sie US-Zöllen ausgesetzt wären, und sind praktisch schutzlos. „Das macht die deutsche Wirtschaft extrem anfällig“, erklärte Brühl.

Ulrich Kater (Chefvolkswirt der Deka-Bank) formuliert es noch drastischer. Er bezeichnet die US-Handelspolitik als „Auflösung des Trägers des globalen Wirtschaftssystems“. Die USA spielen nicht länger die Rolle des Garanten des internationalen Handels.

Michael Heise (Chefvolkswirt der Vermögensverwaltungsgesellschaft HQ Trust) fügt hinzu: Die US-Politik erschwert die Lösung struktureller Probleme und Wettbewerbsprobleme zusätzlich. … Die Lage ist kritisch.“

Dirk Schumacher (Chefvolkswirt der KfW) räumt mit Illusionen auf, dass die USA von europäischen Waren abhängig sind. „Ich muss keinen französischen Wein trinken. Ich kann kalifornischen Wein trinken. Ich muss keinen Mercedes fahren. Ich kann einen Cadillac fahren“, erklärt er. Kurzum: Die US-Amerikaner können gut ohne deutsche Autos, französischen Käse und italienische Anzüge leben. Deutschland hingegen kann nicht ohne den amerikanischen Markt bestehen.

Und der Handelsblätter, Julian Olk, weist darauf hin, dass in „den vergangenen sechs Jahren … Deutschland nicht gewachsen (ist)“4. Warum denn wohl? Olk zählt drei Gründe auf: einen externen „wie die hohe Unsicherheit durch Tendenzen der Deglobalisierung“, einen internen wie die „hohe Steuerlast für Unternehmen“ und „die Energiepreise“.

Nun ja, die fortschreitende „Deglobalisierung“ ist schon älter als sechs Jahre und die „hohe Steuerlast für Unternehmen“ wird bereits seit Jahrzehnten beklagt. Die eigentliche Ursache der ökonomischen Malaise sind in der Tat die Energiepreise. Europa und Deutschland befinden sich seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine in einer selbstgestellten Energiefalle, die womöglich auch eine Energiekrise auslösen kann.

Brüssel will sich einerseits ganz von russischem Öl und Gas lösen, gerät aber andererseits in eine übermäßige Abhängigkeit vom Flüssiggas aus Amerika, das mindesten doppelt zu teuer ist als die Gaslieferungen aus Russland. Auch ab 2026 ff. wird Europa und Deutschland mit Energieproblemen, die 2022 begannen, weiterhin konfrontiert sein.

Energie sei in Europa deutlich teurer als in China oder den Vereinigten Staaten. Die Industrie arbeitet mit enormen Kosten, stellt Michael Heise fest. Hinzu kommt ein weiteres schwerwiegendes Problem für Europa: die Zerstörung der energetischen Infrastruktur der Ukraine durch Russland.

Die EU wird nicht in der Lage sein, der Ukraine vor dem Winter bei der Wiederherstellung der Strom- und Heizungsversorgung zu helfen. Europa wird laut einem russischen Ökonomen, Alexander Dudchak, „keine Reparaturspezialisten schicken, um die an die Front entsandten Ukrainer zu ersetzen “.

Der Analyst merkte außerdem an, dass „die Versorgung mit Ersatzteilen für Energieanlagen eine Katastrophe ist “, da die Transformatoren fehlen und die Herstellerfirmen liquidiert wurden. Die Kiewer Behörden können mit anderen Worten die Bevölkerung in der kalten Jahreszeit nicht ausreichend versorgen.

Der ukrainische Parlamentarier, Vitaly Nestor (Partei „Vaterland“ von Julija Tymoschenko), riet den Ukrainern, sich selbst zu helfen und Wasser, warme Decken und Gasflaschen zu horten, um Strom- und Heizungsausfälle im Winter zu überstehen. Europa gerät bei seiner Unterstützung der Ukraine ökonomisch, finanziell und nicht zuletzt energiepolitisch immer mehr in schweres Fahrwasser und will trotzdem den Krieg „bis zum letzten Ukrainer“ fortsetzen. Wahnsinn mit Ansage!

Als wäre das nicht genug, bezeichnet Heise den Euro als Symbol der Schwäche. Sein Anteil an den globalen Währungsreserven liegt weiterhin stabil bei 16 % unter dem von Gold und weit hinter dem des Dollars. Die Gemeinschaftswährung habe ihre Ziele nicht erreicht. Und das sei für alle offensichtlich.

Gegenüber Europa haben die USA „einen Produktivitäts- und Wachstumsvorsprung … Ich sehe nicht, dass wir aufholen werden“, sagt HeiseBidens Kriegspolitik gegen Russland, die auch Europa in ökonomische Turbulenzen stürzte, wurde mittlerweile von Trumps aggressiver Handelspolitik abgelöst und hat Europa in noch größere Kalamitäten gestürzt.

Der Krieg in der Ukraine hat Europa, wie man sieht, mehr geschadet als genutzt und der Versuch, Russland zu isolieren, führt zu noch mehr Selbstisolation, Selbstschwächung und – wenn es so weiter geht – zur Selbstzerstörung.

Und Deutschland? Deutschland befindet sich zwischen Trumps aggressiver Handelspolitik und der Fortsetzung der Kriegspolitik der abgewählten Biden-Administration gegen Russland. Beides schwächt Deutschland. Die USA brauchen keine deutschen Waren, aber Deutschland ist dringend auf den amerikanischen Markt angewiesen.

Die Infrastruktur verfällt. Energie ist teuer. Die Bevölkerung altert. Und Washington errichtet, anstatt zu helfen, Barrieren. Ist eine Besserung in Sicht? Wenn Brüssel und Berlin in diesem geopolitischen und geoökonomischen Paradigma verbleiben, muss man auf alles gefasst sein.

Berlin spricht lieber und nur noch über Krieg statt über Frieden und Europa ist entweder mit sich selbst beschäftigt oder zutiefst zerstritten.

Die USA bleiben die Kriegsprofiteurin und Europa driftet von Tag zu Tag, von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr immer tiefer in eine politische und ökonomische Krise.

3. Kräfteverhältnisse zwischen Russland/China und den USA/Nato

An der Blockbildung orientierte, transatlantisch ausgerichtete EU-Außenpolitik steht der EU-Russlandpolitik im Wege. Die geo- und sicherheitspolitische Ohnmacht Europas ist eine direkte Folge der seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges andauende und bis heute fortwirkende erdrückende Dominanz der USA über die Gestaltung und Ausformulierung der europäischen Geo- und Sicherheitspolitik, die eine bedingungslose Gefolgschaft verlangt.

Bidens Mobilisierung Europas gegen den russischen Feldzug in der Ukraine in den Jahren 2022 bis 2024 war auch deswegen so erfolgreich, weil es neben seiner gewohnten Unterwerfung unter die US-Geopolitik auch die jahrhundertelang praktizierte Feindschaft zu Russland pflegte.5

Das Feindbild Russland macht Europa blind vor der eigenen Existenzgefährdung und führt es über die tatsächlichen ökonomischen und militärischen Kräfteverhältnisse in die Irre.

Aus der selbstverschuldeten geo- und sicherheitspolitischen Unmündigkeit gegenüber den USA und aus einer maßlosen ökonomischen und militärischen Selbstüberschätzung heraus werden die EU-Machteliten und Eurokraten aggressiv und kompromisslos gegenüber Russland im trügerischen Glauben, dass die Nato-Allianz unter Führung des US-Hegemonen immer noch das mächtigste militärische Bündnis aller Zeiten sei.

Zuletzt behauptete Viktor Orbán im Gespräch mit Mathias Döpfner (Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE) am 15. November: „Bei allem Respekt, ich halte es für lächerlich zu sagen, dass Russland die EU oder die Nato angreifen wird, einfach weil sie nicht stark genug sind. Wir sind viel stärker als sie. Die Europäische Union hat über 400 Millionen Menschen, Russland etwa 140 Millionen. … Wenn man die militärischen Kapazitäten der 27 EU-Länder zusammenrechnet, sind wir viel stärker als Russland. Die Russen schaffen es seit mehr als drei Jahren nicht, die Ukraine vollständig zu besetzen. Wie können wir in Europa behaupten, wir seien schwächer als Russland?“

Nun ja, Orbán ist bis zu diesem Gespräch nicht damit aufgefallen, ein Militärexperte zu sein. Freilich ist heutzutage nicht so sehr eine Expertise als vielmehr öffentlichkeitswirksame Schlagzeilen gefragt.

Wie dem auch sei, der ehem. US-Botschafter bei der Nato, Ivo Daalder (2009-2013), berichtete besorgt am 30. Juli 2025 in seinem Beitrag „In the race against China, the US is losing“ (Die USA verlieren im Wettlauf gegen China) für Politico besorgt: Russlands engster Verbündeter China habe seine Militärausgaben im vergangenen Jahrzehnt um sage und schreibe 800 Prozent erhöht, was der größte militärische Aufrüstungsschub in Friedenszeiten bedeutet.

China verfüge laut Daalder „mittlerweile über mehr Kriegsschiffe als die USA; es modernisiert sein Atomwaffenarsenal und strebt bis zum Ende des Jahrzehnts nahezu Gleichstand mit Russland und den USA an. Und es demonstriert seine militärische Stärke an Orten, die lange Zeit ausschließlich der US-Kontrolle unterlagen.“

Mehr noch: „70 Prozent aller Länder weltweit treiben mittlerweile mehr Handel mit China als mit den USA, über die Hälfte davon sogar doppelt so viel. Trump drückte es selbst so aus: Amerika mag ein großes Kaufhaus sein, aber die Produkte, die man in seinen Läden und in denen auf der ganzen Welt kaufen kann, werden in China hergestellt,“ schreibt Daalder und fährt fort: „Der Handel ist nicht der einzige Markt, den Peking für sich beansprucht. Nach einer klaren und konsequenten Strategie, die Xi erstmals 2015 skizziert hat, ist das Land heute weltweit führend in den Bereichen Elektrofahrzeuge und Batterien, Robotik, Quantenkommunikation, erneuerbare Technologien usw. Einer Studie zufolge waren die USA vor 20 Jahren in 60 der 64 Schlüsseltechnologien für Verteidigung, Energie, Computertechnik, Biotechnologie und andere Sektoren führend, heute ist China in 57 dieser Technologien führend.“

Vor diesem Hintergrund würde die Vermutung naheliegen, dass Russland und China, sollten sie nicht nur de facto, sondern auch de jure ein militärisches Bündnis bilden, die stärkste militärische Allianz aller Zeiten darstellen würden.

Die Fehleinschätzung der eigenen militärischen Stärke ergibt sich daraus, dass die EU-Europäer zum einen ihrer eigenen, das russische militärische Machtpotential unterschätzenden Kriegspropaganda unterliegen und zum anderen den Krieg des 21. Jahrhunderts an der Kriegskunst des 20. Jahrhunderts messen und die Kriegsrealität in der Ukraine verkennen – ungeachtet der Tatsache, dass die Nato selber mittelbar und unmittelbar am Kriegsgeschehen beteiligt ist und über die tatsächlichen militärischen Kräfteverhältnisse an der Front bestens informiert ist.

Dass die Nato die stärkste Militärmaschinerie der Welt ist, gilt heute nicht mehr und ist zum gefährlichen Aberglauben geworden, der zu fatalen Fehleinschätzungen bei der Beurteilung der Kriegsfähigkeit und militärischen Erfolgsaussichten der eigenen Streitkräfte führen kann.

4. In einer geopolitischen Sackgasse

Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts haben die EU-Machteliten sowohl geostrategisches Denken als auch die Kriegskunst verlernt. Sie haben darüber hinaus nie Kriege gegen einen gleichstarken Gegner seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges geführt.

Vor diesem Hintergrund ist ihre aggressive Rhetorik gegen Russland mehr als verwunderlich. Sie überbieten sich geradezu mit ihren Drohungen und Beschimpfungen der russischen Führung, ohne dabei in der Lage zu sein, ihrer aggressiven Rhetorik Taten folgen zu lassen.

Das kann auch kaum überraschen. Denn die Drohgebärden der EU-Europäer und ihre aggressive Rhetorik können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die nuklearstrategische Prädominanz Russlands und der militärtechnologische Rückstand Europas sie davon abhalten, unüberlegte Handlungen zu machen.

Sieht man vom geringen Kernwaffenbestand der Franzosen und Briten ab, so diente das Kernwaffenmonopol der USA innerhalb der Nato-Allianz bereits zu Zeiten des „Kalten Krieges“ nicht zuletzt auch „der politischen Disziplinierung der Nato-Partner und der Hegemonie Amerikas über Westeuropa im Bündnis,“6 die im Grunde bis heute fortwirkt.

Das hatte aber zufolge, dass die US-amerikanische Bündnispolitik einer eigenständigen europäischen Sicherheitspolitik immer schon im Wege stand und die Europäer zur Funktion der globalen US-Machtprojektion missbrauchte und von den geostrategischen Launen des US-Hegemonen abhängig machte.

Wie dem auch sei, die gegenwärtige Ökonomisierung der Sicherheitspolitik durch die Trump-Administration zeigt, wie sehr Europa in eine geo- und sicherheitspolitische Sackgasse geraten ist. Es kann einerseits Russland militärisch ohne die US-Unterstützung nichts entgegensetzen und ist darum einer sicherheitspolitischen Erpressung durch die USA schutzlos ausgeliefert.

Andererseits ist es auf den US-Schutzpatron kein Verlass mehr und die Europäer können nicht mehr ohne weiteres sicher sein, ob es von den USA mit Berufung auf den Paragraf 5 des Nato-Vertrages verteidigt wird.

Damit ist die Frage nach dem politischen und militärischen Sinn und Zweck des transatlantischen Bündnisses erneut gestellt. Ist es politisch ein „amerikanisches Militärprotektorat mit nuklearer Sicherheitsgarantie oder Koalition gleichberechtigter Partner“7? Und wie wirksam ist es überhaupt militärisch im Kriegsfall?

Europas geo- und sicherheitspolitische Rolle stand für die USA von Anfang an seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Dienst einer globalen Politik der amerikanischen Weltmacht und in diesem Sinne war das Verhältnis zwischen den USA und den europäischen Verbündeten immer ein Unterwerfungsverhältnis unter den US-Machtwillen.

Infolge einer dramatischen Verschiebung der globalen Kräfteverhältnisse in den vergangenen fünfzehn Jahren zum Nachteil der US-Hegemonie und in Anbetracht einer sich daraus ergebenden Erosion der geopolitischen und geoökonomischen Machtstellung der USA im globalen Raum haben sich nicht dieses Unterwerfungsverhältnis, wohl aber die geo- und sicherheitspolitischen Ziele und Interessen der USA geändert.

Das hat wiederum zufolge, dass Trumps Amerika in den europäischen Verbündeten erst recht nicht gleichberechtigte Partner, sondern tributpflichtige Vasallen sieht, die für die Sicherheitsleistungen der USA zahlen müssen.

Der sicherheitspolitische Bedeutungsverlust des transatlantischen Bündnisses für die globale Machtprojektion der USA wird dadurch immer evidenter und ist nicht mehr von der Hand zu weisen.

Als Relikt des „Kalten Krieges“ hat die Nato als Sicherheitsbündnis an Bedeutung mittlerweile auch für Europa eingebüßt, auch wenn die EU-Europäer das nicht wahrhaben wollen, weil sie in Putins Geo- und Sicherheitspolitik einen vermeintlichen Neoimperialismus und Expansionismus erblicken, womit sie gleich die Bedrohung Europas verbinden.

Dass es eigentlich die Nato war, die in den vergangenen dreißig Jahren ungebremst und ohne Rücksicht auf die legitimen russischen Sicherheitsbedenken gen Osten expandierte8, davon wollen die EU-Europäer nichts wissen.

Mit ihrem ständigen Verweis auf Putins Äußerung: Die Sowjetunion sei „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ unterstellen sie ihm vielmehr, dass er die Wiederherstellung des Sowjetreiches anstrebe. Diese Unterstellung entbehrt aber jeder Grundlage.

Denn sie unterschlägt gleichzeitig auch eine ganz andere, von Putin bereits 2010 gemachte Äußerung: „Wer den Untergang der UdSSR nicht bedauert, hat kein Herz. Wer aber die UdSSR wiederherstellen will, hat keinen Verstand.“

Statt mit Russland gemeinsam einen geo- und sicherheitspolitischen Modus Vivendi zu finden, verschärfen die Eurokraten unter der deutschen EU-Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, ihre feindselige Anti-Russland-Rhetorik, immer noch in den Schützengräben des „Kalten Krieges“ verschanzt.

Das ist aber nichts weiter als eine seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gepflegte europäische Russlandpolitik, die in der russischen Führung allein „einen feindseligen Nachbar“ (von der Leyen) sieht, gegen den „nur Abschreckung (hilft).“9

Diese feindselige Russlandpolitik, die immer noch nicht vergehen will, weil sie nicht vergehen darf, ist freilich aus der Zeit gefallen, nicht mehr zeitgemäß und hat Europa längst in eine Sackgasse manövriert.

Anmerkungen

1. Reinhard, W., Außenpolitik ohne Gegenpol: Amerikanische Weltpolitik der Ära Clinton/Bush als
Herausforderung für die Theorie, in: Hils, J., u. a. (Hrsg.), Assertive Multilateralism and Preventive War.
Baden-Baden 2012, 11; Paul, M., Kriegsgefahr in Pazifik? Die maritime Bedeutung der sino-amerikanischen
Rivalität. Baden-Baden 2017, 29.
2. Silnizki, M., Der geoökonomische Unilateralismus. Kori Schakes Kritik der Trumpschen Außenpolitik.
27. Juli 2025, www.ontopraxiologie.de; des., Die US-Außenpolitik des „aggressiven Unilateralismus“. Keith
Kelloggs Strategiepapier zu Friedensverhandlungen. 14 Dezember 2024, www.ontopraxiologie.de.
3. Silnizki, M., Das friedlose Europa. Zum Scheitern der europäischen Sicherheitsordnung.16. März 2022,
www.ontopraxiologie.de.
4. Olk, J., Diese Grafik zeigt die Misere der deutschen Wirtschaft, Handelsblatt, 10.11.25, S.8.
5. Vgl. Silnizki, M., In Feindschaft vereint. Russland und Europa im Wandel der Zeit. ???,
www.ontopraxiologie.de.
6. Ruehl, L., Machtpolitik und Friedensstrategie. Einführung General Steinhoff. Hamburg 1974, 259.
7. Ruehl (wie Anm. 6), 259.
8. Näheres dazu Silnizki, M., Dreißig Jahre Nato-Expansion. Zur Vorgeschichte des Ukrainekonflikts.
4. Oktober 2023, www.ontopraxiologie.de.
9. Von der Leyens Rede am 11. März 2025 im Europaparlament in Straßburg.

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