Gefangen zwischen Ignoranz, Inkompetenz und Ohnmacht
Übersicht
1. Stefanie Babst, Friedrich Merz und die Kunst der Pöbelei
2. Über die schwersten Kriegsverbrechen unserer Zeit
3. Aus der Zeit gefallen
Anmerkungen
„Ich kann die Bewegung von Himmelskörpern berechnen,
aber nicht den Wahnsinn der Menschen.“
(Isaac Newton, 1720)1
1. Stefanie Babst, Friedrich Merz und die Kunst der Pöbelei
Eine Alltagsweisheit besagt: Wer pöbelt, hat nichts zu sagen und nichts zu bieten. Und wer wutschäumend pöbelt, pöbelt aus Ohnmacht und verrät nur die eigene Machtlosigkeit. Diese Alltagsweisheit erleben wir tagtäglich bei Auftritten zahlreicher sogenannter „Experten“ in den Massenmedien.
In der letzten Zeit fiel insbesondere eine Expertin auf, die Stefanie Babst heißt. Das Handelsblatt hat sie ehrfurchtvoll als Nato-Mitarbeiterin gepriesen, die „22 Jahre lang für die Nato in Brüssel arbeitete und 2006 stellvertretende beigeordnete Generalsekretärin für Public Diplomacy und damit ranghöchste deutsche Frau im internationalen Stab der Nato (wurde).“2
Mit ihren „Kommunikations- und Public-Diplomacy-Programmen“ (communications and public diplomacy programmes) präsentiert sich die Nato nach eigenen Angaben als eine Organisation, die mit „ausgewählten Gruppen“ zusammenarbeitet, zu denen „Meinungsführer, akademische und parlamentarische Gruppen sowie Jugend- und Bildungskreise“ gezählt werden. „Über ihre verschiedenen Plattformen und Social-Media-Aktivitäten versucht sie, ein weltweites Publikum zu erreichen. Darüber hinaus verbreitet sie Materialien und führt Programme und Aktivitäten mit externen Partnern durch und unterstützt gleichzeitig den Nato-Generalsekretär in seiner Rolle als Hauptsprecher des Bündnisses.“
„Public Diplomacy“ ist mit anderen Worten nichts anderes als die Propagandaabteilung der Nato. Als „ranghöchste deutsche Frau im internationalen Stab der Nato“ war Babst also in der Nato-Propagandaabteilung tätig. Am 2. September 2025 gab sie dem Handelsblatt ein umfangreiches Interview unter der Überschrift „Dauerkrisendiplomatie des Westens ist ein Placebo“ (S. 6 f.), in dem sie ihrer früheren Tätigkeit im Nato-Hauptquartier voll und ganz gerecht wurde und ihre Propagandafähigkeiten unter Beweis stellte.
Wüst und ohne Pardon beschimpfte sie Russland als „ein expansionistisches und hyperaggressives“ sowie „ein verbrecherisches, terrorverbreitendes Regime“. Mit ihren Schimpftiraden ist sie schon des Öfteren aufgefallen. So beschimpfte sie im DLF-Interview am 14. August 2025 Russland als ein „kleptokratisches Mafiaregime“, das in den besetzten Gebieten wie Donbas oder Mariupol eine „unglaublich grausame Besatzung“ ausübt.
Dabei wusste sie als Slawistin nicht einmal, dass die Menschen in den erwähnten Gebieten in überwiegender Zahl sog. „ethnische Russen“ sind, die Russland nicht als Besatzer, sondern als Befreier begrüßen.
Sie befindet sich freilich in „guter Gesellschaft“. Neuerlich schimpfte Friedrich Merz, der als amtierender Bundeskanzler immer noch nicht die Rolle eines Oppositionsführers abgelegt hat und Regieren mit Opponieren verwechselt, über Putin in der Sat.1-Sendung „newstime“ am 3. September 2025: „Er ist ein Kriegsverbrecher. Er ist vielleicht der schwerste Kriegsverbrecher unserer Zeit, den wir zurzeit im großen Maßstab sehen.“
Die gespielte Empörung sucht seinesgleichen in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Sie verrät die Nervosität und Hilflosigkeit des Empörten, der außer Wutausbruch und emotionaler Entgleisung nichts zu bieten hat, und der glaubt, mit Anpöblung und Beleidigung eines fremden Staatsoberhaupts die eigene Ohnmacht überspielen zu können.
Getreu dem Motto: „Nach mir die Sintflut“ bricht Merz alle Brücken hinter sich ab und begeht damit einen schweren geopolitischen Fehler. Das könnte er sich als Privatperson, aber nicht als Bundeskanzler leisten, der eine besondere Verantwortung für das Land trägt.
Wie will er denn bei Friedensverhandlungen im Spiel bleiben, wenn er sich in einer derart pöbelhaften und primitiven Weise verhält? Wer soll ihn dann ernstnehmen? Oder hat er gar nicht vor im Spiel zu bleiben und strebt statt Frieden einen >ewigen Krieg< an? Wieso unterhält Merz denn überhaupt mit dem „schwersten Kriegsverbrecher“ diplomatische Beziehungen?
2. Über die schwersten Kriegsverbrechen unserer Zeit
Merz verwechselt Außenpolitik mit Obsession, es sei denn, es geht ihm um etwas ganz anderes. Will er womöglich die schwersten Kriegsverbrechen unserer Zeit, die in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren vor allem von der westlichen Seite begangen wurden, genauso, wie die Hintergründe des Ukrainekonflikts, vergessen machen? Oder weiß er nichts davon?
Man muss sich nur die vergangenen fünfundzwanzig Jahre der Geschichte der sog. „unipolaren Weltordnung“, die nach dem Untergang der Sowjetunion entstanden ist und gerade vor unseren Augen untergeht, in Erinnerung rufen, um die schwersten Kriegsverbrechen unserer Zeit Revue passieren zu lassen: Die zahlreichen militärischen Interventionen und Invasionen der USA und der Nato in Afghanistan, Irak, Libyen, Jemen, Somalia, Syrien, Jemen und nicht zuletzt ein fortwährender Drohnenkrieg überall und zu jeder Zeit.
Manche Untersuchungen beziffern die Opferzahlen auf mehrere Millionen. Allein im Irak wird die Opferzahl auf „etwa 2,4 Millionen Menschen“ geschätzt.3 In Afghanistan „liegt die Zahl der seit 2001 auf beiden Seiten getöteten Afghanen bei etwa 875.000, minimal 640.000 und maximal 1,4 Millionen“ (ebd., 141). In Kombination mit Pakistan schätzt Nicolas J. S. Davies diese Zahl „bis Frühjahr 2018 auf etwa 1,2 Millionen getöteter Afghanen und Pakistanis durch die US-Invasion in Afghanistan seit 2001“ (ebd., 142).
Man denkt nur an den brutalen und grausamen Krieg im Irak, den die US-Invasionstruppen am frühen Morgen des 20. März 2003 mit Unterstützung der „Koalition der Willigen“ u. a. aus Polen, Großbritannien und Australien vom Zaun gebrochen haben, und die jahrelange Bekämpfung des sog. „Islamischen Staates“. Der Kampf um die Stadt Mossul, der vom 17. Oktober 2016 bis 9. Juli 2017 andauerte, war besonders grausam.
Der brutale Kampf um die Befreiung Mossuls von Islamisten hat in der Stadt nur Trümmer hinterlassen, Zehntausende Menschenleben gefordert und Überlebende zur Flucht gezwungen. Ganze Stadtviertel wurden zerstört, die Leichen der Getöteten lagen Wochen und Monate lang unter den Trümmern und die Straßen waren buchstäblich mit nicht explodierten Granaten und Minen übersät.
Ein Großteil der Millionenstadt lag in Trümmern. Nach Angaben der UNO wurden 15 der 54 Wohngebiete auf der Westseite fast vollständig zerstört und unbewohnbar gemacht. Weitere 23 Gebiete wiesen mäßige Schäden auf, 16 Gebiete erlitten leichte Schäden. Während die UNO 2017 auf Grundlage einer Analyse von Satellitenbildern davon ausging, dass 10.000 Gebäude erheblich beschädigt oder vollständig zerstört wurden, sah die Realität noch viel schlimmer aus. Manche Schätzungen sprachen von bis zu 32.000 zerstörten Gebäude.
Und das ist nur ein einziges Beispiel für die verheerenden Folgen des sog. „Kriegs gegen den Terror“ und die schwersten Kriegsverbrechen unserer Zeit, die von der US-Army und der Nato-Allianz begangen wurden. Wer wie Merz im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.
Und was den Ukrainekonflikt angeht, so ignoriert Merz auch hier die Friedensverhandlungen, die kurz nach dem Kriegsausbruch stattgefunden haben, indem er sie einfach ausblendet.
Der im März/April 2022 ausgehandelte Friedensvertrag zwischen Russland und der Ukraine wurde von Merz´ amerikanischen und britischen Freunden, namentlich vom britischen Ex-Premier Boris Johnson, torperdiert4. Bei seiner Pressekonferenz in Peking hat Putin am 3. September 2025 zum wiederholten Mal dazu Stellung bezogen und die Ereignisse, die zum Bruch der Friedensverhandlungen im April 2022 geführt haben, kurz skizziert.
Wörtlich sagte er, dass der Kreml der Ukraine 2022 vorgeschlagen habe, „die Entscheidung der Menschen im Südosten der Ukraine mit Respekt zu behandeln“ (с уважением отнестись к выбору тех людей, которые проживают на юго-востоке Украины) und Kiew gleichzeitig angeboten habe, russische Truppen aus diesen Gebieten abzuziehen, um den Konflikt sofort zu beenden.
„Nachdem wir aber auf die eindringlichen Aufforderungen unserer westeuropäischen Kollegen hin Truppen aus Kiew abgezogen haben, änderte sich die Lage schlagartig und uns wurde, nun ja, fast wörtlich Folgendes gesagt: >Jetzt werden wir kämpfen, bis Sie uns köpfen oder wir Sie<“ (Но после того, как мы по настоятельным призывам западноевропейских наших коллег отвели войска от Киева, сразу ситуация поменялась и нам сказали, ну, почти дословно следующее: „Теперь будем воевать до тех пор, пока либо вы нам голову не отвернете, либо мы вам“), sagte Putin.
Dass Putins Äußerung glaubhaft und keine Propaganda ist, beweisen die folgenden drei Kriegsjahre. Bis zu Trumps zweiter Amtszeit waren die EU-Europäer zu keiner Zeit bereit, sich an einen Tisch mit dem „Aggressor“, Putin, zu setzen, um Friedensverhandlungen zu führen.
Bereits am 11. April 2022 – nur eine Woche nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen – sagte der EU-Außenbeauftragte, Josep Borrell, am Rande eines Treffens der EU-Außenminister in Luxemburg, dass der Ukrainekrieg auf dem Schlachtfeld und nicht durch Sanktionen entschieden werde.
Nach seinem Besuch in der Ukraine am 16./17. April 2022 forderte Borrell die EU-Staaten dazu auf, Waffenlieferungen zu verstärken. „Legt den Schwerpunkt auf Waffenlieferungen … Sanktionen sind wichtig. Aber Sanktionen werden das Problem der Schlacht im Donbass nicht lösen.“
Es sei klar, dass „der Krieg in der Schlacht um den Donbas entschieden“ werde. Dieser Kriegslogik folgten alle EU-Staaten mit der Ukraine an der Spitze spätestens seit dem Scheitern der Friedensverhandlungen im April 2022 und sie bleiben ihr bis heute treu.
Neulich hat der polnische Ex-Präsident, Andrzej Duda, am 3. September 2025 Bogdan Rymanowski ein Interview gegeben, dem zufolge die Ukraine versuchte, Polen vor dem Hintergrund der im November 2022 im polnischen Grenzdorf Przewodów eingeschlagene Rakete in einen Konflikt mit Russland zu ziehen.
Selenskyj habe laut Duda Warschau dazu bewegen wollen, die russische Herkunft der Rakete sofort zu bestätigen, um das Land in den russisch-ukrainischen Konflikt hineinzuziehen. Von Anfang an versuchte die Ukraine, „alle in den Krieg hineinzuziehen, das ist offensichtlich. Es liegt in ihrem Interesse, alle in den Krieg hineinzuziehen. Und das Beste wäre, wenn es ihnen gelänge, auch die Nato-Länder in den Krieg hineinzuziehen. Es ist offensichtlich, dass sie nach Leuten suchen, die auf ihrer Seite aktiv gegen die Russen kämpfen. Das ist nichts Neues, das passiert seit dem ersten Tag“, sagte Duda im Interview.
Nicht von ungefähr sagt Trump immer und immer wieder, dass auch Selenskyj am Zustandekommen des Krieges nicht ganz unschuldig sei. Und jetzt will Merz alles vergessen machen und uns weismachen, dass an allem allein Putin und Russland schuld seien!?
Statt „mea culpa“ zu sagen, verleumdet und verunglimpft er ein anderes Staatsoberhaupt als einen „schwersten Kriegsverbrecher“. Dieser Kanzler ist eine Gefahr für Deutschland und Europa. Er gefährdet die Sicherheit Deutschlands und beschwört einen europäischen Krieg herauf. Statt den Krieg einzuhegen, zündelt er mit seinem verantwortungslosen Gerede.
Die Kriminalisierung des geopolitischen Rivalen entzieht diesem seine Existenzberechtigung, delegitimiert seine legitimen geo- und sicherheitspolitischen Interessen und macht ihn zum „absoluten Feind“ (Carl Schmitt). Ob Merz, Babst und Co. überhaupt begreifen, was sie mit ihren entgleisenden Äußerungen tun. Statt den geopolitischen Rivalen bloßzustellen, stellen sie ihre eigene Ignoranz, Inkompetenz und Ohnmacht bloß.
3. Aus der Zeit gefallen
Nun zweifelt Babst in ihrem oben zitierten Handelsblatt-Interview an Putins Friedenswillen, indem sie beteuert: „Im Windschatten des amerikanischen Strategiewechsels gibt Putin seitdem vor, er hätte ein echtes Interesse an einem Waffenstillstand oder gar Friedensverhandlungen. Das ist natürlich nicht der Fall.“
Sieht man davon ab, dass Putin noch nie vom Waffenstillstand und immer nur von Friedensverhandlungen gesprochen hat, was für Babst offenbar ein und dasselbe ist und sie zwei völlig unterschiedlichen Sachverhalte nicht voneinander trennt5, ist es schon bemerkenswert, wie sehr sie um den Frieden besorgt ist.
Sie erweckt den Eindruck, als wurde sie vom Saulus zum Paulus. In Wahrheit ist sie ein Wolf im Schafspelz und das gesamte Interview zeigt, dass sie ihre militante Gesinnung mit Nichten aufgegeben hat. Seit Jahren benutzt sie das gleiche Vokabular wie heute und spricht stets davon, „dass vor unseren Augen ein super-aggressives, gewaltbereites, kleptokratisches Mafia-Regime entsteht“ und dass „Russlands Ziel … nicht nur die Vernichtung der Ukraine, sondern auch die Destabilisierung unserer Gesellschaften, unserer demokratischen Systeme“ sei6, als wäre die heute herrschende Militärjunta in der Ukraine unter Selenskyj, dessen Amtszeit als Präsident vor mehr als einem Jahr abgelaufen ist, ein demokratisches Land.
In einem anderen Interview für die Zeit Online vom 6. Juni 2024 unterstützte Babst nachdrücklich Macrons Idee, westliche Truppen in die Ukraine zu entsenden. Und auf den Hinweis des Interviewers, dass „Russland … bereits mit Angriffen auf westliche Truppen gedroht (hat)“, reagierte sie mit einer ziemlich kühnen Behauptung: „Russland befindet sich im Krieg mit uns.“
„Grundsätzlich läuft es stets auf die Frage hinaus, ob wir akzeptieren können, dass wir Teil dieses Kriegs sind,“ begründet Babst ihre Kühnheit. „Wir müssen auch Risiken eingehen. … Sie wissen, dass wir dieses Russland in der Ukraine besiegen müssen. Ansonsten wird Moskau Europas Sicherheit immer weiter bedrohen. Das kostet nicht nur Geld und Waffen, sondern erfordert auch strategisches Durchsetzungsvermögen.“
Was Babst hier zum Ausdruck bringt, ist nichts anderes als eine unmissverständliche Apologie der Nato-Kriegspolitik gegen Russland im Ukrainekonflikt, die letztlich auf einen aggressiven syllogistischen Schluss hinausläuft:
„Russland befindet sich im Krieg mit uns“ (Obersatz).
„Dieses Russland muss besiegt werden“ (Untersatz).
„Strategisches Durchsetzungsvermögen“ sei erforderlich (Conclusio).
Das Problem dieser Syllogistik ist freilich, dass sie einen Trugschluss konstruiert. Denn nichts stimmt an diesem Syllogismus, verrät aber umso mehr die aggressive und militante Gesinnung von Babst. Weder befindet sich Russland „im Krieg mit uns“ im Gegensatz zur Nato-Allianz, die die Ukraine mit tonnenweisen Waffen beliefert, womit Russen getötet werden, noch kann Russland „besiegt werden“, noch gibt es ein „strategisches Durchsetzungsvermögen“, womit eine nukleare Supermacht bezwungen werden könnte, es sei denn, die Slawistin nimmt einen Dritten Weltkrieg billigend in Kauf.
Dieser syllogistische Trugschluss zeigt, wes Geistes Kind sie ist. Ihre Aggressivität und Militanz bestätigen nur den „kriegerischen Geist“7 der europäischen Macht- und Funktionseliten, die nicht einmal begreifen, wie sehr sie mit dem Feuer spielen.
Was Babst genau unter dem „strategischen Durchsetzungsvermögen“ versteht, erklärt sie uns im Übrigen in ihrem Handelsblatt-Interview vom 2. September 2025.
Es beruht auf einer Hypothese, die sie so formuliert: „Die Ukraine ist das strategische Gravitationszentrum Europas. Wie das sicherheitspolitische Machtgleichgewicht Europas in Zukunft aussehen wird, wird sich dort entscheiden.“
Sieht man von einer irreführenden Verwendung des Begriffs „Machtgleichgewicht“ ab,8 so ist die Behauptung: die Ukraine sei „das strategische Gravitationszentrum Europas“ verräterisch und vor allem vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte zu verstehen.
Die Ukraine war einer der Hauptschauplätze von Eroberungsfeldzügen Nazideutschlands und stand im Mittelpunkt von Nazis Plänen vom „Lebensraum im Osten“. Sie sollte als Kornkammer dienen, das „Dritte Reich“ mit Rohstoffen versorgen und ihm verlässlich Arbeitssklaven liefern.
Diese Eroberungsphantasien sind zwar lange vorbei; sie werden aber von Babst zwecks Legitimierung der Nato-Kriegspolitik in ein „strategisches Durchsetzungsvermögen“ transformiert, wodurch die Ukraine als „das strategischen Gravitationszentrum Europas“ verklär wird.
Die Ukraine ist und bleibt aber zuallererst integraler Bestandteil des ostslawischen Raumes, der von den drei ostslawischen Ethnien (Russen, Ukrainer und Weißrussen) seit Jahrhunderten bevölkert ist. Keine vom „Westen“ abhängige Marionettenregierung in Kiew wird daran etwas ändern können.
Wer wie Babst von der Ukraine als einem „strategischen Gravitationszentrum Europas“ redet, verrät dabei nicht nur ihren revanchistischen Geist, sondern reaktiviert – bewusst oder unbewusst, sei dahingestellt – auch den Geist des deutschen und europäischen Kolonialismus.
Die Ukraine war seit eh und je ein Zankapfel zwischen Russland und Europa, weil sie zum einen geostrategisch von eminenter Bedeutung war und in ihr (vor allem in Ostgalizien) zum anderen schon immer ethnisch gefärbte Narrative, nationale Identitäten und Bewegungen unterschiedlicher Art vorherrschten, die sich oft feindselig gegenüberstanden. „Bis zum Ersten Weltkrieg konkurrierten eine ukrainophile, eine russophile, eine polonophile und eine auf das Habsburgerreich begrenzte ruthenische Richtung um dieselbe Bevölkerung.“9
Im Ersten Weltkrieg erreichte der Kampf um die Ukraine seinen vorläufigen Hohepunkt, wie man einigen Publikationen entnehmen kann. So gab der Baltendeutsche und evangelische Theologe, Paul Rohrbach (1869-1956), unter dem Titel „Die russische Gefahr“ inmitten des Ersten Weltkrieges 1916/7 Beiträge heraus, in denen er zusammen mit seinen Gleichgesinnten (Richard Pohle, Axel Schmidt, Johannes Haller) dezidiert nicht nur eine antirussische und ukrainophile Politik predigte, sondern auch eine Zerstückelung des Russischen Reiches in einzelne selbständige Territorien befürwortete. Antirussentum und Ukrainophilie gingen oft Hand in Hand einher.
So karikierte Richard Pohles Russland in seinem Beitrag „Russlands Ländergier“ als einen „halbasiatischen Raubstaat, der in Jahrhunderten, um sich fressend und zerstörend, Schritt für Schritt in Europa vordringt. Und wie die Schleier der Vergangenheit gelüftet werden, so fällt auch vor unseren Augen der Zukunft Vorhang herab. In ihrer ganzen riesenhaften Größe steht sie da, die russische Gefahr.“
Und gerade zu prophetisch merkte Johannes Haller (1865-1947) an: Im „Hinblick auf die Zukunft (ist) die ukrainische Frage schon jetzt das große Zentralproblem der russischen Geschichte und wird es künftig erst recht sein.“10
Der Kampf um die Ukraine fing, wie man sieht, nicht erst im Jahr 2014 oder 2022 an. Er ist bereits mehr als 100 Jahre alt11 und immer noch aktueller denn je.
Ähnelt die Sprache von Babst nicht der Sprache zurzeit des Ersten Weltkrieges? Welchen Unterschied macht das schon, ob man vom „halbasiatischen Raubstaat“, der „sich fressend und zerstörend, Schritt für Schritt in Europa vordringt“, oder vom „kleptokratischen Mafiaregime“ bzw. „verbrecherischen, terrorverbreitenden Regime“ spricht, das „unser demokratisches System“ bedroht und destabilisiert?
Möchte Babst in Anbetracht des Gesagten wieder die Geister des Revanchismus und Kolonialismus reaktivieren? Sie und die Gleichgesinnten leben im falschen Jahrhundert; sie sind aus der Zeit gefallen und träumen die Träume des vergangenen 20. Jahrhunderts. Weder die Provinz Europas namens Deutschland noch das verzwergte Europa als Ganzes wären heute in der Lage, gegen Russland militärisch und ökonomisch irgendetwas ausrichten. Ihnen bleibt es freilich unbenommen, weiterhin von jenen „süßen Träumen“ zu träumen, die nie in Erfüllung gehen werden.
Anmerkungen
1. Zitiert nach Lachman, D., Der programmierte Börsencrash, Handelsblatt, 4.09.25, S. 20.
2. Babst, S., „Dauerkrisendiplomatie des Westens ist ein Placebo“, Handelsblatt-Interview, 2.09.2025, S. 6 f.
3. Davies, Nicolas J. S., Die Blutspur der US-geführten Kriege seit 9/11: Afghanistan, Jemen, Libyen, Irak,
Pakistan, Somalia, Syrien, in: Mies, U. (Hrsg.), Der tiefe Staat schlägt zu. Wie die westliche Welt Krisen
erzeugt und Kriege vorbereitet. Wien 22019, 131-152 (132).
4. Näheres dazu Silnizki, M., Wer ist schuld an der Fortsetzung des Krieges? Über die Friedensverhandlungen
im März/April 2022, 29. August 2023, www.ontopraxiologie.de.
5. Vgl. Silnizki, M., Zwischen Krieg und Frieden. Setzen die Friedensverhandlungen einen Waffenstillstand
voraus? 8. Juni 2025, www.ontopraxiologie.de.
6. Siehe B24-Interview: Nato-Insiderin: „Berlin hat das Problem Russland klein geredet“, 28. November 2024.
7. Silnizki, M., Der „kriegerische Geist“ der europäischen Kultur. Deutschland und Europa im Kriegsmodus.
31. August 2025, www.ontopraxilogie.de.
8. Siehe dazu Silnizki, M., Posthegemoniale Dysbalance. Zwischen Hegemonie und Gleichgewicht. 31. Mai
2022, www.ontopraxiologie.de; des., Machtungleichgewicht als Ordnungsprinzip? Zur
Sicherheitskonstellation von heute und morgen. 11. Mai 2022, www.ontopraxiologie.de.
9. Mick, Christoph, Die „Ukrainermacher“ und ihre Konkurrenten. Strategien der nationalen Vereinnahmung
des Landes in Ostgalizien, in: Comparativ 15 (2005), H. 2, 60-76 (60 f.).
10. Haller, J., Die russische Gefahr im deutschen Hause, in: Rohrbach, P. (Hrsg.), Die russische Gefahr.
Beiträge und Urkunden zur Zeitgeschichte. Stuttgart 1917, 15.
11. Näheres dazu Silnizki, M., „Die russische Gefahr“. Im Schatten des Ukrainekrieges. 20. April 2022,
www.ontopraxiologie.