MacMillans Kritik der Trumpschen Bündnispolitik
Übersicht
1. MAGA oder MAAA?
2. Trumps Ökonomisierung der Sicherheitspolitik
3. Zwischen Hegemonie und Gleichgewicht
Anmerkungen
„Die Klammer der Sicherheitspolitik fällt heute weg. Sie ist weder
ein Hebel noch ein Faktor, der zur Rücksichtnahme
gegenüber den Verbündeten zwingt.“1
1. MAGA oder MAAA?
Aus „Making America Great Again“ (MAGA) wird „Making America Alone Again“ (MAAA), sollte Trump seine Bündnispolitik fortsetzen. Das ist die Kernthese der von der kanadischen Historikerin, Margaret MacMillan (geb. 1943), unter dem Titel „Making America Alone Again“ verfassten und von Foreign Affairs am 21. Juli 2025 veröffentlichten Studie.
„Die Geschichte bietet nur wenige Parallelen für Washingtons Ablehnung seiner eigenen Bündnisse“ (History Offers Few Parallels for Washington’s Repudiation of Its Own Alliances), lautet der Untertitel. Damit ist das Hauptthema der Schrift gesetzt: Trump und sein Verhältnis zu Bündnispartnern der USA.
Gleich zu Beginn ihrer Studie wirft MacMillan Trump einen fehlenden (geostrategischen) Weitblick eines Henry Kissinger vor, der sich zwar „mit einem einsamen Cowboy verglich, der in die Stadt ritt, um die Bösewichte auszusortieren“. Gleichzeitig verstand er aber, dass „auch einsame Ranger Freunde brauchen“ (even lone rangers need friends), „wenn es um den Umgang mit Großmächten (major powers) ging“.
Die Bündnispolitik steht immer im direkten Zusammenhang mit der Großmächterivalität und wer sich wie die USA als „Major Power“ behaupten will, braucht Bündnispartner, will MacMillan uns damit sagen.
Es sei schwierig, „eine plausible Erklärung für die Politik der zweiten Trump-Administration zu finden“ (It is difficult to find a plausible explanation for the policies of the second Trump administration), beklagt sie Trumps bündnispolitisches Verhalten und warnt davor, dass das westliche Bündnis sich in die Liste der gescheiterten Bündnisse einreihen könnte. Yet there is now the real possibility that the Western alliance is joining the list of ones that failed.
Nostalgisch erinnert sie sich an die alten „glorreichen“ Zeiten des „Kalten Krieges“. „Seit 1945 haben britische und amerikanische Staats- und Regierungschefs – darunter Harold Macmillan und John F. Kennedy, Margaret Thatcher und Ronald Reagan, George W. Bush und Tony Blair – wiederholt gute Beziehungen unterhalten, die dazu beigetragen haben, die Partnerschaft zwischen ihren Ländern zu stärken“, schwärmt sie und empfiehlt der Truman-Administration eindringlich diese Tradition fortzusetzen.
Die vergangenen achtzig Jahre haben uns gelehrt, dass auch die mächtigen Staaten Verbündete brauchen, sei es aus Prestige oder einfach aus der Erkenntnis, dass die eigene Macht nicht unbegrenzt sei.
Andernfalls werden die USA das erleben, was dem British Empire widerfahren ist. Die Briten nannten ihre Weltmachtstellung einst „splendid isolation“, bis sie erkannten, dass sie sich übernommen haben, schreibt die Kanadierin und fügt patriotisch hinzu: Ein Vorbote für die Zukunft sei, dass Kanada gerade seinen ersten Container mit Flüssigerdgas nach Asien verschifft habe.
Wenn Trumps seine Feindseligkeiten gegenüber den Bündnissen aufrechterhalte und die Trump-Administration die bewährte Bündnispartnerschaft weiterhin mit Füssen trete, herabsetze und wirtschaftlich schädige, dann werden die USA eine ihnen gegenüber zunehmend feindselige Welt vorfinden und allein auf weiter Flur bleiben, warnt die Kanadierin.
MacMillans Kritik der Trumpschen Bündnispolitik ist nur bedingt nachvollziehbar. Die Bündnisse der souveränen Staaten untereinander waren nämlich zu allen Zeiten ein schwer bestimmbarer und leicht veränderbarer Zustand zwischen „Aufbegehren gegen den stärkeren Verbündeten und Unterwerfung unter seinen Willen … Jede Allianz, die für andere Zwecke als einen gemeinsamen Krieg geschlossen wird und Dauer haben soll, steht in diesem Spannungsverhältnis zwischen den beiden Extremen: Mitbestimmung der kleineren Verbündeten über die Politik der größeren und Führungsherrschaft, also Hegemonie.“2
Die Nato-Allianz ist da keine Ausnahme. Sie ist die erste und vermutlich auch die letzte, die die USA in den Friedenszeiten eingingen. „Die Frage nach Allianzen war in der Politik stets die wesentliche Frage nach der Rückversicherung für eine gewagte Aktion und nach der Ergänzung der eigenen Macht gegenüber einer übermächtigen Bedrohung.“3
Diese „übermächtige Bedrohung“ existiert nach Einschätzung der Trump-Administration nicht mehr. Die Zeiten, in denen diese Bedrohung bestand, seien vorbei und die Nato habe sich selbst überlebt. So oder ähnlich könnte man die neue US-Bündnis- bzw. Nato-Politik auffassen. Erneut bewahrheitet sich die alte Weisheit von Heraklit: Alles befinde sich im Fluss (panta rhei) und nichts sei von Dauer. Der Ukrainekonflikt steht einer Neubewertung der US-Bündnispolitik der Trump-Administration nicht im Wege.
Die Trump-Administration setzt ganz neue Prioritäten in ihrer Außenpolitik, die da lauten: Handelspolitik priorisiert Sicherheitspolitik und die finanzpolitischen Herausforderungen, mit denen die USA infolge ihrer exzessiven und völlig außer Kontrolle geratenen Überschuldung von Staat und Gesellschaft konfrontiert werden, stehen über den Bündnisverpflichtungen.
Man mag wie Margaret MacMillan und ihre zahlreichen transatlantischen Mitstreiter diese Neubewertung der Prioritätenliste in der US-Außenpolitik beklagen und den alten „glorreichen“ Zeiten nachtrauen. Die Neuorientierung der US-Bündnis- und Außenpolitik ist dessen ungeachtet sicherheitspolitisch begründet und geoökonomisch allemal gerechtfertigt.
Die Nato-Allianz ist kein Wert an sich. Sie hat ihre sicherheitspolitische Aufgabe längst erfüllt und hat ihre beste Zeit hinter sich.
2. Trumps Ökonomisierung der Sicherheitspolitik
Wäre Kissinger nicht in der Lage gewesen, eine Beziehung des gegenseitigen Respekts mit seinem chinesischen Amtskollegen Zhou Enlai aufzubauen, hätte sich eine von der Nixon-Administration eingeleitete Neuausrichtung der US-Chinapolitik um Jahre verzögert, schreibt MacMillan vorwurfsvoll an die Adresse der Trump-Administration.
Der wiederholte Vergleich der geopolitischen Realität der Gegenwart mit den Zeiten des „Kalten Krieges“ irritiert. Die Kanadierin will offenbar nicht wahrhaben, dass wir uns heute nicht in Zeiten der ideologischen Systemkonfrontation, sondern in einer ganz anderen Epoche der Weltgeschichte befinden, in der die Geopolitik einen absoluten Vorrang vor allen anderen ideologischen und politischen Erwägungen hat.
Zu sehr verklärt sie mit ihren Reminiszenzen an den „Kalten Krieg“, in denen sie die längste Zeit ihres Lebens verbracht hat und sozialisiert wurde, die Vergangenheit, die sie zum Maß aller Dinge macht und dadurch die neuentstandene geopolitische und geoökonomische Realität nicht wahrnimmt, in der allmählich und unaufhaltsam die globalen Machtverschiebungen zu Lasten der transatlantischen Gemeinschaft stattfinden.
Nonchalance setzt sie sich darüber hinweg, dass die USA sich in den vergangenen fünfunddreißig Jahren militärisch und ökonomisch verausgabten, übernommen und letztlich ihre Hegemonialmacht maßlos überdehnt haben, auch wenn sie selbst mit Verweis auf den Niedergang des British Empire Paul Kennedys These von „imperialer Überdehnung“ („imperial overstretch“)4 in Erinnerung ruft, woraus sie freilich keine Schlussfolgerungen für die in den Abwärtsstrudel geratene US-Hegemonie zieht.
Mit ihrer Kritik der US-Außenpolitik der Trump-Administration macht sie sich angreifbar und setzt sich ihrerseits dem Vorwurf aus, die abgewirtschafteten transatlantischen Machtstrukturen in ihrem gegen Trump geschürten Ressentiment zu bedienen.
Und wenn man schon eine Parallele zwischen dem „Kalten Krieg“ und der Gegenwart ziehen möchte, dann sollte man auch die Analyse des von MacMillan so oft zitierten Henry Kissinger bemühen. Bereits zu Beginn seiner langwierigen akademischen, politischen und publizistischen Karriere hat Kissinger die ideologische Systemkonfrontation des „Kalten Krieges“ und den ideologischen Rivalen aus westlicher Sicht analysiert, die im krassen Gegensatz zu den weltpolitischen Entwicklungen der Gegenwart stand.
Als Kissinger erst 36 Jahre alt war, veröffentlichte er 1959 in einer internationalen Zeitschrift „Der Monat“5, die von einem amerikanischen Juden polnischer Herkunft und linken Antistalinisten, Melvin J. Lasky (1920-2004), während der Berlin-Blockade 1948 gegründet wurde, einen heute längst vergessenen Artikel „Stabilität – Ziel des Westens“6, in dem er sich mit den „Grundlagen eines europäischen Sicherheitssystems“ auseinandersetzt, in dessen Mittelpunkt das geteilte Deutschland steht.
Das Ziel der Sowjets sei die Errichtung eines „Welt-Imperiums“, stellt Kissinger apodiktisch fest und fährt fort:
Die „revolutionäre Beschaffenheit der Sowjetunion“ (beruht) nicht auf der Tatsache, dass sie sich bedroht fühlt …, sondern darauf, dass niemand imstande ist, sie zu beruhigen. … Und dennoch ist die Behauptung, dass sie bedroht werde, nie verstummt. Darum ist es sinnlos zu erörtern, ob die Sowjetunion >wirklich< an der Weltherrschaft interessiert sei. Denn das eigentliche Problem ist doch wohl, dass die sowjetische Sicherheitskonzeption die Unterminierung aller anderen Staaten zum Ziel hat. … Die erste Voraussetzung für den Aufbau eines wirksamen Sicherheitssystems wäre also eine politische Entscheidung der Sowjets, sich mit relativer Sicherheit zu begnügen und die gefahrvolle Suche nach Sicherheit durch die Errichtung eines Welt-Imperiums aufzugeben“ (S. 30).
„Diese Lage der Dinge hat dann unsere europäischen Verbündeten veranlasst, eine feste Bindung amerikanischer und britischer Truppen auf dem Kontinent zu fordern. Die Rolle dieser Truppen wurde fast als die von Geiseln aufgefasst, als eine Bürgschaft dafür, dass die westliche Vergeltungsmacht wirklich zur Abwehr eines sowjetischen Angriffs eingesetzt werde“ (S. 31).
Geht man davon aus, dass Kissingers Analyse der sowjetischen Bedrohung Europas, die sich von der Annahme leiten lässt, dass die Sowjets die Sicherheit nur vortäuschen, um in Wahrheit ein „Welt-Imperium“ zu errichten, zutreffend ist, und überträgt man diese Annahme auf die US-Außenpolitik der Trump-Administration, so ist „die sowjetische Sicherheitskonzeption“, wie sie von Kissinger verstanden wurde, spiegelbildlich genau das, was Trumps „aggressiver Unilateralismus“7 heute verfolgt.
Das Ziel der Trumpschen Bündnispolitik ist weder die Zerstörung der Nato-Allianz noch eine Desavouierung der transatlantischen Bündnispartnerschaft, von „splendid isolation“ ganz zu schweigen, sondern eine Ökonomisierung der Sicherheitspolitik, die unweigerlich zu einer sicherheitspolitischen Entwertung der Nato-Allianz bei einer gleichzeitigen handelspolitischen Aufwertung der US-Außenpolitik führt.
Mit seiner Bündnispolitik hat Trump nichts Neues erfunden, sondern befindet sich mit seiner handelspolitisch geprägten Sicherheitspolitik in einem langfristigen Trend der US-Bündnispolitik, den Andreas Falke bereits 1994 zutreffend vorausgesehen hat: „Das Ende des Kalten Krieges hat die Notwendigkeit beseitigt, die handelspolitischen Interessen der USA zu kompromittieren, um die Allianzpartner in der Abwehr gegen die Sowjetunion zu stärken. Die Klammer der Sicherheitspolitik fällt heute weg. Sie ist weder ein Hebel noch ein Faktor, der zur Rücksichtnahme gegenüber den Verbündeten zwingt.“8
Das Neue an Trumps Ökonomisierung der Sicherheitspolitik ist seine unverfrorene, rabiate und aggressive Vorgehensweise, welche die einen Bündnispartner irritiert, die anderen wie MacMillan empört. Vor dem Hintergrund der geoökonomisch ins Abseits geratenden US-Hegemonie ist Trumps Vorgehensweise nachvollziehbar.
Denn Trump hat richtig erkannt, dass die bisherige US-Außenpolitik den nicht mehr zu leugnenden geoökonomischen Erosionsprozess der USA eher beschleunigen als ausbremsen wird und dass er, sollte diese Erkenntnis zutreffend sein, keine andere Wahl hat, als die US-Außenpolitik mittels der Handelspolitik dahin gehend zu revolutionieren, dass niemand imstande sein sollte, die US-Hegemonie geoökonomisch zu schwächen.
Ohne Rücksicht auf Freund wie Feind versucht Trump den Rest der Welt handelspolitisch zu schwächen, solange es geht, um dadurch geoökonomisch selber stärker zu werden.
„Darum ist es sinnlos zu erörtern,“ um Kissinger zu paraphrasieren, ob Trump >wirklich< an der Stärkung oder Schwächung der altbewährten Bündnisse interessiert ist. Denn das eigentliche Problem ist doch wohl, dass die „revolutionäre Beschaffenheit“ seiner Bündnispolitik als Außenwirtschafts- bzw. Handelspolitik nicht darauf hinaus ist, die USA sicherheitspolitisch zu stärken, sondern die Bündnispartner und alle anderen Staaten handelspolitisch zu schwächen und dadurch geoökonomisch zu unterminieren.
Dass diese Idee fixe ein „Wahnsinn der Vernunft“ (Christoph Türke)9 ist, die nicht zu einem Erfolg dergestalt führen wird, dass die USA durch die Schwächung der anderen profitieren wird, steht außer Frage. Trump glaubt offenbar, dass sich alle anderen Staaten widerstandslos ergeben, um sich selbst freiwillig handelspolitisch zu schwächen, um die USA ökonomisch umso strahlender erscheinen zu lassen.
Trumps Vorgehensweise, aus der Schwäche der anderen zu profitieren, um selbst stärker zu werden, führt nicht zur Wiedergewinnung der alten Stärke, sondern vielmehr zu einer weiteren Verstetigung der relativen Schwäche, solange die US-Außenpolitik nicht bereit ist, auf das Dogma zu verzichten, „aus Position der Stärke“ agieren zu müssen.
Aber genau dieser Verzicht kommt für Trumps „aggressiven Unilateralismus“ gar nicht in Frage. Mit oder ohne Trump befindet sich die US-Hegemonie heute geoökonomisch und militärisch im freien Fall und gegen diese Entwicklung ist kein Kraut gewachsen.
Wie die Sowjetunion mit ihrer Weltmachtpolitik (seit Chruščov) gescheitert ist, so wird auch Trumps „aggressiver Unilateralismus“ scheitern, solange er glaubt, „aus der Position der Stärke“ agieren zu können und zu müssen.
3. Zwischen Hegemonie und Gleichgewicht
Nun unterstellt MacMillan Trump, dass dieser, statt die bestehenden und bewährten Bündnisse zu nützen, das alte Konzept der Einflusssphären (the old concept of spheres of influence) für die US-Außenpolitik zum Vorbild mache, „in denen eine Handvoll Mächte ihre unmittelbaren Nachbarn dominieren und multilaterale Organisationen, wenn sie überhaupt überleben, wenig Macht oder Autorität haben.“
Eine solche Welt stelle in Zukunft eine größere Bedrohung für die USA dar, da die anderen Großmächte gegen sie ankämpfen und die kleinen Mächte jeweils innerhalb einer Einflusssphäre entweder ihr Schicksal oft verärgert akzeptieren oder nach einem neuen Hegemonen suchen, schreibt MacMillan und fährt fort: Indem die USA die bestehenden Bündnisse zerstören, die ihnen gute Dienste geleistet haben, riskieren sie einen Zusammenbruch von Stabilität und Ordnung, der sich auf lange Sicht als sehr kostspielig erweisen werde. Trumps Außenpolitik deute nicht auf eine kluge machiavellistische Politik hin, um die US-Macht zu stärken. Sie zeige vielmehr auf verwirrende Weise, dass Trump gegen die eigenen US-Interessen verstoße und damit eine der Hauptquellen der US-Macht untergrabe. Und das mache er zu einer Zeit, in der die globale Führungsrolle und die wirtschaftliche und technologische Dominanz Amerikas bereits unter wachsendem Druck Chinas und anderer großer Rivalen stehen.
Indem die Autorin die bestehenden Bündnisse als das Fundament, auf dem die globale Führungsrolle der USA beruht, überbetont, ignoriert sie einen dramatischen weltpolitischen Wandel, der sich unabhängig von allen Bündnissen vollzogen und in dem nicht nur ein bereits weit fortgeschrittener geoökonomischer und militärischer Erosionsprozess der US-Hegemonie nicht zuletzt als Folge des Ukrainekrieges stattgefunden hat, sondern auch ein erheblicher Bedeutungsverlust der Nato-Allianz für die US-Sicherheitsinteressen, die sich vom Atlantik auf den Pazifik verlagert haben.
Die ganze Dramatik der Entwicklung lässt sich an folgenden Zahlen verdeutlichen: „Nach Angaben der Denkfabrik Australien Strategic Policy Institute lagen die USA zwischen 2003 und 2007 bei 60 von 64 Spitzentechnologien vor China. Zwischen 2019 und 2023 kehrte sich die Rangfolge um: China führte in 57 von 64 Schlüsseltechnologien.“10
Besonders dramatisch zeichnet sich außerdem ein militärtechnologischer Rückstand der USA gegenüber Russland im Bereich der Hyperschallsystemen ab, die den Krieg des 21. Jahrhunderts revolutioniert.
Diese technologischen und militärischen Machtverschiebungen lassen Trump praktisch keine andere Wahl, als so zu handeln, wie er handelt. Da hilft weder die Beschwörung noch Berufung auf die alten „glorreichen“ Zeiten des „Kalten Krieges“ und der unipolaren Weltordnung, in denen das Nato-Bündnis, fest an der Seite der USA stehend, die sowjetische bzw. kommunistische „Bedrohung“ zunächst erfolgreich neutralisierte und anschließend das Sowjetimperium zum Fall brachte.
Was dann nach dem Ende des Ost-West-Konflikts passiert ist, war zunächst ein fulminanter Aufstieg und anschließend ein allmählicher und unaufhaltsamer Abstieg der unipolaren Weltordnung, der selbstverschuldet war und bis heute andauert.
MacMillan verkennt zudem die Intentionen der US-Außenpolitik der Trump-Administration, die sie irrtümlich auf das „Konzept der Einflusssphären“ zurückführt. Trump ist, wie gesehen, ein aggressiver Unilateralist und seine Außenpolitik ist die eines aggressiven geoökonomischen Unilateralismus11, der das „Konzept der Einflusssphären“ per se ausschließt.
Mit der „Rückkehr der Einflusssphären“ hat sich im Übrigen bereits MacMillans Kollegin, Monica Toft, in ihrer am 13. März 2025 in Foreign Affairs veröffentlichten Studie „The Return of Spheres of Influence“12 auseinandergesetzt.
Toft vertrat dabei die Auffassung, dass die stattfindenden Friedensverhandlungen über den Ukrainekonflikt unweigerlich zur Entstehung und Etablierung mehrerer einflussreicher Machtzentren und damit zur „Rückkehr der Einflusssphären“ (The Return of Spheres of Influence) führen werde, wohingegen MacMillan in Trumps Außenpolitik „das alte Konzept der Einflusssphären“ zu entdecken glaubt.
Eindringlich warnt MacMillan davor, dass eine solche Welt eine größere Bedrohung für die USA selbst darstelle, „da die anderen Sphären – vermutlich ein chinesisch dominiertes Asien und vielleicht eine russische Zone in Osteuropa und Zentralasien – gegen sie ankämpfen“ würden.
MacMillans Rückführung von Trumps Außenpolitik auf das „Konzept der Einflusssphären“ verkennt, wie gesagt, nicht nur die Intentionen des „aggressiven Unilateralismus“, die keine Einflusssphären duldet, sondern suggeriert auch die Rückkehr der Machtpolitik, die freilich nie aus der Welt war.
Was wir heute in der Weltpolitik beobachten, ist indes etwas ganz anderes: die Rückkehr des alten Themas der europäischen Geschichte auf der weltpolitischen Bühne – ein Machtkampf zweier Ordnungsprinzipien Hegemonie versus Machtgleichgewicht.
Ausgerechnet der von der Autorin oft zitierte Kissinger hat nach Meinung von Detlef Junker vergeblich versucht, „die Amerikaner von dem Manichäismus (zu) befreien und ihnen … jenes Konzept der internationalen Beziehungen zurück(zu)geben, von dem der Moralist und Missionar Wilson die Welt erlösen wollte: das Konzept des Gleichgewichtes der Mächte. Selbst eine nur relative Stabilität der internationalen Beziehungen – das Beste, was man angesichts der condition humaine erwarten könnte, – war für Kissinger nur zu gewinnen, wenn die Existenz der Hauptmächte, unabhängig von ihrer jeweiligen inneren Ordnung, als legitim anerkannt, das heißt, wenn sie als Mächte nicht in Frage gestellt würden.“13
Trumps Außenpolitik des „aggressiven Unilateralismus“ steht im krassen Gegensatz zu Kissingers Idee des Machtgleichgewichts in den internationalen Beziehungen. Zwar lehnt er den US-amerikanischen Manichäismus ab, der der ideologischen Systemkonkurrenz des „Kalten Krieges“ ebenso, wie der unipolaren Weltordnung, zugrunde lag und bis heute nachwirkt, was an Reagens Stigmatisierung der Sowjetunion als das „Reich des Bösen“ in seiner sog. „Evil Empire Speech“ vom 8. März 1983 bzw. an der von George W. Bush jr. 2002 bekämpfte „Achse des Bösen“ (The Axis of Evil) abzulesen ist.
Zwar stimmt Trump auch Wilsons Ablehnung des Machtgleichgewichts zu. „Amerikas Verpflichtung“, meinte Wilson, „bestehe nicht gegenüber dem Gleichgewicht der Kräfte, sondern in der Verbreitung seiner Grundsätze in der Welt … Der Friede hänge von der Verbreitung der Demokratie, nicht vom Gleichgewicht der Kräfte ab.“14
Im Gegensatz zu Wilson, Reagan, Bush jr. und Co. ist Trump aber ein entschiedener Gegner jeder ideologisch und moralisch geleiteten US-Außenpolitik, die das „Böse“ bekämpft und Demokratie und die sog. „westlichen Werte“ propagiert.
Trump lehnt beides ab: „die Bedeutung Amerikas als Symbol der Freiheit“ wie die Idee des Machtgleichgewichts, die in der Annahme gipfelt, „dass das Kräftegleichgewicht aus dem Wettbewerb eigennütziger Interessen heraus eine grundsätzliche Harmonie gewinne und dass sicherheitspolitische Erwägungen schwerer als der Kodex der bürgerlichen Gesellschaft wögen, mit anderen Worten: dass die Ziele des Staates seine Mittel rechtfertigten.“15
Erschwerend kommt hinzu, dass die USA mit dem Ende des „Kalten Krieges“ und dem Untergang des ideologischen Systemrivalen zum Hegemonen aufgestiegen sind, was jedwede Machtteilung mit wem auch immer von vorneherein ausschloss. In der hegemonialen Selbstwahrnehmung verbleibend, will Trump Amerikas Hegemonialmacht mit keinem teilen.
Trumps Problem ist nur, dass die Welt fünfunddreißig Jahre nach der Entstehung und Ausbildung der unipolaren Weltordnung unter Führung des US-Hegemonen eine geopolitische und geoökonomische Transformation erlebte, in deren Folge Amerika zum Scheinriesen und Amerikas Hegemonie zur Fata Morgana geworden ist.
Die Erosion der US-Hegemonie schreitet mit Riesenschritten unaufhaltsam voran, begleitet vom Aufstieg der mächtigen geopolitischen und geoökonomischen Rivalen China und Russland. Die transatlantischen Machteliten weigern sich konsequent diese globale Machtverschiebung wahrzunehmen, von deren Akzeptanz ganz zu schweigen.
Trump bleibt daher in einer solchen weltpolitischen Großwetterlage nur eine einzige Alternative: entweder eine aussichts- und sinnlose Fortsetzung der Hegemonialpolitik mit Mitteln der handels- und finanzpolitischen Repression, da die bisherige, militärisch induzierte US-Außenpolitik gescheitert ist, oder eine von Kissinger empfohlene Politik des Kräftegleichgewichts.
Weil die Gleichgewichtspolitik Trumps Persönlichkeitsstruktur und einem jahrzehntelang praktizierten hegemonialen Selbstverständnis der USA zuwiderläuft, entschied sich Trump – bewusst oder unbewusst, sei dahin gestellt – für einen Mittelweg zwischen einer Hegemonial- und einer Gleichgewichtspolitik.
Zum einen versucht er einen geoökonomischen Erosionsprozess der US-Hegemonie zu stoppen und die geopolitische Weltdominanz der USA finanzpolitisch mit dem handelspolitischen Instrument der Zoll-Politik zu stabilisieren.
Zum anderen sucht Trump eine geopolitische Annährung an einen der beiden geopolitischen Rivalen Russland, indem er bereit ist, gewisse Konzessionen in Fragen des Ukrainekonflikts zu machen und die bilateralen Beziehungen zwischen Russland und den USA zu normalisieren, um Russland womöglich in einem konfrontativen Wettbewerb mit China zu neutralisieren und für sich zu gewinnen. Damit betreibt Trump aber ungewollt eine quasi Gleichgewichtspolitik.
Kurzum: Trumps Außenpolitik versucht einen Spagat zwischen einer aussichtslosen Hegemonialpolitik und einer ungewissen Machtgleichgewichtspolitik zu machen. Diese ungewöhnliche außenpolitische Vorgehensweise – ein außenpolitisches Wischiwaschi -, das Freund wie Feind irritiert, ist voller Fallstricke und birgt in sich die Gefahr des Scheiterns.
Vieles spricht dafür, dass Trumps Experiment zum Scheitern verurteilt ist. Andererseits muss er ungewöhnliche und unkonventionelle Wege gehen, wenn er die US-Hegemonie retten will. Kann man aber retten, was nicht (mehr) zu retten ist?
Anmerkungen
1. Falke, A., Auf dem Weg zu einer neuen Handelspolitik? Die USA und das Welthandelssystem, in: Matthias
Dembinski, u.a. (Hrsg.), Amerikanische Weltpolitik nach dem Ost-West-Konflikt. Baden-Baden 1994, 265-
305), 267.
2. Ruehl, L., Machtpolitik und Friedensstrategie. Einführung General Steinhoff. Hamburg 1974, 99.
3. Ruehl (wie Anm. 2), 100.
4. Kennedy, P., The Rise and Fall of the Great Powers. 1987.
5. Zur Geschichte der Zeitschrift „Der Monat“ siehe Marko Martin, Orwell, Koestler und all die anderen. Melvin
J. Lasky und „Der Monat“. Leipzig 1999.
6. Kissinger, H., Stabilität – Ziel des Westens. Berlin und Wiedervereinigung, in: Der Monat 39 (1959), 22-36.
7. Silnizki, M., Trumponomik. Geoökonomie des „aggressiven Unilateralismus“. 12. April 2025,
www.ontopraxiologie.de.
8. Falke (wie Anm. 1).
9. Türcke, C., Der tolle Mensch. Nietzsche und der Wahnsinn de Vernunft. Frankfurt 1989.<> 10. Zitiert nach Riecke, T., Neuer „China-Schock“ für den Westen, in: Handelsblatt 25./27. Juli 2025, S. 10.
11. Silnizki, M., Der geoökonomische Unilateralismus. Kori Schakes Kritik der Trumpschen Außenpolitik.
27. Juli 2025, www.ontopraxiologie.de.
12. Vgl. Silnizki, M., Zur Frage nach der „Rückkehr der Einflusssphären“. Monica Tofts Studie „The Return of
Spheres of Influence“. 30. März 2025, www.ontopraxiologie.de.
13. Junker, D., Power and Mission. Was Amerika antreibt. Freiburg 2003, 107.
14. Zitiert nach Kissinger, H., Die Vernunft der Nationen. Über das Wesen der Außenpolitik. 1994, 26.
15. Kissinger (wie Anm. 14), 30.