Verlag OntoPrax Berlin

Propagandaschlacht

Zum Informationskrieg zwischen Russland und dem Westen

Übersicht

1. Informationskrieg als Instrument der Innen- und Außenpolitik
2. Die weltumspannende Massenpropaganda
3. Die NATO-Osterweiterung und die russische Ukrainepolitik

Anmerkungen

Утопить смысл в бессмысленной суете
(Den Sinn versenken durch sinnlose Hastigkeit).

1. Informationskrieg als Instrument der Innen- und Außenpolitik

In seinem 1957 erschienenen Roman Das letzte Ufer beschrieb der Engländer Nevil Shute das dramatische Schicksal einer Handvoll Überlebender eines Atomkrieges. „Auf einer Feier wurde Winston Churchill gefragt, ob er sich vorstellen könne, ein Exemplar von Das letzte Ufer an Eisenhower zu schicken. >Das wäre<, erwiderte der nun im Ruhestand befindliche und einstmals so wilde Kalte Krieger resigniert, >reine Geldverschwendung. Eisenhower ist so konfus geworden … Ich glaube, dass die Erde bald zerstört wird … Und wenn ich der Allmächtige wäre, würde ich sie nicht wieder neu erschaffen, sonst würde man sie doch nur ein weiteres Mal zerstören<.“1

Dass selbst Churchill – ein Staatsmann von Weltrang – gegen Ende seines langen und ereignisreichen Lebens im greisen Alter in einen solchen Fatalismus verfiel, weist nicht nur auf das Schreckgespenst des Atomkrieges in den Zeiten des „Kalten Krieges“ hin, sondern auch und insbesondere auf die Begleiterscheinung dieses Gespenstes: der tobende furchterregende und angsteinflößende Propagandakrieg oder – wie man heute euphemistisch zu sagen pflegt – Informationskrieg.

So wie man im Westen zurzeit des Kalten Krieges hysterische Ängste vor einer sowjetischen Bedrohung oder einem Atombombenangriff seitens der Sowjets schürte, gleichzeitig aber die eigene Drohkulisse aufzubauen oder die eigenen Atomkriegspläne zu verschleiern wusste, so läuft auch heute eine Propagandamaschinerie gegen die „russische Aggression“ in der Ukraine auf vollen Touren. Die aufheizende Angst- und Kriegspsychose, die vor allem seitens des Westens bezüglich der vermeintlichen Kriegsgefahr in der Ukraine geschürt wird, nützt allein den geopolitischen und geoökonomischen Kriegsprofiteuren und diese können nur die Angelsachsen sein, sollte der Krieg über die ukrainischen Grenzen hinaus auf Ostmittel- oder gar Westeuropa überschwappen.

Spätestens seit dem Ausbruch der sog. Ukraine-Krise (2014 ff.) wird ein hässlicher Informationskrieg geführt, der seit der von der russischen Führung Mitte Dezember 2021 angekündigten Forderung nach dem Stopp der NATO-Osterweiterung in eine regelrechte Propagandaschlacht ausartete. Russlands sicherheitspolitischen Forderungen werden dabei in der Öffentlichkeit bewusst und gezielt verfälscht. Statt seit Jahren schwellender sicherheitspolitischen Spannungen zwischen Russland und der NATO in der Öffentlichkeit zu erörtern und den Sinn oder Widersinn der NATO-Osterweiterung zu diskutieren, wird das Thema von transatlantischen Netzwerken und Mainstream-Medien unterdrückt, in einen Russland-Ukraine-Konflikt umfunktioniert und Russland als „Aggressor“2 angeprangert, das die Ukraine eher heute als morgen angreifen würde.

Was bezweckt diese Propagandaschlacht? Das Ziel ist

(1) die westliche Öffentlichkeit zu desinformieren und die berechtigten sicherheitspolitischen Interessen Russlands zu ignorieren;

(2) Russland als einen aggressiven Kriegstreiber zu diskreditieren, das die seit dem Ende des Kalten Krieges ausgebildete europäische Friedens- und Sicherheitsordnung in Frage stellt, wobei

(3) das NATO-Sicherheitssystem als die einzig legitime europäische Sicherheitsordnung postuliert wird, der sich Russland unterzuordnen hat.

(4) Russland soll im Sinne dieses sicherheitspolitischen Axioms die NATO-Osterweiterung – wenn nicht de jure, so doch – de facto tolerieren bzw. akzeptieren.

(5) Damit wird die Tatsache verschleiert bzw. bleibt vor der westlichen Öffentlichkeit verborgen, dass sich nämlich die NATO-Infrastruktur in der Ukraine de facto längst im Aufbau befindet.

Diese Verschleierungstaktik war schließlich der Auslöser für die sicherheitspolitischen Forderungen Russlands an das NATO-Bündnis. Als Reaktion darauf leiteten die Angelsachsen unter Führung der USA eine Informationskampagne zwecks Diskreditierung und Diffamierung des geopolitischen Konkurrenten ein, um die öffentliche Meinung einerseits innenpolitisch und innerwestlich im Sinne der Informationskrieger dahin gehend zu beeinflussen, dass diese den diskreditierten geopolitischen Rivalen als Friedensstörer und Kriegstreiber verinnerlicht. Dem so gesehenen „Aggressor“ solle ein entschiedener Widerstand entgegengebracht werden, um von vorneherein eine sog. „Appeasement-Politik“ nach dem Vorbild des Münchener Abkommens von 1938 auszuschließen. Informationskrieg dient aber andererseits als Instrument der Außenpolitik zwecks Einschüchterung, Irreführung, Eindämmung oder Abschreckung des geopolitischen Rivalen.

Jede geopolitische Konfrontation schafft sich selbst ihr Feindbild, das in der Öffentlichkeit medial verbreitet und stets reproduziert wird, bis es in der öffentlichen Meinung festverankert wird – so fest, dass kein anderes „Bild“ mehr vorgestellt werden kann. Das Feindbild entwickelt eine besonders virulente Form der Aggressivität, welche jedwede Kompromisse ausschließt. Der geopolitische Rivale müsse vielmehr moralisch an den Pranger und ökonomisch unter Quarantäne gestellt werden, bis das Aggressionsvirus, das er in sich trägt, ausgerottet ist.

Entsprungen vor allem aus einem unausrottbaren Glauben an die moralische Ausschließlichkeit und axiologische Überlegenheit der eigenen Zivilisation und an die universelle Geltung und Gültigkeit des eigenen Wertekanons, dem Russland zu folgen habe und in dessen Namen „Demokratie“, „Menschenrechte“ und „Rechtsstaat“ aufoktroyiert werden sollte, sucht die US-amerikanische und NATO-Eindämmungs- und Abschreckungspolitik bereits seit Jahren ihre Sicherheitsstrukturen zu erweitern und bewegt sich damit die ganze Zeit nah am sicherheitspolitischen Abgrund.

Diese Oktroyierungsideologie, bei welcher der universelle Geltungsanspruch auf deren Verwirklichung der geopolitischen Realität so weit vorauseilt, dass sie meistens „wie bloße Luftspiegelungen über dem Boden zu schweben“3 scheint, hat angesichts des kulturellen Selbstverständnisses Russlands versagt und ist vor dem Hintergrund dessen militärischer Erstarkung sicherheits- und geopolitisch gescheitert.

2. Die weltumspannende Massenpropaganda

Im Zeitalter der weltumspannenden Massenpropaganda und der globalen Massenvernichtungswaffen hinterließ das Ende des Kalten Krieges ein sicherheitspolitisches Vakuum in Europa, das nur scheinbar durch die NATO-Sicherheitsstrukturen überwunden, tatsächlich aber infolge der ökonomischen, ideologischen und militärischen Schwächung Russlands als nicht existent betrachtet bzw. ganz negiert wurde. Erst mit der militärischen Erstarkung Russlands und der Neuauflage der geopolitischen Spannungen zwischen Russland und dem Westen wurde dieses sicherheitspolitische Vakuum offengelegt, ohne dass der Westen diese neue Entwicklung ernst genommen hat, da er immer wieder der Opfer des eigenen Eskapismus wird.

Der Westen hat verlernt zwischen den unvermeidbaren Folgen seiner Droh-, Eindämmungs- und Abschreckungspolitik und den vermeidbaren Unfällen des auf Konfrontation und Eskalation setzenden Informationskrieges zu unterscheiden, da sich die Grenzen zwischen PR-Gag, Massenpropaganda und den Nachrichten längst vermischt haben.

„Nahezu Zweidrittel aller in den Medien verbreiteten Meldungen kommen von außen, sind nicht selbständig recherchiert, sondern stammen aus Pressestellen von privaten und öffentlichen Institutionen und PR-Agenturen und werden einer Zeitungsredaktion von einem so genannten Medienservice >häppchengerecht< als fertige Artikel angeboten. 80 % aller Nachrichten in den Medien stützen sich lediglich auf eine einzige Quelle, und genau diese entpuppt sich bei weiteren Recherchen als eben die Pressestelle, die diese Meldung in Umlauf gebracht hat. Die Symbiose Journalismus/PR gilt für den Konsumgüterbereich ebenso wie für die Politik,“ stellten Jörg Becker und Mira Beham 2006 fest.4

Diese „Kolonialisierung der Medien“ durch die PR-Industrie ebenso wie durch die politischen und geheimdienstlichen Machtstrukturen hat der offizielle US-amerikanische Begriff eines „embedded journalism“ während des Irak-Krieges auf den Punkt gebracht: „Man liegt miteinander im Bett – ganz offensichtlich ungeniert, öffentlich, schamlos“ (ebd.). Das institutionelle und traditionelle Machtverhältnis verschiebt sich seit langen immer mehr zu Lasten des Journalismus, begünstigt damit umso mehr die Selektion, Manipulation, Verzerrung oder Unterschlagung von Informationen und erleichtert dadurch jede Art von Informationsverfälschung.

„Spoon feeding (= abfüttern der Medien mit Informationen), spinning (= politische PR im Hintergrund) und whistleblowing (= medienkritische Advertorials) sind zum ganz alttäglichen Normalzustand des Journalismus geworden“ (ebd.). Diese Mainstream-Medienrealität bietet den fruchtbarsten Boden für jede Art von Massenpropaganda und Informationskrieg. Sie zeigt deutlich, wie sehr mediale Berichterstattung von vorgefertigten und fabrizierten „Informationen“ und Desinformationen vor allem und insbesondere bei außenpolitischen Fragen und in internationalen Konflikten und Krisen durchdrungen ist.

Zum einen haben wir das Problem der uninformierten Berichterstatter selbst, die – im Glauben nach bestem Wissen und Gewissen informiert zu haben – desinformieren. Denn „in Zeiten von sich zuspitzenden internationalen Konflikten (steigt) der Bedarf an schnellen und umfangreichen Informationen und die Notwendigkeit, schneller und umfangreicher zu informieren als die Konkurrenz, deutlich, so dass kaum Raum bleibt für eine Überprüfung der zugespielten Informationen … Wenn diese dann auch noch aus einer Quelle kommen, die allgemein als glaubwürdig gilt oder als solche eingestuft wird, entfällt die Notwendigkeit zur Hinterfragung meist völlig“ (ebd., 18 ff.).

Das bedeutet aber, dass den Manipulationen und/oder gezielt gestreuten (geheimdienstlichen) „Informationen“ nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch der Berichterstatter und nicht zuletzt der zu politischen Entscheidungen befugten und auf Medien angewiesenen Machtelite Tür und Tor geöffnet sind. In Kriegs- und Krisensituationen kommt noch hinzu, dass es im Interesse von Militärs, Kriegsparteien oder Kriegs- und Krisenprofiteuren ist, „solche Überprüfungen zu verhindern, die ihnen selbst schaden könnten“ (ebd., 21).

Die politischen, militärischen und geheimdienstlichen Netzwerke beeinflussen darüber hinaus die Informationsflüsse ebenso wie die politische und öffentliche Meinungsbildung in erheblichem Maße. „So sind in den großen PR-Agenturen der USA, insbesondere unter dem Führungspersonal, ehemalige Kongressabgeordnete, Senatoren, Mitarbeiter der US-Administration und der Geheimdienste oder andere ehemalige öffentliche Funktionsträger, aber auch frühere Führungskräfte aus der Wirtschaft überproportional repräsentiert … Umgekehrt rekrutieren sich die politischen Eliten und ihre Berater oft aus dem Umfeld von PR-Agenturen“ (ebd., 21).

Diese ineinander verflochtenen und aufeinander bezogenen inneramerikanischen und innerwestlichen Machtstrukturen und Netzwerke haben sich nach dem Ende des Kalten Krieges globalisiert und verschiedene Organisationsformen, wie etwa Joint Ventures, strategische Allianzen oder Franchise-Systeme, angenommen. „Im Bereich der internationalen Werbe-, PR-, Consulting- und Marketingagenturen dominiert jedoch die Form der (Finanz-)Holding, die über die Einrichtung von Niederlassungen, Gründung von Tochterunternehmen, über Beteiligungen, Übernahmen oder feste Kooperationen ein weltweites Agentur-Netzwerk aufbaut“ (ebd., 22).

Kurzum: Man kann von einem globalisierten, gigantischen medialen Netzwerk sprechen, die von den US-amerikanischen, angelsächsischen und den USA nahstehenden, weltweit vernetzten Macht- und Finanzstrukturen gesteuert und bei Bedarf zwecks Informationskriegsführung jederzeit aktiviert und immer wieder reaktiviert werden (können). So heuerte beispielsweise die Clinton-Administration auf dem Höhepunkt des sog. „Kosovo-Krieges“ im Mai 1999 den Vizevorsitzenden der PR-Firma Edelmann PR Worldwide und Leiter ihres Washingtoner Büros an, der einen 30-Tage Vertag bekam und dem Stabschef des Weißen Hauses zur Seite gestellt wurde, „um den Krieg in der Öffentlichkeit besser zu >verkaufen<“ (ebd., 25).

Mit anderen Worten: Seit dem Ende des Kalten Krieges fand nicht so sehr eine „Privatisierung der Außenpolitik“ – wie Becker/Beham (ebd., 30 ff.) diagnostizieren -, als vielmehr die Globalisierung der US-amerikanischen Fähigkeit statt, den Informationskrieg bei Bedarf in Gang zu setzen und ihn jederzeit aktivieren zu können.

Die US-amerikanischen Fähigkeiten, einen Informationskrieg führen zu können, sind einmalig und einzigartig und können von keiner anderen Großmacht getoppt werden. Diese Entwicklung hat das Ende des Kalten Krieges begünstigt und explosionsartig befördert. Die von den Sowjets befreiten Länder

Mittel- und Osteuropa wollten von PR-Firmen „an die Hand genommen“ werden. Weil sie „keine Repräsentanten in Washington hatten“, mussten sie sich „in Washington bekannt machen“. Das war ein natürliches Bestreben der Peripherie vom Zentrum wahrgenommen zu werden. „Diplomats for hire“ (Diplomaten zu mieten) nannten Becker/Beham (ebd., 30) „dieses neue Phänomen internationaler Beziehungen“. Das war jedoch keine „Privatisierung der Außenpolitik“, sondern ein revolutionärer Vorgang sondergleichen – ein Vorgang der Emanzipation von den alten abgewirtschafteten Machtstrukturen und eine Hinwendung zum neuen, Freiheit und Wohlstand versprechenden Machtzentrum, wovon die USA bis heute profitieren.

Dieser dreißig Jahre andauernde Prozess geht nunmehr vor dem Hintergrund des militärisch und ökonomisch zunehmend schwächelnden Zentrums und des Aufstiegs und der Anziehungskraft anderer Machtzentren allmählich und unwiderruflich zu Ende. Die Fähigkeit zum Informationskrieg bleibt dessen ungeachtet weiterhin die absolute Domäne des gut vernetzten weltumspannenden US-amerikanischen Informationskriegers.

3. Die NATO-Osterweiterung und die russische Ukrainepolitik

Richard Holbrooke (der US-Sondergesandter für den Balkan in den 1990er-Jahren) erklärte nach dem Abschluss des Dayton-Friedensabkommens: „Bosnien … bestimmte die erste Phase der Beziehungen zwischen den USA und Europa nach dem Kalten Krieg, und zwar auf eine Weise, die für die atlantischen Beziehungen höchst zerstörerisch war. Die Differenzen zwischen den einzelnen NATO-Mitgliedern gefährdeten die NATO selbst – und zwar ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als Washington die NATO-Erweiterung ins Visier nahm.“5

Holbrookes Äußerung weist darauf hin, dass die US-amerikanische Sicherheitsstrategie bereits kurz nach dem Ende des Kalten Krieges auf die NATO-Osterweiterung ausgerichtet war und dass wir heute eine deutliche Parallele zwischen der Balkan- und der Ukraine-Krise feststellen können, die sich um die Zukunft der europäischen Sicherheitsarchitektur zentriert. Das Dayton-Abkommen war folgerichtig im Eigeninteresse der US-amerikanische Sicherheits- und Geostrategie, die zum Ziel „die Osterweiterung des nordatlantischen Bündnisses bis an die Grenzen Russlands“6 hatte. Dabei bedienten sich die USA einer Informationskampagne, der zufolge der Krieg in Bosnien laut David Gompert7 „als serbische Aggression“ dargestellt und „bis zu einer völligen Niederlage Serbiens“ geführt werden sollte. Die USA sollten sich auf ein „langes Spiel“ einstellen, um mit einem „anhaltenden Wirtschafts- und Informationskrieg gegen Serbien“, der „jahrelang, wenn nötig jahrzehntelang Verluste, Isolation und Elend“ verursachen würde, ans Ziel zu gelangen.8

Nun ist Russland nicht Serbien und die Zeiten haben sich dramatisch nicht gerade zu Gunsten der USA verändert. Und dennoch beobachten wir heute eine vergleichbare strategische Vorgehenswese der USA, die sich zwischen der US-Strategie der NATO-Osterweiterung und der ausgebrochenen Propagandaschlacht um die Ukraine bewegt, welche die fundamental entgegengesetzten sicherheitspolitischen Interessen Russlands und der USA verschleiert. Beharrt Russland auf eine neue europäische Sicherheitsarchitektur unter Verzicht der weiteren NATO-Osterweiterung in den postsowjetischen Raum, so lenken die USA von eben dieser russischen Grundsatzforderung ab und erwecken in der westlichen Öffentlichkeit mittels medialer Nebelschau den Eindruck der russischen Aggression gegen die Ukraine und reduzieren so Russlands Sicherheitspolitik allein auf die Ukraine-Krise. Damit betreiben die USA ein gefährliches geopolitisches Spiel, das einerseits mit einem Informationskrieg die Spannungen zwischen Russland und der NATO verschärft und andererseits mit wirtschaftlichen Drohgebärden sowohl die ökonomische Lage in der Ukraine verschlechtert als auch Russland mit der Ankündigung von Wirtschaftssanktionen einzudämmen sucht.

Aus russischer Sicht bedeutet dieser US-amerikanisch gesteuerte westliche Informationskrieg die Irreführung der westlichen Öffentlichkeit bezüglich der tatsächlichen Zielsetzung der russischen Sicherheitspolitik in Europa. Mit der massiven Aufrüstung des ukrainischen Militärs unterminiert die Biden-Administration zudem zusammen mit Großbritannien und Kanada bewusst die russischen sicherheitspolitischen Interessen, provoziert Russland zum Krieg und schürt damit ganz gezielt einen militärischen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, an dem die beiden slawischen Völker kein Interesse haben. Das bezeugen sowohl die Verlautbarungen der Kiewer Regierung als auch die

grundsätzliche russische Ukrainepolitik, die nach eigenen Bekundungen kein Interesse verspürt, einen Krieg gegen das ukrainische „Bruder-Volk“ zu führen.

Unter dem Vorwand der Konzentration des russischen Militärs (angeblich ca. 100000 bis 120000 Militärangehörigen) an der „unmittelbaren“ Grenze zur Ukraine, obschon die Russen stets behaupten, dass ihre Truppen ca. 300 bis 400 km von der ukrainischen Grenze entfernt sind, heizen die Angelsachsen die kriegerische Stimmung an und bezichtigen die russische Führung einer bevorstehenden Aggression gegen die Ukraine.

Der angelsächsische Westen verfolgt damit propagandistisch ein dreifaches geostrategisches Ziel:

(1) Er verschleiert vor der westlichen Öffentlichkeit die Ablehnung der bereits seit Jahren bestehenden russischen Forderungen, die NATO-Osterweiterung zu stoppen, und richtet ihre Aufmerksamkeit auf den ukrainischen Nebenschauplatz.

(2) Er heizt propagandistisch die kriegerische Stimmung in Europa an, um einerseits die Kontinentaleuropäer hinter der US-amerikanischen Russlandpolitik zu scharen und andererseits Russland von Europa geoökonomisch zu isolieren, womit er ganz gezielt u. a. auch die deutschen Wirtschaftsinteressen torpediert.

(3) Die USA provozieren schließlich einen militärischen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine nicht nur zwecks langwieriger militärischer Verwicklung Russlands in der Ukraine und Einführung der vermeintlich „härtesten“ Wirtschaftssanktionen gegen das Land, sondern auch und vor allem zwecks ökonomischer Schwächung der Kontinentaleuropäer, welche die USA nicht nur als Partner, sondern selbstverständlich auch als ökonomischen Konkurrenten betrachten.

Da die russische Führung über diese dreifache Zielsetzung der US-Geostrategie bestens Bescheid weiß, wird sie den USA nicht den Gefallen tun, die Ukraine militärisch direkt anzugreifen. Russland wird die Ukraine nur dann angreifen, wenn die ukrainischen Militärs sich entscheiden würden, die Donbass-Region gewaltsam zurückzuerobern, womit momentan allerdings nicht zu rechnen ist. Russland hat dessen ungeachtet genug die anderen sicherheitspolitischen Instrumente, um einen möglichen Ausbau der NATO-Infrastruktur in der Ukraine zu unterbinden, ohne die Ukraine direkt angreifen zu müssen.

Auch der baldige Staatsbesuch Putins in der Volksrepublik China wird Aufschluss über die weiteren sicherheitspolitischen Maßnahmen Russlands geben, die auch für die europäische Sicherheitsarchitektur von hoher Relevanz sein werden. Dabei ist eine noch engere militärische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen Russland und China nicht auszuschließen.

Bald wird sich die Nebelwand des Informationskrieges verziehen und der geopolitische Himmel wird sich lichten.

Anmerkungen

1. Zitiert nach Stone, O./Kuznick, P., Amerikas ungeschriebene Geschichte. Die Schattenseiten der Weltmacht. Berlin 2015, 187.
2. Brüggmann, M., Verhandeln mit dem russischen Aggressor: Was will Putin? Handelsblatt vom 9. Januar 2022; Münchrath, J., Bedingt abwehrbereit. Handelsblatt vom 25. Januar 2022, S. 16.
3. Lüthy, H., In Gegenwart der Geschichte. Historische Essays. Köln Berlin 1967, 267.
4. Becker, J./Beham, M., Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod. Baden-Baden 2006, 16.
5. Holbrooke, R., Meine Mission. Vom Krieg zum Frieden in Bosnien. München 1999, 550; zitiert nach Becker/Beham (wie Anm. 4), 36.
6. Becker/Beham (wie Anm. 4), 37.
7. Gompert, D., How to defeat Serbia, in: Foreign Affairs, Vol. 73. Nr. 4, Juli/August 1994; zitiert nach Becker/Beham (wie Anm. 4), 37.
8. Becker/Beham (wie Anm. 4), 37.

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