Verlag OntoPrax Berlin

Regime Change, Reindustrialisierung oder Nostalgie?

Zwischen „America First“ und „America Is Back“

Übersicht

1. Vom Kritiker zum Verfechter des Regime Change?
2. Reindustrialisierung?
3. Ist Amerika „verflucht durch eine Außenpolitik der Nostalgie“?

Anmerkungen

„Americans need an alternative to the choice between “America first”
unilateralism or “America is back” nostalgia.“
(Die Amerikaner benötigen eine Alternative zur Wahl zwischen
unilateralem „America First“ und „America is back“-Nostalgie.)1

1. Vom Kritiker zum Verfechter des Regime Change?

„Trumps Verwandlung vom Kritiker zum Verfechter des Regime Change gehört bisher zu den erstaunlichsten Entwicklungen“ der US-Außenpolitik (The transformation of Trump from regime-change critic to champion is among the most astonishing developments thus far).

Diese stramme These stellte Peter D. Feaver (Politikwissenschaftler an der Duke University in Durham, North Carolina) in seiner am 12. November 2025 in Foreign Affairs veröffentlichten Studie „Trump’s Year of Living Dangerously“ auf. Feaver begründet sie mit Verweis auf die Vorgehensweise der Trump-Administration gegen Venezuela und mit Trumps Genehmigung, verdeckte CIA-Aktionen dort durchzuführen.

Sollte die These stimmen, wäre das in der Tat eine geradezu dramatische Wende der Trumpschen Außenpolitik. Denn es ist nicht lange her, als Trump bei seiner ersten Auslandsreise im Nahen Osten (Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate) am 13. Mai in Riad eine Rede hielt, in der er der US-Außenpolitik der Neocons eine schroffe Absage erteilte.

Trump verurteilte nicht nur die neokonservative Praxis der sog. „Nation Building“ in der Region aufs Schärfste, sondern schwor auch, nie wieder den Weg jener Abenteuer zu beschreiten, die in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren zum sinnlosen Vergießen amerikanischen Blutes und zur Verschwendung nationaler Ressourcen geführt haben, um dem Nahen Osten die „westlichen Werte“ und „liberale Demokratie“ aufzuzwingen.2

Neuerlich bekräftigte Tulsi Gabbard (Director of National Intelligence) diese Neuausrichtung der US-Außenpolitik in ihrer Rede bei einer Veranstaltung des International Institute for Strategic Studies (IISS) in Bahrain am 31. Oktober 2025.

„Wir hoffen, dass die alte Denkweise Washingtons der Vergangenheit angehört, die uns viel zu lange beschäftigt hat. Jahrzehntelang steckte unsere Außenpolitik in einem kontraproduktiven und endlosen Kreislauf aus Regimewechsel und Nation-Building fest. Es war ein Einheitsansatz, der darauf abzielte, Regime zu stürzen, anderen unser Regierungssystem aufzuzwingen, in kaum verstandene Konflikte einzugreifen und am Ende mehr Feinde als Verbündete zu haben. Die Folge: Billionen ausgegebene Dollar, unzählige Tote und in vielen Fällen die Schaffung größerer Sicherheitsbedrohungen, der Aufstieg islamistischer Terrorgruppen wie des IS.“

Es ist von daher mehr als zweifelhaft, ob man Feavers These so ohne weitere zustimmen kann. Was Venezuela betrifft, so geht es Trump hier nicht so sehr um Regime Change oder die Nation-Building als vielmehr um einen Erpressungsversuch, Nicolás Maduro dazu zu bewegen, Venezuelas größte Ölreserven der Welt unter US-Kontrolle stellen zu lassen sowie China und Russland aus Venezuela zu verdrängen.

Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, warum Trump bestrebt ist, die erodierende US-Weltdominanz vor allem und in erster Linie in der westlichen Hemisphäre zu konsolidieren, wo es den USA am einfachsten erscheint, ihre Vormachtstellung wie zu Zeiten des „Kalten Krieges“ aufrechterhalten bzw. ausbauen zu können.

Die Verkennung dieser Trumpschen Geopolitik führt Feaver nicht nur zur Diagnose der Verwandlung Trumps vom Kritiker zum Verfechter des Regime Change, sondern auch zu seiner Verwunderung über eine Prioritätenänderung in der US-Außenpolitik.

„In jeder Hinsicht ist Trumps Umorientierung von China zur westlichen Hemisphäre eine ziemlich überraschende Entwicklung seiner zweiten Amtszeit. Wenn sie anhält, wird sie weltweite Auswirkungen haben und möglicherweise das Kräfteverhältnis entscheidend zu Gunsten Chinas verschieben und den globalen Einfluss der USA weiter schrumpfen lassen“, diagnostiziert Feaver.

Diese Diagnose verkennt von Grund aus Trumps „Grand Strategy“3, die darauf abzielt, alle Kräfte des geschwächten US-Hegemonen geopolitisch zu bündeln und geoökonomisch zu konsolidieren. Diese Entwicklung führt letztlich, stellt Feaver besorgt fest, zu „Trumps Aushebelung der amerikanischen Weltmacht“ und diese Aushebelung „könnte eine neue geopolitische Ordnung einleiten“ (Trump’s siphoning of American global power could usher in a new geopolitical order).

Dem ist zu entgegnen: Die Entwicklung einer „neuen geopolitischen Ordnung“ hat schon längst Fahrt aufgenommen, lange bevor Trumps zweite Amtszeit begonnen hat. Mit seinem Zoll-Krieg und seiner aggressiven Außenpolitik hat er freilich diese Entwicklung nur noch beschleunigt.

2. Reindustrialisierung?

Dass die Trump-Administration trotz anderweitiger öffentlicher Bekundungen ganz genau weiß, in welcher prekären Wirtschaftslage sich die USA infrastrukturell und industriell befinden, haben Trump und sein Finanzminister, Scott Bessent, selber offen und deutlich artikuliert.

Das Land ist praktisch deindustrialisiert. Wie dramatisch die Lage ist, verriet uns Bessent am 12. November 2025 in einem aufschlussreichen Interview bei Fox News. Nachdem Trump das H-1B-Visaprogramm verteidigt hat, sagte Bessent einen Tag darauf im erwähnten Interview: „Die Vision des Präsidenten ist es, Fachkräfte aus dem Ausland, wohin die Arbeitsplätze abgewandert sind, zurückzuholen. Drei, fünf, sieben Jahre sollen die US-Arbeitnehmer ausgebildet werden, dann können sie in ihre Heimat zurückkehren. Die US-Arbeitnehmer übernehmen dann die Aufgaben vollständig.“

Als Reaktion auf Trumps jüngste Äußerungen zu H-1B-Visa, in denen er sagte, Amerika müsse Talente ins Land holen, da es an „bestimmten Talenten“ mangele, erklärte Bessent:

„Seit 20 bis 30 Jahren verlagern die USA Präzisionsfertigungsarbeitsplätze ins Ausland. Und der Präsident will damit sagen: Wir können nicht einfach mit den Fingern schnippen und behaupten: >Ihr werdet über Nacht lernen, Schiffe zu bauen<. Wir wollen die Halbleiterindustrie zurück in die USA holen.“

„Die Idee, dass ausländische Partner kommen, amerikanische Arbeiter ausbilden und dann wieder nach Hause zurückkehren, ist also ein Volltreffer“, fügte Bessent pflichtschuldig hinzu und merkte an, dass die Amerikaner derzeit „seit Jahren keine Schiffe mehr in den USA bauen, wir haben keine Halbleiter mehr hergestellt“.

Gefragt danach, ob die H-1B-Visafrage angesichts der Befürchtung, dass die Einstellung der ausländischen Arbeitskräfte die amerikanischen Löhne drücken könnte, weiterhin eine Priorität für seine Administration bleiben würde, verteidigte Trump, wie gesagt, das Visaprogramm während seines Interviews mit Fernsehmoderatorin, Laura Ingraham, auf Fox News mit der Aussage: „Man muss … Talente ins Land holen.“

Als Ingraham erwiderte, „wir hätten genügend Talente“, widersprach er vehement: „Nein, haben wir nicht. Bestimmte Talente fehlen uns. Und die Leute müssen lernen. Man kann nicht einfach Arbeitslose von der Arbeitslosenliste holen und sagen: >Ich stecke euch jetzt in eine Fabrik, wir bauen Raketen<.“

„Man kann nicht einfach sagen“, fuhr Trump fort: „Kommt ins Land, investiert 10 Milliarden US-Dollar in den Bau einer Fabrik und holt Arbeitslose, die seit fünf Jahren keinen Job mehr hatten, und dann fangen wir an, Raketen zu produzieren. So funktioniert das nicht.“

Die Trump-Administration hat ihre Bemühungen um eine Reform des H-1B-Visasystems verstärkt, das es US-Unternehmen – insbesondere im Technologie- und Medizinsektor – ermöglicht, qualifizierte ausländische Fachkräfte, darunter eine große Anzahl indischer Arbeitnehmer, zu beschäftigen. Im September erließ Trump eine Proklamation mit dem Titel „Einreisebeschränkung für bestimmte Nicht-Einwanderer“, die laut offiziellen Angaben einen wichtigen ersten Schritt zur Reform des Programms darstellte.

Gemäß dieser Anordnung müssen H-1B-Anträge, die nach dem 21. September 2025 eingereicht werden, eine zusätzliche Zahlung von 100.000 US-Dollar als Voraussetzung für die Förderfähigkeit enthalten.4

Die Trump-Administration versucht mit anderen Worten fieberhaft den längst zum Rentierstaat mutierten US-Hegemon zu reindustrialisieren und das, was in den vergangenen drei Jahrzehnten seit dem Ende des „Kalten Krieges“ heruntergewirtschaftet wurde, so schnell wie möglich wettzumachen.

Ja, die Trump-Administration hat es eilig. Die Zeit läuft ihr davon, da sie merkt, dass die anderen Großmächte wie China, Indien und Russland sich militärisch und ökonomisch auf der Überholspur befinden und den USA davonlaufen. Von wegen Regime Change!

Die Zeiten des „liberalen Internationalismus“ sind unwiderruflich vorbei. Es lebe der aggressiven Unilateralismus5! In Zeiten der erbitterten Großmächterivalität geht es Trump nicht so sehr um einen „humanitären Interventionismus“, „Regime Change“ oder die „Nation Building“ als vielmehr um das geopolitische Überleben Amerikas, das mittels eines aggressiven geoökonomischen Unilateralismus6 erreicht werden soll.

Die Zeiten stehen auf geoökonomische Konkurrenz, militärische Konfrontation und geopolitische Rivalität der Großmächte. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, bedarf es eines hochindustrialisierten Landes und nicht eines Rentierstaates.

Man schießt schließlich mit Kanonen und nicht mit Geldmünzen. Eine rasche Reindustrialisierung des Landes ist für die Trump-Administration alternativlos. Ob die USA dazu noch fähig sind?

3. Ist Amerika „verflucht durch eine Außenpolitik der Nostalgie“?

Der Niedergang der US-Hegemonie, die die Trump-Administration mit allen zur Verfügung stehenden aggressiven handels-, finanz- und einwanderungspolitischen und notfalls auch militärischen Mitteln aufzuhalten versucht, wird immer noch selbst von eingefleischten MAGA-Republikanern angezweifelt. Unlängst griff Trumps ehem. Nationaler Sicherheitsberater, Robert C. O’Brien (2019-2021), die US-Demokraten wegen der von ihnen angeblich verbreiteten Untergangsstimmung frontal an.

Trumps „Vision von >America first<“ steht in krassem Gegensatz zur Außenpolitik der Obama- und Biden-Administration“, beteuerte O’Brien in seinem am 5. November 2025 in Foreign Affairs erschienenen Beitrag „The Case for Trump’s Second-Term Foreign Policy“.

In Trumps zweiter Amtszeit müsse die US-Außenpolitik auf der Grundlage des „Friedens durch Stärke“ wiederhergestellt werden, die in seiner ersten Amtszeit vorherrschte, fordert O’Brien. „Peace Through Strength Is Delivering Stability and Security“ (Frieden durch Stärke schafft Stabilität und Sicherheit) soll das Credo der US-Außenpolitik unter Trump sein, schreibt er bereits im Untertitel seiner Veröffentlichung.

Im Gegensatz dazu glauben die US-Demokraten, „dass sich die USA im Niedergang befinden“, behauptet O’Brien und wirft ihnen eine „einseitige Abrüstung“ (unilateral disarmament) vor, die die Einsatzbereitschaft der US-Army beeinträchtigt.

Zur Unterstützung seiner kühnen These zitiert er Obamas ehemaliger  Stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater, Ben Rhodes (2009–2017), der 2022 selbstkritisch anmerkte: „Historiker werden darüber diskutieren, wie sehr Amerika die aggressiven Handlungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin angestiftet haben könnte.“

Rhodes einsame Stimme im „Washingtoner Blob“7 hat freilich mit der Kriegspolitik der Biden-Administration (2022-2025) nicht im Geringsten etwas zu tun. O’Briens Polemik zeigt, wie sehr die US-Republikaner immer noch von Neocons und den „liberalen Internationalisten“ dominiert werden und wie wenig sie im Gegensatz zu Trump und Bessent begriffen haben, dass die industrielle Basis Amerikas erodiert ist und dass das Ronald Reagan entlehnte Schlagwort „Frieden durch Stärke“ ohne eine Reindustrialisierung Amerikas nicht weiter als ein Pfeifen im Walde bleiben wird.

Liest man hingegen O’Briens Veröffentlichung, so ist von einer ökonomischen Dimension der „Stärke“ Amerikas darin gar keine Rede. Amerikas „Stärke“ wird hier allein militärisch definiert und dargestellt. Merkwürdig muten seine Äußerungen wie die folgenden an: „Im September d. J. deutete Trump an, dass die USA zusätzliche Rotationstruppen nach Polen entsenden könnten, und signalisierte damit eine eiserne Entschlossenheit gegen den russischen Revanchismus. Bald darauf schickte Warschau 40.000 zusätzliche Soldaten an seine Grenzen, und Frankreich verpflichtete sich zu gemeinsamen Luftpatrouillen über Polen.“

Offenbar verwechselt O’Brien Trump mit Biden, auch wenn er die ganze Zeit genau das Gegenteil behauptet. Laut Medienberichten wollen die USA nicht mehr Truppen nach Europa entsenden, sondern ganz im Gegenteil diese aus Europa abziehen.

So berichtete beispielsweise Die Zeit am 29. Oktober 2025: Die „USA wollen die Militärpräsenz in Osteuropa reduzieren. Nach Angaben der rumänischen Regierung werden Teile der US-Truppen von der Nato-Ostgrenze abgezogen. Es gehe um Standorte in Bulgarien, Rumänien, der Slowakei und Ungarn.“

Zwar hat Trump dem neuen polnischen Präsidenten, Karol Nawrocki, bei dessen Besuch im Weißen Haus Anfang September versichert, dass man nicht an eine Truppenreduzierung in Polen denke. Die Militärpräsenz könne sogar erhöht werden, falls Warschau dies wünsche, kündigte Trump an. Das hat aber bei Trump nicht viel zu bedeuten.

O’Brien verkennt zudem Trumps „Grand Strategy“, die im Zweifel auf Ausgleich und nicht auf Konfrontation mit Russland setzt.

Damit bleibt O’Brien im Modus des traditionellen US-amerikanischen außenpolitischen Denkens stecken, das im Militärischen das Allheilmittel zur Rettung der US-Hegemonie erblickt und in Russland einen „ewigen Feind“ sieht.

Erneut bewahrheitet sich die vor einem Jahr gewonnene Erkenntnis von Nancy Okail und Matthew Duss: „America Is Cursed by a Foreign Policy of Nostalgia“ (Amerika ist verflucht durch eine Außenpolitik der Nostalgie).8 Solange diese „Außenpolitik der Nostalgie“ im US-außenpolitischen Establishment vorherrschend bleibt, ist auch Trumps Reindustrialisierung des Landes gefährdet.

Warum sollen die von der Trump-Administration umworbenen Fachkräfte überhaupt ins Land kommen, wenn sie stets mit einer aggressiven US-Außenpolitik konfrontiert werden, die sich auch gegen ihre eigenen Länder wenden könnte? Lieber bleiben sie dann zu Hause, um dem sterbenden Hegemonen nicht die Kastanien aus dem Feuer zu holen.

Anmerkungen

1. Okail, N./Duss, M., America Is Cursed by a Foreign Policy of Nostalgia. Washington Needs Something
Better Than „America First“ and „America Is Back“. Foreign Affairs, 3. Dezember 2024
2. Näheres dazu Silnizki, M., Trumps außenpolitische Revolution? Vom „liberalen Interventionismus“ zu
„aggressiven Unilateralismus“. 29. Oktober 2025, www.ontopraxiologie.de.
3. Siehe Silnizki, M., Trumps „Grand Strategy“. Im Kriegsschatten der Großmächte. 25. Oktober 2025,
www.ontopraxiologie.de.
4. Zitiert nach The Telegraph online: „Train US workers, then go home“: Treasury Secretary Scott Bessent
on Trump’s H-1B visa vision, 13.11.2025.
5. Silnizki, M., Trumps außenpolitische Revolution? Vom „liberalen Interventionismus“ zum „aggressiven
Unilateralismus“ (wie Anm. 1); des., Die US-Außenpolitik des „aggressiven Unilateralismus“. Keith Kelloggs
Strategiepapier zu Friedensverhandlungen. 14. Dezember 2024, www.ontopraxiologie.de.
6. Silnizki, M., Der geoökonomische Unilateralismus. Kori Schakes Kritik der Trumpschen Außenpolitik.
27. Juli 2025, www.ontopraxiologie.de.
7. Silnizki, M., „The Washington Blob“ und der Ukrainekonflikt. Zwischen Euphorie und Ernüchterung.
19. September 2023, www.ontopraxiologie.de.
8. Okail, N./Duss, M. (wie Anm. 1); näheres dazu Silnizki, M., Die US-Außenpolitik des „aggressiven
Unilateralismus“. Keith Kelloggs Strategiepapier zu Friedensverhandlungen. 14. Dezember 2024,
www.ontopraxiologie.de.

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