Verlag OntoPrax Berlin

Drei Moskauer Nein

Mit dreißigjähriger Verspätung

Übersicht

1. „Fünf Brüsseler Nein“ versus drei Moskauer Nein
2. Die US-Einkreisungspolitik in den 1990er- und 2000er-Jahre und Moskaus Gegenwehr

Anmerkungen

„Главной причиной конфликта на Украине стало полное игнорирование США и их
союзниками интересов безопасности России.“
(Der Hauptgrund für den Konflikt in der Ukraine war die völlige Ignorierung der
Sicherheitsinteressen Russlands durch die USA und ihre Verbündeten.)
(Dmitrij Trenin, 15. Dezember 2024)1

1. „Fünf Brüsseler Nein“ versus drei Moskauer Nein

Als auf dem Nordatlantikrat am 11. Januar 1994 die Formel des russischen Außenministers, Andrej Kosyrew (1990-1996), den postsowjetischen Raum als eine „Sphäre besonderer Verantwortung und Interessen im ehemals sowjetischen Raum“ für Russland anzuerkennen,2 abgelehnt wurde, und man nicht einmal bereit war, darüber auch nur zu diskutieren, war von da an klar, dass die Nato-Osterweiterung nur eine Frage der Zeit war.

Es war darum nur konsequent, dass die Vorschläge Moskaus zur Schaffung „gemeinsamer Sicherheitsgarantien“ Russlands und der Nato im postsowjetischen Raum als „Alternative zur Nato-Osterweiterung“ und die Stärkung der KSZE zur Errichtung eines Systems der kollektiven Sicherheit von der Nato mit den „fünf Brüsseler Nein“ des Nordatlantikrates von 1994 beantwortet wurden: „kein Vetorecht, kein Mitspracherecht, keine Interessensphären, kein Kondominium der Sicherheit in Europa und keine privilegierte Partnerschaft mit der Nato.“3

Die Nato-Expansion war seit diesem Zeitpunkt eine beschlossene Sache und fünf Jahre später war es auch soweit: Ende 1997 wurden die Beitrittsprotokolle mit Polen, Tschechischer Republik und Ungarn unterzeichnet und nach der Ratifizierung der Beitrittsurkunden wurde ihr Beitritt am 12. März 1999 wirksam.

Ferner erhielten mit dem Nato-Gipfel in Washington 1999 die ehem. Sowjetrepubliken Georgien, Kasachstan und Aserbaidschan sowie Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan den Status von Nato-Partnerschaftsländern. Diese Entwicklung müsste unweigerlich zu einer Verschiebung der geopolitischen Kräfteverhältnisse zu Lasten Russlands und einer Depravierung seiner geostrategischen Stellung in Eurasien führen.

„Damit wurde die einstige Großmacht Russland eingeschnürt und endgültig zum Papiertiger degradiert,“ diagnostizierte Christian Neef in Der Spiegel am 4. Juli 1999. Und diese geopolitische Degradierung setzte sich noch lange fünfzehn Jahre bis zur Ukraine-Krise 2014 fort, als die russische Führung sie mit der Krim-Eingliederung in die Russländische Föderation weder überwunden noch gestoppt, wohl aber abgeschwächt hat.

Erst mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine am 24. Februar 2022 ging Russland in die Offensive, um mit militärischem Kraftakt und zahlreichen Opfern die ungebrochene, dreißig Jahre andauernde Nato-Expansionspolitik zu stoppen, und findet dabei sicherheitspolitisch nur mühsam zu alter Stärke zurück.

Es gibt freilich ein Problem: Die Nato-Allianz lässt sich ihre seit dem Ende des Ost-West-Konflikts aus- und aufgebaute geo- und sicherheitspolitische Machtstellung in den Mittel- und osteuropäischen Ländern nicht ohne Weiteres nehmen und beharrt weiterhin auf eine Moskaus sicherheitspolitische Interessen ignorierende Expansion im postsowjetischen Raum – nicht zuletzt in der Ukraine, aber auch in Weißrussland, Georgien, Armenien und in Zentralasien.

Diesem Ansinnen hat Russland mit dem Krieg in der Ukraine einen entschiedenen Kampf angesagt und den „fünf Brüsseler Nein“ der Allianz als Antwort an Moskau 1994 erst mit dreißigjähriger Verspätung die drei Moskauer Nein entgegengeschleudert: keine weitere Nato-Expansion, keine Einmischung raumfremder Mächte in Eurasien und keine unipolare Weltordnung mehr.

Russland kehrt damit zur traditionellen russischen Geopolitik unter den Vorzeichen einer im Entstehen begriffenen sogenannten „multipolaren Weltordnung“ zurück, die vom russischen Außenminister Jewgenij M. Primakow (1996-1998) bereits 1998 formuliert wurde.

Als Reaktion auf die US-Hegemonialpolitik und die Nato-Osterweiterung formulierte Primakow die Doktrin einer „multipolaren Weltordnung“. Das Konzept der Multipolarität wurde auch als Antwort auf die gescheiterte russische Außenpolitik unter Kosyrew entworfen, dem bis heute vorgeworfen wird, sich zu sehr beim Westen angebiedert zu haben.

Wir schreiben das Jahr 1992. Kosyrew traf sich mit dem ehem. US-Präsidenten Richard Nixon in Moskau. „Nixon fragte Kosyrew, wie seine Regierung Russlands nationale Interessen definiere,“ erinnert sich der russisch-amerikanische Autor und ehem. Präsident und CEO des Center for the National Interest, Dmitrij Simes (1994-2022), der Nixon begleitete, an das Gespräch in seinem 1999 erschienenen Werk „After the Collapse“4.

Kosyrew, der für seine prowestlichen Einsichten bekannt war, entgegnete, „dass Russland in der Vergangenheit enorm gelitten habe, weil es sich auf Kosten des Rests der Welt zu sehr auf seine eigenen Interessen konzentriert habe. Jetzt, fügte er aber hinzu, sei für Russland die Zeit gekommen, >mehr im Sinne universeller menschlicher Werte zu denken<“.

„>Das ist eine sehr lobenswerte Einstellung für einen Minister<, antwortete Nixon nicht ohne Ironie und fügte hinzu: „Es gibt aber natürlich einige spezifische Interessen, die Russland als eine aufstrebende Macht für wichtig hält.“

„Davon war Kosyrew nicht überzeugt“, schreibt Simes amüsiert. „Vielleicht“ – so Kosyrew – „gebe es solche rein russische Interessen, aber die russische Regierung habe noch keine Gelegenheit gehabt, darüber nachzudenken. >Vielleicht möchte Präsident Nixon als Freund der russischen Demokratie uns dabei helfen, herauszufinden, was diese Interessen sind< – fragte Kosyrew mit einem schüchternen Lächeln.“

Nixon setzte ein Pokerface auf und sagte nachdenklich: „Ich werde mir nicht anmaßen, dem Minister zu sagen, was Russlands nationale Interessen sind. Ich bin mir sicher, dass er sie zu gegebener Zeit selbst entdecken wird. Ich möchte aber Russland nahelegen, die USA in allen Fragen der Außenpolitik nicht nachzuahmen versuchen. Als großes Land hat Russland sein eigenes Schicksal. Wir wünschen uns ein befreundetes Russland und legen großen Wert auf Ihre persönliche Freundschaft, Herr Minister. Ich weiß aber, dass jeder in Russland, der versucht, ausländischen Ratschlägen zu genau zu folgen, unweigerlich in Schwierigkeiten gerät. Und wir wollen nicht, dass das unseren Freunden passiert.“

„Als wir das Gebäude des Außenministeriums verließen und in unsere Limousine stiegen, fragte mich Nixon“, berichtet Simes, „was ich von Kosyrew halte“, um gleich darauf selbst eine Antwort zu geben: „Das ist ja ein Ding. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Russen solche devoten Typen wie diesen respektieren.“

Das waren „die wilden 90er-Jahre“ (лихие 90-е), in denen die an die Macht gelangten Nobodys nicht so genau wussten, was sie mit ihrer Macht anfangen sollten. Genau gesagt: Sie wussten im blinden Glauben an „den“ imaginären Westen sehr wohl, was sie nicht wollten, ohne freilich zu wissen, was sie eigentlich wollten. Kein Wunder, dass die US-Russlandpolitik schaltete und waltete, wie sie wollte. Und es war nur konsequent, dass die Nato-Allianz ohne Rücksicht auf ein geschwächtes und vor allen desorientiertes Russland, wie selbstverständlich, ihre „fünf Brüsseler Nein“ formulieren konnte.

Erst mit der Übernahme des russischen Außenministeriums von Jewgenij M. Primakow bahnte sich eine Wende an, freilich ohne einen durchschlagenden außenpolitischen Erfolg. Zu schwach und harmlos war Russlands geo- und sicherheitspolitische Machtposition in den „wilden 90er-Jahren“.

2. Die US-Einkreisungspolitik in den 1990er- und 2000er-Jahre und Moskaus Gegenwehr

Als Primakow 1996 das Außenministerium übernahm, war die Nato-Osterweiterung nicht mehr aufzuhalten. Der Westen betrachtete und betrachtet immer noch das Ende des Ost-West-Konflikts als einen großen „Sieg“ über den ideologischen Rivalen im „Kalten Krieg“ und ist bis heute weder zu einer gleichberechtigten Partnerschaft noch zu einem Kompromiss bereit.

Mit Primakow fand unterdessen ein sichtbarer Wandel im außenpolitischen Denken statt, als er im Gegensatz zu seinem Vorgänger Kosyrew keine Illusionen über die geo- und sicherheitspolitischen Intentionen der transatlantischen Gemeinschaft hegte.

Seine Antwort war die sog. „Primakow-Doktrin“, die eine multipolare Weltordnung propagierte. In einer 1998 gehaltenen programmatischen Rede entwickelte Primakow das Konzept der „multipolaren Welt“ und postulierte, dass das System der internationalen Beziehungen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts zunehmend multipolar werde und sich mehrere weltpolitische „Pole“ wie die USA, Russland, die EU, China, Indien und Japan herausbilden.

In einer derartigen „multipolaren Welt“ sollten die internationalen Beziehungen auf Gemeinsamkeiten, Zusammenarbeit und Interaktion beruhen. Das würde russischen Interessen besser dienen als Beziehungen in einer von den USA dominierten unipolaren Weltordnung. Im Anschluss an das Ziel, einen Übergang zu einer multipolaren Welt voranzutreiben, sollte Russland seine Verbindungen mit den anderen „Polen“ entwickeln, während die Beziehungen zu den wichtigsten westlichen Mächten stabil und pragmatisch zu gestalten wären.

Ausgehend von diesen Überlegungen, strebte Primakows Außenpolitik die verstärkte Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Partnern, darunter auch Ländern im asiatisch-pazifischen Raum, an. Dieser sog. „östliche Vektor“ (восточный вектор) war das Fundament seiner Doktrin, worauf das gesamte Konzept der multipolaren Welt beruhte.

In den 1990er-Jahren klang Primakows Doktrin wie eine Utopie oder ein spekulatives Konstrukt eines realitätsfernen Wissenschaftlers. Heute spricht man in Russland von Primakow als einem Visionär, der weitsichtig in die Zukunft blickte.

Angesichts der erbitterten Konfrontation zwischen Russland und der transatlantischen Gemeinschaft ist die Abwendung Russlands vom Westen und die Zuwendung dem Osten heute das erklärte Ziel der russischen Außen- und Geopolitik.

Gegen Ende der 1990er-Jahre und im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts sah freilich Russlands geo- und sicherheitspolitische Lage ziemlich düster aus. Der Westen hat Russland als Großmacht abgeschrieben und der Vormarsch der Nato-Staaten in Eurasien schien nicht mehr aufzuhalten. „Wir umzingeln sie (die Russen) und kommen ihrer Grenze immer näher“, schrieb der US-Rüstungsexperte Phillip Coyle 20075.

Im Ostmitteleuropa, im Zentralasien und Kaukasus sollte der sicherheitspolitischen Einflussnahme Russlands entgegengewirkt werden. Die USA hintertrieben überall die russischen Sicherheitsinteressen, wie beispielsweise der „gezielte Aufbau Georgiens zu einem antirussischen Einkreisungspartner“ Anfang des 21. Jahrhunderts deutlich machte.6

Auch Russlands Hoffnung, für die Kooperation mit den USA im „Kampf gegen den Terror“ nach 9/11 „eine strategische Rendite“ zu erhalten, ging nicht auf. „Im Gegenteil: Während Russland weiter seinen good-will gegenüber den USA demonstrierte und Washington Überflugrechte über russisches Territorium nach Afghanistan offerierte, seinen Geheimdiensten engste Kooperation mit dem ehemaligen Klassenfeind verordnete und russische Militärbasen auf Kuba und in Vietnam schloss, setzte Washington eine Reihe diplomatischer Erniedrigungen gegenüber Moskau in Gang. … Eine … Brüskierung Russlands erfolgte durch den Empfang des nicht anerkannten tschechischen Außenministers, Ilias Achmadow, im US-Außenministerium im Januar 2002, worauf Moskau mit Protest reagierte.“

Ungeachtet einer deutlichen Unterstützung der USA durch Russland nach 9/11, setzten die Amerikaner „ihre Langzeitstrategie der Einkreisung und Destabilisierung Russlands ungehindert“ fort, und zwar „im Wege einer gezielten Täuschung Russlands. Die US-Machtelite suggerierte Putin, der eine gleichberechtigte Partnerschaft mit dem Westen anstrebte, ihm in dessen Bestrebungen entgegenzukommen, um diese dann aber zu hintertreiben. Die … These von einer neuen amerikanisch-russischen Partnerschaft erwies sich daher als eine Chimäre.“7

Diese US-Langzeitstrategie hat Brzezinski in seinem Werk The Grand Chessboard 1997 klar und deutlich formuliert: „Die Entwicklung der Machtverteilung auf der eurasischen Landmasse hat entscheidende Bedeutung für Amerikas globale Vormachtstellung.“8

Für Moskau war diese kurzsichtige und alle russischen Sicherheitsbedenken ignorierende US-Geopolitik die Gefährdung seiner vitalen Sicherheitsinteressen und infolgedessen die Infragestellung seines geopolitischen Überlebens. Es war nur eine Frage der Zeit, dass Russland sich früher oder später zur Wehr setzen würde, um geopolitisch überleben zu können.

Aus russischer Sicht hat Moskau Truppen und Waffen aus Mittel- und Osteuropa nach dem Ende des Ost-West-Konflikts zurückgezogen und als Antwort die Erweiterung der Nato-Infrastruktur bis an die russischen Grenzen bekommen, wodurch Russland seine Pufferzone entzogen und die sicherheitspolitische Lage tendenziell depraviert wurde.

Für Russland wurden nach Meinung des österreichischen Militärexperten, Erich Reiter (1944-2015), aus dem Jahr 2003 „neue gefährliche Bedingungen geschaffen, weil es durch die Nato-Erweiterung von >feindlichen< Kräften eingekreist wird. Auch wenn die Nato im Moment nicht aggressiv ist, so kann doch künftig die Situation entstehen, dass Druck ausgeübt wird, um militärische Macht zu benützen oder um spezifische Ziele zu erreichen. Deshalb könnte die Situation des Kalten Krieges wiederkehren, denn Russland würde nicht zögern, seine strategischen Ziele auch außer Landes zu verteidigen.“9

Nach Reiters Voraussage dauerte es noch zwanzig lange Jahre, bis sich die Spannungen in eine militärische Konfrontation entluden. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis dieses geopolitische Pingpong-Spiel zu Ende geht und das ökonomisch und militärisch erstarkte Russland unter Putin seine sicherheitspolitischen Forderungen stellt und – wenn nötig – auch durchzusetzen versucht.

Dass Russland irgendwann auf die Weltbühne zurückkehrt, seine Ansprüche als Großmacht anmeldet und gefährlich sein wird, war für einen solch ausgewiesenen US-amerikanischen Russlandhistoriker, Hardliner und u. a. auch Reagan-Berater wie Richard Pipes (1923-2018) vollkommen klar. Deswegen meldete er sich am 19. Juli 2007 in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera zu Wort und erklärte, als wäre der „Kalte Krieg“ nie zu Ende gewesen: „Für Europa kann die russische Frage gefährlicher sein als die islamische Gefahr. Dieses Land ist gefährlicher als Bin Laden.“10

Mit Putins Machtübernahme fand unterdessen eine allmähliche und mühsame, nicht desto weniger aber beharrliche Rückgewinnung der alten Stärke statt und dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Russlands Antwort auf die US-Einkreisungspolitik war – wie nicht anders zu erwarten – die Aktivierung seines Rüstungspotentials etwa seit Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts.

So hat es beispielsweise 2007 mit einer Modernisierung seiner Atom-U-Boot-Flotte begonnen. Zur Wiederherstellung des mit der Stationierung des US-Raketenabwehrsystems gestörten strategischen Gleichgewichts testete Russland im Mai 2007 einen Typ der neuen Generation russischer Interkontinentalraketen, namentlich der RS-24, dir imstande war, zehn Sprengköpfe zu tragen.11

Das um die Mitte des ersten Jahrzehnts ansetzende Aufrüstungsprogramm führte Russland dazu, dass es heute mit seiner Hyperschaltechnologie zur unbestrittenen militärischen Führungsmacht auf dem Gebiet der Raketentechnologie aufgestiegen ist. Das am 21. November 2024 im Ukrainekrieg getestete Hyperschalsystem „Oreschnik“ hat Russlands Vorsprung vor den USA auf diesem Gebiet nur noch untermauert.

Der Traum der führenden Neocons, Bill Kristol and Robert Kagan, die mit ihrem am 1. Juli 1996 erschienenen Artikel „Toward a Neo-Reaganite Foreign Policy“ in Foreign Affairs die „wohlwollende globale Hegemonie“ (benevolent global hegemony) ausgerufen haben, zerplatzt heute vor unseren Augen wie eine Seifenblase.

Über alle Zweifel erhaben, verkündeten sie nämlich: „Die amerikanische Hegemonie ist die einzige zuverlässige Verteidigung gegen einen Zusammenbruch des Friedens und der internationalen Ordnung. Das angemessene Ziel der amerikanischen Außenpolitik ist daher, diese Hegemonie künftig so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Zur Erreichung des Zieles ist eine Rückkehr zu Reagans Außenpolitik der militärischen Suprematie und moralischen Konfidenz erforderlich“ (American hegemony is the only reliable defense against a breakdown of peace and international order. The appropriate goal of American foreign policy, therefore, is to preserve that hegemony as far into the future as possible. To achieve this goal, the United States needs a neo-Reaganite foreign policy of military supremacy and moral confidence).

Erneut bestätigt sich die Erkenntnis, die der ehemalige GorbačovBerater, Vjačeslav Dašičev (1925-2016) angesichts des untergegangenen Sowjetreiches gewonnen hat und die Nachwelt daran in seinem Werk Moskaus Griff nach der Weltmacht hat auch teilhaben lassen: „Jedes Hegemonialstreben birgt in sich den Keim seiner eigenen Niederlage.“12

Russland ist heute im Gegensatz zu den 1990er- und 2000er-Jahre stark genug, um der transatlantischen Gemeinschaft die Stirn bieten zu können. Es wendet sich vom Westen endgültig (?) ab und dem Osten und dem Süden zu.

Die vom Primakow 1998 noch als Vision und Zukunftsmusik konzipierte „Wende nach Osten“ ist heute geopolitische Realität geworden. Dreißig Jahre nach der Entscheidung der Clinton-Administration für die Nato-Osterweiterung und ein Vierteljahrhundert nach Primakows programmatischer Rede vollzieht Russland einen dramatischen Wandel in seinem außen- und geopolitischen Denken von seiner „Westorientierung“, die seit Peter dem Großen sage und schreibe gut 300 Jahre Bestand hatte, zur „Ostorientierung“.

Mit der Formulierung von drei Moskauer Nein hat Russland mit dreißigjähriger Verspätung der Nato-Expansions- und US-Einkreisungspolitik endgültig den Kampf angesagt und kehrt als Großmacht zu seiner traditionellen Geopolitik zurück.13

Anmerkungen

1. Дмитрий Тренин: „Ситуация намного сложнее, чем во времена Хрущева и Кеннеди“ (Interview), in:
Business Online, 15. Dezember 2024.
2. Zitiert nach Rode, B., Das eurasische Schachbrett. Amerikas neuer Kalter Krieg gegen Russland. Tübingen
2012, 678.
3. Rühl, L., Kollektive Sicherheit und Allianzen, in: Karl Kaiser/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Weltpolitik im
neuen Jahrhundert. Baden-Baden 2000, 519-539 (527).
4. Simes, D., After the Collapse: Russia Seeks Its Place As a Great Power. 1999, 15 f.
5. Zitiert nach Rode, B., Das Eurasische Schachbrett (wie Anm. 2), 919.
6. Dazu Rode, Die USA hintertreiben die russischen Sicherheitsinteressen, in: Rode (wie Anm. 2), 700 f., 703.
7. Rode (wie Anm. 2), 702 f.
8. Zitiert nach Rode (wie Anm. 2), 752.
9. Reiter, E., Die zweite Nato-Osterweiterung, in: Österreichische Militärzeitschrift 1(2003).
10. Zitiert nach Rode (wie Anm. 2), 900.
11. Näheres dazu Rode (wie Anm. 2), 923 ff.
12. Dašičev, V., Moskaus Griff nach der Weltmacht – Die bitteren Früchte hegemonialer Politik. Berlin-Bonn
2002, 86.
13. Vgl. Silnizki, M., Putins Kontinentalmachtstrategie. Zur Ukrainepolitik als Anti-Russlandpolitik. 25. Juli
2022, www.ontopraxiologie.de, Silnizki, M., Russland als Großmacht. Im Lichte der Geschichte und
Gegenwart. 8. Juni 2022, www.ontopraxiologie.de.

Nach oben scrollen