Verlag OntoPrax Berlin

Der größte Feind des Friedens?

Die Dummheit der Regierenden!

Übersicht

1. Der Irrsinn hat Methode
2. Naryschkin, Tusk, Rutte und die Verhandlungsunwilligkeit
3. Das strategische Versagen der Russlandpolitik

Anmerkungen

„Ein grundlegender Irrtum hat das ganze europäische Leben beeinflusst:
die Stellung gegen Russland. Die siegreichen Mächte … sträubten sich
nicht nur lange Zeit, die Regierung von Moskau anzuerkennen, sondern
suchten sie mit allen militärischen und wirtschaftlichen Mitteln zu
bekämpfen … Später versuchten sie die wirtschaftliche Isolierung
Russlands.“
(Francesko Nitti, 1926)1

1. Der Irrsinn hat Methode

Wenn man den Mainstream-Medien diesseits und jenseits des Atlantiks zuhört, so hat man den Eindruck, als hätte die Ukraine zwar gewisse Schwierigkeiten und befände sich auf dem Rückzug. Aber keine Sorgen! An der russisch-ukrainischen Front herrsche im schlimmsten Falle eine Pattsituation. Russland habe hingegen große ökonomische Probleme, das Wirtschaftswachstum sei nahe null, hohe Anzahl von Kriegsopfer, die in Millionen gezählt werden, usw. usf.

Vom Bankrott der ukrainischen Volkswirtschaft, von einem durch den Krieg zerstörten Land, Verelendung breiter Bevölkerungsschichten, Zwangsrekrutierungen usw. ist freilich nur am Rande die Rede. Alles dreht sich um „Putins Reich“ und das Gerede, wie schlecht doch dort alles bestellt sei. Und nun kommen „endlich“ und zum ersten Mal seit Trumps erneuter Machtübernahme die lang ersehnten US-Sanktionen hinzu.

Im Glauben, Russland zur Einstellung der Kriegshandlungen bzw. zur sofortigen und bedingungslosen Feuerpause zwingen zu können, verhängte die Trump-Administration Sanktionen gegen die russischen Ölkonzerne Rosneft und Lukoil.

„Dies sind einige der schwersten Sanktionen, die wir jemals gegen die Russische Föderation verhängt haben“, frohlockte der US-Finanzminister, Scott Bessent, am 23. Oktober 2025 in einem Interview mit Fox Business. Dass die seit knapp vier Jahren bestehenden beinahe 30.000 Sanktionen bis heute den Krieg in der Ukraine nicht beenden konnten, interessiert Bessent nicht.

Ganz im Gegenteil: Er griff seinen russischen Kollegen und Sondergesandten, Kirill Dmitriev (Leiter des staatlichen Anlagefonds „Russian Direct Investment Fund“), der zu dieser Zeit zu Verhandlungen mit US-Regierungsbeamten in New York aufhielt, frontal an und beschimpfte ihn wutschnauzend als einen „russischen Propagandisten“. Das nennt sich ein „vornehmer“ Verhandlungsstil ganz nach dem Geschmack eines ehemaligen New Yorker Immobilienhändlers!

Auf Dmitrievs Aussage, die US-Sanktionen gegen Rosneft und Lukoil würden keinerlei Auswirkungen auf die russische Wirtschaft haben, antwortete Bessent: „Russland wird die Auswirkungen sofort spüren.“ Selbstsicher fügte er sodann hinzu:

„Wollen Sie wirklich veröffentlichen, was ein russischer Propagandist sagt? Ich meine, was soll er sonst sagen? Oh, das wird schrecklich sein und Putin an den Verhandlungstisch zwingen? Natürlich ist die russische Wirtschaft eine Kriegswirtschaft. Das Wachstum liegt praktisch bei null. Die Inflation liegt, glaube ich, bei über 20 Prozent, und alles, was wir tun, wird Putin an den Verhandlungstisch zwingen.“

Die russische Militärmaschinerie werde durch Öl finanziert „und ich denke, wir können Putins Einnahmen deutlich reduzieren. … Ihre Öleinnahmen sind im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gesunken. Ich vermute, dies könnte zu weiteren Einbußen von 20 bis 30 Prozent führen.“

Bessents Aufgeregtheit verrät seine Unsicherheit darüber, ob die verhängten Sanktionen erfolgreich sein würden und dass er selber an deren Erfolg zweifelt. Deswegen versucht er jede Diskussion darüber im Keim zu ersticken. Schlimmer noch: Er kennt offenbar weder die wirtschaftlichen Eckdaten noch die Struktur der russischen Ökonomie und redet darum getreu Trumps Empfehlungen aus dessen Werk „The Art of the Deal“ (2015) genauso, wie sein „Boss“, ins Blaue hinein.

Die Inflationsrate beträgt heute in Russland nach offizieller Statistik 7,65 % und nicht „über 20 Prozent“. Dass die verhängten Sanktionen die „Kriegswirtschaft“ Russlands ruinieren können, davon kann ebenfalls keine Rede sein. Der Anteil der Öl- und Gasproduktion an der russischen Wirtschaft unterliegt zwar unterschiedlichen Schätzungen, die Daten lassen aber erkennen, dass im Jahr 2022 der Öl- und Gassektor (einschließlich Öl- und Gasproduktion, Raffination und Transport) lediglich 21,7 % zum russischen BIP beitrug. 2025 beträgt dieser Anteil schätzungsweise nur noch 17 %.

Im Jahr 2024 machten die Steuereinnahmen aus Öl und Gas etwa 30 % aller Einnahmen des Bundeshaushalts mit fallender Tendenz aus, wobei diese Steuer als „Mineralgewinnungssteuer“ (налог на добычу полезных ископаемых) grundsätzlich vom Exportumfang unabhängig ist.

Die US-Sanktionen gegen Rosneft und Lukoil treffen zudem unmittelbar die europäischen Nato-Verbündeten. Aber vielleicht ist das auch gewollt.

Denn Lukoil besitzt auch Raffinerien in Europa (drei Anlagen in Italien, Rumänien und Bulgarien sowie einen 45-prozentigen Anteil an einer Raffinerie in den Niederlanden), die 18,5 Millionen Tonnen Öl verarbeiten (31,6 Prozent des gesamten Raffinerievolumens des Unternehmens).

Das Unternehmen setzte nach eigenen Angaben sogar seine Expansionspolitik 2025 in Europa unvermindert fort: „LUKOIL OJSC und OMV Refining & Marketing GmbH haben eine Vereinbarung unterzeichnet, nach der LLK-International LLC (eine hundertprozentige Tochtergesellschaft von LUKOIL OJSC) eine OMV-Ölmischanlage mit einer Kapazität von 35.000 Tonnen pro Jahr in einem Vorort von Wien sowie die Fertigproduktvertriebseinheiten von OMV in Österreich, Bulgarien, Ungarn, Deutschland, Rumänien, Slowenien, der Slowakei, der Tschechischen Republik und Serbien erwerben wird.“

Auch Deutschland ist direkt betroffen. Der Ölkonzern Rosneft ist an großen Raffinerien in Deutschland beteiligt. Laut dem Bericht der WirtschaftsWoche vom 24. Oktober 2025 sei der „Bundeskanzler Friedrich Merz optimistisch, dass die US-Sanktionen gegen die russischen Ölkonzerne Rosneft und Lukoil sich nicht auf Raffineriekapazitäten in Deutschland auswirken.“

Merz sagte nach dem EU-Gipfel am 23. Oktober, dass die USA die deutsche Tochtergesellschaft von Rosneft PJSC von den jüngsten Sanktionen gegen Russland ausnehmen würden. „Also, wir werden darüber mit den Amerikanern sprechen“ und „ich gehe davon aus, dass eine entsprechende Freistellung für Rosneft auch erfolgt.“

Der Kämpfer gegen den „Kriegsverbrecher“ Putin will eine Ausnahmeregelung für Putins Ölkonzern, damit dieser seine Kriegskasse füllen kann! Nun ja, „erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral,“ wusste schon Bertolt Brecht.

Und die Lehre aus der Geschichte? Die Sanktionen treffen Freund wie Feind, werden keinen Frieden, wohl aber viel Ärger und Unfriede schaffen! Der Krieg wird dadurch in keinerlei Weise beeinträchtigt. Conclusio: Der größte Feind des Friedens ist die Dummheit der Regierenden!

2. Naryschkin, Tusk, Rutte und die Verhandlungsunwilligkeit

Am 21. Oktober 2025 berichteten die russischen Medien: Der Direktor des Auslandsgeheimdienstes (SVR), Sergej Naryschkin, erklärte: Die europäischen Nato-Verbündeten würden sich „offen auf einen Krieg mit Russland vorbereiten“. „Die Aufgabe besteht darin, die zu diesem Zweck eingesetzte Nato-Reaktionstruppe innerhalb kurzer Zeit mit allen notwendigen Ressourcen auszustatten“, sagte Naryschkin bei einer Sitzung des Rates der Leiter der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste der GUS-Staaten.

Der SVR-Chef berichtete, die Nato-Länder würden „die Bevölkerung mit Propaganda über eine unvermeidliche Aggression Moskaus manipulieren“, und wies darauf hin, dass Europa sich „nicht an die neuen internationalen Realitäten anpassen“ könne und seit dem Zweiten Weltkrieg weiterhin „unter amerikanischer Besatzung“ stehe.

„Das Einzige, was die europäischen Staats- und Regierungschefs den Nationen bieten können, ist Russophobie und ein beschleunigter Aufbau militärischen Potenzials mit Blick auf einen groß angelegten Konflikt mit Russland“.

Zuvor warf Naryschkin Europa vor, die „Desintegrationsprozesse“ in der GUS zu provozieren, wozu wirtschaftlicher Druck, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe eingesetzt würden. Ziel sei es, „die Entwicklung der GUS als unabhängiges Machtzentrum auszubremsen“.

Europa schüre Kriegsängste in der Bevölkerung und beschwöre seit Wochen die Gefahr, die angeblich aus dem „Osten“ komme. Naryschkins Vorwürfe sind nicht neu. Neu ist die Intensität, mit der sie vorgetragen werden. Und die Europäer stehen dem in nichts nach.

Zuletzt behauptete der polnische Premier, Donald Tusk, spiegelbildlich am 26. Oktober 2025 in einem Interview mit der „Sunday Times“, dass der Ukrainekonflikt zu einem „permanenten Krieg“ zu werden drohe, solange Putin an der Macht sei.

Zwar stehe Russland laut Tusk „vor dramatischen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, nicht zuletzt aufgrund der neuen US-Sanktionen gegen die russischen Ölkonzerne.“ Man könne aber deshalb nicht sagen, dass man dabei erfolgreich sein würde. Die Russen hätten nämlich einen großen Vorteil gegenüber Europa: „Sie sind kampfbereit. … In Kriegszeiten ist das entscheidend“, betonte Tusk und warnte vor allem Großbritannien davor, sich der „süßen Illusion“ hinzugeben, dass der Krieg gegen die Ukraine weit weg sei.

Russland könne mit nuklear bestückten ballistischen Raketen jede europäische Hauptstadt erreichen, auch London. Bereits jetzt sei man massiven Attacken im Cyberspace ausgesetzt. „Sie sind bereit, die Cyber-Infrastruktur unserer Eisenbahnen, unserer Krankenhäuser in Polen zu zerstören.“

Was nun? Russland sei einerseits ökonomisch schwach, andererseits kampfbereit; einerseits droht uns zu überfallen, andererseits sei dazu gar nicht in der Lage?

Neuerlich erklärte der Nato-Generalsekretär, Mark Rutte: Das Bündnis könne Russland wirksam abschrecken, da die Volkswirtschaften seiner Mitglieder zusammen gerechnet 25-mal größer seien als die Russlands und darum in der Lage seien, auf „russische Provokationen“ zu reagieren.

Rutte redet genauso, wie Bessent, ins Blaue hinein und setzt Behauptungen in die Welt, die fern jeder Realität sind. Gerechnet nach dem kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt (BIP), war Russland im Jahr 2024 nach IWF-Angaben mit knapp 7 Billionen US-Dollar die weltweit viertgrößte Volkswirtschaft. Folgt man der Aussage von Mark Rutte, dann würde das bedeuten, dass das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt aller Nato-Volkswirtschaften die astronomischen 175 Billionen US-Dollar (7 x 25) beträgt.

Als wäre das nicht genug, verwechselt Rutte offenbar militärisches Machtpotenzial mit der Wirtschaftskraft und der Verfügung über materielle Ressourcen. Europa hat die Kaufkraft, um Machtmittel zu erwerben, und die Wirtschaftskraft, um sie selbst zu erzeugen. Diese Fähigkeiten sind aber noch lange keine Macht, sondern ein materielles Machtpotential, das erst eingesetzt werden muss, damit auch eine militärische Macht entstehen kann.2

Aber genau hier liegt das Problem einer militärischen Machtbildung der EU. Sie ist zu zersplittert, hat eine zu kleine industrielle Basis und Infrastruktur für die Rüstungsindustrie und besitzt qualitativ wie quantitativ keine modernsten Waffensysteme, die zur Führung eines Krieges des 21. Jahrhunderts erforderlich wären.

Der EU fehlt zudem ohne die USA auch ein Abschreckungspotential und ist deswegen sicherheitspolitisch der Trump-Administration völlig ausgeliefert.

Nichtsdestoweniger treten die Eurokraten so auf, als könnten sie mit Russland aus der „Position der Stärke“ reden und verhandeln. Um der europäischen Öffentlichkeit eine machtvolle Handlungsfähigkeit zu suggerieren, veranstalten sie darum unentwegt und immer wieder ihre zu nichts führende Gipfeltreffen.

Am Ende des Tages zeigen sie aber nur ihre Unfähigkeit, irgendetwas am Kriegsverlauf in der Ukraine ändern zu können, weil sie sich aus Selbstüberschätzung oder Mangel an Urteilskraft unrealistische Ziele bei der Lösung des Ukrainekonflikts setzen. Zugleich zeigen sie keine Bereitschaft sich mit Russland an einen Verhandlungstisch zu setzen.

Nach dem Motto: Mit dem „Kriegsverbrecher“ Putin sitzt man nicht an einem Verhandlungstisch, verbauen sie sich jede Chance über ein Kriegsende mitentscheiden zu können. Eine solche Selbstausschaltung und Selbstisolierung aus dem Friedensprozess machen die EU-Europäer nicht nur verhandlungsunwillig, sondern auch handlungsunfähig.

3. Das strategische Versagen der Russlandpolitik

Selten hört man realistische Stimmen aus den europäischen Machtzentren. So kann laut einem ranghöchsten britischen Armeeoffizier die Ukraine ihren Krieg gegen Russland nicht gewinnen und sollte mit dem Kreml über Friedensbedingungen verhandeln.

Feldmarschall Lord Richards (geb. 1952) sagte, Kiew werde ohne die Hilfe der Nato-Truppen, die sich vor Ort nicht einmischen würden, nicht in der Lage sein, „Putins Soldaten aus der Ukraine zu vertreiben.“ Ob sie dazu mit den Nato-Truppen in der Lage wären, dazu hat der Brite allerdings nichts gesagt.

Lord Richards, der Anfang des Jahres in den höchsten Fünf-Sterne-Rang des britischen Militärs befördert wurde und die Nato-Streitkräfte während ihrer Truppenaufstockung in Afghanistan anführte, behauptete darüber hinaus, die Verbündeten der Ukraine hätten Kiew im Stich gelassen.

„Was wir im Fall der Ukraine getan haben, ist, die Ukraine zum Kampf zu ermutigen, ohne ihnen aber die Mittel zum Sieg zu geben“, sagte er am 19. Oktober 2025 im „World of Trouble“ der britischen Internet-Zeitung The Independent.

Dass die Ukraine von der westlichen Anti-Russland-Koalition mit mehr als 50 Staaten angeblich keine „Mittel zum Sieg“ bekommen hat, ist, gelinde gesagt, eine starke Untertreibung. Die Anti-Russland-Koalition hat mehr als 350 Milliarden Dollar in den Krieg „investiert“ und hat eine gigantische Menge an Waffensystemen und Kriegsmaterial geliefert, sodass von einer mangelhaften oder gar fehlenden Unterstützung der Ukraine keine Rede sein kann.

Es ist nicht die Ukraine, sondern die Nato unter der US-Führung, die auf dem besten Wege ist, den Krieg auf ukrainischem Boden zu verlieren. Das Gerede von der fehlenden „Mittel zum Sieg“ will nur die absehbare Nato-Kriegsniederlage verschleiern.

Immerhin gibt Lord Richards zu, dass der Krieg „selbst mit ausreichenden Ressourcen“ nicht mehr zu gewinnen sei, fügt aber gleichzeitig hinzu: Die Ukraine habe „nicht genug Personal“. Eine ziemlich späte, ja zu späte Erkenntnis! Diese Ja-Aber-Argumentation macht die verfahrene Lage nicht besser.

Die Aussichten für die Ukraine seien nicht gut. „Es sei denn, wir würden … einmarschieren – was wir nicht tun werden, weil die Ukraine für uns im Gegensatz zu Russland kein existenzielles Problem ist,“ beschwichtigt der Lord das strategische Versagen der britischen, europäischen und transatlantischen Russlandpolitik.

Statt Russland eine „strategische Niederlage“ zuzufügen, erleidet die Nato-Allianz ihre eigene strategische Niederlage! Wer hätte das zu Beginn des Krieges gedacht?! Nur diejenigen, die die europäische Geschichte der vergangenen 300 Jahre kennen. Das geschichtsvergessene, ja geschichtslose EU-Führungspersonal hat davon aber keine Ahnung, sonst hätte es sich darauf nicht eingelassen, Russland im Krieg bezwingen zu wollen.

Und wenn der britische Feldmarschall in seinem Interview immer wieder beteuert, dass die Ukraine „nicht in unserem vitalen nationalen Interesse liegt“, so wäre diese an und für sich zutreffende Feststellung nur vor dem Kriegsausbruch korrekt. Nachdem sich die Nato in das Kriegsgeschehen eingemischt und für die militärische Konfrontation gegen Russland entschieden hat und nunmehr vor dem Scheitern ihres Abenteuers steht, erscheint diese Beteuerung entweder als Ablenkung vom strategischen Versagen des Bündnisses oder eine völlige Verkennung der geopolitischen Dimension, die sich aus der gescheiterten westlichen Kriegspolitik ergibt.

Da war sein ehem. Vorgesetzter, der Ex-Premier Boris Johnson, in seiner geopolitischen Weitsicht viel weiter. In seinem Beitrag „It’s time to let Ukraine join Nato“ (Es ist Zeit, die Ukraine der Nato beitreten zu lassen) für Spectator kommt Johnson bereits am 21. September 2024 zu einer bemerkenswerten Feststellung:

„Eine Niederlage der Ukraine wäre aber vor allem – um es ganz deutlich zu sagen – eine katastrophale Niederlage für die Nato. Es wäre die Explosion der Aura der Nato-Unbesiegbarkeit, die uns – den Briten – in den letzten 80 Jahren Sicherheit gewährt hat“ (Above all, a defeat for Ukraine would be – let us not mince our words – a catastrophic defeat for Nato, the explosion of the aura of Nato invincibility that has helped keep us – the British – safe for the past 80 years).

Die geopolitische Dimension der Infragestellung der „Aura der Nato-Unbesiegbarkeit“ (the aura of Nato invincibility) verkennt Lord Richards, wenn er Britanniens „vitales nationales Interesse“ in der Ukraine verneint. Johnson ist zwar ein Hasardeur und Draufgänger, erweist sich aber mit seiner Feststellung als ein versierter Geopolitiker.

Immerhin erwies sich Lord Richards in seinem beruflichen Werdegang als ein ehrbarer Offizier, der sich gegen die britische Beteiligung an der von den USA angeführten Invasion im Irak aussprach. Später unterstützte er US-General, Mark Milley (Joint Chiefs of Staff Chairman, 2019-2023), der bereits im November 2022 vorschlug, dass die Ukraine mit Russland verhandeln sollte.

Ihm sei klar gewesen, dass der Premier, Tony Blairs, 2003 mit seiner Behauptung, Saddam Hussein entwickle im Irak Atomwaffen, log. Gemeinsam mit anderen hochrangigen Offizieren stellte er die Rechtmäßigkeit der Entscheidung Großbritanniens in Frage, sich 2003 den US-Streitkräften bei der Invasion des Iraks anzuschließen.

„Ich und andere haben den Generalstabschef dazu ermutigt, zu hinterfragen, ob dies legal sei und was die Grundlage dieser Geheimdienstinformationen sei“, erzählte Lord Richards und erinnerte sich in seinem Interview an einen Offizier, der sagte: „Keine Sorge. Wir werden schon etwas finden, was wir da tun können“ und „werden rechtfertigen, was wir getan haben.“

„Ich ging zurück“, um Mike Jackson (britischer Generalstabschef, 2003-2006) zu sagen: „Das stinkt“ (I went back to say to Mike Jackson, „This stinks“). Und heute? Heute „stinkt es“ unsereinem gewaltig, wenn man sieht, welches EU-Führungspersonal an den Schalthebeln der Macht sitzt und wie geschichtsvergessen es Europa in den Abgrund treibt.

Anmerkungen

1. Nitti, F., Bolschewismus, Faschismus und Demokratie. München 1926, 22 f.
2. Vgl. Ruehl, L., Machtpolitik und Friedensstrategie. Einführung General Steinhoff. Hamburg 1974, 176 ff.

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