Verlag OntoPrax Berlin

Von Reagan und Gorbačov zu Trump und Putin

Im Kreislauf der Geschichte?

Übersicht

1. Celeste Wallanders Verklärung der Geschichte
2. Die Kreuzritter unserer Zeit
3. Nahmen Gorbačov und seine Mitstreiter den Untergang des Sowjetsystems billigend in Kauf?
4. Reagan als Vorbild für Trump?

Anmerkungen

  „Do you mind if I tell you my theory of the Cold War?” Reagan said. “My theory
is that we win, they lose. What do you think about that?”
(Darf ich Ihnen meine Theorie des Kalten Krieges erklären?“, fragte Reagan.
„Meine Theorie ist, dass wir gewinnen, sie verlieren. Was halten Sie davon?)
(Ronald Reagan im Gespräch mit Richard Vincent Allen, 1977)1

1. Celeste Wallanders Verklärung der Geschichte

1985 wurde Michail Gorbačov zum Generalsekretär der KPdSU gewählt. Dieses vor 40 Jahren stattgefundene Ereignis war der Auftakt zu Gorbačovs Perestrojka, die die Welt verändert und in deren Folge die Weltgeschichte einen ganz anderen Lauf genommen hat. Es markierte den Anfang vom Ende der Sowjetunion. Was danach kam, war für die einen ein Traum, für die anderen ein Alptraum und bietet bis heute viel Raum für Deutungen und Missdeutungen.

Es erstaunt daher kaum, mit welcher Unbekümmertheit und Unbedachtheit man heutzutage die nach 1985 stattgefundenen Ereignisse beliebig in die Gegenwart projiziert, um daraus außen- und sicherheitspolitisch, aber auch parteipolitisch Honig saugen zu können.

Es stellt sich die Frage, ob die Geschichte sich heute wiederholt. Befinden wir uns heute erneut „im Kreislauf der Geschichte“2 nur mit umgekehrten Vorzeichen? Markiert Trump heute den Anfang vom Ende der US-Hegemonie und wird er genauso, wie Gorbačov, zum Totengräber des US-Imperiums?

Das Gipfeltreffen zwischen Trump und Putin in Alaska 2025 weise jedenfalls gewisse Parallelen zum Gipfeltreffen zwischen Reagan und Gorbačov im isländischen Reykjavik 1986 auf, behauptet Celeste A. Wallander (ehem. Staatssekretärin im US-Verteidigungsministerium, die für die US-Militärhilfe für die Ukraine zuständig war) in ihrem Artikel „The Wrong Way to Do Diplomacy With Russia. What Trump Could Learn From Reagan“ (Der falsche Weg, Diplomatie mit Russland zu betreiben. Was Trump von Reagan lernen könnte) in Foreign Affairs vom 9. September 2025.

„Damals wie heute trafen sich ein amerikanischer und ein russischer Führer“, schreibt sie, „um eine große außenpolitische Herausforderung zu lösen: 1986 ging es um die Beendigung des Wettrüstens und im vergangenen Monat um die Beendigung des Krieges in der Ukraine. In beiden Fällen scheiterten sie. Die Gespräche in Island scheiterten, weil Reagan sich weigerte, seine Strategische Verteidigungsinitiative, die die sowjetischen Atomraketen neutralisieren sollte, bevor sie ihre Ziele treffen, zu beenden. Und Alaska endete ohne einen Deal zur Beendigung der russischen Invasion,“ behauptet Wallander.

Man erinnert sich: Die sowjetische Seite traf mit einem Paket von Vorschlägen auf dem Gipfel ein, der am 11. Oktober 1986 in Reykjavik eröffnet wurde. Gorbačovs Hauptaufgabe bestand darin, Reagan davon zu überzeugen, die Weiterentwicklung der Strategischen Verteidigungsinitiative (SDI) aufzugeben, die der sowjetischen Führung ein Dorn im Auge war, weil sie zu einer neuen Etappe im Wettrüsten führte.

Zu diesem Zweck war Gorbačov bereit, ernsthafte Zugeständnisse zu machen, insbesondere die strategischen Offensivwaffen (einschließlich schwere Interkontinentalraketen) um die Hälfte zu reduzieren und die Zahl der Mittelstreckenraketen auf 100 Sprengköpfe zu beschränken. Dennoch kam es zwischen den Parteien zu grundlegenden Meinungsverschiedenheiten in der SDI-Frage.

Am 12. Oktober schlug Gorbačov sodann die vollständige Abschaffung strategischer und taktischer Atomwaffen innerhalb von zehn Jahren vor. Reagan unterstützte zwar diese Initiative, beharrte aber weiterhin auf die Notwendigkeit, die SDI fortzuführen. Gorbačovs Vorschlag, sie auf Forschung und Labortests zu beschränken, wurde abgelehnt. Beide Staatschefs äußerten anschließend ihr Bedauern über den Ausgang der Verhandlungen.

Am selben Tag erklärte Gorbačov bei einem Treffen mit Journalisten: „Trotz all des Dramas von Reykjavik ist dies keine Niederlage, sondern ein Durchbruch. Zum ersten Mal haben wir über den Horizont hinausgeblickt“, weil sich beide Seiten trotz des Fehlens eines konkreten Ergebnisses auf ein gemeinsames Ziel verständigt hätten: die nukleare Abrüstung.

Aufgeschoben heißt nicht aufgehoben! Und so kam es tatsächlich ein Jahr später mit dem Abschluss des INF-Vertrags (Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty), der am 8. Dezember 1987 von Reagan und Gorbačov unterzeichnet wurde und dessen Umsetzung 1988 erfolgte, zu einer nuklearen Abrüstung.

Der INF-Vertrag sah die Vernichtung aller landgestützten Nuklearraketen kürzerer und mittlerer Reichweite (500-5500 km) auf beiden Seiten vor. Was also 1986 noch als gescheitert aussah, erwies sich 1987/8 als Erfolg!

Vor diesem Hintergrund ist es deswegen noch viel zu früh vom gescheiterten Gipfeltreffen in Alaska zu sprechen. Dass historische Parallelen meistens irreführend und nicht zielführend sind und eher verklären als aufklären, vergleicht man doch oft zwei völlig heterogene Epochen und Ereignisse der Zeitgeschichte, versteht sich beinahe schon von selbst.

Aber was tut man nur nicht, um einen innenpolitischen Gegner und einen geopolitischen Rivalen zu diskreditieren!

Wer wie Wallander Reagans Strategische Verteidigungsinitiative (SDI), die den Spitznamen „Krieg der Sterne“ (Star Wars) aufgrund der Ähnlichkeit zu Science-Fiction-Filmen erhielt, mit dem Ukrainekonflikt vergleicht, vergleicht das Unvergleichbare.

Als ehem. hochrangige Regierungsbeamtin der Biden-Administration steht sie parteipolitisch auf der anderen Seite der innenpolitischen Barrikade und lehnt folgerichtig Trumps diplomatische Initiative zur friedlichen Beendigung des Ukrainekriegs als „Irrweg“ (The Wrong Way) kategorisch ab.

Reagans „Krieg der Sterne“, den er 1983 initiierte und die eine hochentwickelte Abwehr gegen Atomraketen im Weltraum vorsah, darunter satellitengestützte Laser, war indes eine Idee fixe, die nicht realisiert werden konnte, und mancher Kenner der Materie sprechen sogar von Reagans „Bluff“ zur Einschüchterung der Sowjets, worauf die Sowjetführung anscheinend tatsächlich reingefallen ist.

Das SDI-Programm war schlussendlich nur von kurzer Dauer und existierte in seiner ursprünglichen Form lediglich bis 1991. Viele Jahre später merkte der ehem. Forschungsdirektor der Arms Control Association, Tom Collina, 2013 an: „Was die USA heute haben, ist eine rudimentärste Version des von Reagan vorgeschlagenen Raketenabwehrsystems. Und selbst dieses System hat ihre Wirksamkeit und Zuverlässigkeit noch nicht bewiesen. Wir haben über hundert Milliarden Dollar ausgegeben, aber noch keine Ergebnisse gesehen.“

2. Die Kreuzritter unserer Zeit

Nun meint Wallander: Die verglichenen Gipfeltreffen mögen tiefgreifende Folgen vor allem für den Kreml gehabt haben, aber diese Folgen könnten nicht unterschiedlicher sein. Gorbačov kehrte nach dem Gipfeltreffen 1986 geschwächt in den Kreml zurück, da es ihm nicht gelungen ist, Reagans SDI-Programm zu stoppen, sodass die nachfolgenden Entscheidungen den Weg in den Untergang der Sowjetunion fünf Jahre später geebnet haben, wohingegen Putin als Sieger aus dem Gipfeltreffen in Alaska in den Kreml zurückgekehrt ist. Putin machte keine Zugeständnisse und Trump steht wie ein begossener Pudel da und schieb die Verantwortung für die Beendigung der Kämpfe auf die Ukraine ab.

Nichts stimmt an dieser Erzählung. Von der Warte einer Kriegsfalkin aus gesehen, mag Trump auf der ganzen Linie versagt haben. Sein Anliegen war aber nicht den Krieg fortzusetzen und Putin in die Enge zu treiben, wie Reagan es mit Gorbačov getan haben soll, will man Wallander Glauben schenken.

Trumps Anliegen war vielmehr einen „Deal“ mit Putin zu machen, der weit über den Ukrainekonflikt hinausgeht und dessen Ergebnisse der Öffentlichkeit noch verborgen bleiben. Und was die Ukraine angeht, so geht es der Trump-Administration allein darum, den verloren geglaubten Krieg für die USA gesichtswahrend zu beenden bzw. einzufrieren.

Die Trump-Administration hält offenbar den Ukrainekrieg im Gegensatz zur transatlantischen Kriegspartei, die davon nicht genug hat, für weitgehend verloren und will mit Russland lieber Geschäfte machen, was wiederum ein Kriegsende oder zumindest dessen Einfrieren voraussetzt. Die Kriegspartei wittert aber genau hier einen Verrat am nie enden wollenden „heiligen Krieg“ gegen das „Reich des Bösen“, wie Reagan einst die Sowjetunion charakterisierte. Deswegen trauert sie bis heute den „glorreichen“ Zeiten der längst vergangenen Epoche der Weltgeschichte nach.

Das Schlagwort „Reich des Bösen“ stammt im Übrigen nicht von Reagan. Die US-Amerikaner verwendeten es für Nazi-Deutschland und Reagan bezeichnete die Sowjetunion, genau genommen, als „das Reich des Bösen in der modernen Welt.“3

Russland ist aber heute keine Sowjetunion, Putin ist nicht Gorbačov und Trump ist nicht Reagan.4 Die Kreuzritter unserer Zeit ziehen indes wie eh und je kriegsbegeistert in den „heiligen Krieg“, lechzen nach einem Sieg und haben wie „der heilige Reiter“ von Rudolf Georg Binding (1867-1938) davon nie genug:

„Ich ziehe in einen heiligen Krieg
Frag nicht nach Lohn, frag nicht nach Sieg.
Ich bin ein heiliger Reiter,
Kein Kreuz such ich und keinen Gral.
Und bin doch heilig tausendmal
Als meiner Sache Streiter. …
Mein Herz hält Schritt mit dir, mein Pferd.
Die Erde zittert. Zittre, Schwert.
Ich bin ein heiliger Reiter.
Weiß nicht mehr, was mich vorwärtstreibt;
Der Beste ist, der Sieger bleibt.
Und ich begehr nichts weiter.“

Nur der Sieg zählt! „Und ich begehr nicht weiter“! Die Kreuzritter unserer Zeit kennen freilich ihre eigene Geschichte nicht. Wie der US-Historiker und Sowjetologe, Richard Pipes (1923-2018), der als Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats Reagan in den Jahren 1981/82 beriet und nach zwei Jahren in Washington enttäuscht nach Harvard zurückkehrte, weil Reagan aus seiner Sicht nicht antisowjetisch genug war5, so sind Wallander und die anderen Kreuzritter von Trump enttäuscht, weil er sich, statt den „heiligen Krieg“ bis zum „Endsieg“ fortzusetzen, „erdreistet“, Frieden zu predigen und sich mit dem „ewigen Feind“ zu versöhnen. Ungeheuerlich!?

Dass Reagan der Totengräber des Sowjetimperiums war, ist ein gern gepflegter Mythos, der längst widerlegt wurde. Zuletzt hat Wallanders Kollege und ehem. Neocon, Max Boot, diesen Mythos genau vor einem Jahr auch in einem Beitrag für Foreign Affairs vom 6. September 2024 zerstört:

„Einer der größten Mythen sei,“ – so Boot -, „dass Reagan einen Plan hatte, das >Reich des Bösen< zu stürzen, und dass es sein Druck war, der zum Sieg der USA im Kalten Krieg führte. Das Ende des Kalten Krieges und der Zusammenbruch der Sowjetunion wären in Wirklichkeit allein das Werk des sowjetischen Führers Michail Gorbačov. Reagan habe Gorbačovs Reformen nicht herbeigeführt, geschweige denn den Zusammenbruch der Sowjetunion erzwungen. Sich etwas anderes vorzustellen, würde gefährliche und unrealistische Erwartungen an das wecken, was die US-Politik gegenüber China heute erreichen kann.“6

Genau diese unrealistischen Erwartungen erweckt die Kriegspartei, wenn sie der Fortsetzung des Krieges das Wort redet und Trumps Diplomatie torpediert, wobei Trump selber bei näherem Hinsehen nicht so sehr eine friedliche Regelung als vielmehr ein Einfrieren des Krieges anstrebt.

3. Nahmen Gorbačov und seine Mitstreiter den Untergang des Sowjetsystems billigend in Kauf?

Wallanders Überbetonung des SDI-Programms bei den Verhandlungen über die nukleare Abrüstung verleitet sie zu Schlussfolgerungen, die so nicht stimmen können. Gorbačov sah sich nach dem Scheitern des Gipfeltreffens in Reykjavik 1986 einer gespaltenen Sowjetführung gegenüber, die seine Machtstellung als Generalsekretär der KPdSU gefährden könnte, schreibt sie und fährt fort:

Letztlich entschied er sich, sich auf seine Reformanhänger zu verlassen, um seine Macht zu retten. 1987 stimmte Gorbačov zu, mit Reagan einen Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen zu unterzeichnen, obwohl dieser Washingtons Raketenabwehr nicht einschränkte. Er verdrängte die Konservativen aus dem Politbüro und begann sich mehr auf die moderaten Kräfte zu stützen, insbesondere auf den sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse. …

Bei diesem Versuch, seine Macht zu erhalten, zerstörte Gorbačov die Strukturen, die ihn an die Macht brachten. Und indem er die Instrumente der sowjetischen politischen Kontrolle schwächte, öffnete er den nationalistischen Bewegungen und ihren Führern, einschließlich Boris Jelzin in Russland, Tür und Tor, was letztlich im Dezember 1991 den Untergang der Sowjetunion besiegelte.

Die Geschichte ist zu schön, um wahr zu sein. Ohne jetzt im Einzelnen darauf eingehen zu wollen, warum das Sowjetimperium untergegangen ist7, soll hier vor allem auf einige personal- und außenpolitische Hintergründe hingewiesen werden, die viel prosaischer sind, als man es vermuten lässt.8

Wer die Memoiren und zahlreiche Dokumente aus den späten 1980er-Jahren liest, wird feststellen können, dass niemand Gorbačov dazu gezwungen hat, die sozialistischen Bruderländer des Warschauer Pakts außen- und sicherheitspolitisch aufzugeben und sie ihrem eigenen Schicksal zu überlassen.

Gorbačov hatte schlichtweg eine tiefe Verachtung für sie und insbesondere für die Führer der Tschechoslowakei und der DDR, Gustav Husak und Erich Honecker (die loyalsten Verbündeten der Sowjetunion), empfunden“, behauptet Dimitri Simes (geb. 1947) in seinem im Jahr 2022 gegebenen Interview.8

Hinzu kamen die ökonomischen Zwänge, mit denen die UdSSR damals konfrontiert war und die Fragen zum Ausmaß und zur Wirksamkeit der sowjetischen Hilfe an die sozialistischen Brüderländer stellten.

Gorbačovs engste Berater und Mitstreiter wie Anatoli Černjaev (1921-2017) und Politbüromitglied, Alexander Jakowlew (1987-1990), haben laut Simes ebenfalls „die osteuropäischen Staats- und Regierungschefs mit Verachtung und Groll betrachtet, worauf letztlich auch Gorbačovs Außen- und Sicherheitspolitik basierte.“

Die Folge einer solchen außenpolitischen Einstellung war, dass Gorbačovs Zugeständnisse meistens einseitig waren. Er und insbesondere sein Außenminister, Eduard Schewardnadse (1928-2014), und Alexander Jakowlew wollten „ganz offen den Sieg des Westens und der westlichen Ideen. Als mich Schewardnadse, damals Präsident des unabhängigen Georgiens, 1998 in Tiflis empfing, fragte ich ihn, wann er zu dem Schluss gekommen sei, dass die Sowjetunion höchstwahrscheinlich zusammenbrechen würde. Ich dachte, er würde sagen: 1987 oder 1988. Er sagte aber: 1982. Und das hat mich, wie Sie sich vorstellen können, beeindruckt. Ich fragte ihn: >Okay, aber dachten Sie, dass dies definitiv passieren würde, oder glaubten Sie, dass dies eine der Möglichkeiten war<? Und er erwiderte: „Nein, natürlich war ich nicht sicher, ob es passieren würde. Aber ich glaubte erstens, dass es eine echte Chance war, und zweitens, dass wir sie verdienten,“ erzählte Simes in seinem Interview.9

Dies vorausgeschickt, fügte Simes irritiert hinzu:

„Und mit dieser Einstellung übernahm er das Amt des Außenministers der UdSSR! Ein Mann, der der Meinung war, die Sowjetunion habe den Zerfall verdient! Und was Jakowlew angeht, so ist dazu folgendes zu sagen: Je mehr ich seine Memoiren gelesen und je öfter ich mit ihm gesprochen habe, desto klarer wurde mir, dass dieser Mann vom sowjetischen System und von der Art und Weise, wie es ihn persönlich behandelte, traumatisiert war. Sie wissen, was ich meine: 1973 wurde er aus dem Apparat des Zentralkomitees geworfen und als Botschafter nach Kanada ins politische Exil geschickt.

Als er zehn Jahre später von dort zurückkehrte, wollte er (nicht nur) grundlegende Veränderungen in der UdSSR durchführen, sondern er wollte auch ihren Zusammenbruch. Jakowlew schrieb in seinen Memoiren freimütig, dass ihm bewusst war, dass seine Linie der Anerkennung der sowjetischen Aggression gegen die baltischen Staaten, seine Unterstützung der Idee, dass es sich um eine Besatzung handelte, möglicherweise nicht nur zum Austritt dieser Republiken aus der UdSSR, sondern auch zum Zusammenbruch der Union selbst führen würde. In dieser Hinsicht war er ein echter Bolschewik. Er verfolgte zwar antibolschewistische Ziele, wendete aber zugleich bolschewistische Methoden an, wenn der Zweck die Mittel heiligt.“

Sollten diese Erzählungen von Dimitri Simes, der durch und durch ein glaubwürdiger Zeitzeuge ist, zutreffend sein, so lassen sie nur einen Schluss zu: Man brauchte keinen Ronald Reagan, um die Sowjetunion zum Absturz zu bringen. Die sowjetische Führungsspitze hat selbst dafür gesorgt.

4. Reagan als Vorbild für Trump?

„Putins Russland ist nicht Gorbačovs Sowjetunion“ (Putin’s Russia is not Gorbachev’s Soviet Union), stellt Celeste Wallander geistreich fest. Liest man sie aber weiter, so wird sofort klar, worauf sie hinauswill. Denn sie erweckt den Eindruck, als würde „Putins Russland“ schlimmer als die Sowjetunion sein:

„Es gibt keine kollektive Führung, die den Kreml einschränkt. Putin ist weder einem Politbüro noch einem mächtigen Ausschuss verantwortlich: Er steht einem personalistischen, autoritären System vor, in dem er die einzige Quelle der Macht ist. …Das bedeutet aber nicht, dass er unverwundbar ist. Die russische Staatspropaganda ist gewaltig, aber ausreichende wirtschaftliche Not könnte die Ruhe der russischen Gesellschaft stören. Und es ist unklar, wie die russische Elite reagieren würde, wenn die Umstände Putin zwingen würden, ihre wirtschaftlichen Vorteile in Frage zu stellen.“

Das ist keine Verklärung der Geschichte mehr, sondern eine glatte Geschichtsklitterung! Dass die Sowjetunion „besser“, d. h. weniger „autoritär“ und weniger „personalistisch“ sein sollte, weil sie die „kollektive Führung“ wie das Politbüro hatte, widerspricht nicht nur der Geschichte der Sowjetunion, die Stalins Personenkult und Terror sowie eine ideologisch fundierte Machtwillkür des Systems erlebte, sondern auch der historischen Erfahrung mit der Systemkonfrontation des „Kalten Krieges“.

Und wenn Wallander von „Putins Russland als einem „autoritären System“ spricht, in dem Putin „die einzige Quelle der Macht“ sei, so wäre dieses „System“ nicht „autoritär“, sondern autokratisch und wir hätten dann die Wiedergeburt der russischen Autokratie, die bekanntlich bereit 1917 abgeschafft wurde,10 erleben müssen, was im schroffen Gegensatz zur Verfassung der Russländischen Föderation stünde.

Denn die einzige Quelle der Macht ist laut der Verfassung im Gegensatz zu der Autokratie des Russischen Reiches das Volk, das verfassungsrechtlich befugt und berechtigt ist, sein Staatsoberhaupt jede vier Jahre zu wählen.

Wie auch immer man die russische Verfassungswirklichkeit beurteilen mag (denn auch in den USA ist nicht alles Gold, was glänzt), bleibt jedenfalls für „Putins Russland“ die sog. „Volkssouveränität“ das konstitutive Prinzip der russischen Staatlichkeit.

Mit ihrer verstellten Realitätswahrnehmung will Wallander letztlich auf etwas ganz anderes hinaus: Sie bedauert nämlich, dass Russland trotz der Kriegshandlungen und westlichen Wirtschaftssanktionen ökonomisch erstaunlich stabil bleibt. Nach dem Motto: „Noch ist nicht aller Tage Abend“ setzt sie dessen ungeachtet auf einen weiteren ökonomischen Druck in der Hoffnung, dass „Putins Russland“, wie Gorbačovs Sowjetunion, umkippt und endlich seinen Geist aufgibt.

Deswegen ist sie über das Gipfeltreffen in Alaska so entrüstet, weil sie glaubt, dass Trump sich die Chance, Putin ökonomisch unter Druck zu setzen, verbaut hat. Trump tat in Alaska nichts, um Putin in die Enge zu treiben. Ganz im Gegenteil: Putins Auftritt in Alaska trage dazu bei, sich dem Druck zu entziehen (Putin’s performance in Alaska helps obviate these pressures), empört sie sich.

„Er brach aus der Isolation aus, die der Westen ihm auferlegt hatte, und landete trotz Sanktionen und internationaler Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen in den Vereinigten Staaten,“ hört Wallander bis zum Schluss ihres Artikels nicht auf, sich aufzuregen, um am Ende resigniert festzustellen:

„Für Putin ging es bei dem Gipfel nie darum, den Frieden in der Ukraine zu erreichen. Sein Ziel war es die ganze Zeit, das internationale System seinem Willen zu unterwerfen und sein Machtmonopol im Innern zu stärken. … Der Gipfel in Alaska verschaffte ihm noch mehr Zeit und spielte ihm den militärischen Sieg noch mehr in die Hand (The Alaska summit bought him even more time—and gave him a stronger hand for achieving military victory.“

Wallander und ihren Kriegsgenossen geht es einzig und allein um den „militärischen Sieg“ (Military Victory) und sonst um gar nichts. Vor dem Hintergrund der aussichtslosen militärischen Lage für die Ukraine lautet ihr Credo neuerdings: Die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren und Russland darf ihn nicht gewinnen, koste es, was es wolle.

Und jetzt ist sie enttäuscht. Donald Trump hat alles vermasselt! Bei Ronald Reagan hätte das nicht passieren können, glauben die Kreuzritter unserer Zeit. Sie irren sich: „Der Beste ist (nicht), der Sieger bleibt“ (Rudolf Georg Binding), sondern der den Frieden schafft!

Sie tun auch ihrem „Idol“ Ronald Reagan unrecht, wenn sie glauben, Reagan hätte an Stelle von Trump den kriegerischen Geist der Kreuzritter zu eigen gemacht. Reagan war ein Diplomat und kein Krieger und in diesem Sinne ist er ein Vorbild für Trump.

„Peace is not the absence of conflict, but the ability to cope with conflict by peaceful means“ (Frieden ist nicht das Fehlen von Konflikten, sondern die Fähigkeit, Konflikte mit friedlichen Mitteln zu bewältigen), sagte Reagan einst in seiner Ansprache bei der Abschlussfeier des Eureka College am 9. Mai 1982, lange bevor Gorbačov auf der Bühne der Weltgeschichte aufgetreten ist.

Reagan wollte die Sowjetunion nicht bekriegen, sondern aus einer Position der Stärke heraus diplomatische Beziehungen zu Moskau aufbauen, um die größte Gefahr der Menschheit – den Atomkrieg – zu verhindern, in dem es weder Sieger noch Besiegte gibt. In diesem Sinne sollte man heute Trump und Putin eine glückliche Hand wünschen, statt die beiden gegeneinander aufzuhetzen, wie es die Kriegsparteien diesseits und jenseits des Atlantiks tun.

Anmerkungen

1. Zitiert nach Max Boot, Reagan Didn’t Win the Cold War, Foreign Affairs, 6. September 2024.
2. Beyrau, D., Im Kreislauf der Geschichte. Die Macht und ihre Widersacher in Russland, in: Osteuropa 71
(2021), 113-136.
3. Zitiert nach Dimitri Simes, „Auf dem Höhepunkt der Konfrontation“, Interview mit Vladimir Rudakov,
November 2022.
4. Silnizki, M., Trump ist nicht Reagan. Eine Replik auf Fergusons „New Cold War“. 8. Februar 2025,
www.ontopraxiologie.de.
5. Siehe Simes (wie Anm. 3).
6. Boot (wie Anm. 1); siehe auch Silnizki, M., Ronald Reagan und das Ende der Sowjetunion. Hat Reagan den
„Kalten Krieg“ gewonnen? 4. Oktober 2024, www.ontopraxiologie.de.
7. Näheres dazu Silnizki, M., Warum ist das Sowjetimperium untergegangen? In: des., Russische Wertlogik. Im
Schatten des westlichen Wertuniversalismus. Berlin 2017, 101-104.
8. Die nachfolgende Skizze beruht im Wesentlichen auf Dimitri Simes´ Interview (wie Anm. 3).
9. Simes (wie Anm. 8).
10. Vgl. Silnizki, M., Autokratie in Russland? Zur Sinnentleerung eines Begriffs. 7. August 2023,
www.ontopraxiologie.de.

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